TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
Berufungsentscheidung - Steuer (Referent), UFSW vom 15.07.2011, RV/1572-W/10

Sicherstellungsauftrag bei potentiell Haftungspflichtigem


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Miterledigte GZ:
RV/1573-W/10


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Rechtssätze
Stammrechtssätze
RV/1572-W/10-RS1
Bei potentiell Haftungspflichtigen entsteht die Abgabenschuld als Gesamtschuld gemäß § 7 BAO erst mit der bescheidmäßigen Geltendmachung der Haftung, sodass die Erlassung von Sicherstellungsaufträgen nur innerhalb der Monatsfrist nach Erlassung des Haftungsbescheides zulässig ist.

Entscheidungstext

Berufungsentscheidung

Der Unabhängige Finanzsenat hat über die Berufungen des Bw, vertreten durch PP, gegen die Bescheide des Finanzamtes Korneuburg vom betreffend Sicherstellungsauftrag gemäß § 232 BAO und betreffend Pfändung einer Geldforderung gemäß § 65 AbgEO entschieden:

Den Berufungen wird Folge gegeben.

Die angefochtenen Bescheide werden aufgehoben.

Entscheidungsgründe

Mit Sicherstellungsauftrag vom ordnete das Finanzamt zur Sicherstellung von gegenüber der P-GmbH bestehenden Abgabenansprüchen in Höhe von € 303.015,00 (Umsatzsteuer 2008) die Sicherstellung in das Vermögen des Berufungswerbers (Bw) an.

Mit Bescheid vom pfändete das Finanzamt gemäß § 65 AbgEO wegen dieser Abgabe in Höhe von € 303.015,00 die dem Bw gegen das DS zustehenden beschränkt pfändbaren Forderungen aus einem Arbeitsverhältnis oder sonstige Bezüge im Sinne des § 290a EO.

In der dagegen rechtzeitig eingebrachten Berufung führte der Bw aus, dass der Bescheid des Finanzamtes vom über die Erlassung eines Sicherstellungsauftrages gemäß § 232 BAO sich als rechtswidrig erweise, da dem angefochtenen Bescheid die rechtsirrige Beurteilung der Behörde erster Instanz zugrunde liege, wonach die P-GmbH P-GmbH ein sogenanntes "Fakturierungsunternehmen" sei, welches "niemals operativ tätig geworden und nur zum Schein in Geschäftsabläufe eingeschaltet worden sei", um "diverse Zollvergehen" zu verschleiern.

Diesem rechtsirrigen Standpunkt sei (unter anderem) bereits vom Steuerberater der P-GmbH, Wirtschaftstreuhänder JH mit Schreiben vom entgegengetreten worden. Wie in diesem Zusammenhang vom beauftragten Wirtschaftstreuhänder und Steuerberater ausgeführt worden sei, handle es sich bei der Firma P-GmbH durchaus um ein Import- und Exportunternehmen im herkömmlichen Sinn. Ein Unternehmensstandort sei vorhanden, wie auch eine betriebliche Struktur. Es sei die Eintragung im Firmenbuch erfolgt und eine entsprechende Steuernummer erteilt worden. Die Waren seien (physisch) nach Österreich eingeführt und von der P-GmbH ordnungsgemäß verzollt worden. Von einer Briefkasten- oder Scheinfirma könne sohin keine Rede sein.

Die P-GmbH betreibe sohin eine gewerbliche nachhaltige Tätigkeit, die auch nach außen hin in Erscheinung trete (gemäß herrschender Rechtsprechung wäre eine Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr oder Handlungsfähigkeit nicht einmal notwendig). Unbeschadet dessen, dass die seitens der Behörde erster Instanz behaupteten Verletzungen zollrechtlicher Vorschriften durch die P-GmbH bestritten würden, wäre es für die Unternehmereigenschaft im Übrigen irrelevant, ob eine Unternehmenstätigkeit gegen ein gesetzliches Verbot verstoße, strafbar sei oder den guten Sitten widerspreche. Gemäß § 23 Abs. 2 BAO liege in jedem Fall eine unternehmerische Tätigkeit der P-GmbH vor, die sich auch als nachhaltig erwiesen habe, da die Tätigkeit aufgrund mehrerer Vertragsverhältnisse immer wieder durchgeführt worden sei.

Gemäß den substantiierten Rechtsausführungen des Wirtschaftstreuhänders und Steuerberaters der P-GmbH erweise sich sohin die Verweigerung des Abzugs der Einfuhrumsatzsteuer als rechtswidrig. Zusammenfassend ergebe sich sohin, dass keine Abgabenschuld vorliege, sodass der Sicherstellungsauftrag bereits aus diesem Grund aufzuheben sei.

Der dem angefochtenen Sicherstellungsauftrag zugrunde gelegte Sachverhalt gründe sich ausschließlich auf eine Aussage des handelsrechtlichen Geschäftsführers und alleinigen Gesellschafters der P-GmbH, Herrn TF vom . Bei der vorgenannten Aussage handle es sich um die - nicht unter Wahrheitspflicht erfolgte - Vernehmung des Beschuldigten TF, in welcher dieser ganz offensichtlich den Versuch unternommen habe, sich persönlich zu entlasten, indem er (erstmalig) den Einschreiter als "faktischen Machthaber" der P-GmbH bezeichnet habe.

Die Unglaubwürdigkeit dieser "Entlastungsaussage" ergebe sich nicht nur aus der Interessenslage des Beschuldigten TF, sondern auch aus den erheblichen Diskrepanzen gegenüber seiner Aussage vom vor dem Zollamt E.

In diesem Zusammenhang sei auszugsweise auf die Aussage des Beschuldigten TF vom verwiesen, wonach er im Juli 2008 die Firma P-GmbH als alleiniger Gesellschafter gegründet habe. Er habe eine Angestellte, mittlerweile sei sie geringfügig beschäftigt, und das sei Frau SK. Er gebe an, dass seine Veranlassung für die Firmengründung diejenige gewesen sei, dass Herr ZF, der Chef der Spedition T an ihn herangetreten sei und ihm erzählt habe, dass ein gewisser VC aus Deutschland Geschäfte machen und eine Firma zwischengeschaltet haben möchte" (Seite 2 und 3 des vorgenannten Protokolls).

Den Bw kenne er seit ziemlich genau 30 Jahren, er sei sein bester Freund. Natürlich habe er ihn gefragt, wenn er zolltechnische Fragen gehabt habe, das wäre nicht normal gewesen, wenn es nicht so gewesen wäre. Er hat ihm grundsätzliche Abläufe im Zollwesen erklärt, es wäre schon einiges passiert, wenn er ihn nicht gehabt hätte (Seite 6).

Wenn er gefragt werde, ob der Bw zur Gründung der Firma P-GmbH geraten habe, gebe er an, dass der Bw in keinster Weise an der Gründung der Firma beteiligt gewesen sei, ihm auch nicht zu- oder abgeraten habe. Der Bw habe lediglich, als er ihn nach seiner Meinung über die Firmengründung gefragt habe, gesagt, dass alles ok laufe und er das mit ruhigem Gewissen machen könne (Seite 16).

Berücksichtige man die sehr detaillierte und wesentlich ausführlichere Aussage des Beschuldigten TF vom gegenüber seiner nunmehrigen Entlastungsaussage vom , erscheine keinesfalls nachvollziehbar, aufgrund welcher (schlüssigen) Überlegungen die Behörde erster Instanz ausschließlich gestützt auf diese Entlastungsaussage des Beschuldigten TF ohne weitere Feststellungen zu dem Ergebnis komme, dass der Bw faktischer Geschäftsführer der Firma P-GmbH wäre. Offensichtlich vermeine der Beschuldigte TF, aus dem (unbestrittenen) Sachverhalt, dass der Bw ihn in Firmenangelegenheiten beraten habe und die Gattin des Bw für die P-GmbH als Buchhalterin tätig gewesen sei, etwas für seine strafrechtliche Verantwortung zu gewinnen, was jedoch gänzlich realitätsfremd sei.

Folge man der unrichtigen und als Schutzbehauptung zu qualifizierenden Darstellung des Beschuldigten TF, müsste er wohl auch Treuhänder des Bw als Alleingesellschafter der P-GmbH sein, wofür es überhaupt keine Anhaltspunkte gebe und was von ihm selbst auch nicht einmal behauptet worden sei. Im gegenständlichen Fall, wonach der Bw unbestritten keinerlei Rechte an der P-GmbH gehabt habe, wäre es gänzlich realitätsfremd zu unterstellen, dass der Bw faktischer Machthaber der vorgenannten Gesellschaft wäre.

Demgegenüber träfe lediglich zu, dass der konsultativ tätige Bw vom Beschuldigten TF eine Barzahlung in Höhe von € 4.000,00 erhalten habe, was von diesem auch zugestanden werde. Ein darüber hinausgehender Nutzen bzw. wirtschaftlicher Vorteil des Bw werde nicht einmal vom Beschuldigten TF behauptet. Auch diese Umstände sprächen wohl deutlich gegen eine (vermeintliche) Machthaberschaft des Bw an der oben genannten Gesellschaft.

Zusammenfassend ergebe sich sohin, dass die Schlussfolgerung der Behörde erster Instanz, den Bw als faktischen Machthaber der P-GmbH zu qualifizieren, nicht nachvollziehbar und nicht hinreichend begründet erscheine.

Die von der Behörde erster Instanz getroffene Ermessensentscheidung erweise sich sohin auch aus diesem Grund als rechtswidrig.

Umso weniger nachvollziehbar erscheine weiters die Schlussfolgerung der Behörde erster Instanz, dass aufgrund des gegenständlichen Sachverhaltes dem Bw die Begehung eines vorsätzlichen Finanzvergehens anzulasten wäre.

In diesem Zusammenhang sei darauf hinzuweisen, dass dem Alleingesellschafter und handelsrechtlichen Geschäftsführer der P-GmbH, Herrn TF seitens der Behörde erster Instanz offensichtlich (aufgrund des gegenständlichen Sachverhaltes) nur eine fahrlässige Abgabenverkürzung in Höhe von ca. € 300.000,00 nach § 34 Abs. 1 FinStrG angelastet werde (Seite 3 des Vernehmungsprotokolls des Beschuldigten TF vom ), wohingegen dem Bw, der weder wirtschaftlicher Eigentümer noch faktischer Geschäftsführer der P-GmbH sei, eine vorsätzliche Beitragtäterschaft unterstellt werde.

Selbst wenn man - rein hypothetisch - die Stellungnahme des Steuerberaters der P-GmbH als rechtsirrig beurteilte, könnte man daraus keinesfalls auf eine vorsätzliche Täterschaft schließen, da zumindest einer vertretbaren und autorisierten Fachauskunft gefolgt worden sei.

Zusammenfassend ergebe sich sohin, dass aufgrund des dargelegten Sachverhaltes keine Rechtsgrundlage für einen Sicherstellungsauftrag gemäß § 232 Abs. 3 BAO bestehe.

Der angefochtene Bescheid vom über die Pfändung einer Geldforderung erweise sich schon aus dem Grund als rechtswidrig, als ihm nicht einmal zu entnehmen sei, aus welchem Rechtstitel sich eine (vermeintliche) Abgabenschuld des Bw ergeben soll. In dem angefochtenen Bescheid werde lediglich - ohne jegliche Konkretisierung - ausgeführt, dass der Bw Abgaben (einschließlich Nebengebühren) in Höhe von € 303.015,00 schulden würde. Der Spruch des Bescheides sei sohin unschlüssig bzw. nicht nachvollziehbar und demzufolge mit Rechtswidrigkeit behaftet.

Über die Berufung wurde erwogen:

Gemäß § 232 Abs. 1 BAO kann die Abgabenbehörde, sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den die Abgabenvorschriften die Abgabepflicht knüpfen, selbst bevor die Abgabenschuld dem Ausmaß nach feststeht, bis zum Eintritt der Vollstreckbarkeit (§ 226) an den Abgabepflichtigen einen Sicherstellungsauftrag erlassen, um einer Gefährdung oder wesentlichen Erschwerung der Einbringung der Abgabe zu begegnen. Der Abgabepflichtige kann durch Erlag eines von der Abgabenbehörde zu bestimmenden Betrages erwirken, dass Maßnahmen zur Vollziehung des Sicherstellungsauftrages unterbleiben und bereits vollzogene Maßnahmen aufgehoben werden.

Gemäß § 232 Abs. 2 BAO hat der Sicherstellungsauftrag (Abs. 1) zu enthalten:

a) die voraussichtliche Höhe der Abgabenschuld;

b) die Gründe, aus denen sich die Gefährdung oder Erschwerung der Einbringung der Abgabe ergibt;

c) den Vermerk, dass die Anordnung der Sicherstellung sofort in Vollzug gesetzt werden kann;

d) die Bestimmung des Betrages, durch dessen Hinterlegung der Abgabepflichtige erwirken kann, dass Maßnahmen zur Vollziehung des Sicherstellungsauftrages unterbleiben und bereits vollzogene Maßnahmen aufgehoben werden.

Gemäß § 65 Abs. 1 AbgEO erfolgt die Vollstreckung auf Geldforderungen des Abgabenschuldners mittels Pfändung derselben. Im Pfändungsbescheid sind die Höhe der Abgabenschuld und der Gebühren und Auslagenersätze (§ 26) anzugeben. Sofern nicht die Bestimmung des § 67 zur Anwendung kommt, geschieht die Pfändung dadurch, dass das Finanzamt dem Drittschuldner verbietet, an den Abgabenschuldner zu bezahlen. Zugleich ist dem Abgabenschuldner selbst jede Verfügung über seine Forderung sowie über das für dieselbe etwa bestellte Pfand und insbesondere die Einziehung der Forderung zu untersagen. Ihm ist aufzutragen, bei beschränkt pfändbaren Geldforderungen unverzüglich dem Drittschuldner allfällige Unterhaltspflichten und das Einkommen der Unterhaltsberechtigten bekannt zu geben.

Gemäß § 65 Abs. 3 AbgEO ist die Pfändung mit Zustellung des Zahlungsverbotes an den Drittschuldner als bewirkt anzusehen.

Sicherstellungsaufträge setzen voraus, dass der Tatbestand verwirklicht ist, an den die Abgabenvorschriften die Abgabepflicht knüpfen. Dieser Zeitpunkt wird von der hA (zB Stoll, BAO, 2396; Fischerlehner, ÖStZ 1998, 323; Ryda/Langheinrich, FJ 1999, 239; Liebeg, AbgEO, § 78 Tz 5; Ellinger ua, BAO3, § 4 Anm. 16) mit dem Zeitpunkt des Entstehens des Abgabenanspruches gleichgesetzt. Bei potentiell Haftungspflichtigen entsteht die Abgabenschuld als Gesamtschuld gemäß § 7 Abs. 1 BAO erst mit der bescheidmäßigen Geltendmachung der Haftung. Nach Erlassung des Haftungsbescheides werden die betreffenden Abgaben nach § 224 Abs. 1 BAO fällig und vollstreckbar. Nur innerhalb dieser Monatsfrist ist die Erlassung von Sicherstellungsaufträgen zulässig ().

Nach der Aktenlage wurde gegenüber dem Bw kein Haftungsbescheid erlassen, sodass die sichergestellte Abgabenschuld dem Bw gegenüber als Gesamtschuld nicht entstanden ist. Vielmehr wurde laut Spruch des angefochtenen Sicherstellungsauftrages die Sicherstellung der gegenüber der P-GmbH bestehenden Abgabenansprüchen in Höhe von € 303.015,00, welche gegenüber der P-GmbH mit Bescheid vom festgesetzt wurden, angeordnet. Mangels Entstehens des sichergestellten Abgabenanspruches gegenüber dem Bw erweist sich die Erlassung des angefochtenen Sicherstellungsauftrages somit als rechtswidrig.

Mangels Vorliegens eines Exekutionstitels gemäß § 233 BAO durfte auch der Pfändungsbescheid vom gemäß § 78 AbgEO nicht ergehen.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Wien, am

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Materie
Steuer
Finanzstrafrecht Verfahrensrecht
betroffene Normen
§ 232 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 65 AbgEO, Abgabenexekutionsordnung, BGBl. Nr. 104/1949
Schlagworte
Abgabenanspruch
Geltendmachung der Haftung

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at