Berufungsentscheidung - Steuer (Referent), UFSW vom 24.09.2013, RV/1175-W/13

Auch bei 100 %-iger Behinderung nicht dauernd außer Stande sich den Lebensunterhalt zu verschaffen

Rechtssätze


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Stammrechtssätze
RV/1175-W/13-RS1
Ein Gutachten, wonach der Bw. trotz 100 %-iger Behinderung nicht dauernd außer Stande ist sich den Lebensunterhalt zu verschaffen, ist nicht unschlüssig.

Entscheidungstext

Berufungsentscheidung

Der Unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung des Bw., W., S.gasse, gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 8/16/17 betreffend Abweisung eines Antrages auf Gewährung der (erhöhten) Familienbeihilfe für den Zeitraum bis  entschieden:

Die Berufung wird als unbegründet abgewiesen.

Der angefochtene Bescheid bleibt unverändert.

Entscheidungsgründe

Mit Bescheid vom wurde der Antrag des Berufungswerbers, in der Folge Bw. genannt, auf Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe für den Zeitraum Juni 2007 bis August 2012 mit der Begründung abgewiesen, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine mehrjährige Berufstätigkeit der Annahme entgegenstehe, dass eine Person infolge ihrer Behinderung dauernd außer Stande sei, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Gegen diesen Bescheid wurde mit Schriftsatz vom fristgerecht berufen. Vorgebracht wurde, dass weder die Art der mehrjährigen beruflichen Tätigkeit berücksichtigt worden noch auf das soziale Umfeld bzw. die Schwere der Behinderung eingegangen worden sei. Die Ausübung eines Berufes sei auf die Wertehaltung des Bw. zurückzuführen, der der Gesellschaft nicht zur Last fallen wolle. Der Bw. sei auf Grund seiner Behinderung nur in den einfachsten beruflichen Bereichen einsetzbar. Dafür spreche schon die Tatsache, dass es sich bei der ausgeübten Tätigkeit um einen rechtlich geschützten Arbeitsplatz handle, da der Bw. schon vor Aufnahme der Erwerbstätigkeit zu 100% behindert gewesen sei. Der Bw.. vermeint weiters, dass er als Nichterwerbstätiger Anspruch auf Familienbeihilfe hätte.

Die Berufung wurde mit Berufungsvorentscheidung abgewiesen, wobei auf die Bestimmung des § 5 FLAG verwiesen wurde sowie darauf dass der Bw. im Jahr 2007 € 17.386,71, 2008 € 17.916,01, 2009 € 21.536,62 2010 € 20.190,42 und 2011 € 20.363,44 verdient habe.

Mit Schriftsatz vom stellte der Bw. den Antrag auf Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz, wobei er in der Ausnahmeregelung des § 5 FLAG bezüglich bestimmter Einkünfte einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz sah. Weiters wurde festgehalten, dass die bereits festgestellte 100 %-ige Behinderung den Anspruch auf Familienbeihilfe begründe.

Entscheidungswesentlich ist das Gutachten des Bundessozialamtes vom , in dem dem Bw. eine 100%-ige Behinderung wegen Erblindung bereits im Säuglingsalter rückwirkend ab , somit ab Geburt, attestiert wurde. Hingewiesen wurde auf den positiven Abschluss der Handelsschule sowie auf die Anstellung bei der PVA (nach dem BEinstG) seit 1984, wobei als Art der Tätigkeit "Aktenbearbeitung" angegeben wurde. Das Bundessozialamt kam zu dem Schluss, dass der Bw. nicht dauernd außer Stande sei, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Weiters erliegt im Akt ein Versicherungsdatenauszug der Österreichischen Sozialversicherung betr. den Zeitraum ab 2007 bis 2011, wonach der Bw. bei der PVA als Angestellter beschäftigt war.

Vom Unabhängigen Finanzsenat wurde, da der Abweisungsbescheid auch Monate des Jahres 2012 umfasst, für dieses Jahr ein Einkommen lt. rechtskräftigem Einkommensteuerbescheid von € 21.224,40 recherchiert.

Über die Berufung wurde erwogen:

Gemäß § 6 Abs. 5 FLAG 1967 haben Kinder, (d.s. Nachkommen im Sinne des § 2 Abs. 3 FLAG) deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten und die sich nicht auf Kosten der Jugendwohlfahrtspflege oder der Sozialhilfe in Heimerziehung befinden, unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfeunter denen ein Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat.

§ 6 Abs. 2 lit.d FLAG 1967 in der ab geltenden Fassung räumt volljährigen Vollwaisen Anspruch auf Familienbeihilfe ein, wenn sie wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außer Stande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, und sich in keiner Anstaltspflege befinden.

Die Höhe der Familienbeihilfe regeln die Bestimmungen des § 8 FLAG 1967, wobei § 8 Abs. 4 FLAG 1967 den Betrag festlegt, um den sich die Familienbeihilfe erhöht, wenn ein Kind erheblich behindert ist. Als erheblich behindert gilt gemäß § 8 Abs. 5 dieses Gesetzes ein Kind, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung muss mindestens 50 v.H. betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außer Stande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind die Vorschriften der §§ 7 und 9 Abs. 1 des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957, BGBl. Nr. 152 in der jeweils geltenden Fassung und die diesbezügliche Verordnung des Bundesministeriums für soziale Verwaltung vom , BGBl. Nr. 150 in der jeweils geltenden Fassung, anzuwenden. Die erhebliche Behinderung ist spätestens nach fünf Jahren neu festzustellen, soweit nicht Art und Umfang eine Änderung ausschließen.

Gemäß § 8 Abs. 6 FLAG ist der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine ärztliche Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen. Eine andere Art der Beweisführung wäre nur dann zulässig, wenn dieses Gutachten unschlüssig ist, etwa weil es von einem anderen bei Gutachtenerstellung nicht bekannten Gutachten abweicht oder diesem widerspricht.

Der Unabhängige Finanzsenat sieht keinen Grund von der Feststellung des Bundessozialamtes im Gutachten vom abzuweichen, wonach der Bw. nicht dauernd außer Stande ist sich selbst den Unterhalt zu verschaffen:

Schon dem Gesetzeswortlaut ist zu entnehmen, dass die Tatsache einer Behinderung zu 100% allein, so wie im Vorlageantrag vorgebracht, nicht ausreicht einen Familienbeihilfenanspruch zu begründen. Vielmehr kommt es, wie der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom , Zl. 2009/16//0325 aussprach, neben dem Grad auf die Art der Behinderung und die trotz Behinderung verrichtbaren Tätigkeiten an. Würde etwa jemand nur aus karitativen oder therapeutischen Zwecken beschäftigt, erhalte nur ein Taschengeld und sei eine Arbeitsleistung nicht zu erwarten, so sprächen diese Umstände gegen die Fähigkeit sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Andererseits schließt auch eine Behinderung von 100% diese Fähigkeit nicht aus (siehe auch , wonach die Frage ob ein Kind voraussichtlich dauernd außer Stande sei, sich den Unterhalt zu verschaffen, nicht an Hand des Grades der Behinderung zu beurteilen sei). Unzulässig wäre es jedoch , die Frage der Fähigkeit sich selbst den Unterhalt zu verschaffen ausschließlich mit einer tatsächlichen Erwerbstätigkeit zu begründen ().

Wenn der Bw. darauf verweist, dass er nur in einfachen beruflichen Bereichen einsetzbar sei, so lässt auch dieses Vorbringen das Gutachten nicht unschlüssig erscheinen. So stellt das Gutachten den erfolgreichen Abschluss der Handelsschule sowie die seit 1984 bestehende Anstellung bei der PVA und zwar im Bereich der Aktenbearbeitung fest ("eine langjährige Berufstätigkeit kann im Zuge der Gutachtenerstellung durchaus als Indiz für das Bestehen der Arbeitsfähigkeit herangezogen werden, ). Die Beschäftigung "nur" in "einfachen beruflichen Bereichen" stellt ebenfalls keinen Grund dar, an der Selbsterhaltungsfähigkeit des Bw. zu zweifeln. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass der Bw. auf Grund des Grades der Behinderung als "begünstigter" Behinderter im Sinne des § 2 BEinstG gilt. Damit wird zwar vorausgesetzt, dass seine Beeinträchtigung geeignet ist, die Teilnahme am Arbeitsmarkt zu erschweren (siehe § 3 BEinstG). Dieser Umstand hat aber nicht zwangsläufig die Unfähigkeit sich selbst den Unterhalt zu verschaffen zur Folge. Weiters bedeutet der Status als "begünstigter Behinderter" im Sinne des BEinstG nicht, dass der Bw. nur bestimmte Tätigkeiten in einem "geschützten Bereich" also außerhalb des allgemeinen Arbeitsmarktes, ausüben könnte, sondern normiert in § 1 die gesetzliche Verpflichtung von Betrieben bestimmter Größenordnung Personen mit einem Grad der Behinderung von mindestens 50 % einzustellen. In diesem Zusammenhang sind auch die vom Bw. in den Jahren, in die die vom Abweisungsbescheid umfassten Zeiträume fallen, erzielten Einkünfte (lt. den rechtskräftigen Einkommensteuerbescheiden) von Bedeutung ():

2007: € 17.386,71

2008: € 17.916.01

2009: € 21.536,62

2010: € 20.190,43

2011: € 20.363,44

2012: € 21.224.40

Ergänzend ist auszuführen, dass, selbst wenn das Bundessozialamt zur Auffassung gelangt wäre, dass der Bw. dauernd außer Stande ist sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, dennoch aus folgendem Grund kein Anspruch auf Familienbeihilfe bestünde:

Entsprechend der Bestimmung des § 5 Abs. 1 FLAG besteht für ein Kalenderjahr, das nach dem Kalenderjahr liegt, in dem das Kind das 18. Lebensjahr vollendet hat und in dem es ein zu versteuerndes Einkommen (§ 33 Abs. 1 EStG 1988) bezogen hat, das den Betrag von 8.725 (ab 9.000, ab 10.000) Euro übersteigt, kein Anspruch auf Familienbeihilfe, wobei § 10 Abs. 2 nicht anzuwenden ist. Bei der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens des Kindes bleiben außer Betracht:

a) das zu versteuernde Einkommen das vor oder nach Zeiträumen erzielt wird, für die Anspruch auf Familienbeihilfe besteht; hierbei bleibt das zu versteuernde Einkommen für Zeiträume nach § 2 Abs. 1 lit d unberücksichtigt,

b) Entschädigungen aus einem anerkannten Lehrverhältnis,

c) Waisenpensionen und Waisenversorgungsgenüsse.

Auf die vom Bw, monierte Gleichheitswidrigkeit dieser gesetzlichen Regelung bräuchte im Berufungsverfahren vom Unabhängigen Finanzsenat nicht eingegangen zu werden, da dieser von der Verfassungsmäßigkeit der von ihm anzuwendenden Gesetze auszugehen hat. Verstöße von Gesetzen gegen ein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht, wie etwa den Gleichheitsgrundsatz, wären mit eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof zu bekämpfen.

Es war daher wie im Spruch zu entscheiden.

Wien, am

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