Familienbeihilfe einer arbeitslosen , polnischen Staatsbürgerin
Rechtssätze
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Stammrechtssätze | |
RV/3933-W/08-RS1 | Eine polnische Staatsbürgerin, die sich seit 2005 rechtmäßig in Österreich aufhält, hat Anspruch auf Familienbeihilfe auch wenn sie im Zeitpunkt der Antragstellung arbeitslos ist. |
Entscheidungstext
Berufungsentscheidung
Der Unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung der Bw., W., gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 8/16/17 betreffend Abweisung eines Antrages auf Gewährung der Familienbeihilfe ab Februar 2008 entschieden:
Der Berufung wird Folge gegeben.
Der Bescheid wird insoweit abgeändert als Familienbeihilfe ab Februar 2008 zusteht.
Entscheidungsgründe
Die Bw., die polnische Staatsbürgerin ist, stellte im Februar 2008 den Antrag auf Gewährung von Familienbeihilfe für ihren Sohn G, geb. am xxx. Dieser wohnt mit ihr im gemeinsamen Haushalt.
Die Bw. reiste im Oktober 2005 nach Österreich ein und ist hier seit polizeilich gemeldet.
Lt. Versicherungsdatenauszug der Österreichischen Sozialversicherung war sie von bis selbstversichert. Von bis war sie Angestellte. Ab bezog sie Arbeitslosengeld und lt. Erhebungen des Finanzamtes diverse weitere Geldaushilfen durch die MA 40 der Stadt Wien.
Der Antrag wurde vom Finanzamt mit dem Hinweis auf § 3 Abs. 2 FLAG, der auf die §§ 8 und 9 NAG verweist, abgewiesen. Zur näheren Begründung wurde ausgeführt, dass ein EU-Bürger in Österreich dann niederlassungsberechtigt sei, wenn er Arbeitnehmer oder Selbständiger sei, für sich und seine Familienangehörigen über eine ausreichende Krankenversicherung verfüge und nachweise, dass er über ausreichende Existenzmittel zur Bestreitung des Lebensunterhaltes verfüge. Mangels ausreichender Existenzmittel sei der Antrag abzuweisen gewesen.
Gegen diesen Bescheid wurde mit Schriftsatz vom fristgerecht berufen und zunächst ausgeführt, dass die seit 2005 in Österreich bestehende aufrechte Meldung gem. § 81 Abs. 4 NAG als Anmeldebescheinigung im Sinne des § 53 NAG gelte. Die Bw. verwies weiters darauf, dass sie den Mittelpunkt der Lebensinteressen in Österreich habe und nach den in Österreich unmittelbar anwendbaren Verordnungen des Rates der Europäischen Union 2004/38/EG und 1408/71 in Österreich niederlassungsberechtigt sei, österreichischen Staatsbürgern gleichgestellt sei und, da sie erwerbstätig gewesen sei, Anspruch auf Familienbeihilfe habe.
Die Berufung wurde mit der Begründung abgewiesen, dass die Bw. weitere Nachweise zum Vorliegen ausreichender Existenzmittel trotz Aufforderung, nicht vorgelegt habe.
Die Bw. stellte daraufhin den Antrag auf Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz.
Über die Berufung wurde erwogen:
Gemäß § 3 Abs.1 FLAG haben Personen, die nicht österreichische Staatsbürger sind, Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sie sich nach den §§ 8 und 9 NAG rechtmäßig in Österreich aufhalten.
§ 8 NAG regelt verschiedene Aufenthaltstitel, gemäß § 9 NAG wird für EWR-Bürger, die sich in Österreich niedergelassen haben, zur Dokumentation eines gemeinschaftsrechtlichen Niederlassungs-und Aufenthaltsrechtes über Antrag eine Anmeldebescheinigung im Sinne des § 53 NAG ausgestellt. Diese Bestimmung wiederum verweist hinsichtlich der Voraussetzungen für die Ausstellung einer solchen Anmeldebescheinigung auf § 51 NAG. Demnach sind EWR-Bürger zur Niederlassung in Österreich berechtigt, wenn sie in Österreich Arbeitnehmer oder Selbständige sind oder für sich und ihre Familienangehörige über eine ausreichende Krankenversicherung verfügen und nachweisen, dass sie über ausreichende Existenzmittel verfügen, sodass sie während ihrer Niederlassung keine Sozialhilfeleistungen in Anspruch nehmen müssen.
Diese Bestimmungen traten als sog."Fremdenrechtspaket" 2005" am in Kraft.
Gem. der Übergangsbestimmung des § 81 Abs. 4 NAG gilt für EWR-Bürger, die bereits vor dem Inkrafttreten diese Bundesgesetzes rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen und nach dem Meldegesetz 1991 gemeldet sind die aufrechte Meldung als Anmeldebescheinigung im Sinne des § 53.
Polen ist seit Mitglied der Europäischen Union. Es sind daher sämtliche EWR-Bürger betreffende Vorschriften des NAG auf die Bw. anwendbar.
Nach dem vorliegenden Sachverhalt ist davon auszugehen, dass sich die Bw. bereits vor dem rechtmäßig in Österreich aufhielt und gemeldet war. Es steht ihr daher schon aus diesem Grund die Familienbeihilfe zu, da die Voraussetzungen des § 9 NAG i.V.m. § 53 NAG i.V.m. § 51 NAG i.V.m. § 81 Abs. 4 NAG vorliegen.
Entgegen der Auffassung des Finanzamtes fällt es nicht in dessen Kompetenz, das Vorliegen ausreichender Existenzmittel zu überprüfen. Dies ist die Aufgabe jener Behörden, die nach den Bestimmungen des NAG zur Ausstellung einer Anmeldebescheinigung gem. § 51 NAG zuständig sind. Käme das Finanzamt nämlich zur Auffassung, dass ausreichende Existenzmittel nicht vorliegen, würde es damit implizit zum Ausdruck bringen, dass eine bestimmte Person, auf die das NAG anwendbar ist, nicht zur Niederlassung in Österreich berechtigt ist und damit Kompetenzen wahrnehmen, die ihm nach dem AVOG nicht zukommen.
Der Bw. ist auch insofern zuzustimmen, als die Verordnung 1408/71 des Rates der Europäischen Union in Österreich unmittelbar anwendbares Recht darstellt.
Nach dieser Verordnung haben Angehörige eines Mitgliedstaates Anspruch auf Familienleistungen in einem anderen Mitgliedstaat, sofern sie Arbeitnehmer oder Selbständige sind. Gem. Art. 1 der VO ist Arbeitnehmer jeder, der gegen ein Risiko oder mehrere Risiken, die von den Zweigen eines Systems der sozialen Sicherheit für Arbeitnehmer oder Selbständige oder einem Sondersystem für Beamte erfasst werden, pflicht-oder freiwillig weiter versichert ist. Dies gilt nach der Entscheidung des Zl. C-543/03 unabhängig vom Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses.
Im Zeitpunkt der Antragstellung bezog die Bw. Arbeitslosengeld. Bezieher von Arbeitslosengeld sind in der Krankenversicherung pflichtversichert. Dies zeigt sich auch daran, dass die Bw. auch zeitweise von der Wiener Gebietskrankenkasse Krankengeld bezog. Gemäß § 53 Abs. 1 FLAG sind EU-Bürger, sofern es sich aus den entsprechenden Übereinkommen ergibt, österreichischen Staatsbürgern gleichgestellt. Da die Bw. die Voraussetzungen der VO 1408/71 zum Bezug von Familienleistungen erfüllt, steht ihr auch unter diesem Gesichtspunkt die Familienbeihilfe ab Februar 2008 zu.
Es war daher wie im Spruch zu entscheiden.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Materie | |
betroffene Normen | § 3 Abs. 1 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at