Erlassung eines Vollstreckungsbescheides zur Durchberechnung der mit einem Aussetzungsantrag gemäß § 212a BAO verbundenen vollstreckungshemmenden Wirkung
Rechtssätze
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Stammrechtssätze | |
RV/0625-L/06-RS1 | Aus der zwingenden Tatbestandsvoraussetzung der Gefährdung oder Erschwerung der Einbringlichkeit der Abgaben ergibt sich, dass nur durch den eine Sofortmaßnahme darstellenden Vollstreckungsbescheid dem öffentlichen Interesse an der Einbringung der Abgaben Rechnung getragen werden kann. Die berechtigten Interessen des Abgabepflichtigen werden daher grundsätzlich in den Hintergrund treten. Nur in Ausnahmefällen, etwa bei Geringfügigkeit der Abgabenforderung oder des durch die Vollstreckungshandlung zu erzielenden Einbringungserfolges, könnte daher von der Erlassung eines Vollstreckungsbescheides abgesehen werden (vgl. betreffend Ermessensübung bei Erlassung eines Sicherstellungsauftrages). |
RV/0625-L/06-RS2 | Ein auf die Gefährdung der Einbringlichkeit gerichtetes Verhalten des Abgabenschuldners im Sinne des § 212a Abs. 2 lit. c BAO ist für eine positive, zur Erlassung eines Vollstreckungsbescheides führende Ermessensübung nicht unbedingt erforderlich (anders RAE Rz 1462). Dies würde in Wahrheit zu einer unzulässigen Erweiterung der tatbestandsmäßigen Voraussetzungen des § 230 Abs. 7 BAO führen. Abgesehen davon zielt eine Abgabenhinterziehung ohnehin naturgemäß darauf ab, die steuerpflichtigen Erlöse und Umsätze gegenüber dem Abgabengläubiger zu verbergen, und die daraus resultierenden Abgabenschuldigkeiten nicht zu entrichten. Das Verhalten eines Abgabenhinterziehers ist somit stets auch auf eine Gefährdung der Einbringlichkeit der Abgaben gerichtet. Dass in solchen Fällen die Gefährdungshandlung vor bzw. während des Entstehens der Abgabenforderung gesetzt wird, schadet nicht (vgl. ). |
Entscheidungstext
Berufungsentscheidung
Der unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung des S, vom gegen den Vollstreckungsbescheid (§ 230 Abs. 7 BAO) des Finanzamtes Linz vom zu StNr. 000/0000 entschieden:
Die Berufung wird als unbegründet abgewiesen.
Entscheidungsgründe
Mit Bescheiden vom setzte das Finanzamt unter anderem Umsatzsteuern für die Jahre 2001 bis 2004 fest. In der Begründung führte das Finanzamt aus, dass die Festsetzungen erforderlich gewesen wären, da Einnahmen aus Medikamentenhandel erzielt, aber keine Steuererklärungen abgegeben worden seien. Die Besteuerungsgrundlagen seien gemäß § 184 BAO geschätzt worden.
Aus diesen Umsatzsteuerbescheiden ergaben sich Nachforderungen in Höhe von insgesamt 74.534,57 €. Die Bescheide wurden dem Berufungswerber per Adresse der Justizvollzugsanstalt in Straubing zugestellt, in der dieser eine mehrjährige Haftstrafe verbüßt.
Gegen diese Bescheide wurde mit Eingaben vom Berufung erhoben und die Aussetzung der Einhebung der Nachforderungen gemäß § 212a BAO beantragt.
Mit Vollstreckungsbescheid vom leitete das Finanzamt ein Vollstreckungsverfahren ein. Die Einbringlichkeit der Abgabenschuld in Höhe von 74.534,57 € sei gefährdet, weil aufgrund der durchgeführten Ermittlungen festgestellt worden sei, dass Einkünfte nicht ordentlich erklärt und die Umsätze nicht bekannt gegeben worden wären. Es bestehe daher der begründete Verdacht einer Abgabenhinterziehung, was eine Gefährdung oder wesentliche Erschwerung der Einbringlichkeit annehmen lasse. Aus der Vermögenslage des Abgabenschuldners müsse geschlossen werden, dass nur bei raschem Zugriff der Behörde die Abgabeneinbringung voraussichtlich gesichert scheine.
Mit weiteren Bescheiden vom wurden Forderungen des Berufungswerbers gegen die Bank Austria und die Oberösterreichische Postsparkasse (Guthaben auf näher bezeichneten Girokonten) gepfändet und zur Einziehung überwiesen.
Schließlich wurde mit Bescheid vom dem Berufungswerber die Verfügung über die gepfändeten Forderungen untersagt.
Gegen den Vollstreckungsbescheid vom wurde mit Eingabe vom Berufung erhoben. Der Berufungswerber führte darin (wie schon in der Berufung gegen die Umsatzsteuerbescheide) aus, dass die Abgabenforderungen "aus Überweisungen von Auslandskonten nach Österreich" resultierten. Die "auf diesen Auslandskonten getätigten Umsätze" basierten auf illegalen Einnahmen aus dem Handel mit Medikamenten im Ausland. Am sei er in Deutschland wegen dieses Handels verhaftet, und am vor dem Amtsgericht Passau wegen Verstoßes gegen § 95 Arzneimittelgesetz zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt worden, welche er bis August 2008 in der Justizvollzugsanstalt Straubing zu verbüßen habe. In selbigem Verfahren habe das Amtsgericht Passau weiters den Verfall der getätigten Einnahmen im Zeitraum 2001 bis 2005 angeordnet. In weiterer Folge habe die Strafvollstreckungskammer Passau jene Konten, von welchen aus er die Gelder nach Österreich transferiert habe, gepfändet. Er schulde demnach dem Freistaat Bayern "die gesamten getätigten Umsätze", da diese ja aus einem Verbrechen stammten, für welches er auch - voll geständig - verurteilt worden sei. Das Urteil sei bereits rechtskräftig. Sobald dieses auch schriftlich vorliege, könne er es dem Finanzamt zugehen lassen. Er fordere daher das Finanzamt auf, die Pfändungen sowie den Vollstreckungsbescheid "aufzuheben, und die Entscheidung an die nächsthöhere Instanz weiterzuleiten". Allein die Tatsache, dass er sich derzeit in Haft befinde, berechtige das Finanzamt nicht seine Rechte auf ein anständiges Verfahren zu beschneiden, indem "ohne rechtskräftiges Urteil in der Sache mit selbstauferlegter Präjudiz Vollstreckungen" vorgenommen würden.
Über die Berufung wurde erwogen:
Der Berufungswerber hatte mit Eingaben vom die Aussetzung der Einhebung der sich aus den Umsatzsteuerbescheiden für die Jahre 2001 bis 2004 vom ergebenden Nachforderungen in Höhe von insgesamt 74.534,57 € beantragt.
Aufgrund dieser Aussetzungsanträge durften gemäß § 230 Abs. 6 BAO Einbringungsmaßnahmen hinsichtlich der Umsatzsteuernachforderungen bis zur Erledigung der Aussetzungsanträge weder eingeleitet noch fortgesetzt werden.
Kommen während der Zeit, in der gemäß § 230 Abs. 6 BAO Einbringungsmaßnahmen nicht eingeleitet oder fortgesetzt werden dürfen, Umstände hervor, die die Einbringung einer Abgabe gefährden oder zu erschweren drohen, so dürfen Einbringungsmaßnahmen durchgeführt werden, wenn spätestens bei der Vornahme der Vollstreckungshandlung ein Bescheid zugestellt wird, der die Gründe der Gefährdung oder Erschwerung der Einbringung anzugeben hat (Vollstreckungsbescheid). Mit der Zustellung dieses Bescheides treten bewilligte Zahlungserleichterungen außer Kraft (§ 230 Abs. 7 BAO).
Ein Vollstreckungsbescheid dient somit der Beseitigung der Hemmung der Einbringung, um unverzügliche Vollstreckungsmaßnahmen zu ermöglichen. Eine Gefährdung oder Erschwerung der Einbringung im Sinne des § 230 Abs. 7 BAO ist dabei aus den gleichen Gründen anzunehmen, die bei noch nicht vollstreckbaren Abgabenforderungen zur Erlassung eines Sicherstellungsauftrages gemäß § 232 BAO Anlass geben (). So liegt eine Gefährdung oder Erschwerung der Einbringung vor, wenn aus der wirtschaftlichen Lage und den sonstigen Umständen des Einzelfalles geschlossen werden kann, dass nur bei raschem Zugriff der Abgabenbehörde die Abgabeneinbringung voraussichtlich gesichert erscheint. Solche Umstände sind nach der Judikatur unter anderem bei dringendem Verdacht einer Abgabenhinterziehung gegeben (Judikaturnachweise bei Ritz, BAO³, § 232 Tz 5).
Im angefochtenen Bescheid verwies das Finanzamt auf den begründeten Verdacht einer Abgabenhinterziehung, da die aus dem Medikamentenhandel erzielten Einkünfte und Umsätze dem Finanzamt nicht bekannt gegeben worden waren. Der ausgedehnte illegale Handel mit Medikamenten war im Zuge umfangreicher Erhebungen der deutschen Sicherheitsbehörden festgestellt worden, die auch zu einer Verhaftung und Verurteilung des Berufungswerbers geführt hatten. Den abgabenrechtlichen Erklärungspflichten war der Berufungswerber nie nachgekommen. Das Finanzamt ging daher zu Recht vom begründeten Verdacht einer Abgabenhinterziehung aus, die vom Berufungswerber in der gegenständlichen Berufung auch gar nicht in Abrede gestellt wurde.
Weiters wies das Finanzamt im angefochtenen Bescheid darauf hin, es müsse aus der Vermögenslage des Abgabenschuldners geschlossen werden, dass nur bei einem raschen Zugriff der Behörde die Abgabeneinbringung voraussichtlich gesichert erscheine. Vom Finanzamt wurden die Vermögensverhältnisse des Berufungswerbers zwar nicht näher dargestellt, jedoch ist zu berücksichtigen, dass der Berufungswerber schon aufgrund der Verurteilung durch das Amtsgericht Passau zu einer mehrjährigen Haftstrafe über einen langen Zeitraum keiner Erwerbstätigkeit nachgehen kann, sodass keine finanziellen Mittel zur Begleichung des Abgabenrückstandes erwirtschaftet werden können. Vom Berufungswerber wurden auch keine Vermögenswerte angegeben, die eine Abdeckung der Abgabenforderungen in einem überschaubaren Zeitraum ermöglichen würden.
Die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen für die Erlassung eines Vollstreckungsbescheides lagen damit vor.
Die Erlassung eines Vollstreckungsbescheides liegt im Ermessen der Abgabenbehörde. Ebenso wie bei der Erlassung eines Sicherstellungsauftrages erfordert das der Abgabenbehörde eingeräumte Ermessen gemäß § 20 BAO die Beachtung der Grundsätze der Billigkeit und Zweckmäßigkeit. Bei der Ermessensübung sind demnach berechtigte Interessen des Abgabepflichtigen gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Einbringung der Abgaben unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände abzuwägen. Aus der zwingenden Tatbestandsvoraussetzung der Gefährdung oder Erschwerung der Einbringlichkeit der Abgaben ergibt sich aber, dass nur durch den eine Sofortmaßnahme darstellenden Vollstreckungsbescheid dem öffentlichen Interesse an der Einbringung der Abgaben Rechnung getragen werden kann. Die berechtigten Interessen des Abgabepflichtigen werden daher grundsätzlich in den Hintergrund treten. Nur in Ausnahmefällen - etwa bei Geringfügigkeit der Abgabenforderung oder des durch die Vollstreckungshandlung zu erzielenden Einbringungserfolges - könnte daher von der Erlassung eines Vollstreckungsbescheides abgesehen werden (vgl. zum Sicherstellungsauftrag ). Davon konnte im gegenständlichen Fall jedoch nicht ausgegangen werden. Allein die dem Vollstreckungsbescheid zugrunde gelegte Abgabenforderung beträgt 74.534,57 € (am Abgabenkonto besteht derzeit ein fälliger Gesamtrückstand von 266.936,12 €). Auch der durch die Forderungspfändung zu erwartende Einbringungserfolg konnte nicht als geringfügig qualifiziert werden. Ebenso wie dies die deutschen Sicherheitsbehörden festgestellt hatten, wies der Berufungswerber selbst darauf hin, dass er die im Ausland erzielten Erlöse von Auslandskonten auf inländische Bankkonten überwiesen hatte. Es bestand daher Grund zur Annahme, dass sich auf diesen noch Guthaben befinden. Tatsächlich teilte die BAWAG PSK auch mit, dass auf dem von der Pfändung erfassten Girokonto (bei der Oberösterreichischen Postsparkasse) ein Guthaben von 8.207,16 € bestand, welches zugunsten des Finanzamtes deponiert worden sei, und an dieses überwiesen werde. Ein rascher Zugriff auf die Bankguthaben war auch deswegen geboten, weil der Berufungswerber auch aus der Haftanstalt durch Anweisung und Erteilung entsprechender Vollmachten an Dritte über die Guthaben auf den Girokonten verfügen könnte (vgl. ). Ein auf die Gefährdung der Einbringlichkeit gerichtetes Verhalten des Abgabenschuldners im Sinne des § 212a Abs. 2 lit. c BAO ist für eine positive, zur Erlassung eines Vollstreckungsbescheides führende Ermessensübung nicht unbedingt erforderlich. Dies würde in Wahrheit zu einer unzulässigen Erweiterung der tatbestandsmäßigen Voraussetzungen des § 230 Abs. 7 BAO führen. Abgesehen davon zielt eine Abgabenhinterziehung ohnehin naturgemäß darauf ab, die steuerpflichtigen Erlöse und Umsätze gegenüber dem Abgabengläubiger zu verbergen, und die daraus resultierenden Abgabenschuldigkeiten nicht zu entrichten. Das Verhalten eines Abgabenhinterziehers ist somit stets auch auf eine Gefährdung der Einbringlichkeit der Abgaben gerichtet. Dass in solchen Fällen die Gefährdungshandlung vor bzw. während des Entstehens der Abgabenforderung gesetzt wird, schadet nicht (vgl. ).
Insgesamt gesehen war daher die Erlassung des gegenständlichen Vollstreckungsbescheides rechtmäßig. Der nach dem Vorbringen des Berufungswerbers vom Amtsgericht Passau verfügte Verfall der getätigten Einnahmen sowie die Pfändung hinsichtlich der (deutschen) Konten, von denen Gelder nach Österreich transferiert worden waren, stand mit der Erlassung des Vollstreckungsbescheides in keinem sachlichen Zusammenhang bzw. dieser nicht entgegen.
Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.
Informativ wird mitgeteilt, dass mit der gegenständlichen Entscheidung nur über die Berufung gegen den Vollstreckungsbescheid vom abgesprochen wurde. Die Berufung gegen die Pfändungsbescheide vom wurde dem unabhängigen Finanzsenat vom Finanzamt bisher nicht zur Entscheidung vorgelegt. Die seinerzeit (auch) beim unabhängigen Finanzsenat mit Eingabe vom eingebrachte, als "Beschwerde" bezeichnete Berufung betraf die Pfändungsbescheide vom . Dieser (beim Finanzamt mit Eingaben vom eingebrachten) Berufung hat das Finanzamt bereits mit Berufungsvorentscheidung vom stattgegeben.
Linz, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer Finanzstrafrecht Verfahrensrecht |
betroffene Normen | § 212a BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 230 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 232 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Schlagworte | Aussetzungsantrag Gefährdung oder Erschwerung der Einbringung Gefährdungsverhalten Abgabenhinterziehung Ermessen |
Verweise |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at
Fundstelle(n):
PAAAD-09059