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Berufungsentscheidung - Steuer (Referent), UFSW vom 29.04.2011, RV/2762-W/09

Vorliegen eines haftungsbegründenden Sachverhaltes

Entscheidungstext

Berufungsentscheidung

Der Unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung des Bw, vertreten durch TW, gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 2/20/21/22 vom betreffend Haftung gemäß § 9 BAO entschieden:

Der Berufung wird hinsichtlich der Haftung für die Lohnsteuer 7/2002 in Höhe von € 289,27, den Dienstgeberbeitrag 7/2002 in Höhe von € 641,38, den Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag 7/2002 in Höhe von € 62,71 und die Verspätungszuschläge 2/2002 in Höhe von € 179,11 und 4/2002 in Höhe von € 59,52 Folge gegeben und der angefochtene Bescheid diesbezüglich aufgehoben.

Bezüglich der Haftung für die Umsatzsteuer 2-7/2002 in Höhe von € 145.871,52, die Lohnsteuer 2-7/2002 in Höhe von € 64.474,39, den Dienstgeberbeitrag 2-7/2002 in Höhe von € 20.257,74 und den Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag 2-7/2002 in Höhe von € 1.981,77 werden der angefochtene Bescheid und die Berufungsvorentscheidung vom gemäß § 289 Abs. 1 BAO unter Zurückverweisung der Sache an die Abgabenbehörde erster Instanz aufgehoben.

Entscheidungsgründe

Mit Haftungsbescheid vom nahm das Finanzamt den Berufungswerber (Bw) als Haftungspflichtigen gemäß § 9 Abs. 1 BAO für aushaftende Abgabenschuldigkeiten der Z-GmbH im Ausmaß von € 233.817,41 in Anspruch.

In der dagegen rechtzeitig eingebrachten Berufung führte der Bw aus, dass der Bescheid auf wesentlichen Verfahrensverstößen beruhe, die schon darin gelegen seien, dass die Behörde trotz seines Bemühens um Aufklärung des Sachverhalts in keiner Weise auf sein Vorbringen eingegangen sei und die wahren Verhältnisse erforscht oder zur Kenntnis genommen habe.

Faktum sei, dass Herr LZ bis Gesellschafter und Geschäftsführer der Firma Z-GmbH gewesen sei, der dann die Gesellschaft an RK veräußert habe. Bis Dezember 2001 sei allerdings LZ Geschäftsführer geblieben, danach sei ein Mitarbeiter formal als Geschäftsführer eingetragen worden, nämlich DG, dem der Bw ab Februar 2002 als Geschäftsführer gefolgt sei. Der Bw sei in dieser Funktion gegen seinen Willen deutlich länger als ursprünglich vorgesehen geblieben, weil RK keinen Nachfolger habe finden können, und diese Position erst im August 2002 wieder los geworden sei, als EV die Funktion übernommen habe.

Schon aufgrund des von der Finanzbehörde erster Instanz eingeleiteten und rechtskräftig abgeschlossenen gerichtlichen Finanzstrafverfahrens, in dem nach eingehenden Untersuchungen das Verfahren gegen RK ausgeschieden und die formellen Geschäftsführer mangels Schuld freigesprochen worden seien, stehe weiters fest, dass RK während der ganzen angesprochenen Periode alleine faktischer Geschäftsführer der genannten GmbH gewesen sei. Er habe sich der formellen Geschäftsführer nur bedient, indem er sie durch die Ausnutzung von Unerfahrenheit, Abhängigkeiten, moralischer Bindungen oder aller dieser Umstände gemeinsam dazu verleitet habe, sich als Geschäftsführer eintragen zu lassen oder eingetragen zu bleiben. Er habe den formellen Geschäftsführern vorgespiegelt, dass mit der Firma alles in Ordnung sei, keine Probleme bestünden und nichts passieren könne. Er habe ihnen auch keinerlei Einsicht in die Vorgänge gegeben, auch wenn sie sich erkundigt hätten. Dementsprechend habe das Straflandesgericht rechtskräftig festgestellt, dass nicht festgestellt werden könne, dass die Angeklagten im gegenständlichen Zeitraum Geschäftsführer der Z-GmbH gewesen seien, sie hätten weder eigenständige und unbeschränkte Verfügungsgewalt hinsichtlich dieses Unternehmens gehabt, und sie seien auch nicht die wahren Machthaber, das heiße, die Verantwortlichen und Entscheidungsträger dieses Unternehmens, gewesen. Der Chef und somit jene Person, der unbeschränkte Verfügungsgewalt hinsichtlich dieses Unternehmens zugekommen sei, und somit der tatsächliche Machthaber sei der faktische Geschäftsführer RK gewesen. Hinsichtlich der vorgeworfenen Abgabenhinterziehungen und der Aufzeichnungsmängel für den gegenständlichen Tatzeitraum könne nicht festgestellt werden, dass dafür die Angeklagten - und damit auch der Bw - verantwortlich gewesen seien, da weder ihre eigenständige und unbeschränkte Verfügungsgewalt in den genannten Zeiträumen betreffend die Z-GmbH festgestellt werden könne, noch seien sie die Verantwortlichen oder Entscheidungsträger dieses Unternehmens gewesen. Ebenso könne nicht festgestellt werden, dass sie von den Abgabenhinterziehungen gewusst hätten und durch ihre Bereitschaft, sich im Firmenbuch für kurze Zeiträume als Geschäftsführer eintragen zu lassen, zu den Malversationen des RK hätten beitragen wollen.

Das in Rechtskraft erwachsene Erkenntnis des Strafgerichts, dass den Bw an den Abgabenhinterziehungen des RK kein Verschulden getroffen habe, sei ihm aber auch im Abgabenverfahren zugute zu halten Die für den Haftungsbescheid erforderliche Schuldhaftigkeit liege gerade nicht vor.

Der Haftungsbescheid gehe außerdem davon aus, dass die Gesellschaft zum Zeitpunkt der Fälligkeit der Abgabenschuld in der Lage gewesen sei, die Abgabenverbindlichkeiten aus ihren Mitteln zu begleichen. Die Gesellschaft sei aber offensichtlich hierzu niemals in der Lage gewesen. Eine unmittelbare Verpflichtung zur Abführung der Abgaben aus dem Vermögen des Geschäftsführers bestehe allerdings nicht.

Auch der Vorwurf, der Bw hätte die Überschuldung und Konkursreife herbeigeführt, sei an den Haaren herbeigezogen, weil - im Übrigen auch aus den Feststellungen des angeführten Gerichtsurteils - eindeutig hervorgehe, dass die Gesellschaft vor dem Erwerb durch RK geruht habe. Die Geschäfte des RK seien aber von Anfang an nicht gewinnbringend gewesen, die Gesellschaft sei offensichtlich schon vor der Bestellung des Bw zum Geschäftsführer nicht in der Lage gewesen, die Abgaben aus den eigenen Mitteln abzuführen. Auch aus diesen Gründen liege die erforderliche Schuldhaftigkeit nicht vor.

Der Bw habe RK auch keinesfalls Vollmacht zur Abwicklung von Geschäften erteilt, die die Gesellschaft sich nicht habe leisten können. Diesbezüglich verweise der Bw auf die bereits in dieser Sache - allerdings hinsichtlich des gegen LZ erlassenen Haftungsbescheides - ergangene Berufungsentscheidung des Unabhängigen Finanzsenats vom , GZ RV/1530-W/05. Der Sachverhalt sei dem des Bw allerdings vollkommen gleich zu halten.

Auch dem Bw gegenüber habe die Finanzbehörde keinerlei Vorhalte gemacht, welche Umsätze sie in die genannte Gesellschaft mit einbezogen habe. Im Hinblick auf den nur rudimentär begründeten Haftungsbescheid und auf die oben angeführte - dem Bw im Rahmen des Finanzstrafverfahrens bekannt gewordene - Berufungsentscheidung könne der Bw nur vermuten, dass auch in dem ihm zugerechneten Zeitraum Umsätze einer ihm nicht näher bekannten V-GmbH zugerechnet worden seien, die er nicht kenne und ihn nichts angingen. Der Haftungsbescheid sei daher jedenfalls auch der Höhe nach vollkommen unhaltbar. Aus einigen wenigen Bauprojekten könnten nicht Abgabenverbindlichkeiten in der von der erstinstanzlichen Behörde angenommenen Höhe entstanden sein.

Der Steuerberater, Herr MP, habe auch sämtliche erbrachten und verrechneten Leistungen nachgebucht und sei für den ihn betreffenden Zeitraum zu offenen Abgaben gelangt, die den Betrag von € 22.800,00 nicht überstiegen. Dieses Vorbringen gelte eventualiter natürlich nur dann, wenn den Bw überhaupt eine Haftung für die Abgaben dem Grunde nach treffe, was er weiterhin bestreite.

Offenbar gehe das Finanzamt entgegen der ihm vorliegenden nachvollziehbaren Buchhaltung nach wie vor von haltlosen Schätzungen aus, worin eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens, jedenfalls aber auch eine unzweckmäßige Ermessensübung liege.

Offenbar habe das Finanzamt auch Umsätze anderer Gesellschaften in jene der Z-GmbH mit einbezogen. Diese Umsätze gingen den Bw aber nichts an, weil ihm solche Umsätze nicht bekannt gewesen seien, er sie keinesfalls genehmigt habe und auch keine Vollmacht erteilt habe.

Insoweit der Haftungsbescheid und seine Gründe von obigem Sachverhalt abweiche, sei, soferne mangels ordentlicher Erhebung des maßgeblichen Sachverhalts nicht Verfahrensmängel vorlägen, eine unrichtige Beweiswürdigung gegeben. Soweit der Bescheid von der dargelegten rechtlichen Beurteilung abweiche, liege materielle Rechtswidrigkeit vor.

Das Finanzamt wies die Berufung mit Berufungsvorentscheidung vom als unbegründet ab.

In dem dagegen eingebrachten Antrag auf Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz brachte der Bw ergänzend im Wesentlichen vor, dass er aus den in seiner Berufung angeführten Gründen darauf beharre, dass er für den ihm vorgeschriebenen Abgabenbetrag schon dem Grunde nach nicht hafte.

Keinesfalls hafte er aber für Abgaben in der genannten Höhe. Offensichtlich habe die Finanzbehörde erster Instanz dem Bw auch Abgaben aus Geschäften zugerechnet, die ihn nichts angingen und keinesfalls von ihm als (nur formeller) Geschäftsführer der Firma Z-GmbH genehmigt worden seien oder auch nur für ihn in dieser Funktion erkennbar gewesen seien.

Mangels Ausführungen zur Höhe der vorgeschriebenen Steuern und Abgaben sei es dem Bw gar nicht möglich, die Grundlagen für die Entscheidung der Finanzbehörde erster Instanz zu erkennen und damit zu überprüfen. Die dem erstinstanzlichen Haftungsbescheid angeschlossene Rückstandsaufgliederung sei hierzu viel zu unbestimmt. Der Bw müsse daher auch davon ausgehen, dass in die ihm zugerechneten Rückstände Zeiträume eingeflossen seien, für die er als Geschäftsführer nicht verantwortlich sei.

Neuerlich weise der Bw darauf hin, dass schon lange vor Erlassung des gegenständlichen Haftungsbescheides detaillierte Unterlagen durch den Steuerberater MP vorgelegt worden seien, aus denen sich bestenfalls eine Haftung seiner Person für Steuern und Abgaben in Höhe von € 22.844,45 (LSt € 1.967,29, DB+DZ € 3.329,08, USt € 17.548,08) errechne.

Abschließend halte der Bw nochmals fest, dass er auch seine Haftung für diesen Betrag aus den in der Berufung angeführten Gründen bestreite, allerdings könne er selbst nach Zugrundelegung der rechtlichen Würdigung der Finanzbehörde erster Instanz für seine Haftung dem Grunde nach keinesfalls erkennen, wieso er gerade nach Offenlegung und korrekter Veranlagung durch den Steuerberater der Firma für Abgaben haften solle, die den dargelegten Betrag von € 22.844,45 überstiegen.

Der Bw beantrage, eine mündliche Verhandlung vor dem Unabhängigen Finanzsenat durchzuführen.

Über die Berufung wurde erwogen:

Gemäß § 9 Abs. 1 BAO haften die in den §§ 80 ff BAO bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.

Gemäß § 80 Abs. 1 BAO haben die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden.

Unbestritten ist, dass dem Bw als selbstständig vertretungsbefugtem Geschäftsführer der Abgabepflichtigen laut Eintragung im Firmenbuch von bis die Erfüllung der abgabenrechtlichen Pflichten der Gesellschaft oblag.

Die ebenfalls nicht bestrittene Uneinbringlichkeit der haftungsgegenständlichen Abgaben bei der Primärschuldnerin steht auf Grund der Abweisung des Konkurses mangels Vermögens mit Beschluss des Handelsgerichtes Wien vom 1/3 fest.

Entsprechend der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Erkenntnis vom , 97/15/0115) ist es im Falle der Uneinbringlichkeit der Abgaben bei der Gesellschaft Sache des Geschäftsführers darzutun, weshalb er nicht Sorge getragen hat, dass die Gesellschaft die anfallenden Abgaben rechtzeitig entrichtet hat, widrigenfalls die Abgabenbehörde eine schuldhafte Pflichtverletzung annehmen darf. In der Regel wird nämlich nur der Geschäftsführer jenen ausreichenden Einblick in die Gebarung der GmbH haben, der ihm entsprechende Behauptungen und Nachweise ermöglicht.

Hatte der Geschäftsführer Gesellschaftsmittel zur Verfügung, die zur Befriedigung sämtlicher Schulden der Gesellschaft nicht ausreichten, so ist er nur dann haftungsfrei, wenn er im Verwaltungsverfahren nachweist, dass er die vorhandenen Mittel zur anteiligen Befriedigung aller Verbindlichkeiten verwendet und somit die Abgabenschulden nicht schlechter behandelt hat. Wenn die Behauptung und Nachweisung des Ausmaßes der quantitativen Unzulänglichkeit der in den Fälligkeitszeitpunkten der Abgaben zur Verfügung stehenden Mittel im Verwaltungsverfahren unterlassen wird, kommt eine Beschränkung der Haftung bloß auf einen Teil der uneinbringlichen Abgabenschulden nicht in Betracht.

Bezüglich der mit Haftungsbescheid geltend gemachten Lohnsteuer ergibt sich die schuldhafte Verletzung der Vertreterpflichten durch deren Nichtabfuhr durch den Bw nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Erkenntnis vom , 90/13/0143) aus der Bestimmung des § 78 Abs. 3 EStG, wonach jede Zahlung voller vereinbarter Arbeitslöhne, wenn die zur Verfügung stehenden Mittel nicht auch für die darauf entfallende und einzubehaltende Lohnsteuer ausreichen, eine schuldhafte Verletzung der abgabenrechtlichen Pflichten des Vertreters darstellt.

Dass für die Entrichtung der übrigen haftungsgegenständlichen Abgaben keine Mittel zur Verfügung gestanden wären, wurde vom Bw zwar mit dem Einwand, dass die Geschäfte des RK von Anfang an nicht gewinnbringend gewesen seien, die Gesellschaft offensichtlich schon vor der Bestellung des Bw zum Geschäftsführer nicht in der Lage gewesen sei, die Abgaben aus den eigenen Mitteln abzuführen, behauptet, doch hat er mit dieser allgemeinen Behauptung nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes () keineswegs ausreichend konkret das Fehlen der Mittel zur Abgabenentrichtung dargetan, weil er konkrete Gründe hiefür nicht vorgebracht hat.

Dem Einwand des Bw, dass RK während der ganzen angesprochenen Periode alleine faktischer Geschäftsführer der genannten GmbH gewesen sei und sich der formellen Geschäftsführer nur bedient habe, indem er sie durch die Ausnutzung von Unerfahrenheit, Abhängigkeiten, moralischer Bindungen oder aller dieser Umstände gemeinsam dazu verleitet habe, sich als Geschäftsführer eintragen zu lassen oder eingetragen zu bleiben, ist entgegenzuhalten, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes () für das Verschulden im Sinne des § 9 Abs. 1 BAO nicht maßgeblich ist, ob der Geschäftsführer seine Funktion tatsächlich ausgeübt hat, sondern ob er als Geschäftsführer bestellt war und ihm daher die Ausübung der Funktion oblegen wäre. Der vertretungsbefugte Geschäftsführer ist von seiner Verantwortung zur Entrichtung der Abgaben nicht befreit, weil die Geschäftsführung - sei es auf Grund eines eigenen Willensentschlusses des Geschäftsführers, sei es über Weisung von Gesellschaftern, sei es auf Grund einer sonstigen Einflussnahme wirtschaftlich die Gesellschaft beherrschender Personen - anderen Personen zusteht und der Geschäftsführer dadurch entweder der rechtlichen oder faktischen Möglichkeit einer ausreichenden und effektiven Kontrolle in der Richtung, ob die jeweils fällig werdenden Abgaben zumindest anteilig entrichtet werden, beraubt ist, sich aber gegen die unzulässige Beschränkung seiner Geschäftsführung oder zumindest seiner Aufsichts- und Kontrollaufgaben in Bezug auf die Entrichtung der Abgaben nicht durch entsprechende gerichtliche Schritte zur Wehr setzt oder von seiner Geschäftsführerfunktion zurücktritt, oder die nicht eingeschränkte Kontrollmöglichkeit nicht in ausreichender und effektiver Weise wahrnimmt.

Ein Zuwarten durch 6 Monate bis zur Zurücklegung seiner Geschäftsführerfunktion ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes () jedenfalls als zu lang anzusehen, zumal der Bw auch niemals behauptet hat, den Rechtsweg eingeschlagen zu haben.

Entgegen dem Vorbringen des Bw, dass er RK auch keinesfalls Vollmacht zur Abwicklung von Geschäften erteilt habe, die die Gesellschaft sich nicht habe leisten können, geht aus dem vorgelegten Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 4/7 hervor, dass der Bw nach seinen Ausführungen in diesem Verfahren seinem Onkel (RK) vertraut und ihm deshalb auch Vollmacht erteilt und keinerlei Kontrollmaßnahmen gesetzt habe.

Der verantwortliche Vertreter wird nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes () nicht von seiner Verantwortung befreit, wenn er seine abgabenrechtlichen Pflichten auf eine andere Person überträgt. Es treffen ihn in einem solchen Fall Auswahl- und Kontrollpflichten, deren Verletzung zu Haftungsfolgen nach § 9 BAO führen kann. Es gehört zu den Pflichten des zur Vertretung einer juristischen Person Berufenen, durch geeignete Aufsichts- und Überwachungsmaßnahmen, insbesondere durch Einrichtung von Kontrollmechanismen dafür Sorge zu tragen, dass die Erfüllung abgabenrechtlicher Pflichten tatsächlich erfolgt. Der zur Vertretung einer juristischen Person Berufene hat die Tätigkeit der von ihm beauftragten Person in solchen Abständen zu überprüfen, die es ausschließen, dass die Verletzung abgabenrechtlicher Pflichten verborgen bleibt (siehe dazu Stoll, BAO-Kommentar, 122 f, und Ritz, Bundesabgabenordnung², § 9 Tz 13, und die dort jeweils zitierte Rechtsprechung). Abgesehen davon, dass vom Bw eine Übertragung der abgabenrechtlichen Pflichten an RK gar nicht behauptet wurde, ist er der Überwachungspflicht im dargestellten Sinn nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes () nicht nachgekommen, wenn er sich mit der Behauptung, dass mit der Firma alles in Ordnung sei, keine Probleme bestünden und nichts passieren könne, begnügt hat.

Der Hinweis auf den Freispruch im Strafverfahren ist nicht zielführend, weil nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes () weder ein völliges Unterbleiben eines Strafverfahrens, noch die Einstellung von Vorerhebungen oder einer Voruntersuchung, noch ein freisprechendes Urteil des Strafgerichtes eine Bindung der Abgabenbehörde bei der Beurteilung der Haftungsvoraussetzungen nach § 9 BAO bewirken könnte.

Sofern der Bw mit dem Hinweis auf haltlose Schätzungen die inhaltliche Richtigkeit der haftungsgegenständlichen Abgabenforderungen bestreitet, ist dem entgegenzuhalten, dass dem Haftungsbescheid Abgabenbescheide vorangegangen sind, sodass es der Behörde nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes () im Verfahren über die Heranziehung des Bw zur Haftung daher verwehrt ist, die Richtigkeit der Abgabenfestsetzung als Vorfrage zu beurteilen. Wird neben einer Berufung gegen den Haftungsbescheid gemäß § 248 BAO eine - allenfalls auch mangelhafte - Berufung gegen den Abgabenanspruch erhoben, so ist zunächst über die Berufung gegen den Haftungsbescheid zu entscheiden, weil von dieser Erledigung die Rechtsmittelbefugnis gegen den Bescheid über den Abgabenanspruch abhängt. Die Voraussetzungen für eine Verbindung der beiden Berufungen zu einem gemeinsamen Verfahren (§ 277 BAO) liegen in einem solchen Fall nicht vor (vgl. ).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes () ist es jedenfalls erforderlich, der zur Haftung herangezogenen Partei die Tatsache der Bescheiderlassung als solcher mit der notwendigen Deutlichkeit zur Kenntnis zu bringen, soll sie vom Bescheid über den Abgabenanspruch in einer Weise informiert werden, die ihr die Einbringung einer Berufung gegen diesen nicht an sie gerichteten und ihr nicht zugestellten, mangels nunmehriger Bekämpfung aber ihr gegenüber bindenden Bescheid ermöglicht. Wird der zur Haftung Herangezogene nicht rechtzeitig darüber aufgeklärt, dass die Abgaben schon bescheidmäßig festgesetzt wurden, so liegt infolge unvollständiger Information im Sinne des zitierten Erkenntnisses vom , Zl. 98/13/0115, ein Mangel des Verfahrens vor, der im Verfahren über die Berufung gegen den Haftungsbescheid nicht sanierbar ist.

Im vorliegenden Fall ist dies nach dem Vorbringen des Bw, wonach es ihm mangels Ausführungen zur Höhe der vorgeschriebenen Steuern und Abgaben gar nicht möglich sei, die Grundlagen für die Entscheidung der Finanzbehörde erster Instanz zu erkennen und damit zu überprüfen, zumal die dem erstinstanzlichen Haftungsbescheid angeschlossenen Rückstandsaufgliederung hierzu viel zu unbestimmt sei, nicht geschehen. Der Haftungsbescheid ist daher nach dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , 2005/13/0145, aus diesem Grund aufzuheben.

Die Aufhebung hat hiebei nach Ansicht des Unabhängigen Finanzsenates nach der Bestimmung des § 289 Abs. 1 BAO zu erfolgen, zumal eine Aufhebung nach § 289 Abs. 2 BAO das Vorliegen einer entschiedenen Sache bewirken würde und somit der Verfahrensfehler von der Abgabenbehörde erster Instanz nicht mehr saniert werden könnte. Zudem wurden Ermittlungen unterlassen, bei deren Durchführung ein anders lautender Bescheid hätte erlassen werden müssen.

Wie bereits ausgeführt wurde, oblag dem Bw als selbstständig vertretungsbefugtem Geschäftsführer der Abgabepflichtigen laut Eintragung im Firmenbuch - entgegen der vom Finanzamt in der Berufungsvorentscheidung angenommenen Beendigung der Geschäftsführung am (Tag der Eintragung im Firmenbuch, welcher nach dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , 95/15/0163, nicht maßgeblich ist) bis (ab vertrat EV die Gesellschaft als selbständig vertretungsbefugter Geschäftsführer) die Erfüllung der abgabenrechtlichen Pflichten der Gesellschaft, sodass die Geltendmachung der Haftung nur hinsichtlich jener Abgaben zulässig ist, die bis zu diesem Zeitpunkt fällig wurden.

Die haftungsgegenständliche Umsatzsteuer 2-7/2002 in Höhe von € 145.871,52, die haftungsgegenständliche Lohnsteuer 2-7/2002 in Höhe von € 64.474,39, der haftungsgegenständliche Dienstgeberbeitrag 2-7/2002 in Höhe von € 20.257,74 und der haftungsgegenständliche Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag 2-7/2002 in Höhe von € 1.981,77 betreffen somit auch Zeiträume, hinsichtlich derer die Abgabe erst nach Ausscheiden des Bw als Geschäftsführer fällig wurden (). Zudem wurden diese Abgaben mit Bescheiden vom und für die Monate Jänner bis Oktober 2002 festgesetzt, sodass es Feststellungen hinsichtlich der auf den Zeitraum der Geschäftsführung des Bw (bis ) entfallenden Anteile an der haftungsgegenständlichen Umsatzsteuer 2-7/2002, Lohnsteuer 2-7/2002, Dienstgeberbeitrag 2-7/2002 und Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag 2-7/2002 bedarf.

Die Erledigung von Berufungen gemäß § 289 Abs. 1 BAO liegt im Ermessen der Abgabenbehörde zweiter Instanz. Zweck der Kassationsmöglichkeit des § 289 Abs. 1 BAO ist die Entlastung der Abgabenbehörde zweiter Instanz und die Beschleunigung des zweitinstanzlichen Berufungsverfahrens. Diese Anordnungen des Gesetzgebers würden nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes () zu § 66 Abs. 2 AVG aber unterlaufen, wenn es wegen des Unterbleibens eines Ermittlungsverfahrens in erster Instanz zu einer Verlagerung nahezu des gesamten Verfahrens vor die Berufungsbehörde käme und die Einrichtung von zwei Entscheidungsinstanzen damit zur bloßen Formsache würde. Es ist nicht im Sinne des Gesetzes, wenn die Berufungsbehörde, statt ihre (umfassende) Kontrollbefugnis wahrnehmen zu können, jene Behörde ist, die erstmals den entscheidungswesentlichen Sachverhalt ermittelt und einer Beurteilung unterzieht. Auch sind besondere Gesichtspunkte, die aus Sicht des Bw gegen eine Kassation des erstinstanzlichen Bescheides sprechen würden, nach der Aktenlage nicht erkennbar.

Mangels Feststellungen des Finanzamtes hinsichtlich der auf den Zeitraum der Geschäftsführungsfunktion des Bw bis entfallenden Anteile der Beträge von € 145.871,52, € 64.474,39, € 20.257,74 und € 1.981,77 war der angefochtene Bescheid somit hinsichtlich der Haftung für die Umsatzsteuer 2-7/2002 in Höhe von € 145.871,52, die Lohnsteuer 2-7/2002 in Höhe von € 64.474,39, den Dienstgeberbeitrag 2-7/2002 in Höhe von € 20.257,74 und den Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag 2-7/2002 in Höhe von € 1.981,77 gemäß § 289 Abs. 1 BAO unter Zurückweisung der Sache an die Abgabenbehörde erster Instanz aufzuheben.

Die haftungsgegenständlichen Verspätungszuschläge für 2/2004 und 4/2004 in Höhe von € 179,11 und € 59,52 wurden laut Aktenlage am , die haftungsgegenständlichen Lohnabgaben für 7/2002 (Lohnsteuer 7/2002 in Höhe von € 289,27, Dienstgeberbeitrag 7/2002 in Höhe von € 641,38 und Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag in Höhe von € 62,71) wurden am (nach Zurücklegung der Geschäftsführungsfunktion) fällig, sodass die Haftung hiefür jedenfalls zu entfallen hat. Hinsichtlich dieser Abgaben war der angefochtene Bescheid daher gemäß § 289 Abs. 2 BAO (ersatzlos) aufzuheben.

Da der angefochtene Bescheid schon aufgrund der Aktenlage aufzuheben war, war von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Unabhängigen Finanzsenat auf Grund des zu beachtenden Gebotes der Verwaltungsökonomie abzusehen.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
Finanzstrafrecht Verfahrensrecht
betroffene Normen
§ 9 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Schlagworte
Geschäftsführer
schuldhafte Pflichtverletzung
Uneinbringlichkeit
faktischer Geschäftsführer
Zurücklegung
Kontrollpflichten
Strafverfahren
Tatsache der Bescheiderlassung

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at