OGH vom 25.05.2020, 1Ob68/20m
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Kodek, Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H***** E*****, vertreten durch die Kinberger-Schuberth-Fischer Rechtsanwälte-GmbH, Zell am See, gegen die beklagte Partei N***** G*****, vertreten durch Mag. Andreas Hertl, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen 8.441,30 EUR sA und Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom , GZ 22 R 366/19f-29, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Zell am See vom , GZ 18 C 54/19p-24, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 626,52 EUR (darin 104,42 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
Der damals 13-jährige Beklagte bewarf am gemeinsam mit anderen Jugendlichen anlässlich „Halloween“ das Fenster des Geschäftsbetriebs des Klägers mit zwei (rohen) Eiern. Die Verunreinigung der Fensterscheibe konnte nachfolgend einfach, schnell und rückstandslos vom Beklagten und seinem Cousin wieder entfernt werden.
Der Kläger entschied sich zur Verfolgung der Jugendlichen, die sich in seinem Sichtfeld befanden, weil er sich über deren Vorgangsweise geärgert hatte und konnte problemlos zum Beklagten, der zunächst nicht davongelaufen war, aufschließen. Er ergriff ihn an dessen Rucksack, worauf er aus Überraschung und als Reaktion darauf aus dem Rucksack nach vorne hinausrutschte bzw sich aus dem Träger des Rucksacks befreite und davonlief, wodurch der Kläger nur mehr am Rucksack zog, zu Sturz kam und sich dabei verletzte. Dass der Kläger die Verfolgung aufnahm, um die Personalien der Jugendlichen oder des Beklagten festzustellen oder um Ansprüche aus einer allfälligen Sachbeschädigung durch den Eierwurf durchsetzen zu können, kann nicht festgestellt werden.
Der minderjährige Beklagte verfügt über Haftpflichtversicherungsschutz; die Versicherungssumme würde den eingeklagten Betrag abdecken.
Der Kläger begehrte vom Beklagten Schadenersatz und die Feststellung seiner Haftung für sämtliche zukünftigen Schäden aus dem Vorfall vom . Er habe in Ausübung seines Anhalterechts nach § 80 Abs 2 StPO und auch seines Selbsthilferechts gemäß § 19, 344 ABGB den Beklagten angehalten, wobei sich dieser rechtswidrig losgerissen habe und er dabei zu Sturz gekommen sei.
Das Erstgericht wies sowohl das Leistungs- als auch das Feststellungsbegehren ab.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers, mit der er nur mehr den Zuspruch von 6.279,30 EUR sA anstrebte, nicht Folge. Es erklärte die ordentliche Revision gemäß § 508 Abs 3 ZPO nachträglich für zulässig, weil „nicht auszuschließen“ sei, dass es das vom Kläger behauptete Anhalterecht nach § 80 Abs 2 StPO und/oder das Selbsthilferecht nach § 19, 344 ABGB zu Unrecht verneint habe, „zumal keine oberstgerichtliche Judikatur zu einem vergleichbaren Sachverhalt (Verfolgung eines Jugendlichen, der zu Halloween die Fensterscheibe eines Geschäftslokals mit rohen Eiern beworfen hat) vorliegt“.
Die vom Kläger erhobene Revision ist entgegen dem – gemäß § 508a Abs 1 ZPO nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts mangels Darlegung einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig. Gemäß § 510 Abs 3 ZPO kann sich der Oberste Gerichtshof bei der Zurückweisung der Revision auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken.
Rechtliche Beurteilung
1. Der Kläger macht Schäden geltend, die aus seinem Sturz anlässlich der Verfolgung des Beklagten resultieren, nachdem die Fensterscheibe seines Geschäftslokals mit zwei rohen Eiern beworfen worden war. Er argumentiert auch im Revisionsverfahren, er habe dabei sein Anhalterecht nach § 80 Abs 2 StPO sowie sein Selbsthilferecht nach § 19, 344 ABGB ausgeübt.
2.1. Soweit der Kläger erstmals in der Revision vorbringt, er habe „gerechtfertigterweise (putativ) von einer Anhaltesituation im Sinn des § 80 StPO ausgehen dürfen“, handelt es sich dabei um eine unzulässige und damit unbeachtliche Neuerung (§ 504 Abs 2 ZPO). Weder hat er dazu erstinstanzliches Vorbringen erstattet, noch ergibt sich aus dem festgestellten Sachverhalt eine solche Situation.
2.2. Seine Darstellung in der Revision, er habe den Beklagten deswegen verfolgt, um den durch den Eierwurf entstandenen Schaden (zumindest die Kosten der Reinigung) begehren zu können bzw den Schaden beseitigen zu lassen, geht nicht vom festgestellten Sachverhalt aus. Diese Behauptung konnte er gerade nicht beweisen. Insofern ist das Rechtsmittel nicht gesetzmäßig ausgeführt (RIS-Justiz RS0043603 [T2, T 8]).
3. Gemäß § 80 Abs 2 StPO (idF BGBl I 2004/19; vorher § 86 Abs 2 StPO aF) sind auch Private berechtigt, eine Person auf verhältnismäßige Weise anzuhalten, wenn sie aufgrund bestimmter Tatsachen annehmen können, dass diese Person eine strafbare Handlung ausführe, unmittelbar zuvor ausgeführt habe oder dass nach ihr wegen einer solchen Handlung gefahndet werde. Der Anhaltende ist jedoch zur unverzüglichen Anzeige an das nächste erreichbare Sicherheitsorgan verpflichtet.
Zweck des Anhalterechts ist die Ermöglichung und Erleichterung der staatlichen Strafverfolgung. Straftäter, aber auch bloß Verdächtige, sollen unter anderem dadurch der Strafverfolgung zugeführt werden, dass „mutigen“ Privatpersonen die Anhaltung erlaubt wird (Schwaighofer in Fuchs/Ratz, WK-StPO § 80 Rz 23). Das Anhalterecht besteht nur bei mit gerichtlicher Strafe bedrohten Handlungen (§ 1 Abs 1 Satz 2 StPO;Schwaighofer aaO Rz 26; T. Dullinger, Faktische Möglichkeiten gegen die Verletzung des Hausrechts von Universitäten – Dargestellt am Beispiel einer „Hörsaalstürmung“, ÖJZ 2017/51, 357 [361]).
Das Berufungsgericht ging ohne Fehlbeurteilung davon aus, dass das Beschmutzen einer – leicht zu reinigenden – Fensterscheibe des Geschäftslokals des Klägers mit (zwei) rohen Eiern nicht unter den Straftatbestand der Sachbeschädigung nach § 125 StGB fällt (11 Os 28/82 = RS0093119 = EvBl 1982/173; Sagmeister in Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer, SbgK zum StGB, § 125 StGB Rz 95). Der Kläger habe den Beklagten nicht deshalb am Rucksack ergriffen und festgehalten, weil er die staatliche Strafverfolgung ermöglichen oder erleichtern wollte, sodass die Anhaltung keinem von der Rechtsordnung geschützten Zweck gedient habe. Dessen Rechtsansicht, die Anhaltung sei nicht im Sinn des § 80 Abs 2 StPO gerechtfertigt gewesen, sodass sich der Beklagte dagegen wehren und davonlaufen habe dürfen, ist nicht zu beanstanden.
Der Kläger argumentiert nicht, dass seine Verfolgung aus Ärger über die Verunreinigung der Fensterscheibe seines Geschäftslokals dem Anhalterecht des § 80 Abs 2 StPO zu unterstellen wäre. Soweit er eine Anhaltesituation im Sinn des § 80 Abs 2 StPO behauptet, geht er nicht vom festgestellten Sachverhalt aus, wonach er die Verfolgung gerade nicht aufnahm, um die Personalien des Beklagten festzustellen (vgl dazu T. Dullinger aaO 362). Seine Ausführungen zu einem angeblichen „Putativanhalterecht“ verstoßen – wie dargelegt – gegen das Neuerungsverbot. Wenn für einen maßgerechten Dritten keine ausreichenden Gründe einer Annahme eines Tatverdachts gegen die betreffende Person vorgelegen wären, der Anhaltende aber den Verdacht für ausreichend hielt, dann irrte er über den rechtfertigenden Sachverhalt im Sinn des § 8 StGB. In diesem Fall bleibt der Anhaltende in der Regel straffrei, weil es zu § 99 und § 105 StGB kein entsprechendes Fahrlässigkeitsdelikt gibt (Schwaighofer aaO Rz 40). Die Anhaltung ist aber rechtswidrig (vgl Schwaighofer aaO Rz 32). Inwiefern der Kläger daraus seine zivilrechtlichen Schadenersatzansprüche ableiten möchte, legt er nicht näher dar; dies ist auch nicht nachvollziehbar. Seine Argumentation, ein Widerstand [des Beklagten] gegen rechtmäßiges Anhalten sei rechtswidrig, geht ins Leere, liegt doch gerade keine rechtmäßige Anhaltung vor.
4. Nach § 344 Satz 1 ABGB, der ausdrücklich auf § 19 ABGB verweist, gehört zu den Rechten des Besitzes „auch das Recht, sich in seinem Besitze zu schützen und in dem Falle, dass richterliche Hilfe zu spät kommen würde, Gewalt mit angemessener Gewalt abzutreiben“. § 344 ABGB bildet neben § 19 ABGB, wo die Zulässigkeit der Selbsthilfe in gewissen Grenzen vorausgesetzt wird, die wesentliche Rechtsgrundlage des Selbsthilferechts (10 Ob 34/17y mwN). Nur wenn die Hilfe der Behörden zu spät käme und die Grenzen des Angemessenen eingehalten werden, kann Selbsthilfe gerechtfertigt sein (RS0009019; RS0009027). In der Regel sind nur Sicherungsmaßnahmen gestattet, etwa kurzes Festhalten des Eingreifers zur Feststellung der Identität (Kodek, Besitzstörung [2002] 537; ders in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.03§ 344 Rz 2; Lewisch in Höpfel/Ratz, WK2 StGB Nach § 3 Rz 164; Posch in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 19 Rz 10; vgl RS0122592; 2 Ob 646/23 = SZ 5/206 = RS0010328). Eine Selbsthilfemaßnahme ist nicht gerechtfertigt, wenn der zu sichernde Anspruch in Wahrheit nicht besteht, die behördliche Hilfe durchaus rechtzeitig gewesen wäre oder der Eingriff im konkreten Fall bei der gebotenen Abwägung der wechselseitigen Interessen übermäßig war (10 Ob 34/17y mwN = RS0009027 [T13]).
Die Vorinstanzen gingen ohne Fehlbeurteilung davon aus, dass sich der Kläger nicht auf das Selbsthilferecht nach § 19, 344 ABGB berufen könne, weil es ihm nicht um die Identitätsfeststellung des Beklagten gegangen sei, sondern er die Verfolgung des Beklagten aus Ärger über die Tat aufgenommen habe. Nicht festgestellt werden konnte, dass der Kläger die Verfolgung aufnahm, um allfällige Ansprüche aus einer „Sachbeschädigung“ – gemeint um die Anspruchsverfolgung – durchsetzen zu können. Dass er – wie in der Revision behauptet – die Verfolgung deshalb aufgenommen hätte, um den durch den Eierwurf entstandenen Schaden beseitigen zu lassen, steht gerade nicht fest. Dass ihn sein (verständlicher) Ärger über das Verhalten des Beklagten ohne gleichzeitige Absicht, die Identität des Beklagten festzustellen, nicht zur Selbsthilfe nach § 19, 344 ABGB berechtigte, bestreitet er in der Revision nicht. Strebt er aber die Verfolgung zu einem von der Rechtsordnung nicht geschützten Zweck an, hat er die bedauerlichen Folgen seines daraus resultierenden Sturzes selbst zu verantworten.
Darauf, ob die nicht mit beweiswürdigenden Überlegungen begründete Aussage des Erstgerichts in der rechtlichen Beurteilung, amtliche Hilfe wäre nicht zu spät gekommen, tatsächlich eine dislozierte Feststellung ist, wovon das Berufungsgericht ausging, kommt es nicht an.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 Abs 1 und 50 Abs 1 ZPO. Der Beklagte hat auf die fehlende Zulässigkeit der Revision hingewiesen. Der von ihm verzeichnete dreifache Einheitssatz steht nur im Berufungsverfahren, nicht aber im Revisionsverfahren zu (§ 23 Abs 9 RATG).
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2020:0010OB00068.20M.0525.000 |
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