OGH vom 22.12.2011, 1Ob65/11g
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Grohmann, Mag. Wurzer und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei V***** AG, *****, vertreten durch Fiebinger Polak Leon & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei K***** GmbH, *****, vertreten durch SchneideR'S Rechtsanwalts-KG in Wien, wegen 223.082,36 EUR sA und Feststellung (Streitwert 35.000 EUR), über die Revisionen der klagenden Partei gegen die Urteile des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom und vom , GZ 3 R 49/10s-10 und 15, mit denen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom , GZ 26 Cg 197/09f-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:
Spruch
Den Revisionen wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen über das Leistungsbegehren werden dahin abgeändert, dass sie als Teilurteil lauten:
„Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei 223.082,36 EUR samt 4 % Zinsen aus 88.892,41 EUR seit , aus 42.672,29 EUR seit und aus 91.517,66 EUR seit binnen 14 Tagen zu zahlen.“
Die Entscheidungen über das Feststellungsbegehren und die Verfahrenskosten erster und zweiter Instanz werden aufgehoben, dem Erstgericht wird eine neuerliche Urteilsfällung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.
Die Entscheidung über die Kosten aller drei Instanzen wird der Endentscheidung vorbehalten.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin betreibt ein Elektrizitätsunternehmen mit zahlreichen Wasserkraftwerken in Österreich; sie ist (war) damit ein „Erzeuger“ iSd § 7 Z 11 Elektrizitätswirtschafts- und Organisationsgesetzes (ElWOG) 1998. Die Beklagte betreibt in Kärnten ein Elektrizitäts-Verteilernetz; sie ist (war) als „Verteilernetzbetreiber“ iSd § 7 Z 43a ElWOG 1998 verantwortlich für den Betrieb, die Wartung sowie erforderlichenfalls den Aufbau des Verteilernetzes in einem bestimmten Gebiet und gegebenenfalls der Verbindungsleitungen zu anderen Netzen sowie für die Sicherstellung der langfristigen Fähigkeiten des Netzes, eine angemessene Nachfrage nach Verteilung von Elektrizität zu befriedigen. Aufgrund der Novelle 2009 zur Systemnutzungstarife-Verordnung (SNT-VO) 2006 stellte die Beklagte der Klägerin unter anderem auch Netzverlustentgelt gemäß § 25 Abs 1 Z 3 ElWOG 1998 in Rechnung. Die Klägerin zahlte das für die Monate Jänner 2009 bis April 2009 jeweils vorgeschriebene Netzverlustentgelt für die Netzebenen 3 und 5 insgesamt in Höhe des Klagebetrags.
Sie begehrt nun die Rückerstattung dieser Beträge samt 4 % Zinsen ab dem jeweiligen Zahlungstag sowie die Feststellung, die Beklagte habe ihr gegenüber keinen Rechtsanspruch darauf, für die Einspeisung von Elektrizität aus den Wasserkraftwerken der Klägerin, die an das Netz der Beklagten angeschlossen sind, ein Netzverlustentgelt zu fordern. Zur Begründung ihres Begehrens beruft sie sich insbesondere auf die Gesetzwidrigkeit jener Bestimmungen der Systemnutzungstarife-Verordnung 2006, die seit der Novelle 2009 auch die Einspeiser dazu verpflichten, sich an dem dem Netzbetreiber zustehenden Netzverlustentgelt zu beteiligen, das jene Kosten abgelten soll, die dem Netzbetreiber aus dem Zukauf jenes Stroms erwachsen, den er zum Ausgleich von technisch unvermeidbaren Verlusten des übertragenen Stroms benötigt. Die Klägerin habe ihre Zahlungen unter ausdrücklichem Vorbehalt der Rückforderung auch für alle zukünftigen Zahlungen geleistet, weil sie von der Gesetzwidrigkeit der entsprechenden Regelungen der SNT-VO 2006 überzeugt sei. § 1435 ABGB räume einen Kondiktionsanspruch ein, wenn der Zahlungsgrund nachträglich wieder wegfällt. Dieser Anspruch bestehe auch, wenn eine Norm nachträglich vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben wird. Die Klage auf Rückforderung sei der einzige Weg zur Durchsetzung ihres Rechts, eine Leistung, deren Grundlage gesetzwidrig ist, zurückzuerlangen, weil sie nur so eine Anfechtung der einschlägigen Regelungen beim Verfassungsgerichtshof erreichen könne. Da die Beklagte auch für die Zukunft behaupte, zur Vorschreibung und Einforderung der Netzverlustentgelte berechtigt zu sein, liege auch das erforderliche rechtliche Interesse für ihr Feststellungsbegehren vor. Insbesondere sei es erforderlich, auch für die Zukunft für Rechtsklarheit zu sorgen, müsse die Klägerin doch gegebenenfalls auch für zukünftige Verbindlichkeiten Vorsorge treffen.
Die Beklagte wandte im Wesentlichen - der weitere Einwand der Unzulässigkeit des Rechtswegs wurde bereits rechtskräftig verworfen - ein, die Regelungen der Verordnung seien schon deshalb nicht gesetzwidrig, weil es dem in § 25 Abs 3 ElWOG 1998 normierten Grundsatz der Gleichbehandlung aller Netzbenutzer entspreche, nicht nur die Verbraucher, sondern auch die Einspeiser anteilig mit dem Netzverlustentgelt zu belasten. Die gesetzliche Bestimmung des § 25 ElWOG 1998 sei auch inhaltlich ausreichend bestimmt. Selbst bei Wegfall der entsprechenden Tarifbestimmungen stehe der Beklagten ein angemessenes Entgelt für die von ihr erbrachten Netzdienstleistungen auf bereicherungsrechtlicher Basis zu. Dieses angemessene Entgelt entspreche zumindest dem in der Verordnung vorgesehenen Tarif.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Nachdem die Energie-Control-Kommission (ECK) den Antrag der Klägerin abgewiesen habe, stehe ihr der Rechtsweg offen. Nach § 25 ElWOG 1998 bestimme sich das zu entrichtende Entgelt für die Netznutzung unter anderem aus dem Netzverlustentgelt. Die in den Z 1 bis 4 angeführten Entgelte seien unter Zugrundelegung eines Tarifs zu ermitteln, der von der ECK durch Verordnung oder Bescheid zu bestimmen sei. Ein Hinweis, dass ein Erzeuger oder Einspeiser kein Entgelt nach einem Tarif zu bezahlen hätte, finde sich in dieser Bestimmung nicht. Die Beklagte habe der Klägerin daher zu Recht Netzverlustentgelte in ihren auf der SNT-VO 2006 idF 2009 basierenden Rechnungen vorgeschrieben. Die Bezahlung sei verordnungsgemäß erfolgt, sodass der Klägerin kein Rückforderungsanspruch zustehe. Die Abweisung des Feststellungsbegehrens wurde nicht weiter begründet.
Das Berufungsgericht bestätigte mit seinem Teilurteil vom (ON 10) und seinem Endurteil vom (ON 15) diese Entscheidung und erklärte die ordentliche Revision jeweils für nicht zulässig. Das Berufungsgericht hege weder Bedenken gegen die Verfassungskonformität des § 25 ElWOG 1998 noch gegen die Gesetzeskonformität der SNT-VO 2006 - Novelle 2009 und der SNT-VO 2010, soweit darin die Verteilung der Netzverlustentgelte auf Entnehmer und Einspeiser normiert werde. Die Behörde sei vor Erlassung der Verordnungen zum Schluss gekommen, dass Netzverluste auch im unmittelbaren Zusammenhang mit der Einspeisung von elektrischer Energie in bestehende Netzstrukturen entstünden und dass im Sinne einer Durchschnittsbetrachtung die hervorgerufenen Netzverluste durch Einspeisung ein vergleichbares Ausmaß wie die auf Entnehmer zurückführbaren Netzverluste erreichten. Die von der Klägerin angestrebte alleinige Belastung der Entnehmer mit Netzverlustentgelten widerspräche nicht nur dem verfassungsrechtlichen Gebot des Interessenausgleichs, sondern auch dem Gleichbehandlungsgebot des § 25 Abs 3 ElWOG 1998 und den gesetzlichen Vorgaben des § 25 Abs 2 ElWOG 1998. Eine Befassung des Verfassungsgerichtshofs komme aber auch wegen der fehlenden Präjudizialität nicht in Betracht, weil die ordentlichen Gerichte die umstrittenen Verordnungen in dieser Rechtssache nicht anzuwenden hätten. Eine Rückforderung des bezahlten Netzverlustentgelts gemäß § 1435 ABGB wegen des nachträglichen Wegfalls des Zahlungsgrundes käme schon deshalb nicht in Betracht, weil die umstrittene Norm noch Bestandteil der Rechtsordnung sei. Damit habe die Klägerin keinen rechtserzeugenden Sachverhalt behauptet, aus dem sich die begehrte Rechtsfolge ableiten ließe, für die Beklagte als Empfängerin der Zahlungen habe der rechtliche Grund, sie zu behalten, aufgehört. Erst ein Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs könnte den Rechtsgrund der Zahlung beseitigen. Die von der Klägerin für ihren Standpunkt ins Treffen geführten höchstgerichtlichen Entscheidungen beträfen bereits vom Verfassungsgerichtshof aufgehobene Normen. Entsprechendes gelte auch für das Feststellungsbegehren: Die Klägerin wolle mit ihrer Feststellungsklage nicht durch den vorgetragenen Sachverhalt konkretisierte privatrechtliche Beziehungen zwischen den Streitteilen klären, sondern den Zivilprozess als Mittel verwenden, ihre verfassungsrechtlichen Bedenken an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen, indem sie mit der Behauptung der „Rechtswidrigkeit der Rechtsgrundlage“ die Anregung an ordentliche Gerichte verbinde, einen Antrag auf Aufhebung dieser Verordnungen beim Verfassungsgerichtshof zu stellen. Da das Berufungsgericht die verfassungsrechtlichen Bedenken der Klägerin nicht teile, müsse die Feststellungsklage daran scheitern, dass die ohnehin geregelte objektive Privatrechtslage nicht feststellungsfähig sei und ordentliche Gerichte an ordnungsgemäß kundgemachte Verordnungen gebunden seien. In amtswegiger Wahrnehmung der fehlenden materiellrechtlichen Begründung des Feststellungsbegehrens sei auch dieses als unberechtigt abzuweisen.
Der erkennende Senat erachtete in seinem Beschluss vom die Revisionen der Klägerin für zulässig und focht die seiner Ansicht nach präjudiziellen Vorschriften des ElWOG 1998 idF BGBl I 121/2000 sowie der einschlägigen Systemnutzungstarife-Verordnungen wegen verfassungsrechtlicher Bedenken an. Der Verfassungsgerichtshof stellte mit seinem Erkenntnis vom (G 3/11 ua) unter anderem fest, dass § 25 Abs 1 Z 3 und § 25 Abs 4 des ElWOG 1998 idF BGBl I 121/2000 verfassungswidrig waren. Mit Beschluss vom (V 59/09-14 ua) hob er unter anderem die für die Jahre 2009 und 2010 von der Energie-Kontrollkommission erlassenen Systemnutzungstarife-Verordnungen als gesetzwidrig auf und sprach aus, dass diese Verordnungen unter anderem auch in diesem Verfahren nicht mehr anzuwenden sind. Die genannten Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs betrafen - soweit für dieses Verfahren von Interesse - die Verordnungsermächtigung in § 25 Abs 4 ElWOG und die Anordnung, dass das im Rahmen der Systemnutzungstarife für die Netznutzung zu entrichtende Entgelt sich auch aus dem Netzverlustentgelt (§ 25 Abs 1 Z 3 leg cit) bestimme. Mit der Feststellung der „Generalklausel“ des § 25 Abs 4 ElWOG als verfassungswidrig bleibe die gesetzliche Regelung der Adressaten einer Systemnutzungstarifverordnung völlig lückenhaft und damit jede dieser Verordnungen ohne gesetzliche Grundlage. Sie seien daher zur Gänze als gesetzwidrig aufzuheben, da bei Außerachtlassung der genannten Bestimmung wegen der Anlassfallwirkung die gegenständlichen Verordnungen insgesamt der gesetzlichen Grundlage entbehrten. Die Anlassfallwirkung sei gemäß § 139 Abs 6 zweiter Satz B-VG auch für die im einzelnen bezeichneten Gerichtsverfahren herbeizuführen.
Rechtliche Beurteilung
Mit den dargelegten Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs steht fest, dass die genannten Rechtsnormen unter anderem zwischen den Parteien des hier zu beurteilenden Verfahrens nicht anzuwenden sind. Die Entscheidung hat also so zu erfolgen, als wären die genannten Vorschriften niemals in Geltung gestanden. Damit erweist sich jedenfalls das Leistungsbegehren als berechtigt, besteht doch kein Rechtsgrund (mehr) für die von der Beklagten erhobenen Forderungen auf Zahlung bestimmter Beträge als „Netzverlustentgelt“, die von der Klägerin jeweils nur unter Vorbehalt und dem Hinweis geleistet worden ist, die den jeweiligen Forderungen zugrundeliegenden Rechtsnormen seien verfassungswidrig. Nachdem der Gesetzgeber in § 25 ElWOG 1998 ersichtlich die dem Netzbetreiber im Rahmen der Systemnutzungstarife gebührenden Entgeltsbestandteile abschließend regeln wollte, kann sich die Beklagte auch nicht darauf berufen, sie habe bei Wegfall der Komponente „Netzverlustentgelt“ im Gesetz einen - betragsmäßig gleich hohen - Anspruch auf Abgeltung „den von ihr erbrachten Leistungen auf bereicherungsrechtlicher Basis“ und dürfe sich aus diesem Grund die als Netzverlustentgelt fakturierten Beträge behalten.
Die Urteile der Vorinstanzen sind damit insoweit abzuändern, als ein stattgebendes Teilurteil über das Leistungsbegehren zu fällen ist. Die Kostenentscheidung hat erst mit Enderledigung der Sache zu erfolgen (§ 52 Abs 4 ZPO).
Im Hinblick auf das Feststellungsbegehren hat die Klägerin ihr Feststellungsinteresse bisher darin gesehen, dass es erforderlich sei, auch für die Zukunft für Rechtsklarheit zu sorgen, müsse sie doch gegebenenfalls auch für zukünftige Verbindlichkeiten Vorsorge treffen. Das Feststellungsbegehren war ganz allgemein darauf gerichtet, dass die Beklagte (in Zukunft) nicht berechtigt sei, ein Netzverlustentgelt zu fordern. Es spricht einiges dafür, dass damit nur das in den nunmehr aufgehobenen Normen geregelte Netzverlustentgelt gemeint war, doch kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Klägerin damit auch eine darüber hinausgehende Klärung erreichen wollte. Auch das neue ElWOG 2010 sieht ja eine Verpflichtung zur Zahlung vor Netzverlustentgelt (§ 51 Abs 2 Z 2, § 53) vor.
Angesichts der aufgrund der Entscheidungen des Verfassungsgerichtshof geänderten Rechtslage ist der Klägerin Gelegenheit zu geben, die Reichweite ihres Feststellungsbegehrens klarzustellen und dieses allenfalls ergänzend zu begründen; sie darf nicht mit einer Rechtslage überrascht werden, die sie zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz noch gar nicht kennen konnte. Dabei wird sie gegebenenfalls insbesondere zusätzliches Vorbringen zu ihrem Feststellungsinteresse - das ja zum Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung (noch) vorliegen muss - zu erstatten haben, zumal nicht ohne weiteres angenommen werden kann, dass die Beklagte in Zukunft rechtswidrig Forderungen auf Netzverlustentgelt auf Basis der im Verhältnis zwischen den Parteien nicht mehr geltenden Rechtslage erheben werde. Diese Erörterung wird vom Erstgericht vorzunehmen sein.
In diesem Umfang sind die Urteile der Vorinstanzen daher aufzuheben. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.
Fundstelle(n):
RAAAD-06047