Berufungsentscheidung - Steuer (Referent), UFSL vom 06.05.2010, RV/0492-L/09

Unzumutbare späte Geltendmachung einer Geschäftsführerhaftung

Rechtssätze


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Stammrechtssätze
RV/0492-L/09-RS1
Erfolgte die Konkursaufhebung im Insolvenzverfahren der Primärschuldnerin im Jahr 2004, die Heranziehung des ehemaligen Geschäftsführers zur Haftung jedoch erst im Jahr 2009, müssten besondere Umstände vorliegen, die eine so späte Haftungsinanspruchnahme rechtfertigen könnten. Ist dies nicht der Fall, überwiegt die Unbilligkeit der Geltendmachung der Haftung angesichts lange verstrichener Zeit die vom Finanzamt ins Treffen geführte Zweckmäßigkeitserwägung, wonach die Haftung eine geeignete Maßnahme sei um den Abgabenausfall zu verhindern.

Entscheidungstext

Berufungsentscheidung

Der Unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung des K, vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Linz vom betreffend Haftung gemäß § 9 iVm § 80 BAO für Abgabenschuldigkeiten der Firma Y-GmbH entschieden:

Der Berufung wird Folge gegeben.

Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.

Entscheidungsgründe

Der Berufungswerber war seit Geschäftsführer der Firma Y=GmbH, über deren Vermögen mit Beschluss des Landesgerichtes Linz vom das Konkursverfahren eröffnet wurde. Dieses Insolvenzverfahren wurde am nach Verteilung des Massevermögens (Konkursquote: 9,2 %) gemäß § 139 KO aufgehoben. Am wurde die Firma im Firmenbuch gelöscht.

Erst im Jahr 2007 stellte das Finanzamt konkrete Überlegungen hinsichtlich einer allfälligen Heranziehung des Berufungswerbers zur Haftung gemäß § 9 BAO an. In einem Aktenvermerk vom wurde festgehalten, dass aufgrund einer beim Berufungswerber laufenden Pensionspfändung im Falle einer Haftungsinanspruchnahme frühestens ab dem Jahr 2012 mit einem Zahlungseingang zu rechnen wäre.

Mit Vorhalt vom wies das Finanzamt den Berufungswerber auf das abgeschlossene Konkursverfahren bei der Primärschuldnerin hin. Er sei als Geschäftsführer für die Entrichtung näher aufgegliederter, vor Konkurseröffnung fällig gewesener, durch die Konkursquote jedoch nicht abgedeckter Abgabenschuldigkeiten in Höhe von 121.723,35 € verantwortlich gewesen. Er möge darlegen, weshalb er nicht dafür Sorge tragen habe können, dass diese Abgaben entrichtet wurden (z.B. Fehlen ausreichender Mittel, Zessionsvereinbarung, Einstellung der Überweisungen durch die Hausbank, Weisungen der Gesellschafter usw.). Die entsprechenden Unterlagen zum Beweis seiner Rechtfertigung wären vorzulegen. Falls vorhandene Mittel anteilig für die Begleichung aller Verbindlichkeiten verwendet worden wären, sei dies durch geeignete Unterlagen zu belegen. Schließlich wurde der Berufungswerber um Darstellung seiner aktuellen wirtschaftlichen Verhältnisse ersucht.

In einem Aktenvermerk vom hielt das Finanzamt fest, dass der Berufungswerber am vorgesprochen habe. Dabei habe er bekannt gegeben, dass er zu Beginn seiner Geschäftsführertätigkeit eine Personalreduktion durchführen hätte müssen, die Abfertigungen 1,5 Mio. Schilling und die Warenablöse 1 Mio. Schilling gekostet hätten. Damit seinen das Kapital und der Bankrahmen ausgeschöpft gewesen. Dies habe sich über Jahre hingezogen, die Firma habe sich davon nie erholt. Es habe keine Zessionsvereinbarungen oder Weisungen der Gesellschafter gegeben, jedoch hätten aus den angeführten Gründen ausreichende Mittel gefehlt, um die Abgaben zu entrichten. Betreffend "Fälligkeiten ab " habe er keine Befugnis mehr gehabt auf Mittel zuzugreifen, eine Entrichtung der Abgaben sei nicht möglich gewesen. Die Löhne seien bis Oktober 2003 ausbezahlt worden, Konkurseröffnung sei am gewesen. Die Firma sei nach Konkursaufhebung gemäß § 139 KO im Firmenbuch gelöscht worden. Zu den wirtschaftlichen Verhältnissen wurde festgehalten: Pensionseinkünfte brutto monatlich 1.500 €, vier Vorpfändungen, Finanzamt Wien (12) an vierter Stelle, Rückstand dort unverändert 24.407,63 €, kein Vermögen, Unterstützung durch die Gattin (Pension), welche die gesamten Fixkosten bezahlt. Der Berufungswerber sei bereits 64 Jahre alt. "Derzeit Haftungsinanspruchnahme nicht sinnvoll, da 4 Vorpfändungen und RS am E-Konto über 24.000 €".

Angesichts dieser Feststellungen unterblieb im Jahr 2007 die Erlassung eines Haftungsbescheides. Erst im Jahr 2009 stellte das Finanzamt neuerlich Überlegungen über eine allfällige Heranziehung des Berufungswerbers zur Haftung an. Laut Aktenvermerk vom hatte sich der Abgabenrückstand am persönlichen Abgabenkonto des Berufungswerbers mittlerweile auf 13.554,66 € reduziert, die monatlichen Eingänge aus der Pensionspfändung würden durchschnittlich ca. 450 € betragen. Der Rückstand am persönlichen Abgabenkonto wäre somit in ca. 2 ½ Jahren abgedeckt, ab dann seien Eingänge aus der Pfändung für einen Haftungsbetrag möglich.

Mit Haftungsbescheid vom nahm das Finanzamt den Berufungswerber daraufhin für folgende Abgabenschuldigkeiten der Gesellschaft in Höhe von "41.294,22" (richtig: 40.089,31 €, da die in einer Aufstellung der offenen Abgaben zum enthaltene Körperschaftsteuer 2001 in Höhe von 1.204,91 € nicht in den Haftungsbescheid aufgenommen wurde) in Anspruch:


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Abgabenart
Zeitraum
Betrag in €
Umsatzsteuer
10/02
4.660,75
Umsatzsteuer
06/03
1.683,82
Umsatzsteuer
07/03
7.471,63
Umsatzsteuer
08/03
3.453,62
Lohnsteuer
05/03
3.141,73
Lohnsteuer
06/03
3.061,83
Lohnsteuer
07/03
3.266,37
Lohnsteuer
08/03
3.236,36
Lohnsteuer
09/03
839,23
Lohnsteuer
10/03
3.990,96
Körperschaftsteuer
07-09/03
437,00
Kammerumlage
04-06/03
100,55
Kammerumlage
07-09/03
97,68
Dienstgeberbeitrag
05/03
983,98
Dienstgeberbeitrag
06/03
969,57
Dienstgeberbeitrag
07/03
1.132,68
Dienstgeberbeitrag
08/03
1.199,63
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag
05/03
83,09
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag
06/03
81,88
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag
07/03
95,65
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag
08/03
101,30
Summe
40.089,31

In der Begründung wurde im Wesentlichen auf das abgeschlossene Insolvenzverfahren hingewiesen, weshalb die angeführten Abgabenschuldigkeiten bei der Primärschuldnerin nicht mehr einbringlich wären. Aufgrund der Aktenlage sei davon auszugehen, dass zum Zeitpunkt der Fälligkeiten der Abgaben zwar Gesellschaftsmittel (noch) vorhanden gewesen wären, diese aber nicht zur (zumindest anteiligen) Entrichtung der Abgabenschulden verwendet worden seien. Umsätze seien von der Gesellschaft bis zur Konkurseröffnung ausgeführt worden. Der Geschäftsbetrieb sei erst während des Konkursverfahrens eingestellt worden. Da bei der Tilgung der Schulden der Gesellschaft die Abgabenschulden offenbar schlechter als die übrigen Verbindlichkeiten behandelt worden wären, sei von einer Verletzung des Gleichbehandlungsgebotes auszugehen. Sodann wurde in der Bescheidbegründung das oben bereits zitierte Vorbringen des Berufungswerbers anlässlich seiner Vorsprache beim Finanzamt im Jahr 2007 wiedergegeben. Diesem hielt das Finanzamt entgegen, dass damit das Fehlen der Mittel und die Gläubigergleichbehandlung in keiner Weise nachvollziehbar dargestellt und nachgewiesen worden sei. Dem Vorbringen des Berufungswerbers werde jedoch insoweit Rechnung getragen, als für die rückständigen Abgaben mit Fälligkeiten ab dem (ausgenommen der Lohnsteuer) keine Haftungsinanspruchnahme erfolge. Die haftungsgegenständliche Lohnsteuer sei vom Gleichbehandlungsgrundsatz ausgenommen. Die im Rahmen des § 9 BAO zu treffende Ermessensentscheidung begründete das Finanzamt damit, dass die Geltendmachung der Haftung eine geeignete Maßnahme sei um den Abgabenausfall zu verhindern. Der Berufungswerber sei 66 Jahre alt und beziehe eine Pension von der Pensionsversicherungsanstalt in Höhe von monatlich rund 1.500 € brutto. Die Pension sei aufgrund eines Rückstandes am persönlichen Abgabenkonto des Berufungswerbers gepfändet. Aus diesem Grund sei eine Haftung für den gegenständlichen Abgabenrückstand bislang noch nicht geltend gemacht worden. Da sich durch Überweisungen aus der Pensionspfändung und sonstigen Gutschriften aus Einkommensteuerveranlagungen dieser Abgabenrückstand inzwischen aber beträchtlich vermindert habe und somit davon auszugehen sei, dass diese Schuld in absehbarer Zeit getilgt sein werde, erscheine "nunmehr die Geltendmachung der Haftung angebracht."

Gegen diesen am zugestellten Bescheid wurde mit einer undatierten, am zur Post gegebenen und am beim Finanzamt eingelangten Eingabe Berufung erhoben. Laut Beschluss des Firmenbuchgerichtes vom sei das Konkursverfahren beendet, das Verfahren aufgehoben und die Firma gelöscht worden. Gleichzeitig sei der Firmenwortlaut um den Zusatz "in Liquidation" erweitert und der Berufungswerber als Abwickler eingetragen worden. Was hätte er abwickeln sollen, wenn das gesamte Vermögen inklusive Firmenwert in die Masse eingeflossen sei? Mit Beschluss vom sei auch die Firma gelöscht worden, also auch seine "Funktion". Das "Konkurs-Masseanderkonto" habe am einen Stand von rund 142.000 € ausgewiesen und auch in der Konkursphase sei laut Bericht des Masseverwalters ohne Akquisition ein Gewinn von 22.000 € erwirtschaftet worden. Es sei ihm in keiner Weise möglich gewesen "nur eine Sekunde in die Geschehnisse einzugreifen" um seinen Abgabenverpflichtungen nachzukommen. Der Vorwurf, dass Abgabenschulden schlechter als andere Verbindlichkeiten behandelt worden seien, stimme nicht. Es seien alle Gläubiger gleich behandelt worden. Es sie ihm heute nicht mehr möglich zu belegen, wann die letzten Zahlungen für Abgabenschulden aus den Geschäftsmitteln bezahlt worden seien. Eine Verletzung des Gleichbehandlungsgebotes sei nicht gegeben. Ihm sei noch in Erinnerung, dass die Mietenzahlungen für Geschäftslokale, Pachtzahlungen, Lieferantenzahlungen auch ähnliche Rückstände gehabt hätten. Die Gläubigergleichbehandlung noch nachvollziehbar darzustellen und nachzuweisen sei ihm heute nach mehr als fünf Jahren nicht mehr möglich. Er habe nicht vorsätzlich gehandelt, und stelle daher den Antrag, den Haftungsbescheid aufzuheben. Bei der abschließenden Sitzung im Gericht habe der Richter über Nachfragen beim Masseverwalter eine Geschäftsführerhaftung als nicht gegeben angesehen. Sein persönlicher Abgabenrückstand habe sich deswegen beträchtlich reduziert, weil seine SV-Zahlungen (die von seiner Pension gepfändet worden wären) an die gewerbliche Sozialversicherung als Absetzbetrag geltend gemacht worden seien. Wie sich aber herausstelle, werde er vermutlich von diesen Zahlungen keinen Cent mehr sehen, da der Rückstand vor Antritt seiner Pension entstanden sei und solche Beträge weder in die Versicherungszeiten noch in die Beitragsgrundlage eingerechnet würden. Er wisse nicht, wie er diese Zahlungen bewerten solle.

Über die Berufung wurde erwogen:

Gemäß § 9 Abs. 1 BAO haften die in den §§ 80 ff bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.

Gemäß § 80 Abs. 1 leg. cit. haben die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen, und sind befugt, die diesen zustehenden Rechte wahrzunehmen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden.

Der Berufungswerber war seit Gründung der primärschuldnerischen Gesellschaft deren alleiniger Geschäftsführer und daher für die Wahrnehmung der abgabenrechtlichen Pflichten bis zur Konkurseröffnung am verantwortlich. Die haftungsgegenständlichen Abgaben waren vor diesem Zeitpunkt bzw. vor dem fällig, lediglich die Lohnsteuer 10/2003 war am fällig.

Die Abgabenforderungen gegen die Gesellschaft sind sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach unstrittig. Die Umsatzsteuer 10/2002 haftet aufgrund der nachträglichen Überweisung eines Betrages von 4.053,60 € (Pfändung der Zinsen auf dem ehemaligen Massekonto) nur mehr mit einem Betrag von 607,15 € aus, sodass sich die Haftungssumme schon aus diesem Grund insoweit reduziert. Im Übrigen sind die verbleibenden Abgaben bei der im Firmenbuch bereits gelöschten Gesellschaft uneinbringlich.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Vertreter darzutun, aus welchen Gründen ihm die Erfüllung abgabenrechtlicher Pflichten unmöglich gewesen ist, widrigenfalls die Abgabenbehörde eine schuldhafte Pflichtverletzung im Sinne des § 9 Abs. 1 BAO annehmen darf. Der Geschäftsführer haftet für nicht entrichtete Abgaben der Gesellschaft auch dann, wenn die Mittel, die ihm für die Entrichtung aller Verbindlichkeiten der Gesellschaft zur Verfügung gestanden sind, hiezu nicht ausreichten, es sei denn, er weist nach, dass er die Abgabenschulden im Verhältnis nicht schlechter behandelt hat als bei anteiliger Verwendung der vorhandenen Mittel für die Begleichung aller Verbindlichkeiten. Dabei ist zu beachten, dass sich der Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung auch auf Zahlungen bezieht, die zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebes erforderlich sind. Der Nachweis, welcher Betrag bei Gleichbehandlung sämtlicher Gläubiger - bezogen auf die jeweiligen Fälligkeitszeitpunkte einerseits und das Vorhandensein liquider Mittel andererseits - an die Abgabenbehörde zu entrichten gewesen wäre, obliegt dem Vertreter. Auf diesem, nicht aber auf der Behörde, lastet auch die Verpflichtung zur Errechnung einer entsprechenden Quote. Vermag der Vertreter nachzuweisen, welcher Betrag bei anteilsmäßiger Befriedigung der Forderungen an die Abgabenbehörde abzuführen gewesen wäre, so haftet er nur für die Differenz zwischen diesem und der tatsächlich erfolgten Zahlung. Wird dieser Nachweis nicht angetreten, kann dem Vertreter die uneinbringliche Abgabe zur Gänze vorgeschrieben werden ( mwN).

Wenngleich im Haftungsverfahren die den Vertreter treffende besondere Behauptungs- und Beweispflicht einerseits nicht überspannt und andererseits nicht so aufgefasst werden darf, dass die Behörde jeder Ermittlungspflicht entbunden wäre, obliegt es dem (potentiell) Haftungspflichtigen, nicht nur ganz allgemeine, sondern einigermaßen konkrete, sachbezogene Behauptungen aufzustellen. Die bloße Behauptung, Abgabenverbindlichkeiten nicht schlechtergestellt zu haben, stellt ein derartiges Vorbringen nicht dar () und löst keine (weitere) Ermittlungspflicht der Behörde aus (vgl. auch mit Hinweis auf ; ; ). Im gegenständlichen Fall geht das Vorbringen des Berufungswerbers über die bloße Behauptung der Gleichbehandlung aller Gläubiger nicht hinaus, sodass von einer schuldhaften Pflichtverletzung im Sinne des § 9 BAO auszugehen war.

Dem Vertreter obliegt es auch, entsprechende Beweisvorsorgen - etwa durch das Erstellen und Aufbewahren von Ausdrucken - zu treffen (vgl. ). Es ist dem Vertreter, der fällige Abgaben der Gesellschaft nicht (oder nicht zur Gänze) entrichten kann, schon im Hinblick auf seine mögliche Inanspruchnahme als Haftungspflichtiger zumutbar, sich - spätestens dann, wenn im Zeitpunkt der Beendigung der Vertretungstätigkeit fällige Abgabenschulden unberichtigt aushaften - jene Informationen zu sichern, die ihm im Fall der Inanspruchnahme als Haftungspflichtiger die Erfüllung der Darlegungspflicht im oben beschriebenen Sinn ermöglichen ( mit Hinweis auf ).

Hinsichtlich der haftungsgegenständlichen Lohnsteuern verwies das Finanzamt zutreffend darauf, dass diese Abgabe vom Gleichbehandlungsgebot ausgenommen ist. Reichen die einem Vertreter zur Verfügung stehenden Mittel nicht auch für die Entrichtung der auf die ausbezahlten Löhne entfallende Lohnsteuer aus, darf der Geschäftsführer gemäß § 78 Abs. 3 EStG nur einen entsprechend niedrigeren Betrag zur Auszahlung bringen, sodass die davon einbehaltene Lohnsteuer auch abgeführt werden kann. Wird dagegen die auf ausbezahlte Löhne entfallende Lohnsteuer nicht einbehalten und an das Finanzamt abgeführt, ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes - ungeachtet der wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Primärschuldnerin - von einer schuldhaften Pflichtverletzung des Geschäftsführers auszugehen. Die Verpflichtung eines Vertreters nach § 80 BAO geht hinsichtlich der Lohnsteuer über das Gebot der gleichmäßigen Behandlung aller Schulden (bzw. aller Gläubiger) hinaus (z.B. ).

Im Insolvenzverfahren hatte der Masseverwalter vor Konkurseröffnung von der Gesellschaft an das Finanzamt geleistete Zahlungen im Umfang von 44.253,76 € gemäß § 30 Abs. 1 Z 3 und § 31 KO angefochten. Im Zuge einer vergleichsweisen Bereinigung dieser Anfechtungsansprüche zahlte das Finanzamt einen Betrag von 16.500 € an die Konkursmasse. Dadurch lebten zuvor bereits getilgt gewesene Abgabenforderungen wieder auf. Dies betraf zum Teil Abgaben, die in weiterer Folge in den angefochtenen Haftungsbescheid aufgenommen wurden, und zwar die Umsatzsteuer 08/2003 mit einem Betrag von 3.453,62 €, die Lohnsteuer 09/2003 mit 839,23 € und die Lohnsteuer 10/2003 mit 3.596,73 €. Hinsichtlich dieser Abgabenforderungen erfolgte die Haftungsinanspruchnahme des Berufungswerbers nicht zu Recht. Leben bereits getilgte Abgabenschuldigkeiten infolge Anfechtung einer Zahlung durch den Masseverwalter und Rückzahlung des Betrages an die Konkursmasse wieder auf, so kann die Nichtentrichtung der ursprünglich getilgten Abgabe dem Geschäftsführer nicht als schuldhafte Pflichtverletzung zum Vorwurf gemacht werden ( mit Hinweis auf und ).

Insgesamt verbleiben daher Abgaben in Höhe von 28.146,13 € (40.089,31 € abzüglich des oben erwähnten Betrages von 4.053,60 € um den die Umsatzsteuer 10/2002 vermindert wurde, sowie abzüglich der soeben dargestellten und aufgrund der Anfechtung durch den Masseverwalter wiederaufgelebten Abgaben), hinsichtlich derer die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen des § 9 BAO gegeben sind, da im Falle des Vorliegens der oben aufgezeigten schuldhaften Pflichtverletzungen nach der ständigen Rechtsprechung auch eine Vermutung für die Verursachung der Uneinbringlichkeit der Abgaben durch die Pflichtverletzung spricht (Ritz, BAO³, § 9 Tz 24 mit Judikaturnachweisen).

Die Geltendmachung der Haftung im Sinne des § 9 BAO liegt jedoch im Ermessen der Abgabenbehörde, das sich innerhalb der vom Gesetz aufgezeigten Grenzen (§ 20 BAO) zu halten hat. Innerhalb dieser Grenzen sind Ermessensentscheidungen nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen. Dem Gesetzesbegriff "Billigkeit" ist dabei die Bedeutung "berechtigte Interessen der Partei", dem Gesetzesbegriff "Zweckmäßigkeit" die Bedeutung "öffentliches Anliegen an der Einbringung der Abgaben mit allen gesetzlich vorgesehenen Mitteln und Möglichkeiten" beizumessen. Im Erkenntnis eines verstärkten Senates () hat der Verwaltungsgerichtshof ausgeführt, dass die Zulässigkeit der Erlassung eines Haftungsbescheides verjährungsrechtlich im Lichte der Bestimmung des § 238 Abs. 1 BAO ausschließlich daran zu messen sei, ob diese Einhebungsmaßnahme innerhalb der in § 238 Abs. 1 BAO geregelten, allenfalls durch - gegen wen immer "gerichtete" - Amtshandlungen im Sinne des § 238 Abs. 2 BAO unterbrochenen Einhebungsfrist gesetzt worden ist. Gleichzeitig hat der Verwaltungsgerichtshof aber betont, dass es umso wichtigere Obliegenheit der behördlichen Ermessensübung bleibe, den jeweiligen Umständen des Einzelfalles in der gebotenen Weise Rechnung zu tragen und aus dieser Beurteilung der Rechtslage, zumal auch hinsichtlich des Elementes der Zumutbarkeit der Heranziehung eines Haftungspflichtigen angesichts lange verstrichener Zeit, resultierende Unbilligkeiten hintanzuhalten (in diesem Sinne auch ).

Im gegenständlichen Fall erfolgte die Konkursaufhebung im Insolvenzverfahren der Primärschuldnerin im Jahr 2004, die Heranziehung des Berufungswerbers zur Haftung jedoch erst im Jahr 2009. Die späte Geltendmachung der Geschäftsführerhaftung versuchte das Finanzamt damit zu begründen, dass die Pension des Berufungswerbers bisher zur Abdeckung eines Rückstandes am persönlichen Abgabenkonto gepfändet gewesen sei, diese Abgabenschulden jedoch in absehbarer Zeit getilgt sein würden, weshalb "nunmehr" die Geltendmachung der Haftung angebracht erscheine. Mit diesem Argument kann jedoch die außergewöhnlich späte Heranziehung des Berufungswerbers zur Haftung nicht gerechtfertigt werden. Der Verwaltungsgerichtshof hat in zahlreichen Entscheidungen betont, dass die Haftung keineswegs nur bis zur Höhe der aktuellen Einkünfte bzw. des aktuellen Vermögens des Haftungspflichtigen geltend gemacht werden dürfe (; ). Die Geltendmachung der Haftung könne auch dann zweckmäßig sein, wenn die Haftungsschuld im Zeitpunkt der Geltendmachung uneinbringlich sei, da dies nicht ausschließe, dass künftig neu hervorgekommenes Vermögen oder künftig erzielte Einkünfte zur Einbringlichkeit führen könnten (; ). Die wirtschaftliche Lage des Haftungspflichtigen, dessen Vermögenslosigkeit oder das Fehlen von Einkünften stünde für sich allein noch in keinem erkennbaren Zusammenhang mit der Geltendmachung der Haftung (; ). Angesichts dieser Rechtslage kann aber die späte Geltendmachung der Haftung gerade nicht damit gerechtfertigt werden, dass die Haftungsschuld früher beim Haftungspflichtigen nicht eingebracht werden hätte können. Um die vom Verwaltungsgerichthof aufgezeigten Unbilligkeiten angesichts lange verstrichener Zeit hintanzuhalten, ist eine Haftungsinanspruchnahme geboten, die zeitnah zum Feststehen der Uneinbringlichkeit der Abgaben bei der Primärschuldnerin erfolgt. Im Falle des Konkurses der Gesellschaft steht die Uneinbringlichkeit regelmäßig nach Verteilung des Massevermögens und erfolgter Konkursaufhebung fest, sodass die Entscheidung über die Geltendmachung der Haftung in einem angemessenen Zeitraum nach diesem Zeitpunkt erfolgen muss. Die Angemessenheit hängt dabei von den Umständen des Einzelfalles ab. Wird beispielsweise vom Finanzamt ein umfangreiches Ermittlungsverfahren zur Frage der haftungsrechtlichen Verantwortlichkeit des potenziell Haftungspflichtigen durchgeführt, rechtfertigt dies selbstverständlich eine dadurch bedingte spätere Geltendmachung der Haftung. Im gegenständlichen Fall erging jedoch (erst im Jahr 2007) nur der "Standardvorhalt" für Geschäftsführerhaftungen. Denkbar ist auch, dass eine Haftungsinanspruchnahme zunächst deswegen nicht möglich ist, weil sich der potenziell Haftungspflichtige seiner Verantwortung zu entziehen versucht und sein tatsächlicher Aufenthalt erst nach längerer Zeit festgestellt werden kann. Eine späte Haftungsinanspuchnahme kommt auch dann in Betracht, wenn die Einhebung der Abgaben aufgrund einer Berufung der Primärschuldnerin über einen langen Zeitraum gemäß § 212a BAO ausgesetzt war (vgl. -I/02). Derartige Gründe lagen im gegenständlichen Fall jedoch nicht vor. Die aufgezeigte Unbilligkeit der Geltendmachung der Haftung angesichts der bereits lange verstrichenen Zeit überwog daher die vom Finanzamt in Treffen geführte Zweckmäßigkeitserwägung, wonach die Geltendmachung der Haftung eine geeignete Maßnahme sei um den Abgabenausfall zu verhindern.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Linz, am

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