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OGH vom 20.01.1988, 1Ob50/87

OGH vom 20.01.1988, 1Ob50/87

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schragel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert, Dr. Hofmann, Dr. Schlosser und Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ingrid G***, Sekretärin, Leitzersdorf-Wiesen, Korneuburger Straße 3, vertreten durch Dr. Anton Pokorny, Dr. Franz Withoff und Dr. Stefan Petrofsky, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Firma Dannhäuser & CO., Gesellschaft mbH, Wien 6., Gumpendorferstraße 14, vertreten durch Dr. Gerald Meyer, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 983.640,-- samt Anhang infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom , GZ 14 R 140/86-82, womit infolge Berufungen der klagenden und der beklagten Parteien das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom , GZ 54 Cg 165/84-73, teils bestätigt und teils abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt und beschlossen:

Spruch

Der Revision wird teilweise Folge gegeben. Das angefochtene Urteil wird im Umfang des Zuspruches des Betrages von S 169.000,-- samt Anhang sowie im Kostenpunkt beider Instanzen aufgehoben und die Rechtssache in diesem Umfang zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Im übrigen wird das angefochtene Urteil als Teilurteil bestätigt. Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Kosten des Berufungsverfahrens.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war Mieterin einer im Hause Wien 17.,

Alszeile 120/1/4, gelegenen Zweizimmerwohnung. Auf Grund des rechtskräftigen Versäumungsurteiles des Bezirksgerichtes Hernals vom , 5 C 11/78-2, wurde der Vermieterin, der Gemeinnützigen Siedlungs- und Baugesellschaft mbH Gesiba, mit Beschluß des Bezirksgerichtes Hernals vom , 5 C 11/78-4, die zwangsweise Räumung der Wohnung der Klägerin bewilligt. Die Räumung wurde am 15. Juni und vollzogen. Die Fahrnisse der Klägerin wurden von der beklagten Partei auf Kosten der betreibenden Partei im Auftrag des Vollstreckers in Verwahrung genommen und weggeschafft. Die beklagte Partei wurde als Lagerhalter bestellt. Laut Verzeichnis der beklagten Partei nahm sie neben einer Reihe von Einzelgegenständen unter anderem 34 Kartons in Verwahrung. Die Klägerin begehrt zuletzt den Zuspruch des Betrages von S 983.640,-- samt 4 % Zinsen seit . Nach ihrer Rückkehr habe sie am nur 28 Kartons von der beklagten Partei zurückerhalten. In den restlichen sechs Kartons hätten sich die in Beilage C und D angeführten Antiquitäten, Schmuckstücke und ähnlich wertvolle Gegenstände im Wiederbeschaffungswert von S 983.640,-- befunden. Die beklagte Partei hafte für den der Klägerin erlittenen Schaden als gerichtlich bestellte Verwahrerin.

Die beklagte Partei wendete ein, im gesamten Lagergut hätten sich keine wertvollen Gegenstände befunden. Der Wert der ihr übergebenen Gegenstände sei vom Gerichtsbeamten mit S 13.000,-- angegeben worden. Die Übergabe der Gegenstände durch den Vollstrecker sei nicht gemäß den bestehenden Vorschriften erfolgt. Hätte die beklagte Partei gewußt, es handle sich um wertvolle Gegenstände, hätte sie diese in Einzelkabinen bzw. Einzelräumen aufbewahrt und ihre Betriebsversicherung aufgestockt. Das Erstgericht sprach der Klägerin den Betrag von S 573.835 samt Anhang zu, das Mehrbegehren von S 409.805,-- samt Anhang wies es ab. Es stellte fest, daß sechs der 34 Kartons, in denen sich Sachen der Klägerin befunden hätten, im Zeitraum zwischen der Übernahme durch Arbeitnehmer der beklagten Partei und der Ausfolgung an die Klägerin abhanden gekommen seien. Die beklagte Partei habe nicht bewiesen, daß sie bzw. ihre Arbeitnehmer an dem Verschwinden der Kartons kein Verschulden treffe. In diesen Kartons hätten sich Schmuckstücke der Klägerin mit einem Verkaufswert von S 283.595,-- und einem Wiederbeschaffungswert (wie sich aus dem Sachverständigengutachten ergibt zum ) von S 524.240,-- sowie Kunstgegenstände und wertvolles Geschirr mit einem Verkehrswert 1978 von S 290.240,-- und einem Wiederbeschaffungswert 1985 von S 459.400,-- befunden. Rechtlich ging das Erstgericht davon aus, daß zwischen der im Rahmen einer Räumungsexekution delogierten Partei und dem mit der Räumung betrauten Speditionsunternehmen ein Verwahrvertrag iS des § 968 ABGB fingiert werde, der die dispositiven Bestimmungen des Gesetzes zum Inhalt habe. Die beklagte Partei habe gemäß § 1298 ABGB für den Schaden der Klägerin einzustehen. Da aber ein schweres Verschulden der beklagten Partei nicht nachgewiesen worden sei, erstrecke sich ihre Schadenersatzpflicht nur auf den Verkehrswert der Gegenstände.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei nicht, der der Klägerin aber Folge. Es änderte das Urteil des Erstgerichtes dahin ab, daß es dem gesamten Klagebegehren stattgab. Es übernahm die auf Grund eines mängelfreien Verfahrens getroffenen Feststellungen des Erstgerichtes. Der beklagten Partei sei der Beweis mißlungen, daß sie oder ihre Arbeitnehmer am Verschwinden der Gegenstände kein Verschulden treffe. Die beklagte Partei hafte der Klägerin persönlich und unmittelbar für den durch die Vernachlässigung der pflichtgemäßen Obsorge verursachten Schaden. Ein allfälliges Verschulden des Vollstreckers könne ihre Haftung nicht aufheben. Da mit der Delogierung die Räumungsexekution beendet sei und die nach einem abgeschlossenen Exekutionsverfahren durchgeführte Verwahrung allein dem Verpflichteten diene, könne ein allfälliges rechtswidriges Verhalten des Vollstreckers die beklagte Partei nicht ihrer Verpflichtung entbinden, für die ordnungsgemäße Verwahrung der ihr übergebenen Gegenstände zu sorgen. Die beklagte Partei hab der klagenden Partei aber nicht bloß den Verkehrswert, sondern den Wiederbeschaffungswert der abhanden gekommenen Gegenstände zu ersetzen. Die Klägerin solle mit dem ihr zugesprochenen Betrag in die Lage versetzt werden, sich die aus Verschulden der beklagten Partei verloren gegangenen Sachen wieder zu verschaffen. Als Schadenersatz sei daher der Klägerin der Einkaufswert der in Verlust geratenen Gegenstände zuzuerkennen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der beklagten Partei ist teilweise berechtigt. Der Revision ist nicht darin zu folgen, daß die beklagte Partei nur betragsbeschränkt hafte. Die von ihr angeführte Entscheidung EvBl 1980/110, in der eine aus dem Vertrag abzuleitende Haftungsbeschränkung angenommen wurde, betraf einen Fall, in dem in einem abgelegten Kleidungsgegenstand solche Wertgegenstände zurückgelassen wurden, mit denen der Verwahrer nach aller Erfahrung nicht zu rechnen brauchte (wertvolle Brieftasche in einem bei einer Garderobe abgegebenen Kleidungsstück). Handelt es sich aber um den Ersatz für das Abhandenkommen des ausdrücklich in Verwahrung gegebenen Gegenstandes, tritt eine Haftungsbeschränkung selbst dann nicht ein, wenn der Verwahrer nicht auf den höheren Wert des Gegenstandes hingewiesen wurde (EvBl 1977/264; SZ 37/151; 5 Ob 79/73; Schubert in Rummel, ABGB, Rz 4 zu § 964). Wie schon in dem in dieser Rechtssache ergangenen Beschluß des Obersten Gerichtshofes vom , 1 Ob 9/84 = SZ 57/83, ausgeführt wurde, wird zwischen dem Sequester und dem Verpflichteten der Abschluß eines Verwahrungsvertrages nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechtes kraft Gesetzes fingiert. Die Einlagerungsbedingungen für den Möbeltransport, auf die sich die beklagte Partei erstmals in ihrer Revision beruft, wurden daher nicht Vertragsinhalt. Das Vollstreckungsorgan, das gemäß § 349 Abs 2 EO die wegzuschaffenden beweglichen Sachen anderweitig in Verwahrung bringt, ist auch weder Vertreter noch Bote des Verpflichteten. Ein Fehler des Vollstreckungsorganges bei Bewertung der in Verwahrung genommenen Gegenstände kann nicht zu Lasten der Klägerin gehen und daher auch den nach § 964 ABGB zu leistenden Schadenersatzbetrag nicht mindern. Inwieweit ein Amtshaftungsanspruch der beklagten Partei gegen die Republik Österreich besteht, ist in diesem Verfahren nicht zu beurteilen.

Teilweise als berechtigt erweist sich die Revision aber insoweit, als sie darauf hinweist, daß das Berufungsgericht teilweise unrichtig den Wiederbeschaffungswert für das Jahr 1985 (zuzüglich der Zinsen ab dem Tag der Schädigung) zuerkannte. Nach § 1332 ABGB wird der Schaden, der aus einem minderen Grad des Versehens oder der Nachlässigkeit verursacht worden ist, nach gemeinen Wert, den die Sache zur Zeit der Schädigung hatte, ersetzt. Da der Geschädigte mit dem ihm zugesprochenen Betrag in die Lage versetzt werden soll, sich die aus Verschulden des Schädigers verloren gegangenen Sachen wieder zu verschaffen, ist der Einkaufswert (Wiederbeschaffungswert) maßgeblich (SZ 49/37;

SZ 48/89; SZ 35/165 ua; 1 Ob 627/83; Koziol, Österreichisches Haftpflichtrecht2 I 194; Reischauer in Rummel, ABGB, Rz 8 zu § 1332;

Ehrenzweig-Mayrhofer, Schuldrecht Allgemeiner Teil3 316). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Ausmittlung des Schadenersatzbetrages ist aber nicht, wie die Klägerin meint, der Schluß der Verhandlung erster Instanz, sondern, wie sich aus § 1332 ABGB eindeutig ergibt, der Zeitpunkt der Schädigung. Der Geschädigte hat mit diesem Zeitpunkt den Schadenersatzbetrag zu erhalten. Dieser Schadenersatzbetrag tritt im Zeitpunkt der Schädigung an die Stelle des verloren gegangenen Gutes. Änderungen des konkreten Marktpreises (Einkaufspreises), in welcher Richtung auch immer, sind daher unbeachtlich (SZ 52/188; SZ 49/37; SZ 48/89; EvBl 1975/103;

SZ 44/20; Koziol aaO 200; Harrer in Schwimann, ABGB, Rz 6 zu § 1332;

Ehrenzweig-Mayrhofer aaO 320). Ob und in welchem Umfang im vorliegenden Fall die allgemeine Geldwertänderung zu berücksichtigen wäre (JB 15 neu = SZ 6/226; Koziol aaO 200 f; Reischauer aaO Rz 5;

Ehrenzweig-Mayrhofer aaO), ist hier nicht zu beurteilen, weil die Klägerin eine Aufwertung des Schadenersatzbetrages aus diesem Grund nicht geltend machte.

Das Berufungsgericht legte für die abhanden gekommenen Schmuckstücke den Wiederbeschaffungswert im Zeitpunkt der Schädigung, für die Kunstgegenstände und das Geschirr aber den des Jahres 1985 zu grunde. Da es aber auch für diese Gegenstände auf den zu ermittelnden Wiederbeschaffungswert des Jahres 1978 ankommt, leidet das Berufungsgericht in diesem Umfang an einem Feststellungsmangel. Was den Zuspruch eines höheren Betrages als den des Verkehrswertes für die Kunstgegenstände und das Geschirr betrifft (d.i. die Differenz zwischen Wiederbeschaffungswert 1985 und Verkehrswert 1978 in der Höhe von S 169.160,-- samt Anhang) und im Kostenpunkt ist sein Urteil daher aufzuheben. Da voraussichtlich nur die Ergänzung des eingeholten Sachverständigengutachtens notwendig sein wird, ist die Rechtssache an das Berufungsgericht selbst zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 510 Abs 1 in Verbindung mit 496 Abs 3 ZPO). Im übrigen ist das Urteil des Berufungsgerichtes als Teilurteil zu bestätigen.

Die Kostenentscheidungen gründen sich auf §§ 392 Abs 2, 52 Abs 2 ZPO bzw. 50, 52 ZPO.