OGH vom 28.01.2021, 1Ob5/21y
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Minderjährigen 1. L***** K*****, geboren ***** 2003, und 2. C***** K*****, geboren ***** 2007, wegen Obsorge, über die außerordentlichen Revisionsrekurse des Vaters Mag. I***** K*****, vertreten durch die Gibel Zirm Rechtsanwälte GmbH & Co KG, Wien, und der Mutter N***** K*****, vertreten durch Mag. Huberta Gheneff, Rechtsanwältin in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 43 R 511/20w-207, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Döbling vom , GZ 2 Ps 148/12y-189, mit einer Maßgabe bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentlichen Revisionsrekurse werden mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
[1] 1. § 107a Abs 2 AußStrG sieht ein mit drei Monaten befristetes Antragsrecht für den Fall vor, dass eine die Obsorge betreffende Maßnahme des Kinder- und Jugendhilfeträgers bereits beendet wurde. In diesem Fall hat das Gericht auf Antrag des Kindes oder der Person, in deren Obsorge eingegriffen wurde, auszusprechen, ob die Maßnahme unzulässig war. Da das Gesetz nicht unterscheidet, aus welchem Grund es zur Beendigung der Maßnahme gekommen ist, erfasst das Antragsrecht nach § 107a Abs 2 AußStrG sowohl Fälle, in denen das Gericht die Unzulässigkeit der Maßnahme nach § 107a Abs 1 AußStrG ausgesprochen hat, als auch die Fälle der sonstigen Beendigung der Maßnahme durch den Kinder- und Jugendhilfeträger (3 Ob 135/16y mwN).
[2] 2. Das Antragsrecht ist mit drei Monaten ab Beendigung der Maßnahme befristet. Die Frage, ob bei Beendigung der Maßnahme durch den Kinder und Jugendhilfeträger selbst für den Fristbeginn auf den Zeitpunkt abzustellen ist, zu dem die antragslegitimierte Partei von der Beendigung der Maßnahme (nachweislich) Kenntnis erlangt hat (so Höllwerth, Die neue Prüfung der Interimskompetenz des Kinder und Jugendhilfeträgers, ÖJZ 2015/52, 389 [392]; ders in Deixler-Hübner, Handbuch Familienrecht2 [2020] 723) oder es nur auf die faktische Beendigung ankommt (idS wohl Einberger in Schneider/Verweijen, AußStrG § 107a Rz 16 iVm Rz 7), braucht nicht beantwortet zu werden. Unabhängig davon, welcher Fristbeginn maßgeblich ist, ist die Auffassung des Rekursgerichts, die Frist sei im Zeitpunkt der Antragstellung am bereits abgelaufen gewesenn, nicht korrekturbedürftig.
[3] 2.1. Der Kinder und Jugendhilfeträger beendete die im Rahmen seiner Interimskompetenz gegenüber dem älteren Sohn gesetzte Obsorgemaßnahme am . Die Beurteilung des Rekursgerichts, dass die dreimonatige Antragsfrist des § 107a Abs 2 AußStrG betreffend diese Maßnahme, selbst wenn die Eltern erst durch die Zustellung des Beschlusses des Erstgerichts vom , mit dem es die Erklärung des Kinder und Jugendhilfeträgers, die gemäß § 211 Abs 1 ABGB gesetzte Obsorgemaßnahme beendet zu haben, zur Kenntnis nahm, von der Beendigung Kenntnis erlangt haben sollten, jedenfalls nicht gewahrt wurde, wird in den Rechtsmitteln nicht bekämpft.
[4] 2.2. Am entzog sich der jüngere Sohn der Obhut der Mitarbeiterinnen des Kinder und Jugendhilfeträgers und war zunächst unbekannten Aufenthalts. Er hielt sich mit Kenntnis der Eltern bei seiner Tante in Ungarn auf. Mit Bescheid eines ungarischen Kreisamts vom wurde über Antrag beider Elternteile der Tante „die Vormundschaft über eine Familienaufnahme“ dieses Kindes übertragen und festgestellt, dass das Sorgerecht der Eltern für die Dauer der Familienaufnahme ruht.
[5] Die Beurteilung des Rekursgerichts, dass die im Rahmen der Interimskompetenz des Kinder- und Jugendhilfeträgers nach § 211 ABGB gesetzte Maßnahme bereits durch die durch die ungarische Pflegschaftsbehörde ausgesprochene Übertragung des Sorgerechts außer Kraft gesetzt und damit beendet worden war, worüber die Eltern in Kenntnis waren, und dadurch die dreimonatige Frist für die Eltern ausgelöst wurde, ist nicht zu beanstanden. Die Eltern bekämpfen nicht die Rechtsansicht des Rekursgerichts, dass nach § 211 Abs 1 letzter Satz ABGB der Kinder- und Jugendhilfeträger aufgrund der von ihm getroffenen Maßnahmen nur vorläufig mit der Pflege und Erziehung – daher nur bis zur Beendigung der Maßnahme (durch die Entscheidung der ungarischen Pflegschaftsbehörde) – betraut war. Sie bestreiten auch nicht, dass ihnen die Entscheidung des ungarischen Kreisamts vom Jänner 2019 bekannt war und diese rechtskräftig ist. Wurde aber rechtswirksam der Tante „die Vormundschaft über eine Familienaufnahme“ des jüngeren Sohnes übertragen, wovon die Eltern Kenntnis hatten, wurde jedenfalls damit die vom Jugendhilfeträger gemäß § 211 Abs 1 ABGB zunächst gesetzte Maßnahme beendet. Warum es für den Fristbeginn auf die zeitlich spätere Kenntnis der Eltern von der Zurückziehung des Antrags des Kinder- und Jugendhilfeträgers auf Übertragung der Obsorge ankommen sollte, ist nicht erkennbar.
[6] 3. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 71 Abs 3 AußStrG).
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2021:0010OB00005.21Y.0128.000 |
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