Keine sachliche Unbilligkeit der Einhebung von zurückgeforderten Vorsteuern, die ein Scheinunternehmer in Rechnung gestellt hatte.
Entscheidungstext
Berufungsentscheidung
Der unabhängige
Finanzsenat hat über die Berufung der VH, vertreten durch KPMG
Alpen-Treuhand GmbH, Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft,
4020 Linz, Kudlichstraße 41-43, vom gegen den
Bescheid des Finanzamtes Linz vom betreffend Nachsicht
gemäß
§ 236 BAO entschieden:
Die Berufung
wird als unbegründet abgewiesen.
Entscheidungsgründe
Im Zuge einer Betriebsprüfung wurden Vorsteuern,
welche die VFS aus Rechnungen der AP über Schweinelieferungen geltend
gemacht hatte, nicht anerkannt (die VFS war Organtochter der AFH, deren
Rechtsnachfolgerin die Berufungswerberin ist). Nach den Feststellungen des
Prüfers war die AP eine Briefkastenfirma, die ihren Sitz am Amtssitz des
vertragserrichtenden Notars hatte, nie über eigene
Geschäftsräumlichkeiten verfügte, lediglich ein Postfach
angemietet hatte, und weder über Telefon noch Faxanschluss
verfügte.
Gegen die im Anschluss an die Prüfung ergangenen
Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 1996 und 1997 wurde mit
Schriftsatz vom Berufung erhoben und in eventu die Nachsicht der
Umsatzsteuernachforderungen gemäß
§ 236 BAO beantragt. Es liege
eine sachliche Unbilligkeit vor. Sinn der Regelung über den Vorsteuerabzug
könne nicht sein, dass das Opfer eines Betruges den Schaden zu tragen habe,
der auf Grund des Vertrauens in jene amtlichen Nachweise, die zur Verfügung
gestanden wären (Steuernummer, UID-Nummer, Firmenbucheintragung),
entstanden sei. Es sei Aufgabe der Finanzverwaltung, ein System mit
Maßnahmen und Einrichtungen zu schaffen, bei dem
Umsatzsteuerbetrugsfälle und unbillige Fälle der (gänzlichen)
Schadensabwälzung auf den gutgläubigen Leistungsempfänger
vermieden würden.
Die Berufung gegen die Umsatzsteuerbescheide wurde mit
Berufungsentscheidung vom , RV/1480-L/02, hinsichtlich der
streitgegenständlichen Vorsteuerbeträge abgewiesen. Auf die
umfangreichen Sachverhaltsfeststellungen in dieser Entscheidung wird zur
Vermeidung von Wiederholungen verwiesen. Gegen diese Berufungsentscheidung wurde
Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof erhoben.
In Ergänzung zum Nachsichtsansuchen führte die
Berufungswerberin in der Eingabe vom aus, dass sich für die VFS
die gegenständliche Geschäftsabwicklung als völlig normal
dargestellt habe und sie keinen Anlass dafür gehabt hätte, anzunehmen,
dass die von der AP (großteils) in Rechnung gestellte Umsatzsteuer von
dieser nicht abgeführt werde und die AP die tatsächlich erfolgten
Lieferungen auch ausgeführt habe. Der Geschäftskontakt zur AP sei
über einen der VFS bereits bekannten und als vertrauenswürdig
erachteten Vermittler (Herr P) hergestellt worden. Dieser habe - wie sonst
auch - belgische Schweine angeboten, deren Lieferung er durch ihm bekannte
Lieferanten vermittelt habe. Die VFS habe sich dabei wie auch in vielen
Geschäften vorher verhalten und wie es auch in der Branche üblich sei,
nämlich dass man sich auf die Markt- und Lieferantenkenntnisse eines
bewährten Vermittlers verlasse, da es letztlich die Aufgabe des Vermittlers
sei, Lieferanten auszusuchen, die den vermittelten Auftrag
ordnungsgemäß nach Qualität, Menge und Zeit erfüllten.
Diese Vorgangsweise sei vor allem in der Viehbranche beim Einkauf üblich.
Wer tatsächlich der Lieferant sei, wäre letztlich für den
Abnehmer nur von geringer Bedeutung, da die Schweine als
"Commodities" eindeutig klassifiziert werden könnten, es einen
Marktpreis gebe, und die Qualität ohnehin laufend beim Wareneingang
geprüft würde. Erst danach werde das endgültige Mengengerüst
(z.B. unter Berücksichtigung der tot gelieferten Schweine) festgelegt, und
erst danach erfolge die Zahlung. Der Umstand, dass auf den Frachtpapieren die E
als Absender aufschien, sei ebenfalls nicht ungewöhnlich gewesen, da
Reihengeschäfte in dieser Branche (Schweineproduzent, Groß- und
Zwischenhändler) nicht ungewöhnlich seien, es nicht im Einflussbereich
der VFS gelegen wäre, diese Lieferkette zu bestimmen, und es wegen der
problemlosen und im Wesentlichen mängelfreien Lieferungen keinen Anlass
gegeben habe, von dieser Vorgangsweise abzugehen. Dass der unmittelbare
Lieferant eine österreichische Gesellschaft gewesen sei, wäre
ebenfalls nicht ungewöhnlich erschienen, da für jeweils ein Land
zuständige und in diesem Land ansässige Vertriebsgesellschaften oft
als Mittel zur Steigerung der Marktchancen in diesem Land installiert
würden, wenn auch im speziellen Fall aufgrund der klaglosen Abwicklung die
Einbindung der Gesellschaft im Sinne einer Kontaktaufnahme nicht nötig
gewesen wäre. Es sei aber auch von der VFS als positiv gesehen worden, dass
der Zahlungsverkehr innerösterreichisch abgewickelt werden habe können
(zunächst durch die Überweisungen auf die österreichischen
Bankkonten der AP) und für den Fall der Fälle durch die rein
österreichische Geschäftsbeziehung der österreichische
Gerichtsstand und das anzuwendende österreichische Recht klar gewesen
wäre. Dass die VFS die im gewöhnlichen Geschäftsverkehr
übliche Sorgfalt angewandt habe, zeige auch, dass sie bei weitem nicht das
einzige Opfer in Österreich und europaweit gewesen sei. Die VFS sei aber in
Österreich die am stärksten betroffene Gesellschaft mit einem
Gesamtumsatzvolumen von rund 5,4 Mio. S (davon im Organschaftszeitraum rund 3,8
Mio. S) gewesen. Zu der im Nachhinein hypothetischen Frage, welche
Maßnahmen die VFS zur Überprüfung der tatsächlichen
Aktivitäten der AP in Österreich setzen hätte können, sei
anzumerken, dass eine reine Tradinggesellschaft keine besonderen Einrichtungen
mit Ausnahme eines Telefons benötige. Wäre eine Kontaktaufnahme mit
Vertretern der AP unbedingt erforderlich gewesen, wäre dieser "mit
höchster Wahrscheinlichkeit" zustande gekommen, da der
Geschäftsführer der AP ja bewiesenermaßen "immer wieder in
Österreich unterwegs" gewesen sei. Wie schwer es gewesen sei, den
tatsächlichen Verhältnissen auf den Grund zu gehen, habe auch das lang
andauernde finanzbehördliche Verfahren gezeigt, das 1995 durch Vergabe
einer Steuernummer und UID begonnen, und erst 2001 durch die Einvernahme der
involvierten Ausländer abgeschlossen werden habe können. Das Finanzamt
habe 1995 eine Steuernummer und UID erteilt, obwohl im Fragebogen keine Angaben
hinsichtlich Umsatzgewinn und Arbeitnehmeranzahl gemacht worden seien. Im
Oktober 1997 sei eine Umsatzsteuersonderprüfung begonnen worden, weil keine
Voranmeldungen abgegeben worden waren. Eine eigentliche Prüfung, welche
auch zu Ergebnisse geführt habe, sei erst 1999 erfolgt, in deren Verlauf
die noch immer gültige UID erst am zurückgezogen worden sei.
Mittlerweile seien - für die VFS zu spät - in
Österreich und in der EU Maßnahmen ergriffen worden, die nicht nur
der Sicherung des Steueraufkommens, sondern auch dem Schutz des redlichen
Geschäftspartners diesen sollen (Antrittsbesuch vor Vergabe der
Steuernummer, Einführung der UID auch für innerösterreichische
Lieferungen, Umsatzsteuersonderprüfungen, Rückziehung der UID bei
Wegfall der Voraussetzungen für ihre Erteilung). Schließlich
mögen bei den "Erwägungen über die Nachsicht auch die
zwischenzeitig aufgelaufenen Aussetzungszinsen berücksichtigt
werden.
Das Finanzamt wies das Nachsichtsansuchen mit Bescheid vom
im Wesentlichen mit der Begründung ab, dass im
gegenständlichen Verfahren die Richtigkeit der Abgabenfestsetzung nicht zu
erörtern sei. Entgegen dem Vorbringen im Ansuchen sei die im
Geschäftsverkehr übliche Sorgfalt nicht angewendet worden, weil
keinerlei Schritte zur Verifizierung einer tatsächlichen (wirtschaftlichen)
Tätigkeit der AP unternommen worden wären. Es habe weder eine
persönliche noch fernmündliche Kontaktaufnahme mit der AP gegeben.
Auskünfte über die wirtschaftliche Situation der AP (z.B. Anfrage an
den Kreditschutzverband von 1870, D & B bzw. den Alpenländischen
Kreditorenverband) seien nicht eingeholt worden. Wenn man sich auf den
Vermittler P verlassen habe, weil der tatsächliche Lieferant für den
Abnehmer nur von geringer Bedeutung sei, könne von der Einhaltung der
gebotenen Sorgfalt keine Rede sein. Insbesondere am Beginn der von P
vermittelten Schweinelieferungen, die über den Namen der AP fakturiert
wurden, hätte man sich Gewissheit darüber verschaffen müssen,
dass die AP tatsächlich Lieferer der Schweine gewesen ist. Der Gesetzgeber
stelle im Hinblick auf das Recht zum Vorsteuerabzug darauf ab, dass die
Unternehmereigenschaft des Leistenden objektiv nach den Kriterien des
§ 2 UStG gegeben sei. Auch müsse die Rechnung von demjenigen
ausgestellt sein, der die Lieferung ausgeführt habe. Einen Schutz des guten
Glaubens an die Unternehmereigenschaft kenne das UStG nicht. Im Übrigen sei
nur derjenige gutgläubig, den gar kein Verschulden an der Unkenntnis eines
bestimmten Umstandes treffe, d.h. bereits leichte Fahrlässigkeit
schließe die Gutgläubigkeit aus
(Koziol/Welser11,
230). Eine Rechnung, die den liefernden oder leistenden Unternehmer mit einer
Anschrift kennzeichne, unter welcher dieser Unternehmer zum Zeitpunkt der
Rechnungsausstellung nicht seinen Sitz habe, könne auch bei einem
Nichtwissen durch den Leistungsempfänger kein Vorsteuerabzugsrecht
begründen. Daran habe sich auch durch den Beitritt Österreichs zur
Europäischen Union nichts geändert ().
Daraus folge, dass im gegenständlichen Fall die Versagung des
Vorsteuerabzuges nur eine Auswirkung der allgemeinen Rechtslage sei, durch die
alle von dem betreffenden Gesetz erfassten Abgabepflichtigen in gleicher Weise
berührt würden. Ein atypischer Vermögenseingriff, der durch einen
offenbaren Widerspruch der Rechtsanwendung zu dem vom Gesetzgeber beabsichtigten
Ergebnis hervorgerufen worden sei und seine Ursache in einem
außergewöhnlichen Geschehensablauf habe, liege nicht vor. Der
Gesetzgeber des UStG habe sich dazu entschieden, den Vorsteuerabzug nur dann zu
gewähren, wenn die in § 12 UStG normierten Voraussetzungen
objektiv gegeben sind. Diese Entscheidung des Gesetzgebers könne nicht im
Nachsichtswege "korrigiert" werden. Es seien im vorliegenden Fall
überhaupt keine Schritte unternommen worden, sich davon zu überzeugen,
ob die AP wirtschaftlich (unternehmerisch) tätig sei. Es sei nicht einmal
versucht worden, mit der AP in Kontakt zu treten, obwohl schon alleine die
Gestaltung der "Rechnungen" als ungewöhnlich anzusehen sei. Auf
diesen sei nur ein Postfach angegeben. Eine Telefon- oder Faxnummer sowie eine
Firmenbuchnummer (§ 14 HGB) fänden sich hingegen nicht. Zum Einwand,
es sei Aufgabe der Finanzverwaltung, ein System mit Maßnahmen und
Einrichtungen einzurichten, bei dem Umsatzsteuerbetrugsfälle und unbillige
Fälle der (gänzlichen) Schadensabwälzung auf den
gutgläubigen Leistungsempfänger vermieden würden, wurde auf
Ruppe, UStG³, § 12 Tz 32 verwiesen, wonach der Schaden, der durch
unrichtige Angaben des Leistenden verursacht werde, nicht auf der
umsatzsteuerlichen Ebene durch Zulassung des Vorsteuerabzuges zu kompensieren
sei, sondern zivilrechtlich durch Ersatzansprüche gegen den
Leistenden.
Gegen diesen Bescheid wurde mit Schriftsatz vom
Berufung erhoben, und diese im Wesentlichen damit begründet, dass im
gegenständlichen Fall ein außergewöhnlicher Geschehensablauf
vorliege. Die Gesellschaft habe von verschiedenen Lieferanten Lebendschweine
gegen Bezahlung des vereinbarten Entgeltes erhalten. Hierfür sei eine den
Erfordernissen des § 11 UStG entsprechende Rechnung ausgestellt worden,
durch die ein Vorsteuerabzug in Höhe der zuvor bezahlten
Umsatzsteuerbeträge geltend gemacht werden haben können. Dass die
Finanzverwaltung nunmehr diesen Vorsteuerabzug mangels Unternehmereigenschaft
des Lieferanten als "zu Unrecht geltend gemacht" einstufe, sei als
außergewöhnlicher Geschehensablauf zu werten, da im Regelfall der
Vorsteuerabzug zustehe. Zumal auch tatsächlich Lieferungen erfolgt seien,
hätte die Berufungswerberin auch nicht damit rechnen müssen, dass ihr
der Vorsteuerabzug aufgrund mangelnder Unternehmereigenschaft des Lieferanten
versagt würde. Innerhalb der Unternehmerkette soll die Umsatzsteuer
kostenneutral sein. Dies sei im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Durch die
Nichtanerkennung des Vorsteuerbetrages und der damit im Zusammenhang stehenden
Erhöhung der Einkaufspreise stellten sich auch die in der Produktionsstufe
nachfolgenden Vorgänge als unrentabel heraus. Dass es sich um einen
außergewöhnlichen Geschehensablauf gehandelt habe, sei seit dem
Urteil des EuGH in den verbundenen Rechtssachen C-354/03, C-255/03 und C-484/03
(Optigen, Fulcrum Electronics und Bond House Systems) wohl unstrittig. Ein
Unternehmer müsse nicht damit rechnen, dass es sich bei seinem Lieferanten
um einen bloßen Scheinunternehmer handle und ihm deshalb der
Vorsteuerabzug gestrichen werde. Auch sei der außergewöhnliche
Geschehensablauf auf eine vom Steuerpflichtigen nicht beeinflussbare Weise
eingetreten. Bei den Lieferungen der Lebendschweine habe es sich um
steuerpflichtige Lieferungen gehandelt. Auf die Absicht des Lieferanten und/oder
den möglicherweise betrügerischen Zweck - den der Empfänger
der Leistung weder kannte noch kennen konnte - komme es nicht an. Die
Berufungswerberin habe keinen Einfluss auf die betrügerischen Absichten des
Lieferers gehabt. Sie sei in den betrügerischen Plan nicht involviert
gewesen. Dadurch sei auch das Kriterium der nicht zu erwartenden Abgabenschuld
erfüllt, da nach Auffassung des EuGH in Betrugsfällen dieser Art der
Vorsteuerabzug nicht eingeschränkt werden dürfe, insoweit der
Unternehmer von den Betrügereien nichts ahnen habe können. Durch die
nicht zu erwartende Abgabenschuld sei auch die Höhe unproportional zum
auslösenden Sachverhalt. Angesichts der Höhe der strittigen
Vorsteuerbeträge wäre mit der Nichtabzugsfähigkeit dieser
Steuerbeträge ein unproportionaler Eingriff in das Vermögen der
Berufungswerberin verbunden. Durch die von der Finanzverwaltung vorgenommene
Wertung, wonach der Vorsteuerabzug dann nicht zustehen soll, wenn der Lieferant
auf der Vorstufe die vereinnahmte Umsatzsteuer nicht gesetzeskonform an die
zuständige Finanzbehörde abgeführt habe, würden nicht alle
von dem betreffenden Gesetz erfassten Abgabepflichtigen in gleicher Weise
berührt, sondern nur jene bestraft, die Teil der Lieferkette seien, in
welcher sich ein Betrüger befinde. Es handle sich bei Fällen dieser
Art um Einzelfälle und nicht um Geschäftsvorfälle, die dem
Bereich des allgemeinen Unternehmerwagnisses zuzuordnen wären. Da die
Verweigerung des Vorsteuerabzuges als eine besonders harte Auswirkung der
Abgabenvorschriften anzusehen sei, die der nationale Gesetzgeber (aufgrund der
Vorgaben des Richtliniengebers) zu vermeiden habe, liege eine sachliche
Unbilligkeit vor. Auch stünde die Nichtberücksichtigung des
Vorsteuerabzuges in keinem wirtschaftlich vertretbaren Verhältnis zu jenen
Nachteilen, die sich dadurch für die Berufungswerberin ergeben würden.
Nach Auffassung des Finanzamtes habe die Berufungswerberin die im
gewöhnlichen Geschäftsverkehr übliche Sorgfalt nicht angewandt,
da sie keinerlei Schritte zur Verifizierung einer tatsächlichen
(wirtschaftlichen) Tätigkeit der AP unternommen habe. Eine derartige
Sorgfaltspflicht sei dem UStG, das im Sinne der gemeinschaftsrechtlichen
Vorgaben durch die 6. MWSt-Richtlinie auszulegen sei, fremd. Auch ein
"Pseudounternehmer", der ausschließlich zum Zwecke des
Umsatzsteuerbetruges ins Leben gerufen werde, sei nach Auffassung des EuGH
Unternehmer im Sinne der 6. MWSt-Richtlinie und somit im Sinne des UStG.
Angesichts der Unmaßgeblichkeit des Zwecks der Tätigkeit stellten
vielmehr auch betrügerische unternehmerische Tätigkeiten
wirtschaftliche Tätigkeiten im Sinne der 6. MWSt-Richtlinie dar. Daran
vermöge auch die Auffassung der Finanzverwaltung, dass die AP eine
bloße Briefkastenfirma sei, nichts ändern. Trete eine Gesellschaft
nach außen hin auf und tätige sie planmäßig Umsätze
(was im gegenständlichen Fall jedenfalls durch die Rechnungsausstellung der
AP "im Sinne eines objektiv nach außen tretenden Anhaltspunktes
erkennbar werde"), so sei sie jedenfalls als Unternehmer anzusehen. Die
vom Richtliniengeber zur Definition der steuerbaren Umsätze verwendeten
Begriffe hätten objektiven Charakter und seien unabhängig von Zweck
und Ergebnis der betroffenen Umsätze anwendbar. Es komme daher nicht darauf
an, ob der Umsatz ausschließlich zur Erlangung eines Steuervorteils
getätigt worden sei. Der Leistungsempfänger, der Unternehmer sei,
dürfe auf die Unternehmereigenschaft des betrügerischen Unternehmers
somit auch vertrauen, sofern er vom betrügerischen Zweck keine Kenntnis
erlangt habe, was im gegenständlichen Fall jedenfalls ausgeschlossen werden
könne. Es komme für das Recht auf den Vorsteuerabzug darauf an, dass
die Unternehmereigenschaft des Leistenden objektiv nach den Kriterien des
§ 2 UStG gegeben sei. Der AP komme daher Unternehmereigenschaft zu.
Somit kenne das UStG - entgegen den Ausführungen des Finanzamtes
- einen Schutz des guten Glaubens an die Unternehmereigenschaft des
Leistenden. Möglicherweise würde der EuGH sogar so weit gehen, das
Recht auf Vorsteuerabzug lediglich im Falle der grob fahrlässigen
Unkenntnis zu versagen (vgl. hiezu den Sachverhaltspunkt: "Das Unternehmen
wusste vom Vorliegen des behaupteten Betruges nichts und handelte nicht grob
fahrlässig."). Der Verweis auf das Zivilrecht, wonach bereits leichte
Fahrlässigkeit die Gutgläubigkeit ausschließe, sei für das
Umsatzsteuerrecht "nicht brauchbar", da nach der ständigen
Rechtsprechung des EuGH zivilrechtliche Beurteilungen in den jeweiligen
Mitgliedsstaaten keinen Einfluss auf umsatzsteuerliche Bestimmungen hätten.
Die Begriffe des UStG seien als autonome gemeinschaftsrechtliche Begriffe
auszulegen. Auch dem Umstand, dass keine Auskünfte über die
wirtschaftliche Situation des Lieferanten eingeholt worden seien, könne
keine Bedeutung zukommen und sei praxisfremd. Eine Überprüfung erfolge
allenfalls bei größeren Abnehmern, nicht jedoch bei Lieferanten,
sofern nicht größere Anzahlungen für zukünftige Leistungen
geleistet würden. Anzahlungen seien im gegenständlichen Fall jedoch
nicht geleistet worden. Schließlich sei das vom Finanzamt ins Treffen
geführte Erkenntnis des , für die
Beurteilung des gegenständlichen Falles nicht einschlägig. Diesem
Erkenntnis sei ein Sachverhalt zu Grunde gelegen, bei dem der Vorsteuerabzug
begehrende Unternehmer gewusst habe, dass der leistende Unternehmer unter der
auf der Rechnung angegebenen Adresse keine gewerbliche Tätigkeit
ausgeübt habe. Dies sei der Berufungswerberin jedoch im
gegenständlichen Fall zu keinem Zeitpunkt bekannt gewesen. Die Versagung
des Vorsteuerabzuges stelle sich im vorliegenden Fall nicht als bloße
Auswirkung der allgemeinen Rechtslage dar, durch die alle vom betreffenden
Gesetz erfassten Abgabepflichtigen in gleicher Weise berührt würden,
sondern als sachlich unbillig.
Über
die Berufung wurde erwogen:
Gemäß
§ 236 Abs. 1 BAO können
fällige Abgabenschuldigkeiten auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder
zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach der
Lage des Falles unbillig wäre.
Die Unbilligkeit der Abgabeneinhebung nach der Lage des
Falles ist tatbestandsmäßige Voraussetzung für die im § 236
BAO vorgesehene Ermessensentscheidung. Verneint die Abgabenbehörde die
Unbilligkeit der Abgabeneinhebung, so ist für eine Ermessensentscheidung
kein Raum.
Die Unbilligkeit kann persönlich oder sachlich bedingt
sein. Eine sachliche Unbilligkeit (nur das Vorliegen einer solchen wurde von der
Berufungswerberin behauptet) ist anzunehmen, wenn im Einzelfall bei Anwendung
des Gesetzes aus anderen als aus persönlichen Gründen ein vom
Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis eintritt, sodass es zu einer
anormalen Belastungswirkung und, verglichen mit anderen Fällen, zu einem
atypischen Vermögenseingriff kommt. Der im atypischen
Vermögenseingriff gelegene offenbare Widerspruch der Rechtsanwendung zu den
vom Gesetzgeber beabsichtigten Ergebnissen muss seine Wurzel in einem
außergewöhnlichen Geschehensablauf haben, der auf eine vom
Steuerpflichtigen nicht beeinflussbare Weise eine nach dem gewöhnlichen
Lauf nicht zu erwartende Abgabenschuld ausgelöst hat, die zudem auch ihrer
Höhe nach unproportional zum auslösenden Sachverhalt ist (z.B. ).
Die sachliche Unbilligkeit muss eine Unbilligkeit der
Einhebung und nicht eine Unbilligkeit der Festsetzung sein (). Die Nachsicht dient auch nicht dazu, im Festsetzungsverfahren
unterlassene Einwendungen nachzuholen (). Ob daher
im gegenständlichen Fall die von der AP in Rechnung gestellten
Umsatzsteuern als Vorsteuern abziehbar waren, ist eine Frage des
Festsetzungsverfahrens. Diese Frage wurde vom UFS in der Entscheidung vom
aus den dort angeführten Gründen verneint. Es ist daher auch
im Nachsichtsverfahren davon auszugehen, dass die Nichtanerkennung der
Vorsteuern dem Gesetz entspricht. Das gegenständliche Verfahren kann nicht
dazu dienen, die Richtigkeit der Abgabenfestsetzung neuerlich zu prüfen.
Wenn auch die Abgabenfestsetzung dem Gesetz entspricht, so
kann doch auch die in der Sache gelegene Unbilligkeit zu einer Nachsicht
führen. Dies vor allem dann, um offenkundig ungewollten Auswirkungen der
allgemeinen gesetzlichen Tatbestände abzuhelfen. Es ist somit möglich,
dass die Einhebung der zutreffend festgesetzten Abgabe den Wertungen des
Gesetzgebers derart zuwiderläuft, dass die Einhebung der Abgabe im
Einzelfall unbillig erscheinen muss (Stoll, BAO, 2429).
Die Annahme einer sachlichen Unbilligkeit der Einhebung
setzt daher in derartigen Fällen gerade die Richtigkeit der
Abgabenfestsetzung voraus. Trotz richtiger Abgabenfestsetzung muss es zu einem
sachlich unbilligen Ergebnis kommen. Eine unrichtige Abgabenfestsetzung ist
dagegen im (ordentlichen und allenfalls auch außerordentlichen) Rechtsweg
zu bekämpfen und richtig zu stellen. Einer Abgabennachsicht bedarf es in
einem solchen Fall nicht.
Im gegenständlichen Fall ist daher die Frage zu
klären, ob die Einhebung der von der Berufungswerberin zu Unrecht geltend
gemachten und daher vom Finanzamt zurückgeforderten Vorsteuern sachlich
unbillig wäre. Die Berufungswerberin vertrat dazu zusammengefasst die
Ansicht, es könne nicht Sinn der Regelung über den Vorsteuerabzug
sein, dass das Opfer eines Betruges den Schaden zu tragen habe, ihre
Organtochter VFS die im gewöhnlichen Geschäftsverkehr übliche
Sorgfalt angewendet, und daher im guten Glauben die Vorsteuern geltend gemacht
habe.
Zu Recht wies bereits das Finanzamt darauf hin, dass das
UStG keinen Schutz des guten Glaubens an die Unternehmereigenschaft des
Leistenden kennt (Ruppe, UStG³, § 12 Tz 32 mwN). Gleiches
gilt etwa auch für den Fall, dass zwischen der tatsächlich gelieferten
und der in der Rechnung ausgewiesenen Ware keine Übereinstimmung besteht
(Ruppe, UStG³, § 11 Tz 68/1 mwN). Auch der Verwaltungsgerichtshof
vertritt in ständiger Rechtsprechung die Ansicht, dass es auf den
"guten Glauben" des Rechnungsempfängers an die
Unternehmereigenschaft des Rechnungsausstellers nicht ankomme (z.B. ; , 96/13/0202; , 97/15/0152; ,
94/13/0230; , 95/13/0030). Der Auffassung einer
Beschwerdeführerin, sie habe sich im guten Glauben darauf verlassen
dürfen, dass ein Unternehmen, welches Rechnungen ausstelle, an der
angegebenen Adresse etabliert sei, ohne dass dem Abgabepflichtigen eine
Oblegenheit dahingehend auferlegt werden dürfe, die Richtigkeit solcher
Angaben zu kontrollieren, hat der Verwaltungsgerichtshof zuletzt im Erkenntnis
vom , 2004/15/0069 neuerlich eine klare Absage erteilt.
Aber auch aus dem ,
C-355/03 und C-484/03 ist für die Berufungswerberin nichts zu gewinnen.
Nach dieser Entscheidung sind Umsätze,
die nicht selbst mit einem Mehrwertsteuerbetrug behaftet sind,
Lieferungen von Gegenständen, die ein Steuerpflichtiger als solcher
ausführt, und eine wirtschaftliche Tätigkeit iSd Art. 2 Nr. 1, 4 und 5
Abs. 1 der 6. MWSt-RL, wenn sie die objektiven Kriterien erfüllen, auf
denen diese Begriffe beruhen, ohne dass es auf die Absicht eines von dem
betroffenen Steuerpflichtigen verschiedenen, an derselben Lieferkette
beteiligten Händlers und/oder den möglicherweise betrügerischen
Zweck - den dieser Steuerpflichtiger
weder kannte noch kennen konnte - eines anderen Umsatzes ankommt,
der Teil dieser Kette ist und der dem Umsatz, den der betreffende
Steuerpflichtige getätigt hat, vorausgeht oder nachfolgt (Rn 51). Das Recht
eines Steuerpflichtigen, der solche Umsätze ausführt, auf
Vorsteuerabzug wird auch nicht dadurch berührt, dass in der Lieferkette, zu
der diese Umsätze gehören, ohne dass
dieser Steuerpflichtige hiervon Kenntnis hat oder haben kann, ein anderer
Umsatz, der dem vom Steuerpflichtigen getätigten Umsatz vorausgeht oder
nachfolgt, mit einem Mehrwertsteuerbetrug behaftet ist (Rn 52).
Abgesehen davon, dass es auch in diesem Zusammenhang wieder
um die im Nachsichtsverfahren nicht entscheidende Frage geht, ob der
Vorsteuerabzug in einem solchen Fall zusteht oder nicht, räumte die
Berufungswerberin selbst ein, dass der EuGH "möglicherweise" so
weit gehen würde, das Recht auf Vorsteuerabzug "lediglich" im
Falle der grob fahrlässigen Unkenntnis zu versagen. Diese Ansicht teilt
auch der unabhängige Finanzsenat. Ist daher dem Steuerpflichtigen grobe
Fahrlässigkeit vorzuwerfen, kann dieser die Vorsteuer nicht geltend
machen.
Die VFS hatte die Schweine über den Vermittler P
bestellt. Auf den Frachtbriefen schien die E auf, die Rechnungen wurden von der
AP ausgestellt. Die VFS hat Vorsteuern aus Rechnungen eines ihr bis dahin
unbekannten Unternehmers (AP) geltend gemacht, mit dem sie nach den
unwidersprochen gebliebenen Feststellungen des Finanzamtes weder jemals
persönlich noch fernmündlich Kontakt aufgenommen hat. Auf den
Rechnungen der AP befanden sich weder Telefon-, Fax- oder Firmenbuchnummer,
sondern nur eine Postfachnummer. Bei dieser Sachlage kann von einer Einhaltung
der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr üblichen Sorgfalt durch die
VFS keine Rede sein. Ein Unternehmer, der Vorsteuern aus Rechnungen eines ihm
unbekannten Unternehmers geltend macht, keinerlei Nachforschungen darüber
anstellt, um wen es sich beim Rechnungsaussteller handelt (Erhebungen über
dessen wirtschaftliche Situation sind dazu nicht erforderlich), und warum die
Rechnungen über die bestellten Waren gerade von diesem Unternehmer
ausgestellt wurden, handelt in höchstem Maße grob fahrlässig.
Wie der Verwaltungsgerichtshof wiederholt festgestellt hat, ist für den
Vorsteuerabzug eben nicht ausreichend, dass "irgendein Unternehmer"
eine Rechnung ausstellt.
Wenn sich ein Abgabenschuldner aber schon im
Festsetzungsverfahren nicht erfolgreich auf die behauptete Gutgläubigkeit
berufen kann, gilt dies in gleicher Weise für das
Nachsichtsverfahren.
Angemerkt sei noch, dass nach dem erwähnten
EuGH-Urteil nur Umsätze, die nicht selbst
mit einem Mehrwertsteuerbetrug behaftet sind, Lieferungen bzw. eine
wirtschaftliche Tätigkeit iSd 6. MWSt-RL sind, wenn sie die objektiven
Kriterien erfüllen, auf denen diese Begriffe beruhen. Es erscheint daher
zumindest zweifelhaft, ob in einer Lieferkette tatsächlich auch die
Lieferungen des Umsatzsteuerbetrügers als Lieferungen im Sinne der
6. MWSt-RL zu werten sind, oder nicht vielmehr nur die Lieferungen der
redlichen Unternehmer in der Lieferkette zum Vorsteuerabzug berechtigen sollen
- eben unabhängig davon, dass sich in der Lieferkette ein unredlicher
Unternehmer befindet. Die Berufungswerberin hat aber gerade die von der
Umsatzsteuerbetrügerin (AP) in Rechnung gestellten Umsatzsteuern als
Vorsteuern geltend gemacht.
Dem Einwand der Berufungswerberin, es könne nicht Sinn
der Regelung über den Vorsteuerabzug sein, dass das Opfer eines Betruges
den Schaden zu tragen habe, hielt bereits das Finanzamt zutreffend entgegen,
dass etwa der Schaden, der durch unrichtige Angaben des Leistenden verursacht
werde, nicht auf der umsatzsteuerlichen Ebene durch Zulassung des
Vorsteuerabzuges zu kompensieren sei, sondern zivilrechtlich durch
Ersatzansprüche gegen den Leistenden (Ruppe, UStG³, § 12 Tz 32).
Der Verwaltungsgerichtshof hat dazu darauf hingewiesen, dass das Risiko der
Ungreifbarkeit des "Leistungserbringers" der Leistungsempfänger
zu tragen habe. Für eine Überwälzung dieses Risikos auf die
Abgabenbehörde bestehe kein rechtlicher Grund (z.B. ). Auch im gegenständlichen Fall wäre es sachlich nicht
gerechtfertigt, den Schaden auf den Abgabengläubiger und damit auf die
Allgemeinheit zu überwälzen.
Im gegenständlichen Fall erscheint daher weder die
Festsetzung noch die Einhebung der gegenständlichen Umsatzsteuern sachlich
unbillig. Der unabhängige Finanzsenat teilt auch die Ansicht des
Finanzamtes, dass im gegenständlichen Fall lediglich eine Auswirkung der
allgemeinen Rechtslage vorliegt, die alle vom betreffenden Gesetz erfassten
Abgabepflichtigen in gleicher Weise trifft. In der Einhebung der Abgaben ist
auch weder eine besonders harte Auswirkung des Gesetzes noch ein atypischer
Vermögenseingriff zu erblicken, da gerade kein vom Gesetzgeber nicht
beabsichtigtes Ergebnis eintritt. Allein der Umstand, dass die Abgabenschuld
nicht erwartet worden sei und die geltend gemachten Vorsteuern
betragsmäßig sehr hoch gewesen wären, lässt die
Abgabenschuld noch nicht unproportional zum auslösenden Sachverhalt
erscheinen.
Da somit insgesamt gesehen die
tatbestandsmäßigen Voraussetzungen des § 236 BAO nicht
erfüllt waren, blieb für eine Ermessensentscheidung kein
Raum.
Es war daher spruchgemäß zu
entscheiden.
Linz, am
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Materie | Steuer Finanzstrafrecht Verfahrensrecht Zoll |
betroffene Normen | § 236 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 11 UStG 1994, Umsatzsteuergesetz 1994, BGBl. Nr. 663/1994 § 12 UStG 1994, Umsatzsteuergesetz 1994, BGBl. Nr. 663/1994 |
Schlagworte | sachliche Unbilligkeit Umsatzsteuerbetrug Vorsteuer Unternehmereigenschaft guter Glaube |
Verweise |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at