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OGH vom 27.02.2017, 1Ob3/17y

OGH vom 27.02.2017, 1Ob3/17y

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger und die Hofrätin Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. H***** T*****, vertreten durch Dr. Christian Leskoschek, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 11, Singerstraße 17–19, und die Nebenintervenientin auf Seiten der beklagten Partei Österreichische Post AG, Wien 3, Haidingergasse 1, vertreten durch die Koller & Schreiber Rechtsanwälte Partnerschaft, Wien, wegen 33.257,79 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 14 R 81/16h-26, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom , GZ 32 Cg 8/15d-20, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.700,40 EUR und der Nebenintervenientin auf Seiten der beklagten Partei die mit 2.040,48 EUR (darin enthalten 340,08 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Am gab die Klägerin der Nebenintervenientin, die Österreichische Post AG, mit einer sogenannten „Abwesenheitsmitteilung“ die Abwesenheit von ihrer Wohnadresse bekannt. In dieser Abwesenheitsmitteilung war im vorgedruckten Formular unter der Überschrift „Es sind zurückzusenden“ angekreuzt „RSa- und RSb-Briefe“. Einige Zeit danach erteilte der Sohn der Klägerin online bei der Nebenintervenientin einen „Nachsendeauftrag Urlaub Inland“ für 2. bis , wobei er die Wohnadresse der Klägerin als bisherige Anschrift und als Zieladresse die Anschrift des Urlaubsdomizils der Familie angab. Unter „Sendungsarten“ wurden „• Briefe, Info.Mail, Zeitungen, Geldbeträge und Kleinpakete • Pakete und EMS“ angeführt. Dieser Nachsendeauftrag wurde für die Klägerin, deren Tochter und den Sohn der Klägerin selbst erteilt.

Gegen die Klägerin wurde am zu AZ 55 Cg 31/12a des Erstgerichts eine Klage über 550.000 EUR eingebracht, die mit dem Auftrag zur Klagebeantwortung an die Anschrift des Nachsendeauftrags nachgesendet wurde. Der Zusteller beurkundete am Zustellnachweis, dass am eine Annahmeverweigerung durch „den Empfänger“ erfolgt sei und er das Dokument an der Abgabestelle zurückgelassen habe. In der Folge erging gegen die Klägerin ein Versäumungsurteil, das so wie das vorangegangene Verfahren einschließlich der Klagezustellung über ihre Berufung als nichtig aufgehoben wurde, weil sie ortsabwesend gewesen sei und ihr Ehemann im Ergebnis zu Recht die Annahme der Sendung verweigert habe. Die Kosten des für nichtig erklärten Verfahrens und des Berufungsverfahrens wurden gemäß § 51 Abs 2 ZPO gegeneinander aufgehoben.

Die Klägerin begehrt den Ersatz der Kosten des im Anlassverfahren durchgeführten Bescheinigungsverfahrens sowie ihrer erfolgreichen Nichtigkeitsberufung. Sie leitet ihren Amtshaftungsanspruch aus einem Fehlverhalten des Zustellers ab, der wegen ihrer Ortsabwesenheit nicht von einer unberechtigten Annahmeverweigerung ausgehen hätte dürfen. Weil ein auch in ihrem Namen erteilter Nachsendeauftrag wegen ihrer Abwesenheitsmitteilung von der Nebenintervenientin ungeprüft erst gar nicht angenommen werden hätte dürfen, habe diese auch ein Organisationsverschulden zu vertreten.

Das Berufungsgericht bestätigte die Abweisung der Klage durch das Erstgericht. Es ging – zusammengefasst – davon aus, dass die Abwesenheitsmitteilung und der nachfolgend auch für die Klägerin erteilte Nachsendeauftrag einander nicht ausschlössen und die Nebenintervenientin aufgrund des letzteren verpflichtet gewesen sei, eine Nachsendung von RSa- und RSb-Sendungen an die bekanntgegebene inländische Nachsendeadresse vorzunehmen. Ein Verschulden des Zustellers unmittelbar bei Durchführung des Zustellvorgangs verneinte es, weil der Ehemann der Klägerin lediglich angegeben habe, nicht verpflichtet zu sein, für diese RSa- oder RSb-Sendungen entgegenzunehmen, ohne jedoch auf deren Ortsabwesenheit hinzuweisen.

Die Revision sei zulässig, weil keine oberstgerichtliche Rechtsprechung zu Rechtswirkungen einer bei der Nebenintervenientin erstatteten Abwesenheits-mitteilung im Verhältnis zu einem späteren Nachsendeauftrag vorliege und „bei anderer rechtlicher Beurteilung dieser Frage sich auch die Beantwortung eines Organisationsverschuldens der Nebenintervenientin in diesem Zusammenhang anders darstellen“ könne.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.

1. Die Revisionswerberin spricht die vom Berufungsgericht als erheblich erachtete Rechtsfrage als Organisationsverschulden der Nebenintervenientin an, das sie insbesondere in der Ermöglichung eines nachfolgenden Nachsendeauftrags trotz bestehender Abwesenheitsmitteilung verwirklicht sieht. Dazu bemängelt sie die damals geltenden „AGB - Nachsendeauftrag“ der Nebenintervenientin, die es möglich gemacht hätten, dass Mitbewohner für sich und andere an der Anschrift wohnende Personen auch ohne Prüfung durch die Nebenintervenientin über deren Einbeziehung, Wissen und Willen einen Nachsendeauftrag erteilen konnten. Damit spricht sie aber – wie zu zeigen ist – keine für das Verfahren relevante Fragen von der Bedeutung gemäß § 502 Abs 2 ZPO an:

2. Wer mit der Zustellung betraut ist (Zusteller), handelt gemäß § 4 ZustG hinsichtlich der Wahrung der Gesetzmäßigkeit der Zustellung als Organ der Behörde, deren Dokument zugestellt werden soll. Da die Tätigkeit der Gerichte stets hoheitlich ist, hat dies auch für die Zustellung gerichtlicher Dokumente durch die „Post“, also die Nebenintervenientin zu gelten (RIS-Justiz RS0049762). Auch nach deren Privatisierung ist die Zustellung gemäß den Bestimmungen des ZustellG weiterhin der Hoheitsverwaltung zuzurechnen (Schragel, AHG³ Rz 53 und 113; Stumvoll in Fasching/Konecny³ II/2 § 4 ZustG Rz 9). § 4 ZustG stellt insoweit klar, als wessen Organ im Sinn des § 1 Abs 1 AHG der Zusteller tätig wird. Abs 2 des mit in Kraft getretenen § 17 Abs 2 Postmarktgesetz (PMG; BGBl I 2009/123) ergänzt dazu, dass der Bund, die Länder, die Gemeinden, sonstige Körperschaften des öffentlichen Rechts und die Träger der Sozialversicherung nach Maßgabe des Amtshaftungsgesetzes für den Schaden am Vermögen oder an der Person haften, den der Universaldienstbetreiber oder das beauftragte Zustellorgan in Vollziehung dieses Bundesgesetzes und des Zustellgesetzes durch ein rechtswidriges Verhalten, das sich unmittelbar aus dem Zustellvorgang ergibt, wem immer schuldhaft zugefügt hat. Diese Bestimmung geht auf § 7 Abs 3 Postgesetz 1997 idF BGBl I 2003/72 zurück. Durch die mit dieser Novelle aufgenommene Formulierung „unmittelbar aus dem Zustellvorgang“ sollten die Regelung über die Amtshaftung bei der Zustellung behördlicher und gerichtlicher Schriftstücke konkreter gefasst und typische Fälle, wie Verzögerungen bei der Zustellung, Zustellungen an einen falschen Empfänger umschrieben werden (130 BlgNR 22. GP 3). Amtshaftung erfasst damit regelmäßig nur Vorgänge, die in direktem Zusammenhang mit der Zustellung behördlicher und gerichtlicher Schriftstücke stehen (vgl Schragel aaO Rz 113).

3. Nach § 20 Abs 1 PMG hat der Universaldienstbetreiber Allgemeine Geschäftsbedingungen zu erlassen, in welchen die angebotenen Dienste zu regeln und die vorgesehenen Entgelte festzulegen sind. Diese AGB werden von der Nebenintervenientin autonom erlassen (Stumvoll aaO Vor § 1 ZustG Rz 4/1). Unter Allgemeinen

Geschäftsbedingungen (AGB) sind alle für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierten Vertragsbedingungen zu verstehen, die eine Vertragspartei (Verwender) der anderen Vertragspartei bei Abschluss eines Vertrags stellt (RIS-Justiz RS0123499 [T2]). Die auf Grundlage des § 20 PMG erlassenen AGB regeln daher die allgemeinen Kundenbeziehungen zwischen Privaten und der Nebenintervenientin, weswegen deren Erlassung auch nicht von der Regelung des § 17 Abs 2 PMG erfasst ist. Damit im Zusammenhang stehende Vorgänge gehören nicht zum eigentlichen Zustellvorgang, für den die Beklagte nach dem AHG einzustehen hätte (vgl dazu Raschauer in Frauenberger-Pfeiler/Raschauer/Sander/Wessely, Österreichisches Zustell-recht2§ 4 ZustG Rz 6: „Endphase der Zustellung“; vgl auch Stummvoll aaO Rz 7/1: „Zustellerfehler“). Indem die Klägerin der Nebenintervenientin wegen der in den „AGB - Nachsendeauftrag“ vorgesehenen Möglichkeit, dass auch ein Mitbewohner mit Wirkung für andere trotz deren aufrecht bestehender Abwesenheitsmitteilung einen Nachsendeauftrag (mit-)beauftragen konnte, ein Organisationsverschulden anlastet, spricht sie kein Verhalten an, für das die Beklagte aus dem Titel der Amtshaftung einzustehen hätte, und macht daher schon aus diesem Grund keine im Verhältnis zu ihr erhebliche Rechtsfrage geltend.

4.1 Nach § 18 Abs 1 Z 1 ZustG ist ein Dokument, wenn sich der Empfänger nicht regelmäßig an der Abgabestelle aufhält, an eine andere inländische Abgabestelle nachzusenden, wenn es durch Organe eines Zustelldienstes zugestellt werden soll und nach den für die Beförderung von Postsendungen geltenden Vorschriften die Nachsendung vorgesehen ist. Auch im Rahmen eines Nachsendeauftrags kann eine Zustellung nur an einer tauglichen Abgabestelle erfolgen (RIS-Justiz RS0123313). Im Revisionsverfahren steht nicht mehr in Frage, dass im Anlassverfahren die Zustellung an die ortsabwesende Klägerin rechtswidrig war. Dieses Verhalten hat sich die Beklagte nach den oben wiedergegebenen Grundsätzen auch zurechnen zu lassen.

4.2 Anders als die Frage nach der Wirksamkeit einer Zustellung, die ex post nach objektiven Gesichtspunkten, also ohne Rücksicht auf die Verhältnisse, wie sie sich dem Zusteller subjektiv boten, und ohne die Absicht des Empfängers zu ermitteln, beurteilt wird (vgl RIS-Justiz RS0108133, 10 Ob 69/15t; Gitschthaler in Rechberger, ZPO4§ 87 ZPO [§ 2 ZustG] Rz 7/1; Stumvoll aaO § 2 ZustG Rz 9), ist die Frage, ob das Organverhalten (hier des Zustellers) nicht nur unrichtig, sondern auch unvertretbar war, ex ante betrachtet zu lösen (vgl 1 Ob 187/08v; 1 Ob 232/08m). Die Prüfung der Vertretbarkeit als Verschuldenselement ist dabei ganz von den Umständen des Einzelfalls abhängig und entzieht sich deshalb regelmäßig einer Beurteilung als erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO (RIS-Justiz RS0110837; RS0049955 [T10]).

4.3 Im vorliegenden Fall steht fest, dass ein (nach den damals geltenden AGB) wirksamer Nachsendeauftrag bestand und der an der darin genannten Anschrift als Ersatzempfänger in Betracht kommende Ehemann der Klägerin die Annahme der Sendung allein mit der Begründung verweigerte, er müsse solche Sendungen nicht annehmen, da es „eine entsprechende Erklärung in Wien gebe“ und nicht erwähnte, dass die Klägerin über längere Zeit nicht an diese Nachsendeanschrift zurückkehren werde. Der Zusteller holte entsprechende Erkundigungen bei seinen Vorgesetzten ein, die diese Behauptung nicht bestätigten, sodass es auch keine im Einzelfall aufzugreifende Fehlbeurteilung der Vorinstanzen bedeutet, wenn diese davon ausgingen, es sei dem Zusteller subjektiv nicht vorwerfbar, eine unberechtigte Annahmeverweigerung angenommen zu haben, und damit die Vertretbarkeit seines Handelns bejahten.

5. Da auch der von ihr behauptete Verfahrensmangel und die geltend gemachte Aktenwidrigkeit nicht vorliegen (§ 510 Abs 3 ZPO), ist die Revision der Klägerin zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht.

6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 Abs 1 und § 50 Abs 1 ZPO. Die Beklagte und die Nebenintervenientin haben in ihren Revisionsbeantwortungen auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen und daher Anspruch auf Ersatz der von ihnen richtig verzeichneten Kosten, weil ihre Schriftsätze damit der zweckentsprechenden Rechtsverteidigung dienten.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2017:0010OB00003.17Y.0227.000
Schlagworte:
Gruppe: Amtshaftungsrecht,Zivilverfahrensrecht

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