Berufungsentscheidung - Steuer (Referent), UFSG vom 12.06.2008, RV/0612-G/07

Erlassung eines Sicherstellungsauftrages nach Vollstreckbarkeit der Haftungsschuld

Rechtssätze


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Stammrechtssätze
RV/0612-G/07-RS1
Vom Haftungsbescheid umfasste Abgaben werden einen Monat nach Zustellung des Haftungsbescheides an den Haftungspflichtigen fällig, und, so sie bis zu diesem Zeitpunkt nicht entrichtet werden, gemäß § 226 BAO vollstreckbar. Die Erlassung eines Sicherstellungsauftrages nach dem Eintritt der Vollstreckbarkeit der Haftungsschuld ist unzulässig.

Entscheidungstext

Berufungsentscheidung

Der Unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung des Bw., vertreten durch Möstl & Pfeiffer Steuerberatungs GmbH, 8010 Graz, Villefortgasse 11, vom gegen den Sicherstellungsauftrag gemäß § 232 BAO des Finanzamtes Graz-Stadt vom entschieden:

Der Berufung wird stattgegeben.

Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.

Entscheidungsgründe

Mit dem Haftungsbescheid vom nahm das Finanzamt Graz-Stadt den Berufungswerber (= Bw.) als Haftungspflichtigen gemäß §§ 9, 80 BAO für aushaftende Abgabenschuldigkeiten des Vereines S im Ausmaß von 838.388,45 € (Lohnsteuer und Dienstgeberbeitrag 2002, 2003 und 05-07/2006) in Anspruch.

Mit dem Haftungsbescheid vom wurde der Bw. für weitere Abgabenschuldigkeiten des Vereines (Lohnsteuer 1998-2006) in der Höhe von 3,634.684,68 € zur Haftung herangezogen.

Am erließ das Finanzamt Graz-Stadt an den Bw. einen Bescheid-Sicherstellungsauftrag, in dem die Sicherstellung von Lohnsteuer für den Zeitraum 01/98 bis 12/06 in der voraussichtlichen Höhe von 4,142.156,00 € angeordnet wurde.

Begründend wurde ausgeführt, auf Grund der durchgeführten GPLA-Prüfungen beim Verein S seien mittels Haftungs- und Abgabenbescheiden Lohnsteuerbeträge in der Höhe von 5,177.695,00 € vorgeschrieben worden. Hinsichtlich der beim Verein nicht einbringlichen Lohnsteuerbeträge (80 % der Lohnsteuervorschreibungen = 4,142.156,00 €) werde der Bw. als Präsident gemäß § 9 BAO zur Haftung herangezogen. Die Einbringung der Abgaben sei gefährdet und eine Erschwerung der Einbringlichkeit der Abgaben sei zu befürchten, weil der begründete Verdacht bestehe, dass sich die zur Haftung heranzuziehende Person durch Vermögensverschiebungen der Erfüllung der Haftungsverpflichtungen entziehen werde.

In der gegen diesen Bescheid von der steuerlichen Vertreterin des Bw. eingebrachten Berufung vom werden zusammengefasst folgende Einwände erhoben:

Bis zur Erlassung des Sicherstellungsauftrages seien keine Haftungsbescheide an den Bw. ergangen, weshalb ein Abgabenanspruch gegenüber dem Bw. nicht entstanden sei. Umstände nach der Erlassung des Sicherstellungsauftrages seien nicht zu berücksichtigen. Diesem Vorbringen widersprechend wird ausgeführt, bisher sei lediglich ein Haftungsbescheid vom ergangen, gegen den das Rechtsmittel der Berufung ergriffen worden sei. Auf die in dieser Berufung vorgebrachten Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Haftungsinanspruchnahme werde verwiesen.

Im Sicherstellungsauftrag wäre eine genaue Zuordnung der voraussichtlichen Höhe der Abgabenschuld zu den einzelnen Jahren vorzunehmen gewesen.

Die Höhe des Abgabenanspruches entspreche nicht den realen Verhältnissen. Diese sei vom Finanzamt vereinfacht mit 80 (nicht belegten) Lohnsteuervorschreibungen an den Verein S ermittelt worden. Das Zwangsausgleichsverfahren sei noch nicht abgeschlossen. Die tatsächliche Befriedigungsquote könne vor Beendigung des Verfahrens nicht festgestellt werden. Nach dem bisherigen Verfahrenslauf könne davon ausgegangen werden, dass sich die angebotene Quote von 20 % stark erhöhen werde, sodass sich der voraussichtlich beim Verein S nicht einbringliche Teil der Lohnsteuernachforderungen wesentlich verringern werde.

Die Begründung des Bescheides sei mangelhaft. So lägen dieser offenbar bloße Vermutungen zu Grunde, da die Abgabenbehörde nicht die geringsten Anhaltspunkte für die Vornahme von Vermögensverschiebungen des Bw. habe anführen können. Es mangle auch an einer Auseinandersetzung mit der wirtschaftlichen Lage des Steuerpflichtigen.

Da sich der angefochtene Bescheid daher aus mehreren Gründen als rechtswidrig erweise, werde die ersatzlose Aufhebung beantragt.

Mit der Berufungsvorentscheidung vom gab das Finanzamt der Berufung teilweise statt und schränkte die Sicherstellung auf 577.744,00 € (Lohnsteuer 2002 402.288,35 €, Lohnsteuer 2003 104.585,32 € und Lohnsteuer 07/2006 70.870,33 €) ein.

Das über den Verein S eröffnete Konkursverfahren sei am gemäß § 157 KO aufgehoben und der Zwangsausgleich mit einer Quote von 20 % bestätigt worden. Eine wesentliche Erschwerung der Einbringung der Abgaben sei zu erwarten, wenn der Bw., wie den beschlagnahmten Unterlagen und Medienberichten zu entnehmen sei, die Firma K. verkaufe bzw. in eine andere Firma einbringe.

Im Antrag auf Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz vom verweist der Bw. in der Begründung auf seine Ausführungen in der Berufung vom (gemeint offensichtlich vom ) gegen den Haftungsbescheid vom , der Ergänzung zu dieser Berufung vom (gemeint offensichtlich vom ) sowie auf die Ausführungen in der Berufung vom gegen den Haftungsbescheid vom und in der Berufung gegen den Sicherstellungsauftrag vom .

Über die Berufung wurde erwogen:

§ 232 BAO lautet:

(1) Die Abgabenbehörde kann, sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den die Abgabenvorschriften die Abgabepflicht knüpfen, selbst bevor die Abgabenschuld dem Ausmaß nach feststeht, bis zum Eintritt der Vollstreckbarkeit (§ 226) an den Abgabepflichtigen einen Sicherstellungsauftrag erlassen, um einer Gefährdung oder wesentlichen Erschwerung der Einbringung der Abgabe zu begegnen. Der Abgabepflichtige kann durch Erlag eines von der Abgabenbehörde zu bestimmenden Betrages erwirken, dass Maßnahmen zur Vollziehung des Sicherstellungsauftrages unterbleiben und bereits vollzogene Maßnahmen aufgehoben werden.

(2) Der Sicherstellungsauftrag (Abs. 1) hat zu enthalten:

a) die voraussichtliche Höhe der Abgabenschuld;

b) die Gründe, aus denen sich die Gefährdung oder Erschwerung der Einbringung der Abgabe ergibt;

c) den Vermerk, dass die Anordnung der Sicherstellung sofort in Vollzug gesetzt werden kann;

d) die Bestimmung des Betrages, durch dessen Hinterlegung der Abgabepflichtige erwirken kann, dass Maßnahmen zur Vollziehung des Sicherstellungsauftrages unterbleiben und bereits vollzogene Maßnahmen aufgehoben werden.

§ 77 Abs. 2 BAO sieht vor, dass die für die Abgabepflichtigen getroffenen Anordnungen, soweit nicht anderes bestimmt ist, sinngemäß auch für die kraft abgabenrechtlicher Vorschriften persönlich für eine Abgabe Haftenden gelten. Auf Grund dieser Bestimmung ist die Erlassung eines Sicherstellungsauftrages somit auch gegenüber einem gemäß § 9 in Verbindung mit § 80 BAO zur Haftung herangezogenen Vertreter einer juristischen Person zulässig.

Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes hat sich das Verfahren über eine Berufung gegen einen Sicherstellungsauftrag auf die Überprüfung der Frage zu beschränken, ob die im Zeitpunkt der Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides, mit dem die Sicherstellung angeordnet wurde, dafür erforderlichen Voraussetzungen gegeben waren oder nicht (siehe und die dort zitierte Vorjudikatur).

Sicherstellungsaufträge setzen voraus, dass der Tatbestand verwirklicht ist, an den die Abgabenvorschriften die Abgabepflicht knüpfen. Grundsätzlich entsteht der Abgabenanspruch, sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den das Gesetz die Abgabepflicht knüpft (§ 4 BAO). Für potenziell Haftungspflichtige entsteht die Abgabenschuld jedoch nicht nach § 4 BAO, sondern nach § 7 Abs. 1 BAO in Verbindung mit § 224 Abs. 1 BAO:

Gemäß § 7 Abs. 1 BAO werden Personen, die nach Abgabenvorschriften für eine Abgabe haften, durch Geltendmachung dieser Haftung (§ 224 Abs. 1) zu Gesamtschuldnern.

Daraus folgt, dass die Abgabenschuld beim potenziell Haftungspflichtigen als Gesamtschuld gemäß § 7 Abs. 1 BAO mit der bescheidmäßigen Geltendmachung der Haftung entsteht (, 0046; Ritz, BAO², § 232 Tz 4). Mit Erlassung des Haftungsbescheides liegt somit ein gegenüber dem Haftungspflichtigen dem Grunde nach entstandener Abgabenanspruch und damit eine der Voraussetzungen für die Erlassung eines Sicherstellungsauftrages vor.

Dass Sicherstellungsaufträge zwingend nur nachEntstehung des Abgabenanspruches und vor diesbezüglicher Vollstreckbarkeit erlassen werden dürfen, ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 232 Abs. 1 BAO (Ritz, BAO², § 232 Tz 3).

Dem § 224 Abs. 1 zweiter Satz BAO zufolge ist der Haftungspflichtige im Haftungsbescheid aufzufordern, die Abgabenschuld, für die er haftet, binnen einer Frist von einem Monat zu entrichten. Auf Grund dieser Bestimmung werden haftungsgegenständliche Abgaben daher einen Monat nach Zustellung des Haftungsbescheides an den Haftungspflichtigen fällig. Erfolgt bis zum Ablauf des Fälligkeitstages keine Entrichtung, dann sind sie ab diesem Zeitpunkt auch vollstreckbar (§ 226 BAO). Schlussfolgernd aus diesen Ausführungen ergibt sich, dass die Erlassung eines Sicherstellungsauftrages für haftungsgegenständliche Abgaben regelmäßig nur innerhalb der Monatsfrist zwischen Erlassung des Haftungsbescheides (Entstehung des Abgabenanspruches) und Eintritt der Vollstreckbarkeit der Haftungsschuld möglich und zulässig ist (, , 0236; , 0046; Ritz, BAO², § 232 Tz 4).

Hinsichtlich der mit dem Haftungsbescheid vom geltend gemachten Abgabenschuldigkeiten des Vereines in der Höhe von 3,634.684,68 € war im Zeitpunkt der Erlassung des Sicherstellungsauftrages () der Abgabenanspruch dem Bw. gegenüber noch nicht entstanden, weshalb eine Einbeziehung dieser Abgaben in den Sicherstellungsauftrag nicht erfolgen konnte.

Der Haftungsbescheid vom wurde dem Bw. nachweislich am zugestellt; die Abgabenschuld in der Höhe von 838.388,45 € wäre daher bis zum Fälligkeitstag zu entrichten gewesen. Im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Sicherstellungsauftrages war die bis zur Gänze nicht entrichtete Haftungsschuld in der Höhe von 838.388,45 € daher fällig und gemäß § 226 BAO vollstreckbar.

Da Sicherstellungsaufträge nach dem Wortlaut des Gesetzes und der oben zitierten VwGH-Judikatur nur bis zum Eintritt der Vollstreckbarkeit erlassen werden können, war die Erlassung des gegenständlichen Sicherstellungsauftrages (hinsichtlich der Abgabenschuld von 838.388,45 €) nach dem Eintritt der Vollstreckbarkeit unzulässig.

Der angefochtene Bescheid ist daher aufzuheben. Ein Eingehen auf die weiteren in der Berufung vorgebrachten Argumente erübrigt sich ebenso wie die Durchführung der vom Bw. beantragten mündlichen Verhandlung.

Graz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
Finanzstrafrecht Verfahrensrecht
betroffene Normen
§ 232 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 232 Abs. 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 7 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 77 Abs. 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 224 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 226 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Schlagworte
Sicherstellungsauftrag
Vollstreckbarkeit
Abgabenanspruch
Haftungsschuld
Verweise

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at