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OGH vom 21.03.2018, 1Ob22/18v

OGH vom 21.03.2018, 1Ob22/18v

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger und die Hofrätin Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei ***** P***** R*****, vertreten durch Mag. Florian Kuch, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Republik Österreich (Bund), vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1, Singerstraße 17–19, wegen 5.200 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 14 R 134/16b-13, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom , GZ 33 Cg 6/16v-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 418,26 EUR bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Seit ist der aufgrund der Ablehnung des in einer Verfahrenshilfesache zuständigen Richters durch den Kläger ergangene Beschluss eines Senats des Verwaltungsgerichtshofs vom , 2012/10/0231, im Rechtsinformationssystem des Bundes (RIS) veröffentlicht. Dieser Beschluss enthält neben den vom Kläger seinem Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zugrunde gelegten finanziellen Verhältnissen auch den Umstand, dass er seinen Familiennamen geändert hatte, wobei in der ursprünglich veröffentlichten Fassung sowohl sein ehemaliger als auch sein nunmehriger Namen ausgeschrieben waren. Er hatte über die Namensänderung nur seine Familie und ein paar Freunde informiert.

Der Kläger brachte vor, die Veröffentlichung seines ehemaligen und seines neuen Namens sei ein Eingriff in seine höchstpersönlichen Rechte, wofür 5.200 EUR als Ausgleich für das ihm dadurch zugefügte Ungemach gerechtfertigt seien. Durch die identifizierende Namensnennung bei der Veröffentlichung der Entscheidung im RIS habe ihm ein dem Bund zurechenbares Organ in Vollziehung der Gesetze rechtswidrig einen Schaden zugefügt. Es liege eine schuldhafte Verletzung der Anonymisierungspflicht vor, Amtshaftungsansprüche seien nicht nach § 2 Abs 3 AHG deshalb ausgeschlossen, weil ein Höchstgericht entschieden habe. Allenfalls sei § 15 Abs 6 OGHG analog anzuwenden, nach dem der Bund für die durch den Einsatz der automationsunterstützten Datenverarbeitung verursachten Schäden hafte.

Die Beklagte wendete ein, die Anonymisierung sei nach dem Verwaltungsgerichtshofgesetz (VwGG) dem erkennenden Senat überantwortet und daher ein Akt der Rechtsprechung, sodass nach § 2 Abs 3 AHG Amtshaftungsansprüche ausgeschlossen seien.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es gelangte rechtlich zum Ergebnis, die Anonymisierung sei Teil der Rechtsprechung, sodass der Haftungsausschluss nach § 2 Abs 3 AHG zum Tragen komme.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Es teilte die Ansicht des Erstgerichts, dass es sich bei der Anonymisierung um einen Akt der Rechtsprechung iSd Art 87 Abs 2 BVG handle, für den Amtshaftung gemäß § 2 Abs 3 AHG ausgeschlossen sei, und verneinte verfassungsrechtliche Bedenken gegen diese Bestimmung. § 15 Abs 6 OGHG ordne eine Haftung des Bundes nur für Fehler an, die ihre Ursache im Einsatz der automationsunterstützten Datenverarbeitung hätten. Mit solchen sei die Entscheidung eines Senats über den Umfang der Anonymisierung einer zur Veröffentlichung bestimmten Entscheidung nicht vergleichbar, weshalb für den Kläger auch aus einer analogen Anwendung dieser Bestimmung nichts gewonnen wäre.

Die Revision erklärte das Berufungsgericht über Antrag des Klägers gemäß § 508 ZPO für zulässig, weil zur Frage, ob der Haftungsausschluss des § 2 Abs 3 AHG auch bei der Entscheidung über die Anonymisierung eines höchstgerichtlichen Erkenntnisses zum Tragen komme, keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs bestehe.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Klägers ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.

1.1 Die Bestimmung des § 2 Abs 3 AHG ordnet ohne jede Einschränkung an, dass aus einem Erkenntnis der Höchstgerichte kein Ersatzanspruch abgeleitet werden kann. Gerechtfertigt ist dieser Haftungsausschluss, weil es sonst zu einer nachträglichen Überprüfung eines höchstgerichtlichen Erkenntnisses durch ein ordentliches Gericht (das Amtshaftungsgericht) käme (1 Ob 10/93 = SZ 66/97) und jede andere Regelung theoretisch zu einer unendlichen Prozesskette führen könnte (1 Ob 159/07z ua; RISJustiz RS0077508 [T1]). Durch diese Norm wird eine Grenze des Rechtsschutzes statuiert, um letztlich eine endgültige Entscheidung zu gewährleisten (1 Ob 179/99a = SZ 73/101; Schragel, AHG³ Rz 195; Mader/Vollmaier in Schwimann/Kodek, ABGB4§ 2 AHG Rz 13; Mader in Schwimann, ABGB³ § 2 AHG Rz 13).

1.2 Unter Erkenntnis iSd § 2 Abs 3 AHG ist jede Art von Entscheidung durch ein Höchstgericht zu verstehen, in welcher verfahrensrechtlich vorgesehenen Weise auch immer sie gefällt wird (Schragel aaO mwN; Mader/Vollmaier aaO Rz 16). Zuletzt hat der erkennende Senat ausgesprochen, dass auch die Entscheidung eines Kollegialorgans eines Höchstgerichts über einen Dreiervorschlag in einem Besetzungsverfahren als Erkenntnis iSd § 2 Abs 3 AHG zu werten ist, weil damit weisungsfreie und unabhängige Gerichtsbarkeit ausgeübt wird, sodass das Ergebnis eines solchen Willensbildungsprozesses ebenfalls keine Grundlage von Amtshaftungsansprüchen darstellt (1 Ob 187/11y SZ 2012/12).

2.1 Nach § 43 Abs 8 Verwaltungs-gerichtshofsgesetz 1985 (VwGG) idgF sind zur Herstellung der für die Kenntnis durch jedermann bestimmten Ausdrucke (Speicherungen auf Datenträgern) personenbezogene Daten im Erkenntnis nur soweit unkenntlich zu machen, als es die berechtigten Interessen der Parteien an der Geheimhaltung dieser Daten gebieten (wie etwa Umstände des Privat und Familienlebens, Steuergeheimnis), ohne hiedurch die Verständlichkeit des Erkenntnisses zu beeinträchtigen. Nach dem letzten Satz dieser Bestimmung hat die Anordnungen hiefür der erkennende Senat, in Fällen des § 14 Abs 2 der Berichter zu beschließen. § 14 Abs 2 VwGG regelt diejenigen Anordnungen, die der Berichter ohne Senatsbeschluss trifft.

2.2 Die Regelung des § 43 Abs 8 VwGG geht auf die Novelle BGBl 1997/88 zurück, mit der ausdrücklich eine Angleichung an die Bestimmungen über die Anonymisierung von Erkenntnissen, wie sie das OGHGesetz (OGHG) in der damaligen Fassung vorsah, bezweckt war. Nach den Erläuterungen zur Regierungsvorlage (576 BlgNR 20. GP 6) sollte dadurch klargestellt werden, dass die Letztverantwortung für die Frage, ob und in welchem Umfang ein Erkenntnis zu anonymisieren ist, beim erkennenden Senat und damit beim unabhängigen Richter liegt, weil damit schon bei der Formulierung des Erkenntnisses darauf Bedacht genommen werden kann.

2.4 Diese Erläuterungen bezogen sich auf § 15a OGHG idF BGBl 1991/20. Dessen Abs 3 ordnete an, dass in den Abdrucken die Namen und Anschriften der Parteien, Zeugen und sonstigen Betroffenen, zum Beispiel durch Abkürzungen, unkenntlich zu machen waren, soweit das Verständnis der Entscheidung dadurch nicht beeinträchtigt wurde. Nach § 15a Abs 4 OGHG idF BGBl 1991/20 hatte diese Anordnungen der erkennende Senat bei der Beschlussfassung zu treffen.

2.3 Eine korrespondierende Regel enthält nunmehr § 15 Abs 5 OGHG idF BGBl I 2001/95. Auch danach hat der erkennende Senat die Anordnungen nach Abs 4 leg cit (das betrifft die Anonymisierung) bei der Beschlussfassung zu treffen. Mit dem Ausdruck „Beschlussfassung“ ist der Entscheidungsvorgang des Senats gemeint (Danzl/Hopf, Oberster Gerichtshof³ Anm 9 zu § 15 OGHG unter Verweis auf 525 BlgNR 21. GP 11).

3. Für den Fall, dass der Senat anordnet, von der Veröffentlichung einer Entscheidung in der Datenbank (RIS) abzusehen (§ 15 Abs 2 OGHG), ist anerkannt, dass es sich dabei um einen Teil der rechtsprechenden Tätigkeit im Rahmen der Entscheidungsfindung handelt (6 Ob 53/17p = RISJustiz RS0125183 [T1]; vgl Neumayr, Die Judikaturdokumentation RIS-Justiz im österreichischen Rechtsinformationssystem, ZZPInt 20 [2015] 73 [88]; Danzl/Hopf aaO§ 15 OGHG Anm 5.a). Das gilt auch für die Frage, ob eine bereits in der Entscheidungsdokumentation Justiz veröffentlichte Entscheidung wieder zu löschen ist (6 Ob 53/17p = RISJustiz RS0125183 [T2]). Für die Anordnungen über die Anonymisierung (§ 15 Abs 5 OGHG) kann nach der Systematik des Gesetzes nichts anderes gelten. Auch bei diesen handelt es sich um Akte der rechtsprechenden Tätigkeit, die vom jeweiligen Senat im Rahmen der Entscheidungsfindung ausgeübt werden und daher vom Entscheidungsvorgang in der Sache nicht getrennt betrachtet werden können. Anders als etwa nach der Rechtslage in Deutschland (siehe dazu Danzl/Hopf aaO Anm 9.) ist die Anonymisierung von Entscheidung nach dem OGHG rechtsprechende Tätigkeit und nicht Aufgabe der Justizverwaltung.

4.1 Durch die Klarstellung in den Erläuterungen zu § 43 Abs 8 VwGG (576 BlgNR 20. GP 6), dass die Anonymisierung von Erkenntnissen des Verwaltungs-gerichtshofs den Regeln des OGHG angeglichen werden soll, kann kein Zweifel daran bestehen, dass die für den Obersten Gerichtshof geltenden Grundsätze auch für die Anordnungen nach § 43 Abs 8 VwGG gelten. Anordnungen nach dieser Gesetzesstelle sind daher als Rechtsprechungstätigkeit ebenfalls nicht losgelöst von der Beschlussfassung in der Sache zu sehen, sondern sind Teil des Entscheidungsvorgangs.

4.2 Daraus folgt für die hier interessierende Frage, dass die Beschlussfassung, ob und in welchem Umfang persönliche Daten des Klägers im Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs 2012/10/0231 unkenntlich zu machen waren, als Rechtsprechungstätigkeit dem erkennenden Senat im Zuge der Entscheidungsfindung zufiel. Eine Differenzierung nach meritorischer und nicht meritorischer Entscheidung, wie sie der Revisionswerber anstrebt, um daraus eine Säumnis des Senats mit einer Beschlussfassung über die Unkenntlichmachung von persönlichen Daten abzuleiten, kommt nicht in Betracht, sodass auch die vom Verfassungsgerichtshof in seiner Entscheidung G 64/10 (= VfSlg 19.684/2012) dargelegten Grundsätze nicht zum Tragen kommen. Fragen der Anonymisierung werden vom erkennenden Senat im Zusammenhang mit dem Entscheidungsvorgang in der Sache gelöst und sind im Lichte des § 2 Abs 3 AHG Teil davon. Wie aus der Sachentscheidung eines Höchstgerichts selbst, können daher auch aus den mit deren Anonymisierung zusammenhängenden Frage keine Ersatzansprüche abgeleitet werden.

4.3 Ob die Nennung des früheren und nunmehrigen Familiennamens des Klägers in der Wiedergabe des Sachverhalts auf einem schuldhaften und rechtswidrigen Organverhalten beruht, wie er behauptet, ist infolge des Haftungsausschlusses nicht zu prüfen; seinen Ausführungen zu § 1328a ABGB kommt schon aus diesem Grund keine Relevanz zu.

4.4 Der Oberste Gerichtshof hat § 2 Abs 3 AHG wiederholt für verfassungsrechtlich unbedenklich erachtet (RISJustiz RS0077508; Schragel aaO Rz 195 mwN). Auch der Verfassungsgerichtshof hegt keine Bedenken gegen die Verfassungskonformität dieser Bestimmung (vgl G 64/10; zuletzt in dieser Sache: G 324/20169). Für einen Antrag gemäß Art 89 Abs 2 BVG besteht daher keine Veranlassung.

5. Schäden aus Fehlern bei der Führung einer automationsunterstützten Datenverarbeitung macht der Kläger nicht geltend, sodass bereits das Berufungsgericht zutreffend jene Gründe herausgearbeitet hat, nach der auch eine analoge Anwendung des § 15 Abs 6 OGHG keine taugliche Grundlage für einen Schadenersatzanspruch sein kann (§ 510 Abs 3 ZPO).

6. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2018:0010OB00022.18V.0321.000

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