Zeitpunkt einer elektronischen Zustellung, wenn der Empfänger auf seine Databox in FinanzOnline nicht zugreifen kann?
VwGH-Beschwerde zur Zl. 2009/13/0105 eingebracht (Amtsbeschwerde). Mit Erk. v. wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben. Fortgesetztes Verfahren mit Erkenntnis zur Zahl RV/7102160/2013 erledigt.
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Rechtssätze | |
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Stammrechtssätze | |
RV/1212-W/09-RS1 | Unter dem elektronischen Verfügungsbereich des Empfängers ist der zur elektronischen Zustellung an den Empfänger vorgesehene Speicher-Bereich (Databox in FinanzOnline) bei gleichzeitig gegebener Möglichkeit des Empfängers, über diesen Speicher-Bereich zu verfügen, d.h. auf diesen Speicher-Bereich elektronisch zuzugreifen, zu verstehen. |
Entscheidungstext
Berufungsentscheidung
Der Unabhängige Finanzsenat hat über die Berufungen des Bw,
A) vom gegen die Bescheide des Finanzamtes X vom , mit denen die am eingelangte Berufung vom gegen die Einkommensteuerbescheide 2006 und 2007 vom gemäß § 273 Abs 1 BAO als verspätet zurückgewiesen wurde,
B) vom gegen die Bescheide des Finanzamtes X vom , welche erstens als "EINKOMMENSTEUERBESCHEID 2006" und "Berufungsvorentscheidung gem. § 276 BAO" bzw zweitens als "EINKOMMENSTEUERBESCHEID 2007" und "Berufungsvorentscheidung gem. § 276 BAO" bezeichnet waren und erstens die Abweisung einer Berufung vom gegen einen Bescheid vom bzw zweitens die Abweisung einer Berufung vom gegen einen Bescheid vom aussprachen,
entschieden:
Die Bescheide vom (A) und vom (B) werden ersatzlos aufgehoben.
Entscheidungsgründe
Der Berufungswerber (Bw) war von (erstmalige Ausstellung eines Zugangscodes laut Berufungsschrift) bis (vgl FA-Akt Bl 25/06) Teilnehmer bei FinanzOnline.
An den Bw ergingen Einkommensteuerbescheide (betreffend Arbeitnehmerveranlagung) 2006 und 2007, die mit datiert waren, und in denen - mit der Begründung der Nichtbeibringung von Unterlagen - die in den elektronisch eingebrachten Steuererklärungen (L1) für 2006 (UFS-Akt Bl 4) und für 2007 (UFS-Akt Bl 9f) in jeweils bestimmter betraglicher Höhe geltend gemachten Werbungskosten aus nichtselbständiger Arbeit nicht berücksichtigt wurden, sondern nur ein jeweils beantragtes berufsgruppenbezogenes Werbungskostenpauschale (FA-Akt Bl 2ff/06, 2ff/07).
Diese mit datierten Bescheide wurden dem Bw nach Ansicht der Berufungsbehörde (Unabhängiger Finanzsenat, UFS) jedenfalls zugestellt (vgl anschließend); strittig ist, ob die Zustellung durch Einbringung in die Databox am erfolgte (Ansicht des Finanzamtes, das sich auch auf Auskünfte des BMF stützt) oder nicht (Ansicht des Bw).
Der Bw sprach am beim Finanzamt vor, wo man für ihn die o.a. Bescheide ausdruckte (=mittels automationsunterstützter Datenverarbeitung erstellte Ausfertigungen iSd letzten Satzes von § 96 BAO), womit allfällige vorherige Zustellmängel geheilt wurden:
Wenn die Zustellung nicht durch Einbringung in die Databox am 6. Sepember 2008 erfolgte, wurden die Bescheide gemäß § 7 ZustellG am durch tatsächliches Zukommen zugestellt.
Wenn die Zustellung bereits durch Einbringung in die Databox am erfolgt wäre, so hätte gemäß § 6 ZustellG die neuerliche Zustellung der gleichen Dokumente keine Rechtswirkungen gehabt, insb hätte die Berufungsfrist nicht neuerlich zu laufen begonnen.
Mit Schreiben vom , beim Finanzamt am eingelangt, erhob der Bw Berufung gegen den Bescheid (eigentlich: die Bescheide) vom betreffend Arbeitnehmerveranlagung 2006 und 2007 (FA-Akt Bl 10/06). Damit sind die Einkommensteuerbescheide 2006 und 2007 vom angefochten worden. Das inhaltliche Berufungsvorbringen betreffend die bei der Veranlagung zu berücksichtigenden Werbungskosten ist für die vorliegende Berufungsentscheidung unerheblich, weil seit der Zustellung der Bescheide vom (zu diesen vgl auch später) die Berufung vom nicht mehr anhängig ist und diese Berufung erst mit der Zustellung der vorliegenden Berufungsentscheidung wieder anhängig sein wird.
Das Finanzamt wies mit zwei Bescheiden, die mit "BESCHEID 2006" bzw "BESCHEID 2007" bezeichnet und die mit datiert waren, die Berufung vom gegen den Einkommensteuerbescheid 2006 bzw 2007 gemäß § 273 Abs 1 BAO zurück, weil sie verspätet sei (FA-Akt Bl 23/06, 8/07). Diese Bescheide wurden dem Bw wahrscheinlich per Post zugestellt (darauf dürfte "NORM" in den Fußzeilen - im Gegensatz zu "ELE" in den Fußzeilen der Bescheide vom - hindeuten). Jedenfalls ist die Zustellung der Bescheide vom unstrittig erfolgt.
Mit Schreiben vom , beim Finanzamt am selben Tag eingelangt, erhob der Bw Berufung gegen den Bescheid (eigentlich: die Bescheide) vom (FA-Bl 24f/06). Für die Entscheidung über diese Berufung von Belang ist folgender Teil des Vorbringens: Die Zugangsdaten des Bw zu FinanzOnline seien immer nur einmal funktionsfähig gewesen. Bei einem weiteren Zugang sei dem Bw jedes Mal der Zutritt verwehrt worden. Dies habe zur Folge gehabt, dass sich der Bw bereits viermal einen Zugangscode für FinanzOnline ausstellen habe lassen müssen, und zwar am , am , am sowie seinen letzten neuen Zugangscode am . (Anm der Berufungsbehörde: Es wird für die vorliegende Berufungsentscheidung aufgrund der Angaben in der - zeitnäheren - Berufungsschrift vom davon ausgegangen, dass die Vorsprache des Bw beim Finanzamt im Oktober 2008 am 24. erfolgt ist und nicht am 21. oder 23. - wie in der Berufungsschrift vom angegeben). Abschließend beantragte der Bw noch die Löschung seines Zuganges bei FinanzOnline.
Das Finanzamt erließ zwei, mit datierte Bescheide an den Bw, in denen jeweils auf eine gesonderte Begründung - in der die Ansicht des Finanzamtes über die Verspätung der Berufung bekräftigt wurde - verwiesen wurde, und welche unter folgenden Überschriften aussprachen (FA-Akt Bl 33/06, 11/07):
EINKOMMENSTEUERBESCHEID 2006
Berufungsvorentscheidung gem. § 276 BAO
Die Berufung vom gegen den Bescheid vom wird als unbegründet abgewiesen.EINKOMMENSTEUERBESCHEID 2007
Berufungsvorentscheidung gem. § 276 BAO
Die Berufung vom gegen den Bescheid vom wird als unbegründet abgewiesen.
Mit Schreiben vom erhob der Bw Berufung gegen den Bescheid (eigentlich: die Bescheide) vom . Für die Entscheidung über die Berufung vom von Belang ist folgendes Vorbringen daraus: Selbst wenn der Bw Kenntnis von der Existenz der beiden Bescheide (vom ) erlangt hätte, hätte er keine Möglichkeit gehabt, den Inhalt seiner Databox bei FinanzOnline einzusehen, weil seine Zugangscodes bei FinanzOnline nicht funktionsfähig gewesen seien.
Über die Berufungen wurde erwogen:
Vor der Zustellung der vorliegenden Berufungsentscheidung sind anhängig:
die Berufung vom gegen die Bescheide vom und
die Berufung vom gegen die Bescheide vom ,
jedoch nicht die am beim Finanzamt eingelangte Berufung vom gegen die Bescheide vom .
(Die Berufung vom gegen die Einkommensteuerbescheide 2006 und 2007 vom wird nach der Zustellung der vorliegenden Berufungsentscheidung wieder anhängig sein; das Finanzamt kann die Berufung vom dann entweder mit Berufungsvorentscheidung erledigen oder dem Unabhängigen Finanzsenat vorlegen.)
Zur Berufung vom :
Die Bescheide vom sind funktionslos, weil keine Berufung vom (oder ) gegen die Einkommensteuerbescheide vom anhängig ist oder war. Sie können sich auch nicht auf die Berufung vom beziehen, weil diese im Februar 2009 nicht anhängig war, sondern durch die Bescheide vom erledigt war; die Anfechtung der Letzteren mit Berufung ändert daran gemäß § 254 BAO nichts. Die Bescheide vom sind daher auch nicht als Berufungsvorentscheidungen anzusehen. Sie können - entgegen ihrer Hauptbezeichnung - auch nicht als Einkommensteuerbescheide, das sind Abgabenbescheide iSd § 198 BAO angesehen werden, weil sie keine Abgaben festsetzen. Die funktionslosen, mit datierten Bescheide entsprechen nicht dem § 92 BAO und werden aufgehoben.
Zur Berufung vom :
Streitentscheidender Sachverhalt:
Der Bw stimmte am um 11:34 Uhr der elektronischen Zustellung im Rahmen von FinanzOnline zu. Diese Zustimmung ist nicht automatisch vorangekreuzt und auch in der "DEMO Arbeitnehmerveranlagung" ist die Zustimmungserklärung nicht vorangekreuzt, sondern es wird angezeigt, wo das Ankreuzfeld ist. Die Bescheide vom wurden am in die Databox des Bw in FinanzOnline eingebracht.
Dies wird geschlossen aus der sachverhaltsmäßig unbedenklichen Auskunft des BMF an das Finanzamt vom (FA-Akt Bl 28ff/06; bei der rechtlichen Würdigung inklusive dem nachfolgenden Sachverhaltselement kommt die Berufungsbehörde allerdings zu einem anderen Ergebnis als diese Auskunft.)
Diesbezüglichen Ausführungen in der zusätzlichen Bescheidbegründung vom , die als Vorhalt wirkt, ist der Bw nicht wirksam entgegengetreten.
Im relevanten Zeitraum (5. September bis ) waren dem Bw keine funktionsfähigen Zugangscodes zu FinanzOnline bekannt, weshalb er in diesem Zeitraum nicht auf seine Databox in FinanzOnline zugreifen konnte.
Dies wird geschlossen aus dem diesbezüglichen Vorbringen des Bw in den Berufungsschriften vom und , dem das Finanzamt nicht entgegentritt. Für die rechtliche Würdigung des Sachverhaltes nach der hier anschließend vertretenen Ansicht ist es unerheblich, ob der Bw die Zugangscodes vergessen/verloren hat oder ob die Zugangscodes zwar richtig waren, aber trotzdem unter der vom Bw verwendeten EDV-Systemumgebung nicht funktionierten.
Rechtliche Würdigung:
§ 98 Abs 2 BAO bestimmt: "Elektronisch zugestellte Dokumente gelten als zugestellt, sobald sie in den elektronischen Verfügungsbereich des Empfängers gelangt sind. Im Zweifel hat die Behörde die Tatsache und den Zeitpunkt des Einlangens von Amts wegen festzustellen. Die Zustellung gilt als nicht bewirkt, wenn sich ergibt, dass der Empfänger wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, doch wird die Zustellung mit dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag wirksam."
Unter dem elektronischen Verfügungsbereich des Empfängers ist der zur elektronischen Zustellung an den Empfänger vorgesehene Speicher-Bereich bei gleichzeitig gegebener Möglichkeit des Empfängers, über diesen Speicher-Bereich zu verfügen, d.h. auf diesen Speicher-Bereich elektronisch zuzugreifen, zu verstehen.
Da der Bw im relevanten Zeitraum (vom 5. September bis ) nicht die Möglichkeit hatte, auf seine Databox in FinanzOnline elektronisch zuzugreifen, gelangten die in die Databox eingebrachten Einkommensteuerbescheide vom im relevanten Zeitraum nicht in seinen elektronischen Verfügungsbereich (ggfs. noch nicht; dies kann dahingestellt bleiben; vgl nächster Absatz).
Dahingestellt kann bleiben, ob ab der Aushändigung von Zugangscodes an den Bw bei seiner Vorsprache beim Finanzamt am der Bw die Möglichkeit hatte, auf seine Databox in FinanzOnline zuzugreifen, und zutreffendenfalls am die Einkommensteuerbescheide vom zweimal zugestellt worden wären.
Die Zustellung (und damit Bekanntgabe gemäß § 97 Abs 1 BAO) der mit datierten Einkommensteuerbescheide 2006 und 2007 an den Bw erfolgte am . Die Berufungsfrist gegen diese Bescheide endete daher am . Die am beim Finanzamt eingelangte, mit datierte Berufung war daher rechtzeitig. Die mit datierten Bescheide, mit denen diese Berufung als verspätet zurückgewiesen wurde, werden daher stattgebend aufgehoben.
Ergeht auch an Finanzamt X zu St.Nr. Y
DIESE TEXTVARIABLE BITTE AUF KEINEN FALL VERÄNDERN UND NICHT LÖSCHEN!! Wien, am
Zusatzinformationen
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Materie | Finanzstrafrecht Verfahrensrecht |
betroffene Normen | § 98 Abs. 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Zitiert/besprochen in | UFSjournal 2009, 296; taxlex 2009, 346 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at