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Berufungsentscheidung - Steuer (Referent), UFSW vom 13.01.2011, RV/2461-W/10

Sind polnische Familienleistungen auf die österreichische Familienbeihilfe anzurechnen?

Entscheidungstext

Berufungsentscheidung

Der Unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung des Bw., W, xxx, vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 8/16/17, vertreten durch ADir. Mold, vom betreffend die Differenzzahlung für den Zeitraum bis entschieden:

Der Berufung wird Folge gegeben.

Entscheidungsgründe

Der Berufungswerber (Bw.) ist polnischer Staatsbürger, er erzielte im Streitjahr 2008 Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 11.928,84 €. Er beantragte für die Kalenderjahre 2007 und 2008 die Gewährung einer Differenzzahlung. Seine Ehegattin und seine beiden Kinder, F. geboren 1994 und H. geboren am 2007 sind in Polen wohnhaft. Nach einer Bestätigung des Gemeindeamtes für Sozialhilfe in Polen habe die Ehegattin des Bw. ab dem für die beiden Kinder weder Familienbeihilfe noch während des Karenzurlaubes für H. Karenzgeld erhalten. Bestätigt wurde außerdem, dass der Sohn des Bw. im Schuljahr 2007/2008 Schüler der ersten Klasse gewesen sei. Die polnische Behörde gab demgegenüber im Formular E 411 unter Punkt 6 an, dass die Ehegattin des Bw. in Polen eine berufliche Tätigkeit ausgeübt, überdies Familienleistungen bezogen habe. Weiters wurde angegeben, dass sie keinen Antrag auf Familienleistungen für H. gestellt habe.

Das Finanzamt erließ am einen Differenzzahlungsbescheid, wonach dem Bw. für beide Kinder betreffend den Zeitraum Jänner 2008 bis Dezember 2008 ein Ausgleichsbetrag in Höhe von € 3.934,69 zugewiesen wurde.

Gegen diesen Bescheid erhob der Bw. Berufung und führte darin aus, dass die Berechnung der Differenzzahlung einen Anspruch auf ausländische Beihilfe in Höhe von € 525,21 berücksichtigt habe und dies nach Ansicht des Bw. unrichtig sei, weil weder er noch seine Ehegattin in Polen eine Familienbeihilfe für diesen Zeitraum bezogen hätten. Der Bw. legte erneut eine Bestätigung des Gemeindezentrums für Sozialhilfe in Polen vor, nach der seine Ehegattin für die Kinder F. und H. im Zeitraum Jänner 2007 bis Dezember 2008 keine Familienbeihilfe bezogen habe. Am langte beim Finanzamt ein weiteres von der polnischen Behörde ausgefülltes Formular E 411, ein, wonach im Zeitraum bis die Ehegattin des Bw. keinen Antrag auf Familienbeihilfe gestellt habe. Das Finanzamt wies in der abweisenden Berufungsvorentscheidung vom auf die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 und ihrer Regelung hin, welcher Mitgliedsstaat für ein und denselben Zeitraum für ein und denselben Familienangehörigen vorrangig zur Gewährung der im jeweiligen Hoheitsgebiet vorgesehenen Familienleistungen verpflichtet sei. Vorrangig müsse grundsätzlich jener Mitgliedsstaat die Familienleistungen gewähren, in dem eine Erwerbstätigkeit ausgeübt wird. Sind die Elternteile in verschiedenen Mitgliedsstaaten erwerbstätig, treffe die vorrangige Verpflichtung zur Gewährung der Familienleistungen jenen Mitgliedsstaat, in dessen Gebiet die Familienangehörigen wohnen. Sind die Familienleistungen im anderen Mitgliedsstaat höher, besteht dort gegebenenfalls ein Anspruch auf Gewährung des Differenzbetrages. Wird in jenem Mitgliedsstaat, der vorrangig zur Gewährung von Familienleistungen verpflichtet ist, kein Antrag gestellt, so könne der andere Mitgliedsstaat dennoch jene Leistungen, die bei Antragstellung gewährt worden wären, bei der Berechnung der Differenzzahlung berücksichtigen. Laut Aktenlage sei der Bw. seit dem in Österreich selbständig erwerbstätig. Im Formular E 411 habe das polnische Gemeindeamt bestätigt, dass die Gattin des Bw. in der Zeit vom bis eine berufliche Tätigkeit ausgeübt habe. Einen Antrag auf Familienleistung habe sie in diesem Zeitraum nicht gestellt. Im vorliegenden Fall sei daher gemäß Art. 10 Abs. 1 b der Verordnung EWG 574/72 der Wohnsitzstaat Polen für die Gewährung von Familienleistungen vorrangig zuständig gewesen. Im Beschäftigungsmitgliedsstaat Österreich bestehe gemäß Art. 76 der Verordnung EWG 1408/71 iVm Art. 10 der Verordnung EWG 574/72 ein Anspruch auf die Differenzzahlung.

Im Vorlageantrag führte der Bw. aus, dass es unrichtig sei, dass die Ehegattin des Bw. im Zeitraum 2008 keinen Antrag auf Familienleistung gestellt habe, überdies habe das polnische Gemeindezentrum für Sozialhilfe bestätigt, dass in der Zeit vom bis keine Familienbeihilfe bezogen wurde. Der Grund dafür sei das hohe Einkommen des Bw. in Österreich gewesen. Darüber hinaus sei die Ehegattin des Bw. nicht berufstätig, sondern wegen des Besitzes einer kleinen Landwirtschaft verpflichtet gewesen, an die zuständige Kasse der Landwirte einen Versicherungsbeitrag abzuführen. Der Bw. legte erneut eine mit datierte Bestätigung des Gemeindezentrums in Polen vor, wonach die Ehegattin des Bw. für den Zeitraum bis zum für ihre beiden Kinder keine Familienbeihilfe bezogen habe. Am ersuchte das Finanzamt den Bw. schriftlich um Vorlage einer Bestätigung im Original und in beglaubigter Übersetzung von der zuständigen Behörde in Polen, ob die Ehegattin des Bw. in der Zeit vom bis einen Anspruch auf Familienleistungen für ihre beiden Kinder gehabt habe. Das Gemeindezentrums bestätigte daraufhin erneut am , dass die Ehegattin des Bw. beim hiesigen Gemeindeamt in der Zeit vom bis zum keine Familienleistungen für die Kinder F. und H. bezogen habe.

Über die Berufung wurde erwogen:

Auf Grund der Aktenlage steht zweifelsfrei fest, dass der Bw. in Österreich selbständig erwerbstätig ist und Einkünfte aus Gewerbebetrieb versteuerte. Seine in Polen wohnhafte Ehegattin hat für die beiden bei ihr lebenden Kinder keine Familienleistungen bezogen, sie hat außerdem für das Streitjahr gemäß der Bescheinigung E 411 keinen diesbezüglichen Antrag gestellt. Unstrittig ist im konkreten Fall, dass dem Bw. eine Ausgleichs- bzw. Differenzzahlung zusteht. Strittig ist ausschließlich, ob polnische Familienleistungen auf die österreichische Familienbeihilfe anzurechnen sind.

Gemäß Artikel 73 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige und deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern iVm der Durchführungsverordnung (EWG) Nr. 574/72 hat ein Arbeitnehmer oder ein Selbständiger, der den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats unterliegt, für seine Familienangehörigen, die im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des ersten Staates, als ob diese Familienangehörigen im Gebiet dieses Staates wohnten.

§ 4 Abs 1 FLAG normiert, dass Personen, die Anspruch auf eine gleichartige Beihilfe haben, keinen Anspruch auf österreichische Beihilfe haben. Nach § 4 Abs. 2 iVm § 53 FLAG haben österreichische Staatsbürger sowie Staatsbürger von Vertragsparteien des EWR Anspruch auf eine Ausgleichszahlung, wenn die Höhe der gleichartigen ausländischen Beihilfe, auf die sie oder eine andere Person Anspruch haben, geringer ist, als die Familienbeihilfe, die ihnen ansonsten zu gewähren wäre.

Im Berufungsfall sind nicht nur die innerstaatlichen Bestimmungen des FLAG 1967, sondern auch für "Arbeitnehmer" oder Selbständige die oben bereits genannte Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 zu beachten. Gemäß Art 75 dieser Verordnung werden Familienleistungen vom zuständigen Träger des Staates gewährt, dessen Rechtsvorschriften für den Arbeitnehmer oder Selbständigen gelten.

Der Bw. hat seinen ständigen Wohnsitz im Inland, während seine Ehegattin und seine beiden Kinder den ständigen Wohnsitz in Polen haben. Unbestritten zwischen den Vertragsparteien ist auch, dass der Bw. den überwiegenden Unterhalt für seine Kinder getragen hat und sind diese demnach nach der oben zitierten Verordnung als Haushaltsangehörige anzusehen, weshalb sich der Anspruch des Bw. auf Familienbeihilfe aus § 2 Abs 2 FLAG 1967 ableitet, zumal keine andere Person auf österreichische Familienbeihilfe Anspruch hat.

Nach Art 76 Abs 1 der Verordnung (EWG) 1408/71 ruht ein Anspruch auf die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates gemäß Art 73 der genannten Verordnung geschuldeten Familienleistungen bis zu dem in den Rechtsvorschriften des anderen Mitgliedstaates vorgesehenen Betrages, wenn für ein und denselben Zeitraum für ein und denselben Familienangehörigen in den Rechtsvorschriften des anderen Mitgliedstaates, in dessen Gebiet die Familienangehörigen wohnen , Familienleistungen auf Grund der Ausübung einer beruflichen Tätigkeit vorgesehen sind. Wird in diesem Mitgliedstaat kein Antrag auf Leistungsgewährung gestellt, so kann der zuständige Träger des Mitgliedstaates, in dem der Anspruch ganz oder teilweise ruht, Art 76 Abs 1 der genannten Verordnung anwenden, als ob Leistungen in dem anderen Mitgliedstaat gewährt würden (Art 76 Abs 2 VO (EWG) 1407/71).

Vor diesem Hintergrund ist festzuhalten, dass zunächst die Anspruchsberechtigung auf Familienleistungen nach den innerstaatlichen Vorschriften in Polen zu beurteilen ist.

Familienleistungen werden in Polen an polnische Staatsangehörige und zwar an die Eltern oder an den tatsächlichen Betreuer des Kindes gezahlt, soweit das monatliche Familieneinkommen pro Familienmitglied höchstens PLN 504 beträgt (Art 5 Nr. 1 des Polnischen Gesetzes über Familienleistungen vom , Gesetzblatt Nr. 228/2003 Pos 2255). Dies entspricht einem Umrechnungsbetrag im Ausmaß von 129,08 € (Stand ), in diesem Sinne beträgt das höchste für die Zuerkennung von Familienleistungen in Polen zulässige monatliche Familieneinkommen für eine vierköpfige Familie umgerechnet 516,00 €.

Im konkreten Fall erzielte der Bw. im Jahre 2008 in Österreich gewerbliche Einkünfte, die die oben angeführte Grenze des monatlichen Familieneinkommens überschritten haben. Daraus folgt, dass die Voraussetzungen des Art 76 Abs 1 und 2 der VO (EWG) 1407/71 im Berufungsfall nicht erfüllt sind, weil für den Bw. auf Grund der Höhe des "Pro Kopf Einkommens" in Polen kein Anspruch auf Familienleistungen besteht. Dies bestätigen auch die vorgelegten behördlichen Bescheinigungen, wonach weder der Bw. noch seine Ehegattin für ihre Kinder in Polen Familienleistungen bezogen haben, und ihnen solche bei entsprechender Antragstellung ebenso nicht ausbezahlt worden wären.

Die im Art 76 der VO (EWG) 1407/71 geregelte Konkurrenzsituation zwischen Ansprüchen auf Familienleistungen aus zwei Staaten liegt demnach nicht vor.

Der nach inländischem Recht gegebene Anspruch auf Familienbeihilfe war somit nicht auf Basis der Bestimmungen des Art 76 Abs 1 und 2 Verordnung (EWG) 1408/71 bzw. Art 10 der Verordnung (EWG) 547/72 (Verordnung EWG 574/72 des Rates vom über die Durchführung der Verordnung EWG 1408/71) zu kürzen.

Der Berufung war daher stattzugeben.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
FLAG
Finanzstrafrecht Verfahrensrecht
betroffene Normen

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at