Erhöhte Familienbeihilfe - Eintritt der voraussichtlich dauernden Erwerbsunfähigkeit
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin R. über die Beschwerde des Bf., Wien, vertreten durch VertretungsNetz - Erwachsenenvertretung, M., Ziegelofengasse 33/2/5, 1050 Wien, vom , gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 3/6/7/11/15 Schwechat Gerasdorf vom , betreffend Abweisung des Antrags (vom ) auf Familienbeihilfe und erhöhte Familienbeihilfe für den Zeitraum ab September 2016, zu Recht erkannt:
Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.
Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nichtzulässig.
Entscheidungsgründe
Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer (Bf.), geb. 1992, stellte am einen Eigenantrag auf Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe.
Er war im Zeitpunkt der Einbringung des Antrages durch H., p.a. Vertretungsnetz, Taborstraße 46a/6, 1020 Wien, vertreten. Mit wurde M. zum Erwachsenenvertreter bestellt.
Das Finanzamt forderte beim Sozialministeriumservice (Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen) ein Gutachten an.
Da der Bf. zum Untersuchungstermin nicht erschien, wurde am von der Neurologin Dr.in SB folgendes Aktengutachten erstellt:
"Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):
Bis zum 6.Lj. in Herzamb./AKH in Betreuung wegen cong. Herzfehlers (offenes Foramen
ovale, interventionelle Okklusion 1998 im AKH Wien). 2014 unauffälliger cardiologischer
Befund.
Zn. schwieriger familiärer Belastungssituation (Vater war wegen körperlicher Gewalt in
Haft; Eltern seit 5/2016 geschieden).
Schizophreniforme Störung;
stationäre psychiatrische Aufenthalte Psych./AKH: erstmals 8-9/2014 (mit zusätzlicher
Diagnose eines Mikrodeletionssyndroms 22q11.2= DiGeorge-Syndrom), (Tagesklinik
10/2014-1/2015), 5-6/2015 (Zn. SMV), 3-4/2016.
FÄ-Betreuung bei Dr. G..
Seit 5/2016 besachwaltet (gegenwärtig H.).
Bis 8/2016 in WG Pension P..
Ausbildung: 1J. EH-Kaufmann Lehre, seit 7/2016 bei Reintegra.
Behandlung/en / Medikamente / Hilfsmittel: aktuelle Medikation nicht bekannt
Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:
Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:
Das führende Leiden unter lf. Nr. 1) wird durch die Gesundheitsschädigung unter lf. Nr. 2) um eine Stufe erhöht, da dieses Leiden eine relevante Zusatzbehinderung darstellt.
Keine Änderung des GdB gegenüber dem VGA von 7/2015, jedoch rückwirkende Anerkennung bereits ab 8/2014 (erstem vollstationärem Behandlungserfordernis) möglich.
Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostizierten
Gesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung:
Stellungnahme zu Vorgutachten:
Der festgestellte Grad der Behinderung wird voraussichtlich mehr als 3 Jahre andauern: ja
GdB liegt vor seit: 08/2014
Herr Bf. ist voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu
verschaffen: JA
Anmerkung bzw. Begründung betreffend die Fähigkeit bzw. voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen: Erwerbsunfähigkeit ab stationärem Therapieerfordernis 8/2014 gegeben da psychische Beeinträchtigung vorhanden.
Dauerzustand (nicht angekreuzt)
Nachuntersuchung: in 3 Jahren
Anmerkung hins. Nachuntersuchung: Nachuntersuchung erforderlich da Besserung möglich.
Das Finanzamt wies den Antrag auf Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe unter Zugrundelegung der in diesem Gutachten getroffenen Feststellungen mit Bescheid vom (für den Zeitraum ab September 2016) unter Verweis auf die Bestimmungen des § 2 Abs. 1 lit. c Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) in der ab gültigen Fassung, wonach Anspruch auf Familienbeihilfe für volljährige Kinder, die wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, ab.
Gegen den Abweisungsbescheid wurde am Beschwerde erhoben und vorgebracht, dass der Bf. an einer schizophrenen Psychose und einem DiGeorge-Syndrom sowie an Herzmuskelerkrankungen leide. Aufgrund der genannten Erkrankungen sei der Bf. voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.
Der Bf. sei nicht zu den Begutachtungsterminen beim Sozialministeriumsservice erschienen, daher sei ein Aktengutachten durchgeführt worden.
Der Antrag auf Familienbeihilfe und erhöhte Familienbeihilfe sei aufgrund nicht ausreichender Nachweise über das Bestehen der schizophrenen Psychose vor der Vollendung des 21. Lebensjahres bzw. vor Vollendung des 25.Lebensjahres bei einer späteren Berufsausbildung und eines zu niedrigen Grades der Behinderung durch das DiGeorge-Syndrom sowie die Herzmuskelerkrankungen, abgelehnt worden.
Gemäß Beschluss des Bezirksgericht Innere Stadt Wien vom , zugestellt am , sei der Verein VertretungsNetz zum Sachwalter für den Bf. zur Besorgung von Einkommens- und Vermögensverwaltung, Vertretung gegenüber Ämtern, Behörden, Gerichten, Sozialversicherungsträgern und privaten Vertragspartnern, Vertretung bei medizinischen Heilbehandlungen bestellt worden (Beweis: Sachwalterschaftsbeschluss, Betrauungsurkunde).
Zu den Beschwerdegründen wurde ausgeführt, dass sich die belangte Behörde in ihrer Entscheidung rein auf das Aktengutachten des Sozialministeriumsservices vom stütze. Es sei keine ausreichende Anamnese durchgeführt worden. So habe die Sachverständige in ihrem Gutachten den Beginn der schizophrenen Psychose mit der erstmaligen stationären Aufnahme im AKH Wien angesetzt. Dies würde bedeuten, dass die Behinderung erst mit Spitalsaufnahme aufgetreten sei. Es widerspreche der allgemeinen Lebenserfahrung und sämtlichen medizinischen Erkenntnissen, dass gesunde Personen erst ein Krankenhaus aufsuchten und dann bei Aufnahme erkrankten.
Auf die im psychiatrisch-neurologischen Gutachten im Rahmen des Sachwalterschaftsverfahren angeführte Aussage der Mutter (Seite 3), dass der Bf. in seiner Entwicklung verzögert gewesen sei, sei in keiner Hinsicht eingegangen worden.
Auch der im Aktengutachten erwähnte Abbruch der Ausbildung zeige, dass der Bf. aufgrund seiner damals schon bestehenden Behinderung nicht in der Lage gewesen sei, sich dauerhaft Unterhalt zu verschaffen, geschweige denn überhaupt (wieder) eine Lehre aufzunehmen. So sei der Bf. nach Abbruch der Lehre nie berufstätig gewesen.
Hinzu würden die schon seit der Jugend bestehenden massiven Probleme des Bf. im Umgang mit seinen finanziellen Angelegenheiten kommen, welche auch auf die bereits damals bestehende psychische Erkrankung zurückzuführen seien.
Des Weiteren sei der Bf. untauglich gewesen und habe daher den Präsenzdienst nicht ableisten müssen (Beweise: Einvernahme der Eltern, einzuholendes Sachverständigengutachten aus dem Fachbereich Psychologie mit dem Fokus auf eine umfassende Anamnese des Krankheitsverlaufes gemäß § 4 Z 1 Einschätzungsverordnung, Schulzeugnisse, Nachweise über die Lehre, Versicherungsdatenauszug, Bescheid/Gutachten des Militärkommandos Wien über die Untauglichkeit, Gutachten der Stadt Wien - MA 40 (Sozialamt) über die Dauerleistung.
Es wurden in der Beschwerde Anträge auf Einvernahme der Eltern des Bf., auf Einholung eines Sachverständigengutachtens aus dem Fachbereich Psychologie mit dem Fokus auf eine umfassende Anamnese des Krankheitsverlaufes gemäß § 4 Z 1 Einschätzungsverordnung, auf Setzung einer Frist für die Einbringung der unter Punkt 4 angeführten nachzureichenden Unterlagen gestellt. In eventu (wenn der Vertreter des Bf. trotz Erfüllung der Mitwirkungspflicht nicht in der Lage sei, die unter Punkt 4 angeführten Unterlagen nachzureichen) auf Einholung der unter Punkt 4 angeführten Unterlagen.
Weiters wurde darin der Antrag gestellt, gemäß § 274 BAO eine mündliche Verhandlung beim BFG durchzuführen.
Auf Grund der eingebrachten Beschwerde forderte das Finanzamt beim Sozialministeriumservice neuerlich ein Gutachten an.
Der Bf. ist auch zu dieser Untersuchung nicht erschienen.
Im Aktengutachten (Bescheinigung vom )wurde dem Bf. ein Behinderungsgrad von 60 % ab bescheinigt.
Festgehalten wurde zu diesem Gutachten (vom Finanzamt dem BFG lediglich elektronisch vorgelegt (= 2. elektronisches SMS-Gutachten) Folgendes:
"GDB Leiden 1 wird durch Leiden 2 um eine Stufe angehoben, da es ein relevantes Zusatzleiden darstellt, GdB ab 7/2013 anzunehmen (lt. Befundbericht Dr. G.) - diesbezüglich Veränderung zum Vorgutachten vom - DEU: die neu vorgelegten Befunde eignen sich nicht, um eine dauernde Erwerbsunfähigkeit vor dem 21. Lebensjahr zu begründen. DEU ab 07/2013- Arztbrief Dr. G. - NAU: Besserung möglich."
Das Finanzamt wies die Beschwerde unter Zugrundelegung der getroffenen Feststellungen mit Beschwerdevorentscheidung vom (im Wesentlichen) mit der Begründung ab, dass der Bf. durch seinen Sachwalter am einen Antrag auf Familienbeihilfe und erhöhte Familienbeihilfe gestellt habe. Er sei am 1992 geboren und laut seinen Angaben erwerbsunfähig und befinde sich nicht in Berufsausbildung. Sein Lehrverhältnis hätte mit September 2011 geendet. Zu diesem Zeitpunkt sei der Bf. 19 Jahre alt gewesen. Eine weitere Berufsausbildung sei nicht nachgewiesen worden.
Gemäß § 2 Abs. 1 lit. c FLAG 1967 (FLAG 1967) in der ab gültigen Fassung bestehe Anspruch auf Familienbeihilfe für volljährige Kinder, die wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande seien, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.
Der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit sei durch eine Bescheinigung des Sozialministeriumservice auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen.
Eine rückwirkende Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe sei für max. fünf Jahre ab der Antragstellung möglich bzw. ab dem Monat, ab dem das Sozialministeriumservice den Grad der Behinderung festgestellt habe (§ 10 FLAG 1967 idgF).
Laut letztem fachärztlichem Sachverständigengutachten des Sozialministeriumservice vom sei ein Grad der Behinderung von 60% sowie eine dauernde Erwerbsunfähigkeit ab festgestellt worden.
Zu diesem Zeitpunkt habe sich der Bf. im 22. Lebensjahr und nicht mehr in Berufsausbildung befunden, weshalb laut oben genannter gesetzlicher Bestimmungen spruchgemäß zu entscheiden gewesen sei.
Der Vertreter des Bf. stellte daraufhin am einen Vorlageantrag an das Bundesfinanzgericht und brachte vor, dass sämtliche Anträge und Beweisanträge der Beschwerde vom aufrecht bleiben würden. Er verwies nochmals auf die "der allgemeinen Lebenserfahrung und sämtlichen medizinischen Erkenntnissen widersprechenden Festlegung des Auftretens der Behinderung mit Behandlungsbeginn bei Facharzt und auf die Rechtsprechung des OGH bzgl. Vorwirkung der Sachwalterschaft (wobei ja die medizinischen Voraussetzungen gegeben sein müssen)".
Mit Schreiben der Erwachsenenvertreterin des Bf. vom wurde der Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung zurückgezogen.
Am forderte das Bundesfinanzgericht im Wege des Finanzamtes neuerlich ein Gutachten an.
Folgendes Gutachten wurde am von Dr.in K., Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie, erstellt:
"Anamnese:
Vorgutachten :
Schizophrene Störungen, schizoaffektive Störung GdB 50%
Herzmuskelerkrankungen, DiGeorge-Syndrom, Zustand nach interventioneller Okklusion eines offenen Foramen ovale GdB 30%
Gesamt GdB 60%
ab 07/2015
Herr Bf. ist voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen: NEIN
Aktengutachten :
schizophrene Psychose GdB 50%
Herzmuskelerkrankungen, DiGeorge-Syndrom, Zustand nach interventioneller Okklusion eines offenen Foramen ovale GdB 30%
Gesamt GdB 60% ab 08/2014
Herr Bf. ist voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen: JA
Erwerbsunfähigkeit ab stationärem Therapieerfordernis 8/2014 gegeben, da psychische Beeinträchtigung vorhanden.
dagegen Beschwerde - Schreiben Vertretungsnetz - Sachwalterschaft :
....Hinzu kommen die schon seit der Jugend bestehenden massiven Probleme des Beschwerdeführers im Umgang mit seinen finanziellen Angelegenheiten, welche auch auf die bereits damals bestehende psychische Erkrankung zurückzuführen ist. Des Weiteren war der Beschwerdeführer untauglich und musste daher den Präsenzdienst nicht ableisten".....
Vorgutachten :
schizophrene Psychose GdB 50%
Herzmuskelerkrankungen, DiGeorge-Syndrom, Zustand nach interventioneller Okklusion eines offenen Foramen ovale GdB 30%
Gesamt GdB 60% rückwirkend ab 07/2013 (Diagnosebestätigung Dr G. Psychiater)
Herr Bf. ist voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen: JA
Die Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen ist nicht vor vollendetem 18. Lebensjahr eingetreten.
Die Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen ist nicht vor vollendetem 21. Lebensjahr eingetreten.
Die neu vorgelegten Befunde eignen sich nicht, um eine dauernde Erwerbsunfähigkeit vor dem 21. Lebensjahr zu begründen.
DEU ab 07/2013- Arztbrief Dr. G.
aktuell: Beschluss Bundesfinanzgericht :
...."Anforderung eines neuerlichen Sachverständigengutachtens (betreffend den Beschwerdeführer) beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (SMS) unter Einbeziehung der Vorbringen in der Beschwerde und im Vorlageantrag (Frist bis zum )"
Im 6. LJ AKH Herzambulanz wegen cong. Herzfehlers (offenes Foramen ovale) 1998 interventionelle Okklusion 1998 im AKH Wien.
2014 unauffälliger cardiologischer Befund.
DiGeorge Syndrom seit 10/2014 nachgewiesen (AKH Wien)
6/2013 wurde erstmalig ein psychiatrischer Facharzt aufgesucht weil AW lustlos war, wollte nicht mehr leben, Verfolgungsängste. Es wurden eine medikamentöse Therapie begonnen.
Erstmals 8-9/2014 psychiatrisch stationär, Tagesklinik 10/2014-1/2015, 5-6/2015 (Zn. SMV), 3-4/2016. Dann in psychiatrischer Behandlung bis 2018. Seither nicht mehr.
Derzeitige Beschwerden:
Es sei manchmal schwierig weil er nicht aufkomme. Er bleibe liegen und liegen, dann sei alles so leer bei ihm. Er habe auch Verfolgungsängste.
Behandlung(en) / Medikamente / Hilfsmittel: Ability 15 1-0-0, Folsan, Venlafaxin 150 1-1-0,Quetialan 150 XR 0-0-0-1, Temesta b. Bed.: ca. 2x/Woche
keine psychiatrische Behandlung seit 2018 ("der kann mit auch nicht helfen")
Sozialanamnese:
Vorschule, VS, Mittelschule mit Abschluss. Besuch eines 3-jährigen Berufsvorbereitungslehrganges in Wien, dann AMS, Beginn einer Lehre für 1 Jahr, dann beendet, dann wieder AMS ein paar Monate, Seit 7/2016 bei Reintegra ein paar Monate (Tagesstruktur). Seither gab es Versuche die Tagesstruktur aufzunehmen, die gescheitert seien. wuchs bei den Eltern auf.
8/2016 in WG Pension P. für ca. 6 Monate, seit 4 Jahren eigene Wohnung mit Heimhilfe 2x/ Woche, vorher öfter
Seit 5/2016 besachwaltet
Bundesheer: untauglich (It. Angabe des AW wegen Herzfehler)
Führerschein: keiner
Einkünfte: Mindestsicherung als Dauerleistung, Pflegegeld seit ca. 1a: Stufe 1.
Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe): keine fachspezifischen Befunde seit den Vorgutachten vorliegend
zur Untersuchung mitgebrachte Unterlagen:
Schreiben Verwaltungsgericht Wien :
zu Recht erkannt: ...der Beschwerde insoferne stattgegeben, als zur monatlich wiederkehrenden Leistung der Mindestsicherung für Oktober 2018 eine Sonderzahlung in der Höhe des Mindeststandards von.... zuerkannt wird......
Untersuchungsbefund:
[…]
Psycho(patho)logischer Status:
Kooperativ und freundlich, gut auskunftsfähig, bewußtseinsklar, voll orientiert, kein relevantes kognitiv- mnestisches Defizit, Gedankenductus: geordnet, kohärent; Konzentration und Antrieb leicht- mäßig reduziert, Stimmungslage ausgeglichen, wenig affizierbar; Affekte: angepasst, keine produktive Symptomatik
Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:
Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung: Leiden 1 wird durch Leiden 2 - gleichbleibend zu den Vorgutachten- um eine Stufe angehoben.
Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostizierten Gesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung:
Stellungnahme zu Vorgutachten: Keine Änderung zum Vorgutachten 2/2017
Der festgestellte Grad der Behinderung wird voraussichtlich mehr als 3 Jahre andauern: ja
GdB liegt vor seit: 07/2013
Begründung - GdB liegt rückwirkend vor:
Lt. dem Vorgutachten (ab 07/2013 - Arztbrief Psychiater Dr. G.)
Herr Bf. ist voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen: JA
Die Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen ist nicht vor vollendetem 18. Lebensjahr eingetreten.
Die Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen ist nicht vor vollendetem 21. Lebensjahr eingetreten.
Anmerkung bzw. Begründung betreffend die Fähigkeit bzw. voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen:
Nach der Anamnese (siehe auch Vorgutachten) sind psychische Auffälligkeiten und kombinierte Störungen der schulischen Fertigkeiten in die Jugend zurückreichend zu erheben.
Es liegen keine Befunde vor, die daraus eine schwerwiegende Funktionseinschränkung in einem solchen Ausmaß ableiten ließen, dass eine daraus resultierende anhaltende Selbsterhaltungsunfähigkeit vordem 18./21. LJ eingetreten sei.
Die Selbsterhaltungsunfähigkeit kann ab Vorlage eines entsprechenden psychiatrischen Befundes ab 07/2013 bestätigt werden.
Dauerzustand (Anm: nicht angekreuzt)
X Nachuntersuchung: in 3 Jahren
Anmerkung hins. Nachuntersuchung: Reevaluierung, da mit Ausschöpfen der Therapie Besserung möglich."
Über die Beschwerde wurde erwogen:
Feststellungen:
Der Bf. ist 1992 geboren und vollendete somit am das 21. Lebensjahr.
Der Bf. besuchte Vorschule, Volksschule und Mittelschule. Die Mittelschule wurde abgeschlossen. Danach besuchte der Bf. einen dreijährigen Berufsvorbereitungslehrgang in Wien, war einige Zeit beim AMS gemeldet und machte ein Jahr eine Lehre zum Einzelhandelskaufmann, die beendet wurde. Danach war der Bf wieder ein paar Monate beim AMS gemeldet.
Der Bf. ist seit Mai 2016 besachwaltet.
Er wohnt seit 4 Jahren in einer eigenen Wohnung mit Heimhilfe 2x/ Woche, bezieht die Mindestsicherung als Dauerleistung und seit ca. einem Jahr Pflegegeld Stufe 1.
Im Zuge des Antragverfahrens bzw. des Beschwerdeverfahrens wurden drei Gutachten erstellt (, und ) und dem Bf. eine chronisch paranoide Schizophrenie sowie eine Herzerkrankung bescheinigt.
Im Aktengutachten vom wurde dem Bf. eine 60%ige Behinderung rückwirkend ab August 2014 und eine voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit, ebenfalls rückwirkend ab August 2014, bescheinigt.
Im Aktengutachten vom und im Gutachten vom wurde dem Bf. ein Gesamtgrad der Behinderung in Höhe von 60 % ab und die voraussichtliche Erwerbsunfähigkeit (Selbsterhaltungsunfähigkeit) ebenfalls rückwirkend ab bescheinigt.
Das Bundesfinanzgericht geht aus folgenden nachstehend angeführten Gründen davon aus, dass beim Bf. die Erwerbsunfähigkeit weder vor dem 18. bzw. vor dem 21. Lebensjahr noch während einer Berufsausbildung eingetreten ist.
Beweiswürdigung:
Der als erwiesen angenommene Sachverhalt beruht auf den mehreren im Wege des Sozialministeriumservice (früher: Bundessozialamt für Soziales und Behindertenwesen) erstellten Gutachten - Sachverständigengutachten des Sozialministeriumservice vom , vom , vom sowie zuletzt vom (Hinweis auf den Arztbrief des psychiatrischen Facharztes Dr. G.).
Dem Bf. wurde in den Gutachten ein Grad der Behinderung (GdB)von insgesamt 60 % bescheinigt und eine voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit bescheinigt.
Im Aktengutachten vom wurde der GdB und die voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit rückwirkend ab August 2014 festgestellt und abweichend dazu in den Gutachten vom und vom der GdB und die Erwerbsunfähigkeit bereits ab Juli 2013 attestiert.
Festgehalten wurde im Gutachten vom , dass keine Befunde vorlägen, die daraus eine schwerwiegende Funktionseinschränkung in einem solchen Ausmaß ableiten ließen, dass eine daraus resultierende anhaltende Selbsterhaltungsunfähigkeit vor dem 18. bzw. 21. Lebensjahr eingetreten sei. Die Selbsterhaltungsunfähigkeit könne ab Vorlage eines entsprechenden psychiatrischen Befundes ab Juli 2013 bestätigt werden.
Zum Beschwerdevorbringen, wonach die Sachverständige im Aktengutachten des Sozialministeriumsservices vom den Beginn der schizophrenen Psychose mit der erstmaligen stationären Aufnahme im AKH Wien angesetzt habe, was bedeuten würde, dass die Behinderung erst mit Spitalsaufnahme aufgetreten sei und es der allgemeinen Lebenserfahrung und sämtlichen medizinischen Erkenntnissen widersprechen würde, dass gesunde Personen erst ein Krankenhaus aufsuchen und dann bei Aufnahme erkranken, wird Folgendes festgestellt:
Laut Fachärzten manifestiert sich die erste akute Krankheitsepisode einer schizophrenen Psychose meist zwischen dem 18. und 35. Lebensjahr, auch spätere Ersterkrankungen sind möglich, jedoch trete die Erkrankung bei zwei Drittel der Erkrankten bereits vor dem 30. Lebensjahr auf. Dem geht bei ca. drei Viertel der Erkrankten eine etwa fünf Jahre dauernde Phase voraus, in der unspezifische psychische Veränderungen auftreten. Schon im Prodromalstadium bestehen deutliche Beeinträchtigungen der kognitiven und sozial-kommunikativen Fähigkeiten. In vielen Fällen fällt dieses Stadium mit der biographischen Phase der Schul- und Berufsausbildung und dem Übergang in ein eigenständiges Leben zusammen, haben negative Auswirkungen auf die berufliche Entwicklung und hemmen oder verhindern den sozialen Aufstieg. Im weiteren Verlauf der Erkrankung gehen diese Beeinträchtigungen mit einem hohen Anteil an Arbeitslosigkeit und Frühberentungen unter schizophren Erkrankten einher.
Schizophrenie ist gekennzeichnet durch ein sehr komplexes und vielfältiges Erscheinungsbild. Man unterscheidet zwischen der akuten und der chronischen Krankheitsphase. Bei der akuten Schizophrenie stehen Phänomene im Vordergrund, die bei gesunden Menschen nicht vorhanden sind. Stimmenhören und Verfolgungswahn zählen beispielsweise zu dieser so genannten Positiv-Symptomatik. Die Patienten lehnen in dieser Phase jegliche Zuweisung eines Krankseins ab. Während der chronischen Phase überwiegt die Einschränkung bestimmter psychischer Funktionen und Emotionalität, welche gesunde Menschen in vollem Masse besitzen. Diese so genannte Negativ- oder „Minus“-Symptomatik (d.h. es fehlt etwas) ist u.a. durch sozialen Rückzug, abnehmende (Freizeit)Interessen, Verarmung des Sprechens, Mangel an Gefühlen, Antriebsstörungen und Vernachlässigung des Äußeren gekennzeichnet.
Folgende Krankheitsanzeichen können auftreten: Ich-Störung, Störungen emotionaler Regungen (gestörte Affektivität), kognitive Beeinträchtigungen, Denk- und Sprachstörungen, Wahn, Halluzinationen, Auffälligkeiten der Psychomotorik (katatone Symptome).
Je nach Vorherrschen bestimmter Symptome kann man Subtypen unterscheiden, die während des Krankheitsverlaufs ineinander übergehen können. Die Subtypen (z.B. paranoide, hebephrene oder katatone Schizophrenie) bilden keine eigenen Krankheitseinheiten, sondern beschreiben lediglich die individuelle Kombination und Ausprägung der Symptome. Betroffene weisen häufig weitere psychische Krankheiten wie eine Depression oder Sucht auf. Sehr viele junge Patienten mit Schizophrenie konsumieren Cannabis (neue wissenschaftliche Erkenntnisse sprechen dafür, dass Cannabis Schizophrenie auslösen kann bzw. den Ausbruch der Erkrankung bei vorhandener erblicher Belastung beschleunigen kann). Auch körperliche Beschwerden wie Verstopfung oder Durchfall sowie Herzrasen und eine beeinträchtigte geistige Leistungsfähigkeit sind bei einigen Patienten zu beobachten.
Nach der ständigen Judikatur des Bundesfinanzgerichtes zu diesem Themengebiet (s. die Erkenntnisse des ; ; ; ; vgl. weiters Csaszar/Lenneis/Wanke, FLAG-Kommentar, § 8 Tz 32) kann der Eintritt einer Erwerbsunfähigkeit ab einem bestimmten Zeitpunkt naturgemäß immer nur mit hoher Wahrscheinlichkeit und nie mit Sicherheit festgestellt werden, da teilweise eine Berufstätigkeit über mehrere Jahre möglich ist, weil sich die Betroffenen zunächst Medikamente (Psychopharmaka) verschreiben lassen und fachliche Hilfe in der Regel erst aufgesucht wird, wenn die Psychose bereits voll ausgeprägt ist. Befunde können daher nur selten für Zeiträume vor dem 21. Lebensjahr vorgelegt werden.
Den Sachverständigen stehen daher bei der Einschätzung der Höhe des Behinderungsgrades und bei der Einschätzung der voraussichtlich dauernden Erwerbsunfähigkeit die Anamneseerhebung, die Untersuchung des Erkrankten, deren medizinische Ausbildung, deren Erfahrungswerte und die vorgelegten Befunde zur Verfügung.
Im vorliegenden Fall konnten die Sachverständigen wegen fehlender Befunde für länger zurückliegende Zeiträume keine Einschätzung darüber vornehmen, wann die Erkrankung tatsächlich zur Erwerbsunfähigkeit geführt hat. Aus den vorgelegten Befunden war nicht ableitbar, dass beim Bf. schon vor seinem 21. Lebensjahr eine Erwerbsunfähigkeit auf Grund einer schizophrenen Erkrankung gegeben war.
Das Bundesfinanzgericht geht in freier Beweiswürdigung davon aus, dass die in den Gutachten von 2017 und 2020 getroffenen Feststellungen in Bezug auf den Eintritt der Erwerbsunfähigkeit mit höchster Wahrscheinlichkeit den Tatsachen entsprechen. Die Divergenz bei der rückwirkenden Einschätzung der Erwerbsunfähigkeit - rückwirkende Einschätzung im Gutachten von 2016 ab August 2014 und in den Gutachten von 2017 und 2020 ab Juli 2013 auf Grund des Arztbriefes von Dr. G. - sprechen den Gutachten nicht die Schlüssigkeit ab.
In den erstellten und aktenkundigen Gutachten wurde auf die Art der Leiden und deren Ausmaß ausführlich eingegangen. Die vorgelegten Befunde sind in die Beurteilung eingeflossen und stehen nicht im Widerspruch zu den gutachterlichen Beurteilungen.
Die eingeholten Sachverständigengutachten stehen mit den Erfahrungen des Lebens, der ärztlichen Wissenschaft und den Denkgesetzen nicht in Widerspruch. Auch war dem Vorbringen sowie den eingeholten und vorgelegten Beweismitteln kein Anhaltspunkt zu entnehmen, die Tauglichkeit der befassten Sachverständigen oder deren Beurteilung bzw. Feststellungen in Zweifel zu ziehen.
Die dauernde Erwerbsunfähigkeit des Bf. ist weder vor dem 18. bzw. 21. Lebensjahr noch während einer (schulischen) Ausbildung eingetreten.
Der Grad der Behinderung von 60 % besteht (u.a. gemäß dem letzten vorliegendem Gutachten) seit Juli 2013.
Zum Zeitpunkt der bestätigten Erwerbsunfähigkeit (Juli 2013) befand sich der Bf. im 22. Lebensjahr und nicht in Berufsausbildung.
Gesetzliche Grundlagen und rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 2 Abs 1 lit c FLAG 1967 haben Anspruch auf Familienbeihilfe Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, für volljährige Kinder, die wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.
Nach § 6 Abs 2 lit d FLAG 1967 haben (volljährige) ‚Kinder' unabhängig von ihrem Alter Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sie wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, und sich in keiner Anstaltspflege befinden. Die zitierte Gesetzesstelle bezieht sich unzweideutig auf eine körperliche oder geistige Behinderung, die vor Vollendung des 21. Lebensjahres dazu geführt hat, dass die betroffene Person bereits zum damaligen Zeitpunkt voraussichtlich dauernd außer Stande gewesen ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Der Grad der Behinderung ist in einem solchen Fall nicht von Bedeutung (vgl. Lenneis in Csaszar/Lenneis/Wanke, FLAG, § 8 Rz 21).
Gemäß § 8 Abs 3 FLAG 1967 wird die Familienbeihilfe und die erhöhte Familienbeihilfe für ein erheblich behindertes Kind (§ 8 Abs 4) höchstens für fünf Jahre rückwirkend vom Beginn des Monats der Antragstellung gewährt.
Gemäß § 8 Abs. 4 FLAG 1967 erhöht sich die Familienbeihilfe um näher angeführte Beträge monatlich für jedes Kind, das erheblich behindert ist.
Gemäß § 8 Abs 5 FLAG 1967 gilt ein Kind als erheblich behindert, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung muss mindestens 50 vH betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.
Für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind § 14 Abs 3 des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, in der jeweils geltenden Fassung, und die Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung) vom , BGBl. II Nr. 261/2010, in der jeweils geltenden Fassung anzuwenden. Die erhebliche Behinderung ist spätestens nach fünf Jahren neu festzustellen, soweit nicht Art und Umfang eine Änderung ausschließen.
Bescheinigung des Sozialministeriumservice auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens
Nach § 8 Abs 6 FLAG 1967 ist der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine Bescheinigung des Sozialministeriumservice (früher Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen) auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen (vgl. , , , ).
Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes hat das ärztliche Zeugnis betreffend das Vorliegen einer Behinderung iSd FLAG Feststellungen über die Art und das Ausmaß des Leidens sowie auch der konkreten Auswirkungen der Behinderung auf die Erwerbsfähigkeit in schlüssiger und damit nachvollziehbarer begründeter Weise zu enthalten und bildet die Grundlage für die Entscheidung, ob die erhöhte Familienbeihilfe zusteht, sofern das Leiden und der Grad der Behinderung einwandfrei daraus hervorgehen und das/die Gutachten nicht unschlüssig sind (vgl. , , , ).
Wird für eine volljährige Person die Familienbeihilfe und der Erhöhungsbetrag beantragt bzw. stellt eine volljährige Person einen Eigenantrag auf die Gewährung von erhöhter Familienbeihilfe, so hat sich das nach dieser Bestimmung abzuführende qualifizierte Nachweisverfahren darauf zu erstrecken, ob diese Person wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres (oder - für den Beschwerdefall nicht relevant - während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres) eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außer Stande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen (vgl etwa , vgl. auch ).
Bindung an die Gutachten des Sozialministeriumservice - keine andere Form der Beweisführung
Nach § 8 Abs 6 FLAG 1967 ist der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine Bescheinigung des Sozialministeriumservice (bzw. des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen) auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Behörde an die der Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen zugrundeliegenden Gutachten gebunden (vgl. 2007/15/0019, , ) und darf diese nur insoweit prüfen, ob sie schlüssig und vollständig sind und - im Falle mehrerer Gutachten - nicht einander widersprechen (vgl. , , , Erkenntnisse VwGH jeweils vom , 2009/16/0307 und 2009/16/0310, vgl. auch die bei Lenneis in Csaszar/Lenneis/Wanke, FLAG, § 8 Rz 29 zitierte Rechtsprechung). Eine andere Form der Beweisführung ist nicht zugelassen (vgl. ).
Wurde von der Abgabenbehörde erster Instanz bereits ein Sachverständigengutachten eingeholt, erweist sich dieses als schlüssig und vollständig und wendet der Bf. nichts Substantiiertes ein, besteht für die Rechtsmittelbehörde kein Grund, neuerlich ein Sachverständigengutachten einzuholen (vgl. ).
Ist ein Gutachten unschlüssig, so ist nach der Judikatur des VwGH für deren Ergänzung zu sorgen. Sowohl eine Gutachtensergänzung als auch ein neues Gutachten stellen Beweismittel dar. (; ; ).
Keine verfassungsmäßigen Bedenken gegen die Einschränkung der Beweisführung
Gegen die Einschränkung der Beweisführung des Grades der Behinderung oder der voraussichtlichen dauerhaften Unfähigkeit, sich selbst den Erwerb zu verschaffen, hat der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis vom , B 700/07, keine verfassungsrechtlichen Bedenken gesehen (vgl. ) und weiters erkannt, dass von Gutachten NUR nach "entsprechend qualifizierter Auseinandersetzung" abgegangen werden kann, wenn diese nicht schlüssig sind (vgl. ; , ).
Beibringung eigener Beweismittel
Der Antragsteller hat die Möglichkeit, Unvollständigkeiten und Unschlüssigkeiten eines Gutachtens im Rahmen des Verfahrens der Behörde aufzuzeigen oder einem Gutachten (etwa durch Beibringung eines eigenen Gutachtens) auf gleicher fachlicher Ebene entgegenzutreten (vgl. ).
Es liegt am Antragsteller, das Vorliegen dieses Umstandes klar und ohne Möglichkeit eines Zweifels nachzuweisen (vgl. , vgl. auch Lenneis in Csaszar/Lenneis/Wanke, FLAG, § 8 Rz 32).
Ein derartiger Nachweis wurde im vorliegenden Fall jedoch nicht erbracht.
Voraussetzung für den Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe bei volljährigen "Kindern"
Voraussetzung für den Erhöhungsbetrag ist, dass der Grundbetrag an Familienbeihilfe zusteht (vgl FLAG Kommentar, Csaszar/Lenneis/Wanke, Rz 5 zu § 8). Dies bedeutet, dass bei volljährigen Kindern, denen nicht schon aus anderen Gründen als aus dem Titel der Behinderung der Grundbetrag an Familienbeihilfe zusteht, der Grad der Behinderung ohne jede Bedeutung ist, und würde er auch 100 % betragen. Besteht also keine vor dem 21. (25.) Lebensjahr eingetretene voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, steht weder Grund- noch Erhöhungsbetrag zu. Besteht eine derartige Unterhaltsunfähigkeit, stehen sowohl Grund- als auch Erhöhungsbetrag zu (vgl , , , , vgl. weiters Lenneis in Csaszar / Lenneis / Wanke, FLAG, § 8 Rzln 5 und 19 ff sowie die Erkenntnisse des und vom , RV/7106028/2016).
Aus den vorstehenden rechtlichen Ausführungen ergibt sich, dass der Antrag des Bf. auf Gewährung der Familienbeihilfe samt Erhöhungsbetrag auf Grund der in den fachärztlichen Sachverständigengutachten getroffenen Feststellungen abzuweisen war.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Zulässigkeit einer Revision:
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Die Lösung der Frage, unter welcher Voraussetzung die erhöhte Familienbeihilfe (Grundbetrag und Erhöhungsbetrag) zusteht, ergibt sich aus den diesbezüglichen Gesetzesbestimmungen. Bei der Frage, ob und ab wann eine "dauernde Erwerbsunfähigkeit" gegeben ist, handelt es sich um eine Tatfrage und ist insoweit das Bundesfinanzgericht an das vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (bzw. Sozialministeriumservice) erstellte ärztliche Gutachten gebunden. Da sohin keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zu beurteilen war, ist eine Revision nicht zulässig.
Hinweis zum 2. COVID-19-Gesetz
Abweichend von der folgenden Rechtsbelehrung beginnt die Frist zur Erhebung einer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof oder einer Revision an den Verwaltungsgerichtshof gegen diese Entscheidung – sofern diese vor dem zugestellt wurde - mit zu laufen (§ 6 Abs. 2 i. V. m. § 1 Abs. 1 Art. 16 2. COVID-19-Gesetz BGBl. I Nr. 16/2020).
Wien, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer FLAG |
betroffene Normen | § 2 Abs. 1 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 § 8 Abs. 5 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 § 8 Abs. 6 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 § 6 Abs. 2 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 |
Verweise | -I/13 |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2020:RV.7100953.2019 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at