Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 09.05.2019, RV/7105016/2018

Verjährung Umsatzsteuer bei vorläufiger Veranlagung

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Mag. Erich Schwaiger über die Beschwerde vom der Beschwerdeführerin BF, ANSCHRIFT, vertreten durch die H & L Barghouty Steuerberatungs GmbH, 1090 Wien, Rotenlöwengasse 19/2 gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 4/5/10, 1030 Wien, Marxergasse 4, vertreten durch Mag. Werner Hoffmann vom betreffend Umsatzsteuer 2005 zu Recht erkannt:

I)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

II)
Eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist gem. Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde fällt in die Zuständigkeit des Fachgebietes FU 4 und damit in die Zuteilungsgruppe 1102. Auf Basis der gültigen Geschäftsverteilung wurde sie der Gerichtsabteilung 7013 zur Entscheidung zugewiesen.

1. Verfahrensgang

Am reichte die Beschwerdeführerin (kurz Bf.) die Umsatzsteuererklärung 2005 ein, erklärte keine Umsätze, jedoch Vorsteuern von EUR 436,77. Das Finanzamt (kurz FA) erließ einen mit datiertenUmsatzsteuerbescheid und setzte die Umsatzsteuer 2005 erklärungsgemäß und vorläufig mit minus EUR 436,77 fest (Guthaben). In diesem Bescheid findet sich nur die folgende Begründung:

„Da der Umfang der Abgabepflicht von den Ergebnissen eines noch nicht beendeten Rechtmittelverfahrens abhängig ist, erfolgte die Veranlagung gern. § 200 BAO vorläufig.“

Aus dem vom FA vorgelegten Außenprüfungsbericht vom geht hervor, dass das FA die in der Rechnung der Fa. LIEFERANT_A vom ausgewiesene Umsatzsteuer von ATS 962.000,00 (EUR 69.911,27) aus formalen Gründen nicht als Vorsteuer anerkannt und deshalb deren Abzug im Jahr 2001 verweigert hatte (Fehlender Hinweis in der Rechnung auf eine Beilage, Fehlen der handelsüblichen Bezeichnung der Waren etc.).

Bereits im August 2005 war dem FA im Zuge dieses Prüfungsverfahrens eine korrigierte Originalrechnung übergeben worden, die sowohl einen Hinweis auf eine – nunmehr detaillierte – Beilage wie wohl auch die Originalunterschrift des Geschäftsführers des leistenden Unternehmens enthielt. Das FA war in seinem Betriebsprüfungsbericht zum Schluss gekommen, dass auch aufgrund dieser Belege für 2001 kein Vorsteueranspruch existiere.

Im Rechtsmittelverfahren bestätigte der Unabhängige Finanzsenat diese Beurteilung () und führte aus, die im August 2005 vorgelegte „berichtigte Rechnung“ vermöge jedenfalls für das berufungsgegenständliche Jahr 2001 keine rückwirkende Grundlage für einen Vorsteuerabzug zu liefern. Auf eine Beurteilung der Frage, ob die berichtigte Rechnung 2005 einen Anspruch auf Vorsteuerabzug vermittelt, verzichtete die unabhängige Behörde. Diese Entscheidung erwuchs in Rechtskraft.

Nach Abschluss dieses Rechtsmittelverfahrens beantragte die Bf. mit Schreiben vom und unter Erwähnung der Vorlage einer berichtigten Umsatzsteuererklärung 2005 die Berücksichtigung der Vorsteuern aus der berichtigten Rechnung im Jahr 2005 und die endgültige Veranlagung dieses Jahres.

Das FA erließ daraufhin einen mit datierten und gem. § 200 Abs. 2 BAO endgültigen Umsatzsteuerbescheid 2005 und sprach aus, der vorläufige Bescheid vom werde für endgültig erklärt. In der Höhe der festgesetzten Abgabe trete keine Änderung ein. Es begründete dies damit, dass die im Betriebsprüfungsverfahren behaupteten Sachverhalte und vorgelegten Unterlagen für das Vorliegen einer ordnungsgemäß berichtigten Rechnung nicht ausreichten. Die ausführliche Begründung hierzu solle dem Betriebsprüfungsbericht entnommen werden.

Dagegen richtet sich die mit datierte und am eingebrachte Berufung, die seit als Beschwerde gilt. Die Bf. brachte vor, die strittige Vorsteuer sei ursprünglich 2001 geltend gemacht worden, wegen formeller Mängel seinerzeit aber nicht anerkannt worden. Im August 2005 sei die Berichtigung erfolgt und der Mangel saniert worden. Ursprünglich habe das FA die Vorsteuer wegen formeller Mängel (genaue Leistungsbeschreibung) nicht anerkannt. Die berichtigte Rechnung sei ebenfalls – mit haarsträubenden Argumenten – nicht anerkannt worden.

Der UFS habe zwischenzeitig nur entschieden, dass der Vorsteuerabzug nicht im Jahr 2001 zusteht, sondern, wenn überhaupt, erst im Jahr der Berichtigung (2005).

  • Die Lieferantin habe von bis existiert.

  • Die Leistungserbringung von und die Zahlung an diese Gesellschaft seien nicht bezweifelt worden. Es habe tatsächlich ein steuerbarer Vorgang stattgefunden.

  • Das FA bezweifle (nun) die Originalunterschrift des Geschäftsführers, es sei aber seine amtswegige Ermittlungspflicht gewesen, diese mit Unterlagen der Gesellschaft zu vergleichen oder einen Graphologen zu beauftragen. Die Vermutung „das könne seine Unterschrift sein oder auch nicht“ reiche für eine Verweigerung der Vorsteuer nicht.

  • Die Rechnung müsse zwar vom Aussteller berichtigt werden, das müsse aber nicht persönlich erfolgen. Sinn dieser Bestimmung sei nur, dass nicht eigenmächtig vom Rechnungsempfänger Korrekturen vorgenommen werden, sondern dass Korrekturen auf beiderseitiger Willensübereinstimmung beruhen sollen. Dazu reiche die Unterschrift des Rechnungsausstellers. Dass die liefernde Gesellschaft zum Zeitpunkt der Rechnungsberichtigung nicht mehr tätig war und sich auch der Geschäftsführer nicht mehr in Österreich aufhielt, sei nicht relevant. Die Gesellschaft sei zum Zeitpunkt der berichtigten Rechnungslegung noch im Firmenbuch eingetragen gewesen.

  • Auf der Rechnung müsse mangels gesetzlicher Vorschrift keine Währung angegeben sein. Es gebe auch keine Zweifel, um welche Währung es sich handelt.

Zusammenfassend sei einerseits der amtswegigen Ermittlungspflicht nicht vollständig nachgekommen worden (Zweifel an der Originalunterschrift), andererseits seien gesetzliche Bestimmungen falsch ausgelegt worden. Eine Rechnungsberichtigung könne von jedermann vorgenommen werden, solange sie die Unterschrift des Ausstellers trage und in seinem Willen erfolge.

Das FA wies die Berufung mit Berufungsvorentscheidung vom als unbegründet ab. Die notwendigen Merkmale einer ordnungsgemäßen Rechnung seien in § 1 Abs. 1 Z 1 bis 6 UStG 1994 (in der für 2005 geltenden Fassung) geregelt. Eine Rechnung bzw. in Zusammenhang mit dem BP-Verfahren für 2001 berichtigte Rechnung, die vom UFS für das Jahr 2001 wegen Nichterfüllung von Merkmalen gem. § 11 UStG als nicht ordnungsgemäß und nicht geeignet qualifiziert wurde, beim Rechnungs- und Leistungsempfänger das Recht auf Vorsteuerabzug zu ermöglichen, tue dies, wenn diese Rechnung unverändert im Jahre 2005 zum Nachweis des geltend gemachten Vorsteuerabzuges vorgelegt wird, ebenfalls nicht. Der Vorsteuerabzug sei daher für das Jahr 2005 nicht zu gewähren. Eine nachträgliche Berichtigung für 2005 sei nicht mehr möglich, weil diese nur bis Ende des Kalenderjahres 2005 bzw. in Zusammenhang mit Überprüfungen der Ordnungsmäßigkeit von Rechnungen vor Erlassung des Erstbescheides für 2005 zulässig gewesen sei. Die Berufung sei daher als unbegründet abzuweisen gewesen.

Die Bf. beantragte mit via FinanzOnline ohne eine weitere Begründung, die Berufung dem UFS zur Entscheidung vorzulegen.

Auf das Schreiben des FA vom und die Aufforderung zur Vorlage der berichtigten Rechnung sowie einer Stellungnahme zu mehreren Punkten reagierte die Bf. mit Schreiben vom ungehalten. Sie sehe keine Veranlassung nochmal auf den Sachverhalt einzugehen, der seit 2005 (!) bekannt sei. Sie sei lediglich an einer Entscheidung des UFS interessiert. Diesem werde sie bei Bedarf Rede und Antwort stehen.

Die nächste Amtshandlung, die dem vorgelegten Akt zu entnehmen ist, ist die Vorlage dieses Vorlageantrages an das Bundesfinanzgericht am .

Das FA legte dabei die folgenden Aktenteile vor (Screenshot aus der EDV-Anwendung „Rechtsmittelakt“ des Bundesfinanzgerichts):

Über Anforderung des Bundesfinanzgerichts reichte das Finanzamt mit zwei E-Mails vom die folgenden Aktenteile nach:

  • Betriebsprüfungsbericht 2000 bis 2003 vom

  • (ursprüngliche) Rechnung vom

  • Berichtigte Rechnung vom (Vermerk: „wurde im Original vorgelegt (dieses wurde an GESELLSCHAFTER_G retourniert) samt Beilage

  • Bilanz 2005 (Eingangsstempel FA )

  • Feststellungsbescheid 2005 vom

  • Feststellungserklärung 2005 vom

  • Umsatzsteuererklärung 2005 vom

Mit Beschluss vom konfrontierte das Bundesfinanzgericht die Verfahrensparteien mit der Verjährungs-Problematik (siehe auch unten) und stellte den aktenkundigen Sachverhalt dar (siehe unten). Beide Verfahrensparteien reagierten mit Schreiben (jeweils vom 17. und ).

Über die Beschwerde wurde erwogen:

2. Sachverhalt

Die Entscheidung des Bundesfinanzgerichts basiert auf folgendem Sachverhalt, der in den Akten der Abgabenbehörde sowie des Gerichtes abgebildet und soweit nicht gesondert angeführt unbestritten ist:

Die Beschwerdeführerin (Bf.) ist eine 1997 nach österreichischem Recht gegründete Offene Gesellschaft (OG) mit zwei unbeschränkt haftenden Gesellschaftern, von denen laut Firmenbuch nur VN_XXX GESELLSCHAFTER_G (geb. ##.##.19##) vertretungsbefugt ist. Im Zentralen Melderegister scheint dieser mit dem Namen VN_F GESELLSCHAFTER_G auf, unter dem er die Bf. auch vertritt. Der Sitz der Bf. befindet sich in Wien.

Unbestritten ist, dass der mit datierte Umsatzsteuerbescheid vorläufig erging und dass dies nur mit einem „noch nicht beendeten Rechtmittelverfahren“ begründet wurde, das nicht konkretisiert wurde. Es wurde auch nicht festgehalten, von welchen „Ergebnissen“ dieses Verfahrens der Umfang der Umsatzsteuerpflicht 2005 abhängen soll. Dieser Bescheid ist im Hinblick auf die Veranlagung der Umsatzsteuer 2005 die letzte nach außen hin erkennbare Amtshandlung des FA.

Außer Streit steht, dass der Unabhängige Finanzsenat im Mai 2012 über den Umsatzsteuerbescheid 2001 absprach und aussprach, die im August 2005 vorgelegte „berichtigte Rechnung“ vermöge jedenfalls für 2001 keine rückwirkende Grundlage für einen Vorsteuerabzug zu liefern und auf eine weitere Beurteilung im Hinblick auf das Jahr 2005 verzichtete. Diese Rechnung war dem FA bereits im August 2005 erstmals übergeben worden und damit bei Erlassung des vorläufigen Umsatzsteuerbescheides 2005 bekannt.

Einziger Streitpunkt des nun anhängigen Beschwerdeverfahrens ist die Frage, ob der Bf. aufgrund dieser Rechnung im Jahr 2005 ein Vorsteuerabzug zusteht bzw. ob das FA 2012 aufgrund dieser Rechnung die (vorläufige) Festsetzung der Umsatzsteuer 2005 entsprechend zu verändern gehabt hätte.

Unbestritten und damit erwiesen ist, dass dieser Korrekturbeleg beiden Verfahrensparteien (sowohl der Bf. wie auch dem FA) spätestens seit August 2005 bekannt war und dass dieses Dokument in der Zwischenzeit weder verändert noch ergänzt wurde. Es kam zwischen Mitte 2005 (Außenprüfung) und Juli 2012 (Endgültigerklärung des Umsatzsteuerbescheides 2005) zu keiner aktenkundigen Änderung des strittigen Sachverhaltes, der dem FA im Zeitpunkt der Erlassung des vorläufigen Bescheides () vollständig bekannt war. Das FA setzte – abgesehen von der Erlassung des Umsatzsteuerbescheides 2005 im Jahr 2006 - auch keine weitere nach außen hin erkennbare Amtshandlung, sondern wartete – wie wohl auch die Bf. – den Abschluss des beim Unabhängigen Finanzsenat (UFS) anhängigen Verfahrens ab, dass in der Zwischenzeit bezüglich des Umsatzsteuerbescheides 2001 abgeführt (Umsatzsteuerbescheid 2001 vom , Berufung vom , Stellungnahme der Betriebsprüfung vom , Vorlage an den ) und mit abgeschlossen wurde ().

Auch in diesem Verfahren wurden keine zusätzlichen Sachverhaltselemente bekannt.

Mit diesem Sachverhalt und der Verjährungsproblematik (siehe unten) konfrontiert, führte die Bf. (vertreten durch VN_F GESELLSCHAFTER_G) mit Fax vom aus, sie habe seit 2006 versucht, unter Beauftragung verschiedener Steuerexperten den beanstandeten Formalmangel der genannten Rechnung zu korrigieren, um damit den materiell rechtlich zustehenden Vorsteuerabzug geltend zu machen.

Es sei unbestritten, dass es sich bei der der Rechnung zugrundeliegenden Lieferung um eine ordnungsgemäß ausgeführte Lieferung handelte, deren Bezahlung bereits im Jahr 2001 erfolgte. Dieser Sachverhalt sei niemals komplex oder unsicher gewesen. De facto sei es im gesamten Verfahren immer nur darum gegangen, den Vorsteuerabzug aus einer im Jahr 2001 formal geringfügig unkorrekt ausgestellten Rechnung zu erreichen, was vom Finanzamt verhindert und letztendlich nicht genehmigt worden sei.

Im Rahmen dieses Verfahrens seien sowohl ihr vertretungsbefugter Gesellschafter wie auch ihre steuerlichen Vertreter oftmals verzweifelt und ratlos gewesen, es seien dennoch alle ihr möglich erscheinenden Schritte und Maßnahmen gesetzt worden, um das Recht auf den gem.§ 12 UStG 1994 zustehenden Vorsteuerabzug geltend zu machen. Es sei der Anschein entstanden, dass das Finanzamt mit allen Mittel und unter Anzweiflung aller vorgelegter Beweise nur das eine Ziel verfolgte, diesen Vorsteuerabzug nicht zu gewähren. Zuletzt sei auch die Verfahrensdauer (trotz offensichtlicher Einfachheit der Problemstellung) übermäßig in die Länge gezogen worden. Dieses lange Verfahren, bei dem es um sehr hohe Beträge geht, habe den Gesellschafter stark hergenommen und beeinträchtigt, weshalb dieser sich letztendlich in seinen Grund- und Menschenrechten verletzt sehe.

Es sei bis heute unklar, wie man besser oder korrekter vorgehen hätte können, um diesen aus ihrer Sicht außer Frage stehenden Vorsteuerabzug geltend zu machen. Es tue sich die zentrale Frage auf, wie es möglich sein kann, dass sich bei einem derartig einfachen Sachverhalt eine Verfahrensdauer ergibt, die letztendlich bis zur Verjährung führt, ohne dass sie (trotz Beauftragung von zwei Steuerberatern und Ausnutzung aller uns denkbaren Mittel) zu ihrem Recht als Steuerzahler kommt.

Es sei lediglich darum gegangen, eine 2001 ausgestellte Rechnung, die von der Betriebsprüfung im Jahr 2006 als formal unkorrekt angesehen wurde, richtig zu stellen. Ursprünglich sei das durch Korrektur der Rechnung im Jahr 2001 versucht worden. Nach der Mitteilung, dass die Korrektur nicht rückwirkend erfolgen könne, sei das im Jahr 2005 vollzogen worden. Das Finanzamt habe keine nachvollziehbaren Gegenbeweise vorgebracht, habe vorläufige Bescheide erlassen, die mangels Unsicherheit nicht gerechtfertigt waren, und habe das Verfahren so lange verzögert, bis letztendlich Verjährung eintrat.

Diese Umstände seien aus dem Verfahrensablauf und den vorliegenden Schriftstücken und Dokumenten genau nachvollziehbar und deuteten klar in die Richtung, dass das zuständige Finanzamt sie aus (möglicherweise gar nicht mit diesem Verfahren in Zusammenhang stehenden) subjektiven Gründen, in ihren Rechten einschränken und ihr das Recht auf den oben angeführten Vorsteuerabzug entziehen wollte. Hätte man die Verfahrensdauer auch nur geringfügig verkürzt oder wäre man ihr im Rahmen der Problemlösung (Berichtigung einer formal geringfügig unkorrekten Rechnung) fair entgegengekommen, hätte dieser Vorsteuerabzug bereits im Rahmen des Betriebsprüfungsverfahrens im Jahr 2006 berücksichtigt werden können.

Die Bf. widersprach der vorgehaltenen Verjährung der Umsatzsteuer 2005 nicht.

Das FA hielt seine Stellungnahme kurz und äußerte ebenfalls keine Bedenken gegen die Verjährung der Umsatzsteuer 2005 (siehe unten).

3. Rechtsgrundlagen, rechtliche Würdigung

Außer in den Fällen des § 278 BAO hat das Verwaltungsgericht immer in der Sache selbst zu entscheiden. Es ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung seine Anschauung an die Stelle jener der Abgabenbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern, aufzuheben oder die Bescheidbeschwerde als unbegründet abzuweisen (§ 279 Abs. 1 BAO).

3.1. Verjährung allgemein

Gem. § 207 BAO unterliegt das Recht, eine Abgabe festzusetzen, der Verjährung.

Der Eintritt der Verjährung ist im Abgabenverfahren von Amts wegen zu beachten und führt zur sachlichen Unzuständigkeit der Behörde (vgl. Ritz, BAO6, § 207 Tz 3 unter Hinweis auf ; , 87/14/0173; , 2005/17/0029; , 2002/13/0182). Die Verjährung steht daher nicht nur der Erhöhung einer Abgabenfestsetzung, sondern auch deren Minderung entgegen (vgl. Ritz, ÖStZ 1997, 422; Ellinger/Sutter/Urtz, BAO3, § 207 Anm 8; ). Der Bescheid wird damit jedenfalls hinsichtlich der Höhe der Abgabe endgültig unabänderlich (vgl. ).

Die Verjährungsfrist beträgt für die Umsatzsteuer fünf Jahre. Sie beginnt gem. § 208 Abs. 1 BAO im Regelfall mit dem Ablauf des Jahres, in dem der Abgabenanspruch entstanden ist, in den Fällen der Erlassung vorläufiger Bescheide (§ 200 BAO) jedoch erst mit dem Ablauf des Jahres, in dem die Ungewissheit beseitigt wurde (lit. d leg.cit). Werden von der Abgabenbehörde innerhalb der Verjährungsfrist nach außen erkennbare Amtshandlungen zur Geltendmachung des Abgabenanspruches unternommen, so verlängert sich die Verjährungsfrist um ein Jahr. Die Verjährungsfrist verlängert sich jeweils um ein weiteres Jahr, wenn solche Amtshandlungen in einem Jahr unternommen werden, bis zu dessen Ablauf die Verjährungsfrist verlängert ist (§ 209 Abs. 1 BAO).

Bestand also bei Erlassung des vorläufigen Bescheides eine Ungewissheit und fiel diese später weg, beginnt die Verjährungsfrist erst mit Ablauf des Jahres des Wegfalles. Entscheidend dafür ist, ob zum Zeitpunkt der Erlassung des vorläufigen Bescheides - objektiv gesehen – wirklich eine Ungewissheit bestanden hat und wann diese Ungewissheit weggefallen ist (vgl. ).

Die Bestimmung des § 200 Abs. 1 BAO bezweckt ihrem Wortlaut und ihrer erkennbaren Zielsetzung, aber auch ihrer historischen Entwicklung nach nichts anderes, als einen dem Grunde nach wahrscheinlich entstandenen Abgabenanspruch in jenen Fällen realisieren zu können, in denen der eindeutigen und zweifelsfreien Klärung der Abgabepflicht oder der Höhe der Abgabenschuld nach den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens vorübergehende Hindernisse entgegenstehen. Dabei muss es sich um Ungewissheiten im Tatsachenbereich handeln. Die Ungewissheit, wie eine Rechtsfrage von der Berufungsbehörde, einem Verwaltungsgericht und letztlich von den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts gelöst werden wird, rechtfertigt eine bloß vorläufige Bescheiderlassung durch das Finanzamt nicht (Ritz, BAO6, § 200 Tz 1 unter Hinweis auf ; , 2002/17/0039; , 2007/15/0054; , 2009/15/0178; , 2012/15/0018; , 2010/15/0073 etc.).

Die Möglichkeit, vorläufige Bescheide zu erlassen, ist nicht dazu bestimmt, der Behörde vorerst die Ermittlung der für die Abgabenfestsetzung maßgeblichen Tatsachen und rechtlichen Verhältnisse zu ersparen, sondern sie ist vor allem dazu bestimmt, in der Zukunft liegende, entscheidungsrelevante Sachverhalte abzuwarten. Solche Sachverhalte sind Ereignisse, die abgabenrechtliche Wirkung für die Vergangenheit auf den Bestand oder Umfang eines Abgabenanspruches haben. Nur dann, wenn einem solchen Ereignis Rückwirkung zukommt, liegt eine maßgebliche Ungewissheit vor (vgl. Ritz, BAO6, § 200 Tz 4f unter Hinweis auf Tanzer in Althuber/Tanzer/Unger, BAO-HB, § 200, 537).

Wird eine Abgabe (wie hier) gemäß § 200 Abs. 1 BAO vorläufig festgesetzt und erwächst ein derartiger Bescheid in Rechtskraft, kann der Verjährungsbeginn – unabhängig vom wirklichen Vorliegen einer Ungewissheit - keinesfalls vor dem Zeitpunkt der Erlassung des vorläufigen Abgabenbescheides liegen (vgl. ; , 2007/15/0061; , 2009/15/0178).

3.2. Das bedeutet für den konkreten Fall

Fest steht, dass beiden Verfahrensparteien – abgesehen vom Rechtsmittelverfahren 2001 - kein Grund bekannt war, der auf eine Unsicherheit im Zeitpunkt der Erlassung des Umsatzsteuerbescheides 2005 im Jahr 2006 schließen ließe. Das FA konkretisierte dieses Verfahren im vorläufigen Bescheid zwar nicht, aus dem Akt und den übereinstimmenden Äußerungen der Verfahrensparteien erschließt sich aber eindeutig, dass damit nur die gegen den Umsatzsteuerbescheid 2001 gerichtete Berufung gemeint sein konnte. Darüber hinaus ergeben sich weder aus dem vorläufigen Bescheid noch aus den Akten irgendwelche Elemente, die mit eine Unsicherheit behaftet gewesen sein könnten, die wegfallen könnte.

Unstrittig ist, dass sowohl das FA wie auch die Bf. unsicher waren, wie dieses Rechtsmittelverfahren ausgehen würde. Diese Unsicherheit bezog sich ausschließlich auf die rechtliche Würdigung des bekannten Sachverhaltes, der in den Akten der Abgabenbehörde vollständig abgebildet war und der – über den Abschluss des Rechtsmittelverfahrens 2001 hinaus – seit der Erlassung des vorläufigen Bescheides keine Änderung erfuhr.

Damit steht hier zweifelsfrei fest, dass 2006 keine Ungewissheit im Sinne des § 200 BAO vorlag und dass damit auch keine Unsicherheit wegfallen konnte. Der einzige aktenkundige Grund für die vorläufige Veranlagung war der Ausgang des Rechtsmittelverfahrens. Dabei handelt es sich aber nicht um eine objektive Ungewissheit im Tatsachenbereich, sondern um eine Unsicherheit in der rechtlichen Würdigung, die keine vorläufige Veranlagung rechtfertigen kann.

Da damit keine Ungewissheit im Tatsachenbereich vorlag, beginnt die Verjährung spätestens mit Ablauf des Jahres zu laufen, in dem der vorläufige Bescheid erlassen wurde, das ist Ende 2006.

Da den Akten nach der Bescheiderlassung im Oktober 2006 bis 2012 keine weitere nach außen hin erkennbare Amtshandlung in Bezug auf das Jahr 2005 zu entnehmen ist, war eine Abgabenfestsetzung nach dem aufgrund der eingetretenen Verjährung nicht mehr zulässig. Die mit dem vorläufigen Bescheid ausgesprochene Festsetzung durfte in der Folge nach diesem Tag weder nach oben noch nach unten verändert werden. Die zusätzliche Berücksichtigung einer Vorsteuer scheidet schon aus diesem Grund aus und der Beschwerde konnte damit kein Erfolg beschieden sein.

Das Bundesfinanzgericht hatte - mangels Entscheidungsrelevanz - auf eine weitere inhaltliche Prüfung der Rechnung sowie eines Leistungsaustausches etc. zu verzichten.

3.3. Hinweise

Das Verwaltungsgericht erlaubt sich im Hinblick auf die Stellungnahme der Bf. vom anzumerken, dass sich aus den vorliegenden Akten zwar ergibt, dass es im Jahr 2006 nicht zulässig war, die Umsatzsteuer 2005 vorläufig zu veranlagen, die Bf. hätte dies allerdings damals rechtzeitig mit Berufung bekämpfen können. Sie hätte nicht nur die „Vorläufigkeit“ rügen, sondern auch die Berücksichtigung der Vorsteuer begehren können. Damit wäre bereits damals – ohne Beeinträchtigung durch die Verjährung - darüber zu entscheiden gewesen.

Richtig ist, dass die Vorlage der Beschwerde an das Bundesfinanzgericht erst im November 2018 und damit fast sechs Jahre nach dem Vorlageantrag erfolgte. Ohne die Gründe dafür zu beurteilen, darf darauf hingewiesen werden, dass das Bundesfinanzgericht den Akten keine Hinweise darauf entnehmen kann, dass die Bf. auf eine schnellere Erledigung gedrängt hätte.

  • Bis zum hätte die Entscheidung über die damalige Berufung (durch den Unabhängigen Finanzsenat) nach dem Ablauf von sechs Monaten mit Säumnisbeschwerde an den Verwaltungsgerichtshof erzwungen werden können. Diese Frist war gem. § 27 Abs. 1 VwGG in der bis dahin geltenden Fassung ab dem Einlangen des Vorlageantrages zu berechnen (vgl. ).

  • Einzuräumen ist, dass vom Inkrafttreten des Finanzverwaltungsgerichtsbarkeitsgesetzes 2012 (FVwGG 2012, BGBl I Nr. 14/2013) am bis zum Inkrafttreten des Abgabenänderungsgesetzes 2016 (AbgÄG 2016, BGBl. I Nr. 117/2016) am keine gesetzliche Frist existierte, innerhalb der das FA eine Beschwerde an das Verwaltungsgericht vorzulegen gehabt hätte (vgl. ErläutRV 1352 BlgNR 25. GP, 17). Kam daher das FA seiner gesetzlich normierten Verpflichtung zur Vorlage der Bescheidbeschwerde nicht nach, konnte die Partei dies in dieser Zeit wohl nicht erzwingen (vgl. ). Auch in dieser Zeit wäre es allerdings jederzeit möglich gewesen, die Vorlage zu urgieren.

  • Seit 2017 existiert nun das Instrument der Vorlageerinnerung (§ 264 Abs. 6 BAO). Erfolgt die Vorlage der Bescheidbeschwerde an das Verwaltungsgericht nicht innerhalb von zwei Monaten ab Einbringung des Vorlageantrages, so kann die Partei eine Vorlageerinnerung einbringen. Dies wirkt wie die Vorlage der Beschwerde und hätte das Bundesfinanzgericht sofort zuständig gemacht. Diese Maßnahme hätte die Bf. spätestens am treffen können.

Keinen Einfluss darf dies alles auf die Entscheidung des Bundesfinanzgerichts haben, die ausschließlich auf Basis des in den Akten abgebildeten Sachverhaltes und der gültigen Rechtslage zu treffen ist. Billigkeitserwägungen stehen dem Verwaltungsgericht dabei nicht zu.

4. Revision

Das Verwaltungsgericht hat im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen (§ 25a Abs. 1 VwGG).

Gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes ist eine Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird (Art. 133 Abs. 4 B-VG).

Soweit Rechtsfragen für die hier zu klärenden Fragen entscheidungserheblich sind, sind sie durch höchstgerichtliche Rechtsprechung ausreichend geklärt (siehe oben), nicht von grundsätzlicher Bedeutung oder die anzuwendenden Normen sind klar und eindeutig. Damit liegt hier kein Grund vor, eine Revision zuzulassen.

Salzburg-Aigen, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 200 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 200 Abs. 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 207 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 208 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 209 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2019:RV.7105016.2018

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at