Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 06.10.2023, RV/3100344/2021

Ersatzlose Aufhebung eines Haftungsbescheides gem. § 9 BAO wegen entschiedener Sache

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin R in der Beschwerdesache Bf, Bf_Adr, vertreten durch Stb, Stb_Adr, über die Beschwerde vom gegen den Haftungsbescheid des Finanzamtes Österreich vom , Steuernummer StNr_213_2, zu Recht erkannt:

I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.

Der angefochtene Bescheid wird ersatzlos aufgehoben.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

1. Mit Schreiben vom forderte die Abgabenbehörde den Beschwerdeführer (Bf) auf, in seiner Funktion als Vertreter der A GmbH iL zur beabsichtigten Haftungsinanspruchnahme gem. § 9 BAO, insbesondere zur Frage der schuldhaften Verletzung abgabenrechtlicher Pflichten bei der Nicht-Entrichtung von Abgabenschulden, Stellung zu nehmen. Dieser Haftungsvorhalt wurde an den Bf direkt adressiert und an seiner Wohnadresse in L, D, am nachweislich zugestellt.

Da sich der Bf in der gesetzten Frist nicht äußerte, wurde er mit Bescheid vom , versendet am , zur Haftung gem. § 9 BAO für offene Abgabenschulden der A GmbH iL iHv Betrag_1 herangezogen. Der Haftungsbescheid wurde wie der Vorhalt an den Bf versendet. Der bei Versendungen ins Ausland übliche Postaufgabeschein ist aktenkundig, ein Rückschein nicht.

2. Mit FinanzOnline-Eingabe vom teilte der steuerliche Vertreter des Bf mit, er habe von seinem Klienten erfahren, dass diesem an seine Adresse in L betreffend Haftungsfragen als ehemaliger Geschäftsführer ein Konvolut von Belegen per Post übermittelt worden sei. Der steuerliche Vertreter sei sowohl betreffend die primärschuldnerische GmbH (seit ) als auch den Bf (seit ) zustellbevollmächtigt und seien daher sämtliche Erledigungen/Schriftstücke des Finanzamtes ausschließlich ihm zuzustellen. Da er die genannten Schriftstücke bis dato nicht erhalten habe, ersuche er um Zustellung derselben an seine Kanzlei.

In der Folge wurde dem steuerlichen Vertreter am eine Kopie des Haftungsbescheides samt Beilagen übermittelt und am nachweislich zugestellt.

3. Mit FinanzOnline-Eingabe vom erhob der steuerliche Vertreter Beschwerde gegen den Haftungsbescheid; das exakt formulierte Begehren und die Begründung würden nachgereicht, sobald ihm der Bescheid und der Zustellbeweis zugestellt worden seien.

Mit Schreiben vom ergänzte der steuerliche Vertreter die Beschwerde gegen den - ihm nach wie vor nicht zugekommenen - Haftungsbescheid unter Bezugnahme auf § 103 Abs. 1 2. Satz BAO. Eine direkte Zustellung an den Vollmachtgeber im Einhebungsverfahren sei nur rechtmäßig, wenn sie aus Gründen der Zweckmäßigkeit erfolge, andernfalls sei sie wirkungslos. Unter Zweckmäßigkeit sei Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens zu verstehen. Im Zeitpunkt der Erstellung des Haftungsbescheides habe die Abgabenbehörde feststellen müssen, dass die Zustellung an den Bf (den Vollmachtgeber) kontraproduktiv sei, zumal dieser auf den mehr als zwei Monate zuvor zugestellten Haftungsvorhalt in keiner Weise reagiert habe. Infolge der unrichtigen Ermessensübung bei der Zustellung an den Bf selbst sei diese Zustellung unwirksam.

Nachdem der Bf den an seine ausl Wohnadresse gesandten Haftungsbescheid nicht angenommen habe und auch nicht annehmen werde, könne auch eine mögliche Ersatzzustellung durch Hinterlegung aufgrund der zitierten Bestimmung nicht rechtswirksam werden. Der Haftungsbescheid entfalte erst Rechtswirksamkeit, wenn er dem Zustellungsbevollmächtigten tatsächlich zukomme, weshalb neuerlich um Zustellung an den steuerlichen Vertreter ersucht werde.

Mit Eingabe vom teilte der steuerliche Vertreter der Abgabenbehörde mit, an diesem Tag den an den Bf versendeten Haftungsbescheid vom erhalten zu haben, weshalb nunmehr die Rechtsmittelfrist zu laufen beginne. Die Beschwerdeergänzung könne jedoch erst nach persönlicher Rücksprache mit dem Bf erfolgen, wobei ungewiss sei, wann dies aufgrund der Corona-Verordnungen möglich sei.

4. Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies die Abgabenbehörde die Beschwerde vom gegen den Haftungsbescheid vom zurück. Infolge der Zustellvollmacht des steuerlichen Vertreters habe der an den Bf selbst zugestellte Bescheid keine Rechtswirksamkeit entfalten können. Die Beschwerde gegen diesen Nicht-Bescheid sei daher als unzulässig zurückzuweisen gewesen. Die Beschwerdevorentscheidung erwuchs in (formelle) Rechtskraft.

5. Ebenfalls am erließ die Abgabenbehörde wiederum einen, inhaltlich zum Bescheid vom identen, Haftungsbescheid gem. § 9 BAO, der dem steuerlichen Vertreter am nachweislich zugestellt wurde.

Der gegen diesen Bescheid am erhobenen Beschwerde gab die Abgabenbehörde, nach Durchführung eines Mängelbehebungsverfahrens und einer (weiteren) Fristerstreckung zur Nachreichung der Beschwerdebegründung, mit Beschwerdevorentscheidung vom teilweise Folge und schränkte den Haftungsbetrag auf Betrag_2 ein.

Nach Einbringung des Vorlageantrages am wurde die Beschwerde vom am dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vorgelegt.

6. Zur im Vorlageantrag beantragten mündlichen Verhandlung ist der Bf trotz nachweislich zugestellter Ladung nicht erschienen.

II. Sachverhalt

1. Der Bf, der auch Alleingesellschafter der primärschuldnerischen A GmbH iL war, war von deren Gründung 2013 bis zur Nichteröffnung des Insolvenzverfahrens mangels kostendeckenden Vermögens im August 2019 einziger Geschäftsführer.

2. Stb ist seit steuerlicher Vertreter des Bf. Er verfügt in dieser Funktion seit dem genannten Datum auch über eine Zustellvollmacht, die unter der persönlichen Steuernummer des Bf, StNr_Bf, angemerkt ist.

Die Geltendmachung einer Zustellvollmacht im Haftungsverfahren gem. § 9 BAO erfolgte erstmals mit der Eingabe vom .

3. Der Haftungsbescheid vom , versendet am , ist dem Bf zugestellt und damit rechtswirksam geworden.

III. Beweiswürdigung

1. Der dargestellte Sachverhalt ergibt sich aus dem vorgelegten Akteninhalt sowie der im Weiteren dargelegten Beweiswürdigung.

2. Erster Schritt im Haftungsverfahren gem. § 9 BAO war die Versendung des Haftungsvorhaltes vom , die dem Bf nachweislich am an seiner ausl Wohnadresse zugestellt wurde.

Da der Bf auf den Haftungsvorhalt nicht reagierte, wurde am der Haftungsbescheid gem. § 9 BAO erlassen und wiederum an seine ausl Wohnadresse versendet. Ungeachtet dessen, dass der Zustellnachweis der Abgabenbehörde nicht rückübermittelt wurde, ist auch betreffend den Haftungsbescheid von der erfolgten Zustellung an den Bf auszugehen. Dafür spricht, dass die Eingabe des steuerlichen Vertreters mit der Bitte um Zustellung der kryptisch als "Konvolut von Belegen", welche dem Bf "betreffend Haftungsfragen" übermittelt worden seien, dem Bf direkt zugestellten Schriftstücke an ihn als Zustellbevollmächtigten zeitnah nach Ergehen des Haftungsbescheides erfolgte. Diese Eingabe ergibt nur Sinn, wenn der Bf nach Erhalt des Haftungsbescheides nunmehr, nachdem der Haftungsvorhalt ignoriert worden war, der Haftungsinanspruchnahme begegnen wollte.

Die Frage im Vorhalt des Bundesfinanzgerichtes vom , welche Schriftstücke bzw. Belege jenes "Konvolut" umfasste, und wann genau der Bf diese erhalten habe, blieb, wie der Vorhalt insgesamt, trotz Urgenz und gewährter Fristerstreckung unbeantwortet.

Für die Zustellung des Bescheides vom spricht weiters, dass mit Eingabe des steuerlichen Vertreters vom ausdrücklich Beschwerde erhoben wurde, sowie die Ausführungen in der Beschwerdeergänzung vom , wonach der Bf den an seine ausl Wohnadresse gesandten Haftungsbescheid "nicht angenommen hat und auch nicht annehmen wird". Ungeachtet dessen, dass die Annahmeverweigerung durch den Empfänger grundsätzlich nicht dazu führen könnte, dass eine behördliche Erledigung als nicht zugestellt anzusehen ist, ist dieser Aussage der Inhalt beizumessen, dass der Bf von seiner Haftungsinanspruchnahme Kenntnis erlangt hat.

3. Eine Kontaktaufnahme mit dem steuerlichen Vertreter durch die Abgabenbehörde im Vorfeld der Haftungsinanspruchnahme ist nach dem Vorbringen des Vertreters der Abgabenbehörde in der mündlichen Verhandlung nicht erfolgt und lässt sich derartiges auch dem Vorbringen des Bf nicht entnehmen. Schon aus diesem Grund konnte sich der steuerliche Vertreter des Bf nicht auf eine Zustellvollmacht im Haftungsverfahren bereits im Zeitpunkt des Ergehens des Haftungsbescheides vom berufen.

Der Bf selbst hat, wie erwähnt, auf den Haftungsvorhalt in keiner Weise reagiert, und hat es damit auch unterlassen, die Abgabenbehörde von einer Zustellvollmacht des steuerlichen Vertreters in Kenntnis zu setzen, welche, neben seinem Einkommensteuerverfahren, nach dem Vorbringen des Steuerberaters auch im gegenständlichen Haftungsverfahren gelten solle.

III. Rechtslage und Erwägungen

1. Gemäß § 97 Abs. 1 BAO werden Erledigungen dadurch wirksam, dass sie demjenigen bekanntgegeben werden, für den sie ihrem Inhalt nach bestimmt sind. Die Bekanntgabe erfolgt bei schriftlichen Erledigungen gem. lit. a leg. cit. durch Zustellung.

Gemäß § 9 Abs. 1 ZustG können die Parteien und Beteiligten andere natürliche oder juristische Personen oder eingetragene Personengesellschaften gegenüber der Behörde zur Empfangnahme von Dokumenten bevollmächtigen (Zustellungsvollmacht).

Wenn ein Zustellungsbevollmächtigter bestellt ist, hat die Behörde gem. Abs. 3 leg. cit., soweit gesetzlich nicht anderes bestimmt ist, diesen als Empfänger zu bezeichnen. Geschieht dies nicht, so gilt die Zustellung als in dem Zeitpunkt bewirkt, in dem das Dokument dem Zustellungsbevollmächtigten tatsächlich zugekommen ist.

Die (Zustell)bevollmächtigung muss im jeweiligen Verfahren geltend gemacht werden, was durch die Partei oder den Vertreter erfolgen kann. Auch wenn nach der Vollmachtsurkunde die Vollmacht etwa alle Verfahren vor Abgabenbehörden des Bundes umfasst, ist sie dennoch von der Abgabebehörde nur in dem Verfahren, in dem darauf hingewiesen wird, zu beachten. Daher ist zB eine im Einkommensteuerverfahren des Geschäftsführers einer GmbH ausgewiesene Zustellungsbevollmächtigung nicht für seine Haftungsinanspruchnahme nach § 9 BAO maßgebend, solange kein Hinweis auf die Bevollmächtigung in diesem Verfahren erfolgt. (Ritz/Koran, BAO7, § 9 ZustG Tz 19, mwN, ua auf ; , 2008/16/0170)

Der steuerliche Vertreter des Bf machte erstmals am geltend, (auch) im Haftungsverfahren gem. § 9 BAO zustellbevollmächtigt zu sein. Der unstrittigen Tatsache, dass er im Veranlagungsverfahren des Bf seit 2012 dessen Zustellbevollmächtigter ist, kommt dabei vor dem Hintergrund der zitierten Rechtsprechung keine Relevanz zu. Folglich wurde der Haftungsbescheid vom mit Zustellung an den Bf rechtswirksam.

Inwieweit der Haftungsbescheid vom dem steuerlichen Vertreter seiner Ansicht nach im Weiteren, nämlich am , tatsächlich zugekommen ist, ist somit nicht von Belang. Diese, nach dem Akteninhalt "rein informative" Zusendung entfaltete keinerlei Rechtswirkung.

2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist auch im Abgabenverfahren davon auszugehen, dass in derselben Sache nur einmal abzusprechen ist ( mwN).

Dem an den steuerlichen Vertreter zugestellten Haftungsbescheid vom stand die Rechtswirksamkeit des ersten Haftungsbescheides vom entgegen und liegt damit ein Verstoß gegen den Grundsatz der Unwiederholbarkeit des Bescheides vor (zB ). Wird in derselben Sache neuerlich bescheidmäßig abgesprochen, verdrängt der jüngere Bescheid zwar den älteren, die Erlassung des neuen Bescheides in derselben Sache erweist sich allerdings als rechtswidrig ().

Gemäß § 279 Abs. 1 BAO hat das Verwaltungsgericht, außer in den Fällen des § 278, immer in der Sache selbst mit Erkenntnis zu entscheiden. Es ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung seine Anschauung an die Stelle jener der Abgabenbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern, aufzuheben oder die Bescheidbeschwerde als unbegründet abzuweisen.

Gemäß § 279 Abs. 2 BAO tritt das Verfahren durch die Aufhebung des angefochtenen Bescheides in die Lage zurück, in der es sich vor Erlassung dieses Bescheides befunden hat.

Eine Bescheidaufhebung (als meritorische Beschwerdeerledigung) darf nur erfolgen, wenn in dieser Sache in Bezug auf die beschwerdeführende Partei von der Behörde, die den angefochtenen Bescheid erlassen hat, keine andere, weitere Entscheidung in Betracht kommt; sie darf somit nur "ersatzlos" erfolgen. Solche ersatzlosen Bescheidaufhebungen haben ua zu erfolgen, wenn der angefochtene Bescheid in derselben Sache wie ein älterer Bescheid ergangen ist, wodurch Letzterer verdrängt wurde (; , 2007/13/0120). (Tanzer/Unger in Rzeszut/Tanzer/Unger [Hrsg], BAO: Stoll Kommentar - Digital First2.06,§ 279 BAO Rz 8, mit Verweis auf die zitierte VwGH-Rechtsprechung)

Der gegenständlich dem Bundesfinanzgericht vorgelegte Haftungsbescheid vom ist infolge entschiedener Sache mit Rechtswidrigkeit behaftet. Er war daher gem. § 279 Abs. 2 BAO (ersatzlos) aufzuheben. Die zurückweisende Beschwerdevorentscheidung vom ist zwar inhaltlich rechtswidrig, da es sich beim Haftungsbescheid vom um keinen Nichtbescheid handelte, das Verfahren zur Haftungsinanspruchnahme des Bf gem. § 9 BAO wurde jedoch mit dieser Beschwerdevorentscheidung rechtskräftig abgeschlossen.

Unzulässigkeit der Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Das gegenständliche Erkenntnis erging, soweit nicht ohnehin Tatfragen zu lösen waren, in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Die Revision war daher nicht zuzulassen.

Innsbruck, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 9 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 97 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 9 Abs. 1 ZustG, Zustellgesetz, BGBl. Nr. 200/1982
§ 279 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 279 Abs. 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2023:RV.3100344.2021

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at