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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 25.09.2023, RV/3100546/2022

Kosten für ein Hörgerät als außergewöhnliche Belastung ohne Selbstbehalt

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des ***FA*** vom betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) 2021, Steuernummer ***BF1StNr1***, zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Der Beschwerdeführer wurde mit dem angefochtenen Bescheid erklärungsgemaß zur Einkommensteuer veranlagt. Gegen diesen Bescheid erhob er in weiterer Folge mit Eingabe vom Beschwerde und führte darin aus, dass er es verabsäumt habe, die Anschaffungskosten für sein Hörgerät (Rechnungsdatum ; Eigenleistung 1.758 €) neben den Kosten für eine Fernbedienung (150 €) und für Batterien (32,70 €; insgesamt sohin 1.940,70 €) als außergewöhnliche Belastung mit Behinderung geltend zu machen.

Die Abgabenbehörde erließ in weiterer Folge eine abweisende Beschwerdevorentscheidung und führte darin begründend aus, dass die als außergewöhnliche Belastungen geltend gemachten Aufwendungen nicht berücksichtigt worden seien, da die Ausgaben geringer seien, als der im Bescheid ausgewiesene Selbstbehalt in Höhe von 4.525,57 €.

In dem in weiterer Folge erhobenen Vorlageantrag wurde vom Beschwerdeführer eingewendet, dass von den geltend gemachten Aufwendungen für das Hörgerät ein Selbstbehalt abgezogen worden sei. Da aber laut Gutachten des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen eine Erwerbsminderung im Ausmaß von 80% vorliege, sei kein Selbstbehalt in Abzug zu bringen.

In einem ergänzenden Schriftsatz wurde darauf verwiesen, dass aus dem übermittelten Sachverständigengutachten eindeutig hervorgehe, dass die Erwerbsminderung wegen des Hörorganes 70 % betrage. Der Kauf und die Benützung des Hörgerätes seien aus medizinischer Sicht auf Grund der bereits vor 2021 vorliegenden erheblichen Hörschädigung jedenfalls dringend erforderlich gewesen. Da die tatsächlichen Verhältnisse bei der Besteuerung zu berücksichtigen seien und bereits 2021 eine erhebliche Erwerbsminderung wegen der Schädigung des Hörorganes vorgelegen sei, seien die Anschaffungskosten als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Der Beschwerdeführer hatte im Streitjahr für die Anschaffung des Hörgerätes unbestrittenermaßen die geltend gemachten Kosten zu tragen. Weiters liegt laut dem vom Beschwerdeführer vorgelegten Gutachten des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen vom eine Behinderung im Ausmaß von 80 % vor. Insbesondere unter anderem wegen Einschränkung des Hörvermögens, welche für sich einen Grad der Behinderung von 70 % verursacht.

1. Rechtliche Beurteilung

1.1. Zu Spruchpunkt I.

Hat der Steuerpflichtige Aufwendungen (außergewöhnliche Belastungen) ua durch eine eigene körperliche oder geistige Behinderung, so stehen ihm die in § 34 Abs 6 EStG 1988 und § 35 EStG 1988 vorgesehenen steuerlichen Begünstigungen nach Maßgabe der Verordnung des Bundesministers für Finanzen über außergewöhnliche Belastungen, BGBl Nr 303/1996 idgF, zu.

Gemäß § 34 Abs 1 EStG 1988 sind bei der Ermittlung des Einkommens eines unbeschränkt Steuerpflichtigen nach Abzug der Sonderausgaben außergewöhnliche Belastungen abzuziehen.

Die Belastung muss außergewöhnlich sein, sie muss zwangsläufig erwachsen und sie muss die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wesentlich beeinträchtigen. Die Belastung ist nach § 34 Abs 2 EStG 1988 außergewöhnlich, soweit sie höher ist als jene, die der Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse und gleicher Vermögensverhältnisse erwächst.

Nach § 34 Abs 3 EStG 1988 erwächst die Belastung dem Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihr aus tatsächlichen, rechtlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann.

Die Belastung beeinträchtigt nach § 34 Abs 4 EStG 1988 die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit dann wesentlich, soweit sie einen näher geregelten Selbstbehalt übersteigt.

Nach § 34 Abs 6 EStG 1988 können ua Mehraufwendungen aus dem Titel der Behinderung, wenn die Voraussetzungen des § 35 Abs 1 EStG 1988 vorliegen, soweit sie die Summe pflegebedingter Geldleistungen (Pflegegeld, Pflegezulage, Blindengeld oder Blindenzulage) übersteigen, ohne Berücksichtigung des Selbstbehalts abgezogen werden. Der Bundesminister für Finanzen kann mit Verordnung festlegen, in welchen Fällen und in welcher Höhe Mehraufwendungen aus dem Titel der Behinderung ohne Anrechnung auf einen Freibetrag nach § 35 Abs 3 EStG 1988 und ohne Anrechnung auf eine pflegebedingte Geldleistung zu berücksichtigen sind (§ 34 Abs 6 letzter Satz EStG 1988).

Hat der Steuerpflichtige außergewöhnliche Belastungen ua durch eine eigene körperliche oder geistige Behinderung und erhält er keine pflegebedingte Geldleistung (Pflegegeld, Pflegezulage, Blindengeld oder Blindenzulage), so steht ihm nach § 35 Abs 1 EStG 1988 ein Freibetrag (§ 35 Abs 3 EStG 1988) zu.

Nach § 35 Abs 2 EStG 1988 sind sowohl die Tatsache der Behinderung als auch das Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung) durch eine amtliche Bescheinigung der zuständigen Stelle nachzuweisen. Diese ist - abgesehen von im gegenständlichen Fall nicht relevanten Ausnahmen - regelmäßig das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (Sozialministeriumservice). Dieses hat den Grad der Behinderung durch Ausstellung eines Behindertenpasses nach § 40 ff BBG bzw - "im negativen Fall" - durch einen in Vollziehung dieser Bestimmungen ergehenden Bescheid zu bescheinigen (§ 35 Abs 2 letzter Satz EStG 1988).

Anstelle des Freibetrages nach § 35 Abs 3 EStG 1988 können nach § 35 Abs 5 EStG 1988 auch die tatsächlichen Kosten aus dem Titel der Behinderung geltend gemacht werden (§ 34 Abs 6 EStG 1988).

Auf der Grundlage der §§ 34 und 35 EStG 1988 ist die Verordnung des Bundesministers für Finanzen über außergewöhnliche Belastungen, BGBl 303/1996 (in der für den Beschwerdefall maßgeblichen Fassung BGBl II 430/2010) (im Folgenden: Verordnung) ergangen.

Gemäß § 1 Abs 1 der Verordnung sind die in den §§ 2 bis 4 dieser Verordnung genannten Mehraufwendungen als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen, wenn der Steuerpflichtige Aufwendungen ua durch eine eigene körperliche oder geistige Behinderung hat.

Eine Behinderung liegt nach § 1 Abs 2 der Verordnung vor, wenn das Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung) mindestens 25% beträgt.

Die Mehraufwendungen gemäß §§ 2 bis 4 der Verordnung sind nicht um eine pflegebedingte Geldleistung (Pflegegeld, Pflegezulage oder Blindenzulage) oder um einen Freibetrag nach § 35 Abs 3 EStG 1988 zu kürzen (§ 1 Abs 3 der Verordnung).

Gemäß § 4 der Verordnung sind nicht regelmäßig anfallende Aufwendungen für Hilfsmittel (zB Rollstuhl, Hörgerät, Blindenhilfsmittel) sowie Kosten der Heilbehandlung im nachgewiesenen Ausmaß zu berücksichtigen.

Voraussetzung für die Abzugsfähigkeit von Aufwendungen bzw Kosten iSd § 4 der Verordnung ist, dass diese in einem ursächlichen Zusammenhang mit der Behinderung iSd § 1 Abs 2 der Verordnung stehen (vgl , unter Hinweis auf Vorjudikatur; Peyerl in Jakom, EStG13 § 35 Rz 25; vgl etwa auch ).

Krankheitskosten sind damit grundsätzlich nach § 34 EStG 1988 zu berücksichtigen, wenn die in Absatz 1 leg.cit. genannten Merkmale kumulativ (gemeinsam) erfüllt sind. Krankheitskosten müssen u.a. auch die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wesentlich beeinträchtigen. Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wird dann wesentlich beeinträchtigt, wenn die Höhe der Krankheitskosten den von der Höhe des adaptierten Einkommens abhängigen Selbstbehalt übersteigt. Von Krankheitskosten, die dem § 34 EStG 1988 unterfallen, ist ein Selbstbehalt abzuziehen.

Eine Krankheit kann aufgrund ihrer Intensität und/oder ihrer Dauer aber zu einer Behinderung werden. Insbesondere die längere oder dauerhafte Einkommensbelastung infolge einer Krankheit, die sich zu einer Behinderung entwickelt hat, sucht das Einkommensteuergesetz 1988 durch seinen § 35 und die darauf aufbauende Verordnung zu begegnen.

Der Nachweis der Behinderung ist dabei materiell-rechtliche Voraussetzung für die Einkommensteuerberechung ohne Selbstbehalt für Krankheitskosten/Behinderungskosten.

Die Feststellung, ob und in welchem Ausmaß eine Person behindert ist, ist nicht von der Abgabenbehörde, sondern gemäß § 35 Abs 2 EStG bindend von einer anderen Stelle zu treffen und durch eine amtliche Bescheinigung dieser Stelle nachzuweisen. Zuständig ist idR das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (kurz Sozialministeriumservice). Der amtlichen Bescheinigung kommt eine feststellende, die Abgabenbehörde bindende Wirkung zu. Der Gesetzgeber hat mit dieser Regelung eine bindende Beweisregel geschaffen (; Althuber/Schimmer in Hofstätter/Reichel, EStG62 § 35 Tz 4; Jakom/Peyerl EStG 2022, § 35 Rz 7; Fuchs in Doralt/Kichchmayr/Mayr/Zorn, EStG20 § 35 Tz 7).

Der Entscheidung der Abgabenbehörde sind daher die jeweils vorliegenden Daten zugrunde zu legen (). Der Nachweis gemäß § 35 Abs 2 EStG 1988 müsste sich im Streitfall daher auf das Jahr der Veranlagung 2021 beziehen. Aus der Sicht der im Jahr 2021 erfolgten Antragstellung auf Durchführung der Arbeitnehmerveranlagung müsste die Bescheinigung rückwirkend ausgestellt werden. Weder das Allgemeine Verfahrensgesetz (AVG) noch das Bundesbehindertengesetz (BBG) als zu vollziehendes Materiengesetz sehen eine rückwirkende Antragstellung vor.

Laut herrschender Lehre (u.a. Peyerl in Jakom EStG, 15. Aufl. (2022), § 35 Tz 11) und Rechtsprechung des unabhängigen Finanzsenates und des Bundesfinanzgerichts ist die rückwirkende Ausstellung eines Behindertenpasses grundsätzlich nicht möglich. Eine rückwirkende Berücksichtigung der Pauschbeträge nach § 35 Abs 3 EStG und der Beträge nach der Verordnung BGBl 303/1986, die vor dem in der Bescheinigung nach § 35 Abs 2 EStG angegebenen Zeitraum liegen, etwa mit dem Hinweis, die Behinderung habe schon früher bestanden, ist wegen der Bindungswirkung daher nicht möglich.

Da das vorliegende Gutachten aus dem Jahr 2022 dadiert und darüberhinaus keine rückwirkenden Feststellungen über eine Behinderung des Beschwerdeführers in der Vergangenheit enthielt, war eine Berücksichtigung einer Behinderung des Beschwerdeführers für das Jahr 2021 daher rechtlich wegen der Bindungswirkung der amtlichen Bescheinigung nicht möglich.

Eine Berücksichtigung der Anschaffungskosten des Hörgerätes als außergewöhnliche Belastung ohne Selbstbehalt aus dem Titel der Behinderung kommt somit nicht in Betracht.

Es ist daher das Vorliegen einer außergewöhnlichen Belastung nach den allgemeinen Voraussetzungen des § 34 EStG 1988 zu prüfen. Gemäß § 34 Abs 1 EStG 1988 muss die Belastung ua die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit beeinträchtigen, weshalb die vom Beschwerdeführer geltend gemachten Aufwendungen damit auch nur mit Selbstbehalt berücksichtigt werden können.

Da die Aufwendungen den Selbstbehalt nicht übersteigen, war spruchgemäß zu entscheiden.

1.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im Beschwerdefall liegt keine Rechtsfrage vor, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Eine ordentliche Revision ist daher nicht zuzulassen.

Innsbruck, am

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Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at