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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 05.10.2023, RV/3100631/2018

1. Hauptwohnsitzbefreiung in § 30 EStG idF vor Stabilitätsgesetz 2012; 2.10-jährige Verjährungsfrist für die Wiederaufnahme von Verfahren bei Hinterziehung

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch ***1***, ***2***, über die Beschwerde vom gegen den Einkommensteuerbescheid 2008 vom und den Bescheid über die Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Einkommensteuer 2008 vom , jeweils erlassen vom Finanzamt ***A*** (jetzt Finanzamt Österreich), Steuernummer ***BF1StNr1***,
zu Recht erkannt:

I. Soweit sich die Beschwerde gegen den Bescheid über die Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Einkommensteuer 2008 richtet, wird der Beschwerde gemäß § 279 BAO Folge gegeben.
Der angefochtene Bescheid wird ersatzlos aufgehoben.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Das Bundesfinanzgericht hat beschlossen:

I. Soweit sich die Beschwerde gegen den Einkommensteuerbescheid für 2008 richtet, wird die Beschwerde gemäß § 261 Abs 2 BAO als gegenstandslos erklärt und das Verfahren eingestellt.

II. Gegen diesen Beschluss ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

1. Die Einkommensteuererklärung für 2008 wurde am elektronisch eingereicht.
Mit Bescheid vom wurde der Beschwerdeführer (kurz: BF) zur Einkommensteuer veranlagt.

2. Am erfolgte eine Bescheidaufhebung gemäß § 299 BAO und erging ein neuer Sachbescheid, in dem im Wesentlichen die deutsche Firmenpension als Einkunftsquelle erfasst wurde. Eine Spekulationsbesteuerung erfolgte nicht.

3. Am stellte das Finanzamt im Zuge einer Nachbescheidkontrolle ein Ergänzungsersuchen mit folgender Frage an den BF:
"Wurde die Liegenschaft (***Adresse1***) von der Anschaffung bis zur Veräußerung ununterbrochen und mindestens seit 2 Jahren durchgehend als Hauptwohnsicht genutzt? Wenn ja, wird um die Vorlage entsprechender Nachweise ersucht…. Es wird darauf hingewiesen, dass lt. der vorliegenden amtlichen Meldung die Liegenschaft vom bis nur als Nebenwohnsitz genutzt wurde."
Nachdem der BF die geforderten Nachweise erbrachte (Kaufvertrag, Stromrechnungen usw.), sah das Finanzamt von einer Spekulationsbesteuerung ab.

4. Am nahm das Finanzamt infolge einer Außenprüfung beim Beschwerdeführer (BF) das Einkommensteuerverfahren 2008 wieder auf und erließ einen neuen Sachbescheid.
Die Zustellung der Bescheide erfolgte am selben Tag in die Databox von FinanzOnline. Die Zustellung des Berichtes über die Außenprüfung erfolgte am .
Im angefochtenen Sachbescheid (Einkommensteuer 2008) wurde festgestellt, dass ein Spekulationsgeschäft gem § 30 Abs. 1 EStG 1988 in der Fassung vor dem Stabilitätsgesetz 2012 vorliege und weder die Hauptwohnsitzbefreiung gem § 30 Abs. 2 Z. 1 EStG 1988 noch die Herstellerbefreiung gem § 30 Abs. 2 Z. 2 EStG 1988 zur Anwendung gelangen könne, weil der BF an der relevanten Adresse nur mit Nebenwohnsitz gemeldet war.
Im Bericht über das Ergebnis der Außenprüfung wird als Grund für die Wiederaufnahme des Verfahrens Einkommensteuer 2008 angegeben:

  • "Im Zuge der Außenprüfung wurde der Kaufvertrag vom hinsichtlich der Liegenschaft ***Adresse1*** erstmals der Behörde bekannt. Somit ist erstmals zu Tage getreten, dass Herr ***Bf1*** in diesem Jahr einen (anteiligen) Spekulationsgewinn aus der Veräußerung dieser Liegenschaft erzielt hat."


  • Weiters wurde festgestellt, dass die Einkommensteuer des Jahres 2008 hinterzogen wurde und somit die verlängerte Verjährungsfrist von 10 Jahren zur Anwendung gelange. Der bedingte Vorsatz wurde damit begründet, dass der BF als erfolgreicher Unternehmer über die Kenntnis verfüge, dass die Veräußerung einer Immobilie jedenfalls in Steuererklärungen zu erfassen ist.

5. In der fristgerecht eingebrachten Beschwerde vom wurde eine mündliche Verhandlung vor dem Senat beantragt und auf die Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung explizit verzichtet.
Zum objektiven Tatbestand der Abgabenhinterziehung wurde vorgebracht:
"Die Behörde traf keinerlei Feststellungen die Verletzung einer Anzeige-, Offenlegungs- oder Wahrheitspflicht betreffend. Bei einer privaten Grundstücksveräußerung besteht keine Anzeigepflicht, wenn die Hauptwohnsitzbefreiung in Anspruch genommen wird. Auch die Offenlegungs- oder Wahrheitspflicht wurde nicht verletzt, da die Behörde bereits im Jahr 2010 und 2011 umfangreich über die Anwendung der Hauptwohnsitzbefreiung für die Veräußerung der Liegenschaft informiert wurde."

Zum subjektiven Tatbestand wurde im Wesentlichen vorgebracht:
"Die Feststellung der Behörde, dass die Veräußerung einer Immobilie jedenfalls in den Steuererklärungen zu erfassen ist, ist schlichtweg nicht richtig. Auch für den steuerlichen Vertreter hat sich aus dem verfahrensgegenständlichen Sachverhalt -Verkauf des Privathauses der Familie ***Bf1***, welches seit 2003 als Hauptwohnsitz genutzt wurde- keine andere rechtliche Wertung als die Subsumierung unter § 30 Abs. 2 Z. 1 EStG 1988 (Hauptwohnsitzbefreiung) ergeben. … Eine (allenfalls auch grob) fahrlässige Abgabenverkürzung bewirkt keine Verlängerung der Verjährungsfrist."

Zum Neuerungstatbestand wurde vorgebracht:
"Die Behörde hat keine neuen Tatsachen festgestellt. Bereits vor der ersten neuen Sachentscheidung vom war der Behörde der gesamte Sachverhalt bekannt und die Behörde hätte damals bereits den Verkauf des Hälfteanteils der Einkommensteuer (Spekulationseinkünfte) unterwerfen können, was aber nach umfangreichen Ermittlungen 2011 vom Finanzamt selber schon anders gewertet wurde, nämlich als steuerfreier Verkauf des Hauptwohnsitzes."

6. Am legte das Finanzamt die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor und beantragte die Abweisung. Unstrittig sei das Vorliegen eines Spekulationsgewinnes iHv. 706.650 Euro.
Strittig sei, ob die Einkommensteuer 2008 hinterzogen ist und somit die verlängerte Verjährungsfrist von 10 Jahren zur Anwendung kommt und ob die Hauptwohnsitzbefreiung oder die Herstellerbefreiung gem. § 30 Abs. 2 EStG anwendbar ist.

7. Auf ein Ergänzungsersuchen des Bundesfinanzgerichts vom antwortete der BF mit der Stellungnahme vom . Demnach diente die gegenständliche Liegenschaft bis zum als Hauptwohnsitz. Um Weihnachten 2007 sei der BF in Verkaufsverhandlungen mit einem russischen Ehepaar getreten. Für die künftigen Käufer seien ab Jänner 2008 Umbaumaßnahmen gesetzt worden. Am wurde ein Optionsvertrag bezüglich der Liegenschaft zur Absicherung der Käufer unterfertigt. Am wurde ein Kaufvertrag abgeschlossen und dem Finanzamt zur Einhebung der Grunderwerbsteuer übermittelt. Wegen grundverkehrsrechtlichen Hindernissen wurde der Kaufvertrag rückabgewickelt. Am erfolgte der Verkauf an eine andere Person.
Mit Beantwortung des Ergänzungsersuchens des Finanzamtes vom sei der Sachverhalt betreffend die Liegenschaft samt Verträgen offengelegt worden.
Die Feststellung im Bericht über die Außenprüfung, dass erst im Zuge der Außenprüfung der Behörde erstmals der Verkauf der Liegenschaft bekannt wurde, treffe daher nicht zu.

8. Die Stellungnahme der beschwerdeführenden Partei wurde dem Finanzamt übermittelt. Der Amtsbeaufragte bestätigte, dass mit Vorhaltsbeantwortung des Steuerberaters vom der relevante Kaufvertrag dem Finanzamt vorgelegt wurde, jedoch nicht explizit zur Veranlagung 2008, sondern im Zuge der Abklärung von Umständen betreffend den Umfang der Steuerpflicht in Österreich betreffend die Eheleute. Weiter werde bestätigt, dass der Kaufvertrag mit Schreiben des Steuerberaters vom an das Finanzamt übermittelt wurde.

9. Mit Telefax vom wurde der Antrag auf eine mündliche Senatsverhandlung zurückgenommen.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

1. Mit Kaufvertrag vom erwarb der BF den Hälfteanteil an der Liegenschaft ***Z*** mit darauf errichtetem Haus an der Adresse ***Adresse1***. Den zweiten Hälfteanteil erwarb mit selbem Rechtsgeschäft seine Ehefrau.
Als Kaufpreis wurde für die gesamte Liegenschaft ein Betrag iHv 600.000 Euro vereinbart.

2. Mit Eingabe vom an die Gemeinde stellten die Bauwerber (der BF und seine Frau) ein Bauansuchen um Zu- und Umbau des bestehenden Gebäudes.
Mit Bescheid vom genehmigte der Bürgermeister der Gemeinde die geplanten Um- und Zubaumaßnahmen.
In der Folge tätigten der BF und seine Ehefrau Investitionen in das Gebäude. Im Rahmen der Schlussbesprechung vom wurden Investitionskosten iHv. 670.000 Euro errechnet und außer Streit gestellt.

3. Vom bis zum war der BF an dieser Adresse mit Nebenwohnsitz gemeldet. Mit meldete er sich an der Adresse ***Adresse2*** mit Hauptwohnsitz an.

4. Die Wohnung diente dem BF nach seinem Vorbringen bis als Hauptwohnsitz.
Im Zuge der Überprüfung des Finanzamtes von September bis November 2011 übermittelte der BF dem Finanzamt umfangreiche Unterlagen zu diesem Nachweis.
Nach der Feststellung des Finanzamtes lag der Mittelpunkt der Lebensinteressen des BF zumindest seit 2003 in Österreich. Dies geht aus dem Bericht über Außenprüfung vom hervor.

5. Mit Kaufvertrag vom veräußerten der BF und seine Frau ihren jeweiligen Hälfteanteil an der gegenständlichen Liegenschaft. Als Kaufpreis wurde für das Grundstück samt Gebäude ein Betrag von 2.720.000 Euro vereinbart. Für das Inventar wurde ein Kaufpreis von zusätzlich 150.000 Euro vereinbart.
Der BF erwirtschaftete somit unstrittig einen Überschuss aus der Veräußerung dieser Liegenschaft iHv 706.650 Euro (2.720.000 - 1.306.700 = 1.413.300: 2 = 706.650). In seiner am eingereichten Einkommensteuererklärung für das Jahr 2008 wurden keine Spekulationseinkünfte gem § 30 EStG idgF erklärt.

6. Am wurde ein Optionsvertrag bezüglich der Liegenschaft mit einem russischen Ehepaar, welches einen Kauf beabsichtigte, unterfertigt. Dieser Vertrag wurde dem Bundesfinanzgericht mit der Stellungnahme vom übermittelt.

7. Mit Vorhalt der Finanzamtes vom wurde unter anderem folgende Frage an den BF und seine Ehefrau gerichtet:
"Wann wurde das Objekt ***Adresse1*** gekauft und wann erfolgte der Verkauf? (Kaufverträge in Kopie und Zahlungsnachweise sind vorzulegen)."

Mit Schreiben vom beantwortete die steuerliche Vertretung diesen Vorhalt und übermittelte den Kaufvertrag vom und den Verkaufsvertrag vom .
Dies ist den vom Finanzamt mit dem Vorlagebericht vorgelegte Akten zu entnehmen.

8. Mit Vorhalt des Finanzamtes vom wurde folgende Frage an den BF gerichtet:
"Sie haben mit Kaufvertrag vom einen Liegenschaftsanteil in ***Adresse1*** verkauft, welcher im Jahr 2002 angeschafft wurde. Da der Verkauf innerhalb der Spekulationsfrist des § 30 (1) Z. 1 lit. a EStG 1988 erfolgte, werden Sie um Beantwortung folgender Fragen bzw. Vorlage der nachstehend angeführten Unterlagen ersucht:
Wurde die Liegenschaft von der Anschaffung bis zur Veräußerung ununterbrochen und mindestens seit 2 Jahren durchgehend als Hauptwohnsitz genutzt? Wenn ja, wird um Vorlage entsprechender Nachweise ersucht (z.B. Strom-, Wasser und Heizungsabrechnungen, Unterlagen über die Angabe der Wohnanschrift gegenüber Behörden, Ort der Postzustellung etc.). Es wird darauf hingewiesen, dass lt. der vorliegenden amtlichen Meldung die Liegenschaft vom bis nur als Nebenwohnsitz genutzt wurde."

Mit Schreiben vom erfolgte die entsprechende Stellungnahme der steuerlichen Vertretung und die Übermittlung der Kaufverträge vom und vom . Weiters wurden Telefon- und Stromrechnungen übermittelt.
Das Finanzamt hat aufgrund dieser Ermittlungen keinen Spekulationstatbestand festgestellt, bzw. ist vom Vorliegen einer Hauptwohnsitzbefreiung ausgegangen.

2. Beweiswürdigung

Der festgestellte Sachverhalt basiert aus den vom Finanzamt mit dem Vorlagebericht vorgelegten Akten und der Stellungnahme der steuerlichen Vertretung vom .

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. (Stattgabe)

3.1.1. Zur Hauptwohnsitzbefreiung

Gemäß § 30 Abs. 1 Einkommensteuergesetz 1988 idF. BGBl. I 85/2008 (EStG 1988) sind Spekulationsgeschäfte Veräußerungsgeschäfte, bei denen der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung bei Grundstücken nicht mehr als zehn Jahre beträgt.

Gemäß § 30 Abs. 2 Z. 1 EStG 1988, idF. BGBl. I 85/2008, sind von der Besteuerung ausgenommen, die Einkünfte aus der Veräußerung von Eigenheimen samt Grund und Boden, wenn sie dem Veräußerer seit der Anschaffung und mindestens seit zwei Jahren durchgehend als Hauptwohnsitz gedient haben.

Im gegenständlichen Fall sieht der BF die Voraussetzung für die Hauptwohnsitzbefreiung als gegeben an, obwohl nur eine Meldung als Nebenwohnsitz vorliegt.
Auch das Finanzamt sah offensichtlich anlässlich einer Überprüfung von September bis November 2011 die Voraussetzungen für die Hauptwohnsitzbefreiung als gegeben an.
Mit Vorhalt des Finanzamtes vom wurde folgende Frage an den BF gerichtet: "Sie haben mit Kaufvertrag vom einen Liegenschaftsanteil in ***Adresse1*** verkauft, welcher im Jahr 2002 angeschafft wurde. Da der Verkauf innerhalb der Spekulationsfrist des § 30 (1) Z. 1 lit. a EStG 1988 erfolgte, werden Sie um Beantwortung folgender Fragen bzw. Vorlage der nachstehend angeführten Unterlagen ersucht:
Wurde die Liegenschaft von der Anschaffung bis zur Veräußerung ununterbrochen und mindestens seit 2 Jahren durchgehend als Hauptwohnsitz genutzt? Wenn ja, wird um Vorlage entsprechender Nachweise ersucht (z.B. Strom-, Wasser und Heizungsabrechnungen, Unterlagen über die Angabe der Wohnanschrift gegenüber Behörden, Ort der Postzustellung etc.). Es wird darauf hingewiesen, dass lt. der vorliegenden amtlichen Meldung die Liegenschaft vom bis nur als Nebenwohnsitz genutzt wurde."

Mit Schreiben vom erfolgte die entsprechende Stellungnahme der steuerlichen Vertretung und die Übermittlung der Kaufverträge vom und vom . Weiters wurden Telefon- und Stromrechnungen und weitere Unterlagen übermittelt.

Im Bericht über die Außenprüfung vom erfolgte die Feststellung, dass keine Hauptwohnsitzbefreiung vorliege, ausschließlich mit der Begründung, dass der BF an der Adresse ***Adresse1*** von bis nur mit Nebenwohnsitz gemeldet war.
Obwohl im selben Bericht festgestellt wurde, dass der BF unstrittig seit 2003 in Österreich ansässig ist (den Mittelpunkt der Lebensinteressen in Österreich hat), fehlt eine Feststellung darüber, an welcher Adresse sonst der BF seinen Hauptwohnsitz in diesem Zeitraum gehabt habe.

Die belangte Behörde hat hierbei die Rechtslage verkannt.
Es hätten weitergehende Ermittlungen zum Hauptwohnsitz erfolgen müssen.
Bei mehreren Wohnsitzen iSd. § 26 BAO gilt als Hauptwohnsitz derjenige, an dem der Steuerpflichtige seinen Mittelpunkt der Lebensinteressen hat, dh. zu dem die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen bestehen. Die Feststellung des Hauptwohnsitzes hat nach den tatsächlichen Verhältnissen zu erfolgen.
Die polizeiliche Ab- und Anmeldung (§ 1 Abs 1 MeldeG) ist nicht entscheidend (), kann aber in Zweifelsfällen einen Begründungsanhalt bieten (; Ritz/Koran, BAO 7., § 26, Rz. 7).
Indizien für die engere persönliche und wirtschaftliche Beziehung können im Rahmen der freien Beweiswürdigung die Angabe der Wohnadresse gegenüber Arbeitgeber und Behörden, Ort der Postzustellung sowie der höhere Strom und Wasserverbrauch sein (; Kanduth-Kristen in Jakom EStG, 16. Aufl., § 30, Rz 28).

Anlässlich der Überprüfung von September bis November 2011 hatte ein Finanzbeamter bereits umfangreiche Unterlagen zum Nachweis des Hauptwohnsitzes erhalten und aufgrund dessen von einer Spekulationsbesteuerung abgesehen.
Für das Bundesfinanzgericht liegt kein Grund zur Annahme vor, dass das Finanzamt im Jahr 2018 bei ordnungsgemäßer Prüfung des Mittelpunktes der Lebensinteressen zu einem anderen Urteil gekommen wäre, als der Finanzbeamte, welcher im Herbst 2011 eine dahingehende Überprüfung durchführte.
Auch das Bundesfinanzgericht nimmt an, dass der BF bis seinen Hauptwohnsitz an der gegenständlichen Adresse hatte.

Im Unterschied zu der ab geltenden Rechtslage erforderte die Befreiungsbestimmung des § 30 Abs. 2 Z 1 EStG 1988 bis , dass die Wohnung "seit der Anschaffung und mindestens seit zwei Jahren durchgehend" als Hauptwohnsitz gedient hat.
Diesem Erfordernis wird dadurch Rechnung getragen, dass die Wohnung unmittelbar vor der Veräußerung oder jedenfalls vor der unmittelbaren Vorbereitung der Veräußerung dem Abgabepflichtigen noch immer als Hauptwohnsitz gedient hat. Sonst hätte die Wohnung nicht "seit mindestens zwei Jahren", sondern "mindestens für zwei Jahre" oder "in einem Zeitraum von mindestens zwei Jahren" als Hauptwohnsitz gedient (vgl. zu einer insoweit vergleichbaren Formulierung in § 10 Abs. 1 KStG 1966 das Erkenntnis ).

Im gegenständlichen Fall erfolgte die Aufgabe des Hauptwohnsitzes am und der Verkauf erst am . Angesichts dieser Zeitspanne ist zweifelhaft, ob der Wohnsitz damit noch "vor der unmittelbaren Vorbereitung der Veräußerung" als Hauptwohnsitz gedient hat.
Allerdings ist hierbei das vom Finanzamt unwidersprochene Vorbringen der beschwerdeführenden Partei zu berücksichtigen, dass der BF bereits "um Weihnachten 2007" in Verkaufsverhandlungen mit einem russischen Ehepaar getreten ist. Für die künftigen Käufer seien ab Jänner 2008 Umbaumaßnahmen gesetzt worden. Am wurde ein Optionsvertrag bezüglich der Liegenschaft zur Absicherung der Käufer unterfertigt. Am wurde ein Kaufvertrag abgeschlossen und dem Finanzamt zur Einhebung der Grunderwerbsteuer übermittelt. Wegen grundverkehrsrechtlichen Hindernissen wurde der Kaufvertrag allerdings rückabgewickelt.
Nach Ansicht des Bundesfinanzgerichts diente der Wohnsitz somit bis vor der unmittelbaren Vorbereitung der Veräußerung als Hauptwohnsitz und kommt die Hauptwohnsitzbefreiung zur Anwendung.

3.1.2. Zur Wiederaufnahme und Hinterziehung

Die belangte Behörde begründet die Wiederaufnahme des Verfahrens bezüglich der Einkommensteuer 2008 damit, dass erstmals im Zuge der Außenprüfung der Kaufvertrag vom und somit der Spekulationsgewinn des BF der Behörde bekannt geworden wäre.

Allerdings wurde dabei übersehen, dass der genannte Kaufvertrag bereits zweimal dem Finanzamt übermittelt worden war (mit Schreiben der steuerlichen Vertretung vom und mit Schreiben vom ).

Selbst wenn man zur Auffassung gelangen würde, dass die Hauptwohnsitzbefreiung nicht anwendbar wäre und eine neue Tatsache hervorgekommen sei, weil der Kaufvertrag nicht anlässlich der Veranlagung der Einkommensteuer des BF für 2008 vorgelegt worden sei, so könnte wegen der Verjährungsbestimmung eine Wiederaufnahme des Verfahrens im Jahr 2018 nur im Falle einer Abgabenhinterziehung erfolgen (§ 207 Abs. 2 BAO).

Die Beurteilung, ob Abgaben hinterzogen sind, ist zunächst eine Vorfrage und setzt daher eindeutige, ausdrückliche und nachprüfbare bescheidmäßige Feststellungen über die Abgabenhinterziehung voraus (zB ).
Dabei ist vor allem in Rechnung zu stellen, dass eine Abgabenhinterziehung nicht schon bei einer (objektiven) Abgabenverkürzung vorliegt, sondern Vorsatz erfordert, und eine Abgabenhinterziehung somit erst als erwiesen gelten kann, wenn - in nachprüfbarer Weise - auch der Vorsatz feststeht.
Vorsätzliches Handeln beruht nach ständigen Rechtsprechung des VwGH zwar auf einem nach außen nicht erkennbaren Willensvorgang, ist aber aus dem nach außen in Erscheinung tretenden Verhalten des Täters zu erschließen, wobei sich die diesbezüglichen Schlussfolgerungen als Ausfluss der freien Beweiswürdigung erweisen und in der Begründung entsprechend darzulegen sind (vgl , mwN).
Für den bedingten Vorsatz in § 8 Abs. 1 FinStrG genügt es, dass der Täter die Verwirklichung ernstlich für möglich hält und sich mit ihr abfindet.

Den bedingten Vorsatz der Abgabenhinterziehung begründete das Finanzamt damit, dass der BF als erfolgreicher Unternehmer über die Kenntnis verfüge, dass die Veräußerung einer Immobilie jedenfalls in Steuererklärungen zu erfassen ist.

Eine Internetrecherche des Bundesfinanzgerichts brachte zudem hervor, dass der BF nach dem BWL-Studium in Deutschland seine Karriere als Wirtschaftsprüfer und Steuerberater in Berlin begonnen hat.

Nach Ansicht des Bundesfinanzgerichtes sprechen allerdings folgende Gründe dagegen, dass der BF eine Abgabenverkürzung für möglich gehalten und sich mit ihr abgefunden hat:

  1. Der BF hat den Sachverhalt um den Liegenschaftsverkauf dem Finanzamt gegenüber mit Schreiben der steuerlichen Vertretung vom und mit Schreiben vom umfassend offengelegt.

  2. Der BF und der steuerliche Vertreter konnten in vertretbarer Rechtsmeinung davon ausgehen, dass die Voraussetzungen für die Hauptwohnsitzbefreiung vorliegen.

  3. Auch die Organe des Finanzamtes, denen die Kaufverträge vorlagen, kamen im Jahr 2009 und 2011 zu der Auffassung, dass der Verkauf der Liegenschaft nicht steuerpflichtig ist.

  4. Wenn die Steuerberaterausbildung des BF in Deutschland ins Treffen geführt wird, so ist zu beachten, dass dem BF damit in erster Linie Kenntnisse der deutschen Rechtslage zugerechnet werden können. In § 23 des deutschen Einkommensteuergesetzes findet sich eine dem § 30 EStG 1988 in der Fassung vor dem Stabilitätsgesetz 2012 vergleichbare Bestimmung zu Spekulationstatbeständen: Demgemäß bleibt der Veräußerungserlös einer eigengenutzten Immobilie steuerfrei, wenn die Immobilie im Verkaufsjahr, sowie in den zwei vorausgegangenen Kalenderjahren durch den Eigentümer zu eigenen Wohnzwecken genutzt wurde (§ 23 Abs. 1 Z. 1 dEStG). Auch angebrochene Jahre gelten hier. Die insoweit in Deutschland großzügigere Befreiung greift demnach, wenn eine Wohnung im Jahr 1 gekauft wird, ab Dezember des Jahres 3 selbst bewohnt wird und im Jänner des Jahres 5 verkauft wird.
    Auf Basis dieses Wissens konnte der BF jedenfalls davon ausgehen, dass ein Befreiungstatbestand gegeben ist.

Daraus ergibt sich, dass eine eindeutige und nachprüfbare Feststellung über eine Abgabenhinterziehung vom Finanzamt nicht erbracht werden konnte und nach Ansicht des Bundesfinanzgerichts auch keine Abgabenhinterziehung vorliegt.
Die verlängerte Verjährungsfrist in § 207 Abs. 2 BAO kommt nicht zur Anwendung.
Eine Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend die Einkommensteuer 2008 war im Jahr 2018 wegen Eintritts der Verjährung nicht mehr möglich.

Der Beschwerde gegen den Wiederaufnahmebescheid war daher Folge zu geben und der Wiederaufnahmebescheid betreffend Einkommensteuer 2008 aufzuheben.

Der am erlassene Einkommensteuerbescheid 2008 scheidet gem. § 307 Abs. 3 BAO aus dem Rechtsbestand aus, der alte Sachbescheid betreffend Einkommensteuer 2008 vom lebt wieder auf.

Wird einer Beschwerde gegen einen die Wiederaufnahme des Verfahrens bewilligenden oder verfügenden Bescheid (§ 307 Abs. 1) entsprochen, so ist gemäß § 261 Abs 2 BAO eine gegen die Sachentscheidung (§ 307 Abs. 1) gerichtete Bescheidbeschwerde mit Beschluss (§ 278) als gegenstandslos zu erklären.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Soweit Rechtsfragen zu klären waren, folgt das Bundesfinanzgericht der zitierten, einheitlichen Judikatur des Verwaltungsgerichthofes. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung war nicht zu lösen, daher ist eine ordentliche Revision nicht zulässig.

Innsbruck, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 30 Abs. 2 Z 1 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
§ 207 Abs. 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 307 Abs. 3 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 30 Abs. 1 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
ECLI
ECLI:AT:BFG:2023:RV.3100631.2018

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at