Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 16.08.2023, RV/7100697/2022

Heranziehung einer Gesamtschuldnerin für eine Umsatzsteuer aus Bauleistungen (§ 19 (1a) UStG 1994 iVm § 6 (2) BAO)

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht (BFG) hat durch die Richterin ***Ri*** in der Beschwerdesache der ***Bf1***, ***Bf1-Adr*** vertreten durch Vertreter-X, über die Beschwerde vom gegen den als Leistungsgebot gemäß § 6 (2) BAO zur Steuernummer 99-999/9999-99-999/9999 (M- GmbH i.L.) ergangenen Bescheid des Finanzamtes X (jetzt Dienststelle des ***FA***) vom betreffend Heranziehung als Gemeinschuldnerin für "Umsatzsteuerveranlagungen und div. Nebengebühren" zu Recht erkannt:

I. Der angefochtene Bescheid wird abgeändert.

Die Beschwerdeführerin wird als Gesamtschuldnerin einer Umsatzsteuer in Höhe von 203.137,88 €, resultierend aus einem Vertrag über eine Bauleistung vom 15.Febr. 2018 zwischen der M- GmbH, FN 888888y und der Miteigentumsgemeinschaft der Liegenschaft 9999, R.-Gasse, nach § 19 (1a) UStG 1994 im nachfolgenden Ausmaß zur Leistung herangezogen:

Umsatzsteuer 2/2019: 1.339,30 €
Umsatzsteuer 3/2019: 24.000,- €

Die Fälligkeit ist bereits eingetreten.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) zulässig.

Entscheidungsgründe

Die verfahrensgegenständliche Beschwerde richtet sich gegen eine Inanspruchnahme der Leistungsempfängerin einer Bauleistung (Rohbauerrichtung) als Gesamtschuldnerin nach § 19 Abs. 1a UStG 1994 iVm § 6 Abs. 2 BAO.

Die Abgabenbehörde geht im angefochtenen Bescheid davon aus, dass die umsatzsteuerliche Abrechnung des Bauauftrages mit einem Übergang der Steuerschuld auf die Leistungsempfängerin unter Anwendung des § 19 (1a) UStG 1994 zu Unrecht erfolgte.
Die Beschwerdeführerin (Bf/Frau M)) sei als Leistungsempfängerin weder mit der Erbringung der verfahrensgegenständlichen Rohbauerrichtung beauftragt gewesen, noch erbringe sie sonst überwiegend Bauleistungen. Die Bauleistung sei daher beim leistenden Unternehmen zu versteuern gewesen. Die Inanspruchnahme der Bf sei erfolgt, weil das leistende Unternehmen seinen Zahlungsverpflichtungen nicht nachgekommen sei.

In der Beschwerde bestreitet auch die Bf das Vorliegen einer Bauleistung iSd § 19 (1a) UStG 1994. Sie verweist auf ihr Miteigentum an der bebauten Liegenschaft und wendet überdies ihre fehlende Unternehmereigenschaft ein.
Zudem bringt die Bf verschiedene Aspekte vor, deren Berücksichtigung im Rahmen der zu fällenden Ermessensentscheidung bei ihrer Inanspruchnahme als Gesamtschuldnerin unterblieben sei (irrtümliche Behandlung als Bauleistung nach § 19 (1a) UStG 1994; Bezahlung des Bruttorechnungsbetrages an das leistende Unternehmen; zwischenzeitige Rechnungsberichtigung und Nachversteuerung beim leistenden Unternehmen).

In einer abweisenden Beschwerdevorentscheidung (BVE) betont das FA das zwischen dem leistenden Unternehmen und der Bf bestehende Naheverhältnis, das auf ein bewusstes Zusammenwirken zum Zweck der Umgehung der Steuerpflicht aus dem strittigen Geschäft hinweise. Eine irrtümliche Gestaltung schließt das FA aufgrund der von beiden Vertragsparteien verletzten Melde- und Zahlungspflichten aus.
Eine nachträgliche Rechnungsberichtigung könne am bereits endgültig eingetreten Erfolg der unrichtigen Gestaltung nichts ändern.

Im Vorlageantrag weist der im Verfahren neu für die Bf einschreitende, langjährige Rechtsberater ihres Ehemannes darauf hin, dass die Bf als Hausfrau ihre Gesellschafterrechte - wie zB Bucheinsicht - niemals ausgeübt und sich mangels Erfahrung mit Rechnungslegung und Steuerrecht ganz auf den Steuerberater verlassen habe. Ihr sei daher weder ein Beitrag zur Abgabenhinterziehung, noch eine Kenntnis oder verschuldete Unkenntnis über die Steuerpflicht des zu beurteilenden Rechtsgeschäfts anzulasten. Für eine Abgabenverkürzung des leistenden Unternehmens sei sie nicht verantwortlich. Eine "solidarische Mithaftung für die fremde Abgabenschuld" hätte eben jenen Übergang der Steuerschuld auf die Bf zur Folge, den das FA richtigerweise verwehrt habe.

Der FA-Vorlagebericht an das BFG enthält erstmals eine Darstellung jener Abgabenschuldigkeiten, für welche die Bf als Gesamtschuldnerin herangezogen wurde.
Das FA verweist darauf, dass die Bf, mangels eigener Vorsteuerabzugsberechtigung, die Pflicht zur Abfuhr der mittels korrigierter Rechnungen auf sie übertragenen USt-Zahllast an das FA getroffen habe. Der Bf sei als Mehrheitsgesellschafterin der beauftragten Baugesellschaft die Kenntnis der USt-Pflicht bei der Erbringung von Bauleistungen zumutbar. Das FA gehe auch davon aus, dass der geschäftsführende Ehegatte die Bf als Mehrheitsgesellschafterin der M-GmbH über Vorgänge in der Gesellschaft informiert habe.
Anhand mehrerer Aspekte der Abrechnung des strittigen Rohbauauftrages konkretisiert das FA das koordinierte Zusammenwirken der einander nahestehenden Beteiligten, mit dem Ziel einer Umgehung der Umsatzsteuerpflicht des zugehörigen Umsatzes.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

I. Aus den insoweit unbedenklichen Vorlageunterlagen des Finanzamtes (FA) bzw. den finanzgerichtlichen Datenbankrecherchen (Abgabenbehörde, Firmenbuch, Grundbuch, ZMR) ergibt sich nachfolgender Sachverhalt, den das BFG dieser Entscheidung als erwiesen zu Grunde legt:

1. Adressat der angefochtenen Erledigung ist ***Bf1*** (Bf), die aufgrund eines Kaufvertrages vom zu einem Drittel Miteigentümerin jener Liegenschaft war, auf welcher der strittige Rohbau errichtet wurde (Lageadresse: 9999 R.-Gasse, nachfolgend R-Gasse).

Der langjährig im Bauwesen tätige Ehemann der Bf, A.M. (nachfolgend auch Herr M), war bis 2/2018 Prokurist bzw. danach Geschäftsführer (GF) der mit der Ausführung des strittigen Bauauftrages beauftragten M- GmbH, FN 888888y (nachfolgend M-GmbH) sowie geschäftsführender Alleingesellschafter der im April 2017 gegründeten R.-Gasse Immobilienverwertungs GmbH, FN 999999x (nachfolgend Immo-GmbH).
Die Bf ist Ehefrau von Herrn M und war bis 2/2018 geschäftsführende Mehrheitsgesellschafterin der M-GmbH. Die weiteren Gesellschafter der M-GmbH waren ebenfalls Familienmitglieder
Die - nach einem Insolvenzverfahren inzwischen im Firmenbuch gelöschte - M-GmbH war im Geschäftsbereich Bauwesen tätig.

Die Eheleute M und die Immo-GmbH waren jeweils zu einem Drittel Miteigentümer der Liegenschaft in der R-Gasse.
Die Beschwerdeverfahren von Herrn M und der Immo-GmbH gegen die Inanspruchnahme als Gesamtschuldner sind beim BFG zu den Zahlen RV/7100729/2022 bzw. RV/7101720/2021 erfasst.

Die verfahrensgegenständliche Rohbauerrichtung erfolgte im Rahmen eines Bauvorhabens zur Errichtung einer neuen Wohnhausanlage auf der Liegenschaft in der R-Gasse.
Nach Abschluss des Bauvorhabens und Parifizierung der Liegenschaft wurden den drei Miteigentümern je fünf Wohnungseigentums (WE)-Einheiten (je drei Wohn-/Büroeinheiten und zwei Parkplätze) zugeordnet (Wohnungseigentumsvertrag , GB BG 999 TZ 99999/2020).

Im Mai/Juli 2020 veräußerten Herr M und die Immo GmbH sieben ihrer WE-Objekte jeweils ohne USt-Option nach § 6 (2) UStG 1994. Bis zum Verkauf der restlichen drei WE-Objekte Ende März 2022, mit dem zugleich das Ausscheiden aus der nunmehrigen WEG verbunden war, erzielten die Immo-GmbH und Herr M knapp 2.000,000,- € USt-freie Veräußerungserlöse.
Die Bf ist bis heute Eigentümerin ihrer fünf WE-Objekte.

Über das Vermögen der M-GmbH wurde - zwei Monate nach Nichteröffnung mangels Kostendeckung - im Sept 2019 ein Insolvenzverfahren eröffnet. Nach der Schlussverteilung und Konkursaufhebung im Juli 2020 erfolgte am die Löschung der Gesellschaft im Firmenbuch.
Aktuell haftet auf dem Abgabenkonto der M-GmbH ein vollstreckbarer Rückstand von 25.778,30 € aus.

2. Die Bf, von Beruf Diplom-Krankenschwester (ESt-Erklärung 2014 des Gatten), erzielte nach den Daten ihres Abgabenkontos - obwohl als Mehrheitsgesellschafterin der M-GmbH langjährige Geschäftsführerin dieser Gesellschaft - über Jahre keine steuerpflichtigen Einkünfte, sondern bezog ab der Geburt des ersten Kindes (2004) durchgehend ausschließlich Einkünfte aus steuerfreien Transferleistungen (AMS, GKK/ÖGK).

Lediglich im Jahr 2021 scheinen ab Juni Lohnbezüge der Bf aus einem Vollzeitdienstverhältnis bei einer M2 Bau GmbH, FN 666666w auf, deren geschäftsführender Alleingesellschafter ihr Ehemann von Juni 2019 bis zur Insolvenzeröffnung im Nov. 2022 war.
Welche Tätigkeit die Bf im Rahmen dieses Dienstverhältnisses ausübte, ist nicht bekannt.

Im Jahr 2021 flossen der Bf zudem Einnahmen von einer "xy-Finanzberatung & Immobilienhandel GmbH", FN 888889z zu.

Abgabenerklärungen reichte die Bf zuletzt für 2005 ein (Antrags-ANV); seither ergingen auch keine Veranlagungsbescheide an sie.
Umsatzsteuerdaten weist das Abgabenkonto der Bf bis heute nicht aus (kein USt-Signal).
Auch eine steuerliche Vertretung oder ein zustellbevollmächtigter Empfänger war und ist in der abgabenbehördlichen Datenbank für die Bf nicht erfasst.

Trotz langjährig fehlender Einkünfte, erwarb die Bf ab 2008 mehrere Immobilien bzw. Miteigentumsanteile an Immobilien in Wien, die in der Folge regelmäßig umfangreich saniert wurden. Insgesamt besaß die Bf lt Grundbuchsdaten zwölf Eigentumswohnungen, von denen sie in den Jahren 2015 - 2022 sieben nach Sanierung wieder veräußerte.

Zwei nach solchen Umbauarbeiten entstandene Großwohnungen dienten der Bf mehrjährig als meldebehördlicher Hauptwohnsitz, bevor sie diese umsatz- und ertragssteuerfrei veräußerte.
Mit ihrem Ehemann und den gemeinsamen Kindern (geb. 2004/2006) teilte die Bf nur bis Juli 2009 einen Hauptwohnsitz in einer Mietwohnung in 9994 S.Straße/11, danach erst wieder ab Juni 2018 für zwei Jahre in 9999, B-Straße/7.
Seit Juni 2020 befindet sich der meldebehördliche Hauptwohnsitz der Bf und der Kinder in einer ihrer Eigentumswohnungen in der R-Gasse (W 3).
Der Ehemann hat den Hauptwohnsitz seither an der Adresse einer angrenzenden Liegenschaft, die er im Mai 2020 samt aufrechter Baubewilligung erwarb und auf der anschließend zwei Häuser errichtet wurden (HW des Gatten lt ZMR ab 4/2022 Haus 1, seit 5/2023 Haus 2).

Auf welche Weise die Bf ihren Immobilienbesitz in den Jahren bis zum Verkauf nutzt, soweit er nicht als Hauptwohnsitz dient, ist ihrem Abgabenkonto nicht zu entnehmen. Vermietungseinkünfte gab die Bf dem FA in der Vergangenheit nicht bekannt.
Im Jahr 2017 veräußerte sie allerdings eine vermietete Wohnung in der B-Straße (GB BG 999 TZ 999994/2017).

Die wiederholten Immobilienverkäufe der Bf wurden in ImmoESt-Meldungen als private Grundstücksveräußerungen behandelt (§§ 30ff EStG). Steuerliche Auswirkung ergaben sich daraus nur vereinzelt bzw. sehr begrenzt (HW-Befreiung, Veräußerungsverlust, sehr geringe ImmoESt-Beträge). Eine abgabenbehördliche Überprüfung der ImmoESt-Meldungen ist nicht dokumentiert.

3. Dem angefochtenen Bescheid liegt ein Werkvertrag vom 15.Febr.2018 zugrunde, mit welchem die drei Miteigentümer der Liegenschaft in der R-Gasse die M-GmbH gemeinsam mit der Errichtung des Rohbaus für eine neu zu errichtende Wohnhausanlage beauftragt hatten (FA-Vorlageunterlagen, BFG-Akt OZ 103).

Die M-GmbH als leistendes Unternehmen und die Miteigentumsgemeinschaft (MEG) der zu bebauenden Liegenschaft als Leistungsempfängerin des verfahrensgegenständlichen Bauauftrages waren im steuerlichen Sinn einander nahestehende Geschäftspartner.

Der Auftrag vom 15.Febr.2018 umfasste die Rohbauerrichtung mit von der M-GmbH beigestelltem Material lt. einem Anbot vom 8.Febr.2018 nach den "bestehenden Einreichplänen und deren Aufbauliste" sowie gemäß einer vorliegenden Baubewilligung.
Der Einreichplan stammte vom Juni 2017, die baubehördliche Einreichung war durch "den Bauherrn" erfolgt. Die Rohbauarbeiten sollten am 18.Febr.2018 beginnen.

Grundbuchsurkunden weisen die drei Liegenschaftseigentümer als gemeinschaftliche Verfahrenspartei in der Vorbereitungsphase bzw. diese vertreten durch Herrn M als Einbringer/Bauwerber des verfahrensgegenständlichen Bauvorhabens aus. Die M-GmbH scheint als Planverfasserin und Bauführerin auf (GB BG 999, TZ 99998/2018 bzw. TZ 99999/2020).

Als Entgelt für die Rohbauerrichtung war im Werkvertrag vom 15.Febr.2018 eine "Bruttoabgeltung" von 973.022,- € vereinbart, welche ausdrücklich auch die gesetzliche Umsatzsteuer enthielt. Für zusätzlich anfallende Regiearbeiten waren Stundensätze festgelegt.
In Übereinstimmung mit der Auftragserteilung sollte die Rechnungslegung an die Miteigentumsgemeinschaft der Liegenschaft erfolgen.
Der vereinbarte Zahlungsplan sah Teilzahlungen gemäß dem im Anbot festgelegten Baufortschritt nach Überprüfung durch sachverständige Personen (Statiker, Architekt) im Auftrag "des Bauherrn" bzw. der - mit 1.600.000,- € hypothekarisch erstrangig besicherten - X-Finanzierungsbank (Finanzierungsbank) vor.

Ein Hinweis auf den Übergang der Steuerschuld auf die Auftraggeberin (Leistungsempfängerin nach § 19 (1a) UStG 1994) findet sich im Werkvertrag vom 15.Febr 2018 nicht.
Dem Vertrag ist auch nicht zu entnehmen, dass die M-GmbH als (direkte) Vertreterin der Auftraggeberin mit der Rohbauerrichtung beauftragt war.

4. Nach den abgabenbehördlichen Verfahrensunterlagen wurden von der M-GmbH im Zeitraum März - Sept 2018 monatlich getrennte Teilrechnungen über je ein Drittel der zu leistenden Teilzahlung an jeden der Miteigentümer gelegt.
In einer ersten Version waren diese Teilzahlungsanforderungen als Nettorechnungen mit gesondertem USt-Ausweis ausgestaltet.

Im Dez 2018 übermittelte die M-GmbH dem FA berichtigte UVA für 3-9/2018, denen sie einerseits Stornorechnungen zu den bisherigen Teilrechnungen und anderseits an deren Stelle tretende, neue Teilrechnungen über die geleisteten Arbeiten anschloss.
Die neuen Rechnungen enthielten den bisherigen Bruttobetrag als "anweisbaren Betrag", nun ohne gesonderten USt-Ausweis.
Sowohl die Stornorechnungen als auch die geänderten Teilrechnungen trugen einerseits das bisherige Rechnungsdatum (ex tunc-Berichtigung) und anderseits den Hinweis "Die Mehrwertsteuerschuld wird lt. § 19 auf den Leistungsempfänger übertragen."
Eine UID-Nr der MEG oder eines ihrer Miteigentümer enthalten die Rechnungen nicht.

Die Miteigentümer bezahlten die in Rechnung gestellten Bruttobeträge jeweils ohne Abzug an die M-GmbH. Diese unterließ eine Entrichtung der vereinnahmten USt an das FA.
Auch durch die MEG als Auftraggeberin/Leistungsempfängerin der Rohbauerrichtung oder die Miteigentümer als Rechnungsempfänger erfolgten weder Meldungen noch eine Bezahlung der lt. berichtigter Rechnungen nach "§ 19" auf sie übertragenen Umsatzsteuer an das FA.

5. Nach einer Anfang Mai 2019 abgeschlossenen Außenprüfung (AP) für 2014 - 2017 und USt-Nachschau "2018 - 2019" bei der M-GmbH vertrat das FA den Standpunkt, dass der Übergang der Steuerschuld aus den Rechnungen zur Rohbauerrichtung aufgrund der Eigentümerstellung der Auftraggeber/Leistungsempfänger am Baugrundstück nicht anzuerkennen war. Die AP ging davon aus, dass die Miteigentümer der Liegenschaft als Auftraggeber/Leistungsempfänger nicht mit der Herstellung des Rohbaus beauftragt gewesen waren und ihnen zudem keine Unternehmereigenschaft zukam. Im Fall des Verkaufes der Liegenschaft würden Grundstücksumsätze bewirkt und nicht Bauleistungen erbracht.
Die AP beurteilte die abgerechneten Rohbauleistungen als steuerpflichtige Umsätze der M-GmbH und stellte eine "Haftung der Leistungsempfänger für die Umsatzsteuer" in Aussicht.

Am ergingen gemäß den AP-Feststellungen Bescheide über die Festsetzung von Umsatzsteuer für 1/2018 - 2/2019 an die geprüfte Gesellschaft, darin enthalten Nettoumsätze von 895.689,43 € aus Teilrechnungen zum Rohbauauftrag in der R-Gasse.
Eine zweite USt-Nachschau anlässlich der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bei der M-GmbH erbrachte für März 2019 einen abschließenden Nettoumsatz zu diesem Bauvorhaben im Betrag von 120.000,- € (Bescheid über die USt-Festsetzung 3/2019 v. ).

Insgesamt erzielte die M-GmbH nach dem Ergebnis der durchgeführten abgabenbehördlichen Überprüfungen aus den Rohbauleistungen in der R-Gasse bis 3/2019 einen Umsatz von 1.015.689,43 € + 203.137,88 € USt.
Von einem Abschluss der im Werkvertrag vom 15.Febr 2018 vereinbarten Leistungen ist spätestens im März 2019 auszugehen (FA-Vorlagebericht ).

Da die aufgrund der Prüfungsmaßnahmen ergangenen USt-Bescheide neben den Umsätzen betreffend das Bauvorhaben in der R-Gasse weitere Besteuerungsgrundlagen (Umsätze/Vorsteuern) enthielten, ergaben sich für den Zeitraum 1/2018 -3/2019 folgende USt-Festsetzungen:
USt 1-6/2018: - 5.031,53 €
USt 7-12/2018 52.811,47 €
JahresUSt 2018 47.777,75 €
USt 1-2/2019 33.863,39 €
USt 3/2019 23.210,51 €

Die AP-Bescheide zur USt 7/2018-2/2019 vom Mai 2019 erwuchsen nach einer abweisenden Beschwerdevorentscheidung vom in Rechtskraft.
Die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlassenen Bescheide zur USt 3-9/2019 blieben unangefochten

In der BVE vom wurden sowohl die mit dem gegenständlichen Beschwerdevorbringen vergleichbaren Einwendungen der M-GmbH gegen die Zurechnung des Umsatzes aus der Rohbauerrichtung, als auch ein Vorbringen gegen die Höhe der USt-Festsetzungen als unberechtigt festgestellt.
Der Einwand der zwischenzeitigen Rechnungsberichtigung im Sinne des AP-Ergebnisses aus der im Juni 2019 eingebrachten Beschwerde fand keine Berücksichtigung.

Dem BFG liegen im Sinne des AP-Ergebnisses berichtigte Rechnungen der M-GmbH nicht vor.

6. Aufgrund vorangegangener Gutschrifts-UVA aus Vorsteuerüberhängen führte die Verbuchung der USt-Bescheide 1/2018 - 2/2019 vom auf dem Abgabenkonto der M-GmbH zu einer Nachforderung von insgesamt 91.075,75 €, welche sich mit Ergehen des USt-Jahresbescheides 2018 auf 91.073,76 € verminderte. Ergänzt um die für 3/2019 zum Rohbau in der R-Gasse vorgeschriebene USt von 24.000,- €, ergibt sich ein Betrag von 115.073,76 €.

Nach dem - der Bf zugegangenen - FA-Vorlagebericht vom liegen diesem Betrag folgende Abgabenschuldigkeiten zugrunde:
USt 7-12/2018 54.624,09 €
JahresUSt 2018 - 2,19 €
USt 1-2/2019 36.451,95 €
USt 3/2019 24.000,00 €

Die Bf erhob keinen Einwand gegen die zahlenmäßige Darstellung des FA im Vorlagebericht.
Auch die finanzgerichtlichen Erhebungen führen zu keinen abweichenden Feststellungen.

7. Ende Okt 2019 wies das Abgabenkonto der M-GmbH einen Rückstand an fälligen Abgaben im Betrag von 144.619,42 € auf.
Der fällige Rückstand umfasste neben der Nachforderung aus der AP vom Mai 2019 samt Nebengebühren (USt 2015/2016, USt 1/2018-2/2019, SZ/EZ) und der USt-Nachschau vom Okt.2019 (USt 3-6/2019), auch die Nachforderung aus einer Lohnabgabenprüfung zum Zeitraum 1-9/2019 vom Okt 2019 und die KöSt-Vorauszahlungen für das 2./3.Quartal 2019.

8. Am erging - als einer von drei getrennt für jeden Miteigentümer der Liegenschaft in der R-Gasse inhaltsgleich ausgefertigten Schriftsätzen - zur Steuernummer der M-GmbH folgende Erledigung des FA an die Bf:
"Frau
***Bf1***
B-Straße
9999

Betreff: M- GmbH in Liqu.Wien,
9996 S.Straße/9
St.Nr. 99-999/9999-BV 24

BESCHEID -
Leistungsgebot

Das oben angeführte Abgabenkonto weist einen fälligen Rückstand in Höhe von € 144.619,47 aus. Dieser ist durch Umsatzsteuerveranlagungen u. div. Nebengebühren entstanden. Die Fälligkeit ist bereits eingetreten.

Begründung:
Personen, die gemeinsam zur Abgabenentrichtung heranzuziehen sind, sind gem. § 6 Abs. 2 BAO Gesamtschuldner. Dies gilt insbesondere für Abgabenschulden eines Unternehmers, die aus umsatzsteuerpflichtigen Bauleistungen stammen, für welche die Steuerschuld nicht gemäß § 19 Abs. 1a UStG auf den Leistungsempfänger überging, weil der Leistungsempfänger zu Unrecht darauf hingewiesen hat, dass er seinerseits mit der Erbringung von Bauleistungen beauftragt wurde und er auch nicht üblicherweise Bauleistungen erbringt.

Die Inanspruchnahme von Frau ***Bf1*** als Zahlungsverpflichtete erfolgte, weil die als Leistungsgerbringerin fungierende M- GmbH in Liqu. ihrer Zahlungsverpflichtung nicht nachgekommen ist. Es liegt im Ermessen der Abgabenbehörde, ob das Leistungsgebot an einen der Gesamtschuldner oder an mehrere gerichtet wird. Sie wurden als Gesamtschuldner in Anspruch genommen und tragen für die aushaftenden Abgaben in Höhe von € 115.073,85 die Zahlungsverpflichtung.

Rechtmittelbelehrung:
Sie haben das Recht, gegen diesen Bescheid Beschwerde einzulegen (zB. wenn Fehler aufgetreten sind bzw. Sie Positionen vergessen haben). Die Beschwerde muss innerhalb eines Monats nach der Zustellung aufgegeben werden. In der Beschwerde sind der Bescheid zu bezeichnen sowie die gewünschten Änderungen anzuführen und zu begründen. Die Beschwerde hat keine aufschiebende Wirkung (§ 254 BAO). Die Einhebung des in Streit stehenden Betrages kann auf Antrag gem. § 212a BAO bis zur Erledigung der Beschwerde ausgesetzt werden. Insoweit die Beschwerde nicht stattgegeben wird, sind in der Folge Zinsen zu entrichten."

Ein Hinweis auf Beilagen findet sich in der Erledigung des FA vom nicht.

9. Die Bf brachte im Wege der XY WTH GmbH fristgerecht "Beschwerde gegen den Bescheid - Leistungsgebot" vom ein und begehrte mit folgender Begründung die Aufhebung der bekämpften Erledigung:
"Als Begründung ist anzuführen, dass Frau ***Bf1*** keine Gesamtschuldnerin aufgrund von Bauleistungen ist, da es sich bei den Rechnungen der M- GmbH nicht um Bauleistungen handelt. Weiters wurden alle Rechnungen zum Bruttobetrag von den Leistungsempfängern bezahlt.

Der Leistende und der Leistungsempfänger hatten ursprünglich irrtümlich angenommen, dass die Leistungen Bauleistungen sind und auf den Rechnungen wurde irrtümlich vermerkt, dass es sich bei diesen Rechnungen um Bauleistungen handelt.
Zur Korrektur des Irrtums wurden die Rechnungen berichtigt, neu ausgestellt mit Umsatzsteuerausweis von 20 % und bezahlt gemäß dem Prüfungsergebnis.

Von der Betriebsprüfung wurde festgestellt, dass es sich um keine Bauleistungen handelt.

Die Rechnungen, die ursprünglich falsch mit dem Hinweis auf Bauleistungen ausgestellt wurden, wurden alle berichtigt und mit Umsatzsteuer ausgestellt.
Da die vorliegenden Leistungen keine Bauleistungen sind und demnach die Steuerschuld nicht auf den Leistungsempfänger übergeht liegt auch keine Gesamtschuldnerschaft vor.

In den UStR Rz 2602f wird auch hingewiesen, dass es sich bei der Sanierung von eigenen Grundstücken nicht um Bauleistungen handelt.
Zu der Gruppe der Leistungsempfänger gehört nicht der Bauherr, da die Steuerschuld nicht auf den ersten Auftraggeber übergehen soll. Als Eigentümer kann man nicht mit der Erbringung von Bauleistungen beauftragt werden.
Es handelt es sich auch bei den Leistungsempfängern nicht um Unternehmer, die üblicherweise Bauleistungen erbringen.

Die von der Firma M- GmbH gelegten Rechnungen inclusive der Umsatzsteuer wurden mit dem Bruttobetrag, also inclusive der Mehrwertsteuer von den Leistungsempfängern bezahlt.

Da es sich demnach nicht um Bauleistungen handelt, ist Frau ***Bf1*** keine Person, die gemeinsam zur Abgabenentrichtung heranzuziehen ist, da sie nicht Gesamtschuldnerin ist." (Zitatende/Beschwerde)

10. Zugleich mit der Heranziehung der Miteigentümer der Liegenschaft in der R-Gasse als Gesamtschuldner nach § 19 (1a) UStG 1994, erwirkte das FA bei der Liegenschaft für jeden der drei in Anspruch genommenen Gesamtschuldner die grundbücherliche Vormerkung eines Pfandrechts in Höhe der eingeforderten Gesamtschuld zu Gunsten der Republik Österreich (GB BG 999 TZ 99997/2019 v. ).

Im Zuge des nachfolgenden Verkaufs von WE-Objekten beantragte das FA die Löschung dieser Vormerkungen zunächst teilweise, bevor im Sept./Okt 2021 eine vollständige Löschung der Vormerkungen bei allen WE-Objekten der Liegenschaft beantragt und auch durchgeführt wurde (GB BG 999 TZ 99996/2020 v. bzw. TZ 99995/2021 v. 1./).

11. Nach einer Ende April 2020 im Vorfeld der ersten Wohnungsverkäufe durchgeführten Aussetzung der aus den angefochtenen Leistungsgeboten vom aushaftenden Umsatzsteuer nach § 212a BAO, langten im Zeitraum Mai - Aug 2020 auf dem Abgabenkonto der M-GmbH zunächst Zahlungen im Betrag von insgesamt 118.744,52 € und Anfang Sept. 2021 ein weiterer Zahlungseingang von 9.992,- € ein, die großteils mit deren fälligen Abgabenschuldigkeiten aus den im Mai/Okt.2020 festgesetzten USt-Bescheiden verrechnet wurden.

Aufgrund des Insolvenzverfahrens und der vorangegangenen Aussetzung geht das BFG davon aus, dass der Verrechnung der Zahlungseingänge mit aushaftender USt 7/2018 - 2/2019 entsprechende Verrechnungsweisungen zugrunde lagen (§ 212a (8) BAO).

Aktuell haftet noch ein vollstreckbarer Betrag von 1.339,30 € (USt 1-2/2019) bzw. von 24.000,- € (USt 3/2019) aus dem fälligen Rückstand vom auf dem Abgabenkonto der inzwischen im Firmenbuch gelöschten M-GmbH aus.

II. Rechtslage:
1. § 19 (1a) UStG 1994 in der ab 2017 geltenden Fassung BGBl. I Nr. 117/2016 lautet:
"Bei Bauleistungen wird die Steuer vom Empfänger der Leistung geschuldet, wenn der Empfänger Unternehmer ist, der seinerseits mit der Erbringung der Bauleistungen beauftragt ist. Der Leistungsempfänger hat auf den Umstand, dass er mit der Erbringung der Bauleistungen beauftragt ist, hinzuweisen. Erfolgt dies zu Unrecht, so schuldet auch der Leistungsempfänger die auf den Umsatz entfallende Steuer.

Werden Bauleistungen an einen Unternehmer erbracht, der üblicherweise selbst Bauleistungen erbringt, so wird die Steuer für diese Bauleistungen stets vom Leistungsempfänger geschuldet. Bauleistungen sind alle Leistungen, die der Herstellung, Instandsetzung, Instandhaltung, Reinigung, Änderung oder Beseitigung von Bauwerken dienen. Das gilt auch für die Überlassung von Arbeitskräften, wenn die überlassenen Arbeitskräfte Bauleistungen erbringen."

Der dritte Satz des § 19 (1a) UStG 1994 normiert bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen ein Gesamtschuldverhältnis der am Bauleistungsumsatz beteiligten Geschäftspartner.

Der Abgabenanspruch gegenüber dem Leistungsempfänger entsteht bei Verwirklichung des in § 19 (1a) normierten Tatbestandes mit Ablauf des Monats einer Teilzahlung oder der Leistungserbringung bzw. bei späterer Rechnungslegung, mit Ablauf des Folgemonats (§ 19 (2) Z 1 lit a und lit b UStG 1994 iVm § 4 (1) und (3) BAO).

Im Gegensatz zu den weiteren in § 19 (1) bis (1e) UStG 1994 genannten Tatbeständen sieht § 19 (1a) UStG 1994 keine Haftung für Beteiligte vor.

2. § 6 BAO definiert abgabenrechtliche Gesamtschuldverhältnisse und lautet:
"(1) Personen, die nach Abgabenvorschriften dieselbe abgabenrechtliche Leistung schulden, sind Gesamtschuldner (Mitschuldner zur ungeteilten Hand, § 891 ABGB.).
(2) Personen, die gemeinsam zu einer Abgabe heranzuziehen sind, sind ebenfalls Gesamtschuldner; dies gilt insbesondere auch für die Gesellschafter (Mitglieder) einer nach bürgerlichem Recht nicht rechtsfähigen Personenvereinigung (Personengemeinschaft) hinsichtlich jener Abgaben, für die diese Personenvereinigung (Personengemeinschaft) als solche abgabepflichtig ist
."

Für die Inanspruchnahme eines Gesamtschuldners bedarf es neben dem Entstehen der Gesamtschuld auch der Heranziehung mittels konkreten abgabenbehördlichen Leistungsgebotes. Die Geltendmachung gegenüber dem Gesamtschuldner hat mit Abgabenbescheid zu erfolgen (§ 92 (1) lit a BAO iVm § 198 (1) bzw. § 199 BAO) und unterliegt als abgabenbehördliche Ermessensentscheidung den Vorgaben des § 20 BAO.

Im Ermessen der Abgabenbehörde liegt neben der Auswahl einer/mehrerer Person(en) aus dem Kreis der in Frage kommenden Gesamtschuldner, auch das Ausmaß der Heranziehung eines Gesamtschuldners und, bei mehreren Gesamtschuldnern, die Reihenfolge der Inanspruchnahme. Zudem steht es der Abgabenbehörde frei, mehrere/alle Gesamtschuldner in einem einheitlichen Abgabenbescheid heranzuziehen, oder auch jeden/einzelne Gesamtschuldner mittels gesonderten Leistungsgebotes zu verpflichten. Das geübte Ermessen ist zu begründen (; ; ; und Ritz/Koran BAO Kommentar7 § 6 Rz 4, 7 u. 12 mit zahlreichen Beispielen und Judikaturverweisen).

Als Abgabenbescheide haben derartige Leistungsgebote den Bestimmungen der §§ 93, 96 und 198f BAO zu entsprechen.

3. § 92 (1) lit a BAO ordnet an, dass abgabenbehördliche Erledigungen als Bescheide zu ergehen haben, wenn sie für einzelne Personen Rechte oder Pflichten begründen, abändern oder aufheben.

Nach § 93 BAO ist jeder schriftliche Bescheid ausdrücklich als solcher zu bezeichnen. Er hat einen Spruch zu enthalten und in diesem die Person (Personengemeinschaft) zu nennen, an die er ergeht. Wird dem zu Grunde liegenden Anbringen nicht vollinhaltlich Rechnung getragen oder ergeht ein Bescheid von Amts wegen, hat er eine Begründung und jedenfalls eine Rechtsmittelbelehrung zu enthalten (§ 93 (2) und (3) BAO).

§ 96 BAO normiert als zwingende Bestandteile schriftlicher Ausfertigungen der Abgabenbehörden die Bezeichnung der Behörde sowie die mit Datum versehene Unterschrift des Genehmigenden bzw. führt zu Letzterer zulässige Ausnahmen an.

§ 198 BAO regelt die Festsetzung von Abgaben und lautet:
"(1) Soweit in Abgabenvorschriften nicht anderes vorgeschrieben ist, hat die Abgabenbehörde die Abgaben durch Abgabenbescheide festzusetzen.
(2) Abgabenbescheide haben im Spruch die Art und Höhe der Abgaben, den Zeitpunkt ihrer Fälligkeit und die Grundlagen der Abgabenfestsetzung (Bemessungsgrundlagen) zu enthalten. Führen Abgabenbescheide zu keiner Nachforderung, so ist eine Angabe über die Fälligkeit der festgesetzten Abgabenschuldigkeiten entbehrlich. Ist die Fälligkeit einer Abgabenschuldigkeit bereits vor deren Festsetzung eingetreten, so erübrigt sich, wenn auf diesen Umstand hingewiesen wird, eine nähere Angabe über den Zeitpunkt der Fälligkeit der festgesetzten Abgabenschuldigkeit."

Nach § 199 BAO kann ein einheitlicher Abgabenbescheid gegen mehrere Personen als Gesamtschuldner erlassen werden, auch wenn nach dem zwischen ihnen bestehenden Rechtsverhältnis die Abgabe nicht von allen Gesamtschuldnern zu tragen ist.

Zu den unabdingbaren Voraussetzungen für die Bescheidqualität einer abgabenbehördlichen Erledigung gehört, dass der normative Inhalt der behördlichen Willenserklärung in der Formulierung des Spruches unzweifelhaft zum Ausdruck kommt.
Bloße Mitteilungen, Informationen oder Rechtsbelehrungen erfüllen diese Anforderung nicht. Erledigungen ohne Leistungsgebot stelle "Nichtbescheide" dar ().

Im Zweifel ist bei der Beurteilung des normativen Charakters einer behördlichen Erledigung deren Bezeichnung miteinzubeziehen. Liegt danach ein Bescheid iSd §§ 93 (2) und 96 BAO vor, können weitere fehlende Elemente im Rechtmittelverfahren ergänzt werden. Die Grenze der Änderungsbefugnis liegt bei jener "Sache", die Gegenstand des angefochtenen Bescheides war. Zweifel über den Inhalt der vom Spruch erfassten "Sache" sind unter Einbeziehung der Begründung zu beseitigen. Eine erstmalige Erfassung von Abgaben oder Zeiträumen in der Rechtsmittelerledigung ist unzulässig. Zulässig ist eine Festsetzung der vom bekämpften Bescheid erfassten Abgaben in geänderter Höhe bzw. auf Basis veränderter Bemessungsgrundlagen (; ; ; ; , 93/13/0052).

III. rechtliche Beurteilung:
1. Zunächst ist darauf zu verweisen, dass der VwGH in dem zum betreffend das gegenständliche Rechtsmittel ergangenen Erkenntnis vom 10.Febr.2022, Ra 2021/15/0103 unter Verweis auf Vorjudikatur daran erinnerte, dass bei einem Rechtsmittel eines Parteienvertreters grundsätzlich von einer Einbringung im Namen jener Person, die zur Erhebung des Rechtsmittels legitimiert ist, auszugehen ist.
Der VwGH räumte der Nennung der Bf im Betreff des eingebrachten Beschwerdeschriftsatzes und dem zum Ausdruck gebrachten Ziel der Aufhebung des bekämpften Leistungsgebotes vor diesem Hintergrund entscheidende Bedeutung für die Beurteilung des Parteienanbringens ein.

In Entsprechung dieser Rechtsansicht geht das BFG im fortgesetzten Verfahren von einer rechtswirksamen Einbringung der Beschwerde vom für die Bf aus.

2. Wie festgestellt, enthält die als "Bescheid - Leistungsgebot" bezeichnete Erledigung des FA vom folgenden - deutlich von der Bescheidbezeichnung und der Begründung abgesetzten - Spruch:
"Das oben angeführte Abgabenkonto weist einen fälligen Rückstand in Höhe von € 144.619,47 aus. Dieser ist durch Umsatzsteuerveranlagungen u. div. Nebengebühren entstanden. Die Fälligkeit ist bereits eingetreten."

Damit wurde den Anforderungen der §§ 93 bzw. 198 (2) BAO nicht entsprochen.
Die gewählte Formulierung enthält lediglich eine Mitteilung/Information über den Stand des Abgabenkontos der M-GmbH bzw. den dort zum Zeitpunkt des Ergehens der Erledigung fällig aushaftenden Abgabenrückstand. Auch dem kursorischen Hinweis auf die dem Rückstand zugrundeliegenden Abgaben und Nebengebühren ist weder ein normativer Gehalt im Sinne eines Leistungsgebotes an die Bf zu entnehmen, noch gehen daraus die nach § 198 (2) BAO erforderlichen Angaben über die erfassten Abgabenschuldigkeiten hervor.

Allerdings ist unter Einbeziehung der Bezeichnung als "Bescheid - Leistungsgebot" im Sinne der angeführten VwGH-Judikatur von einer Erledigung auszugehen, die den Mindestanforderungen des § 93 (2) BAO entspricht.
Damit ist die bekämpfte Erledigung als Bescheid zu qualifizieren und einer Ergänzung fehlender Bestandteile im finanzgerichtlichen Verfahren zugänglich.

In einer Zusammenschau des Bescheidspruches vom mit der Begründung kommt zum Ausdruck, dass eine Heranziehung der Bf in Höhe des im Vorlagebericht vom aufgegliederten Betrages von 115.073,85 € beabsichtigt war.

3. Erste materielle Voraussetzung für einen Übergang der Steuerschuld nach § 19 (1a) UStG 1994 ist die Unternehmereigenschaft des Leistungsempfängers.
Eine Inanspruchnahme als Gesamtschuldner macht daher zunächst die Klärung des Leistungsempfängers und dessen Unternehmerstatus erforderlich.

Nach den getroffenen Feststellungen war im gegenständliche Fall das gemeinsame Auftreten der Miteigentümer der Liegenschaft in der R-Gasse im Werkvertrag vom 15.Febr.2018 der nach außen tätigen Eigentümergemeinschaft (MEG, später WEG) zuzurechnen.
Die MEG verfolgte als gemeinschaftlichen Zweck den Abriss des Altbestandes und die Errichtung einer neuen Wohnhausanlage auf ihrer Liegenschaft, mit dem Ziel der Einräumung von Wohnungseigentum und der anschließenden Fortsetzung in der Rechtsform einer WEG.

Der zivilrechtlich nicht rechtsfähigen Personengemeinschaft kam steuerlich Unternehmereigenschaft zu (zB. ; ).

Als umsatzsteuerliche Leistungsempfängerin der verfahrensgegenständlichen Rohbauleistung kam daher die MEG der Liegenschaft in der R-Gasse als potentielle Gesamtschuldnerin nach § 19 (1a) UStG 1994 in Betracht.

Auf die Unternehmereigenschaft der Miteigentümer kommt es im gegenständlichen Verfahren betreffend die Heranziehung zur Gesamtschuld nicht an.

4. Die MEG der Liegenschaft in der R-Gasse war nach dem Verfahrensergebnis weder selbst mit der Erbringung der verfahrensgegenständlichen Rohbauleistung beauftragt, noch handelte es sich in der hier maßgeblichen Errichtungsphase um ein Unternehmen, das typischerweise Bauleistungen erbringt.
Tatsächlich trat die MEG bis zum Ergehen des angefochtenen Bescheides vom nur als Auftraggeberin in Erscheinung, die selbst keine Bauleistung iSd § 19 (1a) UStG 1994 erbrachte. Auch mit der nachfolgenden Lieferung des fertiggestellten Bauwerks in Form von WE-Objekten an die drei nunmehrigen Wohnungseigentümer wurden keine Umsätze im Sinne dieser Bestimmung realisiert (sondern USt-freie Grundstückslieferungen iSd § 6 (1) Z 9 lit a UStG 1994).
Die unterbliebene umsatzsteuerliche Erfassung der MEG und die im Werkvertrag vom 15.Febr.2018 explizit vereinbarte Bruttoabgeltung inclusive USt belegen, dass von vorne herein keine Erbringung USt-pflichtiger Leistungen durch die MEG beabsichtigt war.

Damit war ein Übergang der Steuerschuld aus den Rechnungen über die Rohbauerrichtung auf die MEG im Rahmen eines Reverse-Charge-Vorganges unter Anwendung des § 19 (1a) UStG 1994 ausgeschlossen.

5. Die Inanspruchnahme von Gesamtschuldnern nach § 19 (1a) UStG 1994 setzt einen Beitrag des Leistungsempfängers an der unrichtigen Übertragung der USt-Schuld auf ihn voraus.

Die festgestellten Gesamtumstände des anhängigen Verfahrens weisen auf ein Interesse an der Entlastung der M-GmbH von der Steuerschuld aus der Rohbauerrichtung und Übertragung auf die Auftraggeberin hin, die aufgrund ihrer steuerlichen Nichterfassung keiner abgabenbehördlichen Umsatzsteuerüberwachung unterlag.

Ein Hinweis der Leistungsempfängerin auf die eigene Beauftragung mit der Rohbauerrichtung wird durch das Verfahrensergebnis nicht eindeutig dokumentiert.
Der Werkvertrag vom 15.Febr. 2018 enthält keinen entsprechenden Passus.
Andere Unterlagen, die eine Initiative der MEG in diese Richtung zeigen, liegen nicht vor.

Aus der Mehrfachfunktion des Herrn M als ausführendes Organ bzw. Vertreter der Geschäftspartner und Ehemann der Bf folgt die Kenntnis beider Vertragsparteien über die Hintergründe, den Zweck und die beabsichtigten Rechtsfolgen der im Dez. 2018 durchgeführten Rechnungskorrekturen (zu dieser Zeit war Herr M Miteigentümer und alleiniger Geschäftsführer sowohl der Immo-GmbH als auch der M-GmbH, die sich zudem derselben steuerlichen Vertretung bedienten. Diese Vertretung brachte auch die Beschwerde im anhängigen Verfahren der Bf ein).
Auch die umsatzsteuerliche Nichterfassung der MEG, der Bf und ihres Gatten bzw. das Fehlen Ust-pflichtiger Umsätze bei der Immo-GmbH war den Beteiligten dadurch bekannt.

In Hinblick darauf bestätigt die unterlassene Meldung und Entrichtung der übertragenen USt-Schuld an das FA durch die MEG bzw. die Miteigentümer als Rechnungsempfänger, eine Beteiligung und Mitverantwortlichkeit der Leistungsempfängerin an der unberechtigten Behandlung der Rohbauerrichtung als Reverse-Charge-Leistung.

Die Annahme einer ausschließlichen Veranlassung des Hinweises auf die Übertragung der Mehrwertsteuerschuld nach § 19 in den verfahrensgegenständlichen Rechnungen durch die leistende M-GmbH würde unter diesen Umständen zu einem realitätsfremden Ergebnis führen.

Die im Vorlageantrag mit Blick auf die eigenständige Rechtspersönlichkeit der M-GmbH angestellte formalrechtliche Betrachtung lässt die Bestimmung des § 21 BAO außer Acht.

Im Sinne der für die abgabenrechtliche Beurteilung im anhängigen Verfahren maßgeblichen wirtschaftlichen Betrachtungsweise sind die dem Hinweis auf eine Übertragung der "Mehrwertsteuerschuld nach § 19" in den Rechnungen über die Rohbauerrichtung zugrundeliegenden Veranlassungen daher beiden Vertragsparteien zuzuordnen.

Das Fehlen eines schriftlich dokumentierten Hinweises der MEG auf ihre Beauftragung mit der Rohbauleistung steht aus Sicht des BFG unter den festgestellten Umständen deren Inanspruchnahme als Gesamtschuldnerin nach § 19 (1a) UStG 1994 nicht entgegen, zumal die Bestimmung keine Schriftform verlangt.
Dazu kommt die erkennbare Absicht des Gesetzgebers, zur Vermeidung eines unredlichen Zusammenwirkens beteiligter Unternehmer, einen Beitrag des Leistungsempfängers zu einer unberechtigten Verlagerung der Umsatzsteuer aus Bauleistungen mit der Möglichkeit seiner Heranziehung als Gesamtschuldner zu verknüpfen.

6. Die Entscheidung über eine Geltendmachung der Gesamtschuld mittels einheitlichen Leistungsgebotes an die MEG oder durch getrennte Bescheide an die einzelnen Mitglieder der Gemeinschaft lag im Ermessen der Abgabenbehörde.

Da die MEG steuerlich nicht gesondert erfasst war und mangels zivilrechtlicher Rechtspersönlichkeit als Einbringungssubjekt ausschied, war eine direkte Leistungsverpflichtung jedes Miteigentümers zur Durchsetzung des Leistungsgebotes verfahrensrechtlich erforderlich.
Die getrennte Heranziehung der drei Miteigentümer mit den am ergangenen Bescheiden ist daher nicht zu beanstanden.

7. Primäres Ziel der Normierung eines Gesamtschuldverhältnisses ist eine Verbreiterung der Einbringungsmöglichkeiten für die davon betroffene Abgabenschuld.
Das Entstehen und die Höhe der Gesamtschuld wird durch die im Einzelfall zugrundeliegenden gesetzlichen Bestimmungen festgelegt.

Im Fall des § 19 (1a) UStG 1994 entsteht nach Maßgabe des Abs 2 eine USt-Schuld in Höhe der zu Unrecht als Steuerschuld des Leistungsempfängers abgerechneten Umsatzsteuer.
Mit der Heranziehung eines Gesamtschuldners mittels Abgabenbescheid wird der Abgabenzahlungsanspruch gegenüber dem Bescheidadressaten realisiert.
Die Vorschreibung mittels Abgabenbescheid kennzeichnet eine solche Inanspruchnahme als Maßnahme der Abgabenfestsetzung.

Mit Blick auf das Ziel des Rechtsinstituts der Gesamtschuld hängt das Ausmaß der Heranziehung im Einzelfall von der zum Zeitpunkt der Inanspruchnahme aushaftenden USt-Schuld aus dem betreffenden Umsatz ab bzw. ist im Übrigen im Rahmen der vorzunehmenden Ermessensabwägung festzulegen.

Das BFG hat bei der Überprüfung eines nach § 6 (2) BAO ergangenen Leistungsgebotes von der Sachlage im Zeitpunkt seiner Entscheidung auszugehen und daher eine (teilweise) Tilgung der Umsatzsteuer nach Ergehen des angefochtenen Bescheides zu berücksichtigen.

Die Durchsetzung einer mittels Abgabenbescheid nach § 6 (2) BAO iVm § 19 (1a) UStG 1994 festgesetzten Gesamtschuld gegenüber einem herangezogenen Gesamtschuldner ist als Maßnahme der Abgabeneinhebung nicht Gegenstand des anhängigen Verfahrens (; ; ; ; ; ; ; ).

Wie festgestellt, wurden von der M-GmbH im Zeitraum 3/2018-3/2019 zur verfahrensgegenständlichen Rohbauerrichtung Rechnungen mit unzulässigem Reverse-Charge-Hinweis im Nettowert von 1.015.689,43 € gelegt. Daraus resultierte als Maximalbetrag für die Heranziehung eines Gesamtschuldners eine Umsatzsteuerschuld von 203.137,88 €.
Die Steuerschuld der MEG entstand nach § 19 (2) UStG 1994 infolge Erbringung der mit Werkvertrag vom 15.Febr.2018 vereinbarten Leistung spätestens Ende März 2019.
Am war davon noch ein fälliger Teilbetrag von 115.073,85 € aushaftend, der auf die USt 7-12/2018 und 1-3/2019 der M-GmbH entfiel.
Mit einer Geltendmachung der Gesamtschuld über diesen Teilbetrag überschritt die Abgabenbehörde den zulässigen Abgabenbereich und Höchstbetrag im angefochtenen Bescheid vom somit nicht.

Ein Großteil dieses Abgabenrückstandes wurde inzwischen durch Zahlungen getilgt.
Zahlungseingänge auf dem Abgabenkonto eines Steuerschuldners sind diesem zuzurechnen, unabhängig davon, wer sie geleistet hat ().
Eine Überprüfung der Richtigkeit der zugehörigen Verbuchung auf dem Abgabenkonto der M-GmbH ist nicht Gegenstand des anhängigen Abgabenfestsetzungsverfahrens.

Da das BFG die Sachlage im Zeitpunkt seiner Entscheidung zu beurteilen hat, ist im gegenständlichen Erkenntnis auf den aktuell mit 25.339,30 € zur verfahrensgegenständlichen Umsatzsteuer fällig aushaftenden Abgabenrückstand der M-GmbH abzustellen.

8. Eine Berichtigung der betroffenen Rechnungen durch die M-GmbH nach der AP ändert aus Sicht des BFG an der Befugnis der Abgabenbehörde zur Heranziehung der Gesamtschuldner nichts.

Zunächst ist daran zu erinnern, dass § 19 (1a) UStG 1994 das Entstehen des Gesamtschuldverhältnisses beim Leistungsempfänger nicht von einer entsprechenden Rechnung des leistenden Unternehmers abhängig macht.
Dazu kommt die Ratio, die der Normierung eines Gesamtschuldverhältnisses für die Umsatzsteuer aus Bauleistungsumsätzen nach dieser Bestimmung zugrunde liegt.

Nach der Judikatur des EuGH zu § 11 (12) UStG 1994 kommt es in Bezug auf die Notwendigkeit einer Rechnungsberichtigung gegenüber dem Leistungsempfänger darauf an, ob durch eine unrichtige Rechnungslegung eine Gefährdung des Steueraufkommens eintritt oder nicht. Entsteht mangels Gefährdung gar keine Steuerschuld, bedarf es keiner Rechnungsberichtigung (vgl. zuletzt , Rs P GmbH und Zorn in RdW 2023, 225).

Die auf die Gefährdung des Steueraufkommens abstellende Grundüberlegung der angeführten EuGH-Judikatur erscheint auf die verfahrensgegenständliche Situation übertragbar, zumal die Normierung eines Gesamtschuldverhältnisses in § 19 (1a) UStG 1994 im Jahr 2002 Teil eines Gesetzespakets zur Eindämmung missbräuchlicher Geschäftspraktiken zu Lasten des Umsatzsteueraufkommens in der betrugsanfälligen Baubranche war.

Als erste Konsequenz der zu Unrecht erfolgten Anwendung des § 19 (1a) UStG 1994 ergingen im Mai 2019 berichtigte USt-Bescheide an die M GmbH. Die Vorschreibung der Umsatzsteuer aus der Rohbauerrichtung erfolgte aufgrund der Leistungserbringung durch die M-GmbH und nicht aufgrund der unrichtigen Rechnungslegung. Für die Beseitigung der unrichtigen Rechtsfolgen kam es auf eine Rechnungsberichtigung "gemäß den AP-Feststellungen" nicht an.

Da die MEG den aus der Anwendung der Reverse-Charge-Regelung des § 19 (1a) UStG 1994 resultierenden Melde- und Zahlungsverpflichtungen nicht nachgekommen war, bedurfte es auch bei der Leistungsempfängerin keiner Rechnungsberichtigung zur Entlastung von einer unrichtigen Reverse-Charge-Besteuerung.
Im Übrigen ist nach der VwGH-Judikatur zum Bereich des § 11 (12) UStG 1994 der Empfänger einer Rechnung mangels Auswirkung auf seine Steuerlast von der Verpflichtung zur Rechnungsberichtigung nicht betroffen ().

Die bescheidmäßige Vorschreibung der Umsatzsteuer aus dem strittigen Rechtsgeschäft an die M-GmbH als Folge der AP-Feststellungen erfolgte kurz bevor zunächst im Juli 2019 die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen der M-GmbH mangels Masse abgewiesen bzw. im Sept 2019 ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Die Hereinbringung des bei Insolvenzeröffnung aushaftenden Abgabenrückstandes, der weitaus überwiegend auf die verfahrensgegenständliche USt entfiel, war demnach konkret gefährdet.

Ob ein zeitlicher Zusammenhang zwischen einer Rechnungsberichtigung und den beiden Insolvenzanträgen zufällig war oder bewusst gewählt wurde, kann dahingestellt bleiben.
Entscheidend im Sinne der angeführten EuGH-Argumentation ist, dass der unrichtigen Anwendung des Reverse-Charge-Systems bei der Abrechnung der strittigen Rohbauerrichtung ein absehbarer Steuerausfall bei der für diesen Umsatz steuerpflichtigen M-GmbH folgte.

Die Gefährdung des Steueraufkommens manifestierte sich in den auf die Nachversteuerung bei der M-GmbH folgenden Insolvenzanträgen bzw. -verfahren. Die Berichtigung der unrichtig ausgestellten Rechnungen beseitigte die Gefährdung nicht.

Hätte eine nachträgliche Rechnungsberichtigung den Wegfall des Gesamtschuldverhältnisses zur Folge, ginge das vom Gesetzgeber mit der Normierung einer Gesamtschuld in § 19 (1a) UStG 1994 verfolgte Ziel verloren, durch eine Zugriffsmöglichkeit auf das Einbringungspotential des Leistungsempfängers, der Gefährdung des Steueraufkommens in der Baubranche zu begegnen.

Beim verfahrensgegenständlichen Umsatz war die Inanspruchnahme der Gesamtschuldner tatsächlich durch den absehbaren Steuerausfall bei der leistenden M-GmbH begründet.

Da § 19 (1a) UStG 1994 das Entstehen der Gesamtschuld beim Leistungsempfänger nicht von einer entsprechenden Rechnungslegung des leistenden Unternehmens abhängig macht und der Entfall der Gesamtschuld als Folge einer nachträglichen Rechnungsberichtigung durch die M-GmbH, das vom Gesetzgeber verfolgte Ziel einer Beschränkung der Gefährdung des Umsatzsteueraufkommens aus dem Auftrag über die Rohbauerrichtung unterlaufen würde, ist ihr aus Sicht des BFG in den Verfahren betreffend die Inanspruchnahme der Gesamtschuldner der Umsatzsteuer aus den Leistungen zum Vertrag vom 15.Febr 2018 keine Wirkung beizumessen.

Auswirkungen einer Rechnungsberichtigung auf den Vorsteueranspruch der MEG als Leistungsempfängerin sind in den Beschwerdeverfahren gegen die Heranziehung der Gesamtschuldner nach § 19 (1a) UStG 1994 nicht zu klären. Doch sei noch einmal auf das VwGH-Erkenntnis vom , Ro 2019/13/0034 verwiesen.

9. Bleibt zu klären, ob im anhängigen Verfahren eine Einschränkung der Inanspruchnahme über den aushaftenden USt-Rückstand hinaus aus Ermessenserwägungen zu erfolgen hat.

Da das primäre Ziel bei der Heranziehung von Gesamtschuldnern in der Erweiterung der Einbringungsmöglichkeiten für die betroffenen Abgaben liegt, kommt diesem Aspekt bei der Ermessensübung entscheidende Bedeutung zu.
Auch der zusätzliche Fokus in Richtung Vermeidung missbräuchlicher Geschäftspraktiken zu Lasten des Umsatzsteueraufkommens in der Baubranche bei der Normierung des Gesamtschuldverhältnisses im Bereich des § 19 (1a) UStG 1994, ist bei der Ermessensabwägung im anhängigen Verfahren maßgeblich zu berücksichtigen.

Wenn die Abgabenbehörde die Heranziehung der Bf als Gesamtschuldnerin einerseits auf die Uneinbringlichkeit bei der M-GmbH und anderseits auf ein unredliches, bewusstes Zusammenwirken der beteiligten Unternehmen zum Zwecke der Vermeidung einer Umsatzsteuerlast aus dem strittigen Rechtsgeschäft stützte, räumte sie damit den beiden zuvor genannten Zweckmäßigkeitsaspekten größeres Gewicht ein, als Billigkeitserwägungen zu Gunsten der in Anspruch genommenen Gesamtschuldner.

Wie ausgeführt, ging der Heranziehung der Gesamtschuldner zunächst im Juli 2019 die Ablehnung der Insolvenzeröffnung über das Vermögen der M-GmbH wegen Vermögenslosigkeit und sodann im Sept. 2019 die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens voraus. Mit einer Einbringlichkeit der im Mai 2019 vorgeschriebenen Umsatzsteuer bei der M-GmbH war nicht zu rechnen.
Die zeitgleich mit dem Ergehen der bekämpften Bescheide erfolgte Vormerkung von Pfandrechten zu Gunsten des Abgabengläubigers in Höhe der verfügten Inanspruchnahme der Gesamtschuldner bestätigt die Zweckmäßigkeit der im anhängigen Verfahren bekämpften Maßnahme, deren Wirksamkeit durch die nachfolgenden Zahlungseingänge belegt wird.

Da im Nov 2019 nicht absehbar war, ob und ggfs. wann eine Veräußerung der fertiggestellten Wohneinheiten erfolgen würde, war auch die gleichzeitige Heranziehung aller drei Miteigentümer im vollen Umfang der fällig aushaftenden Umsatzsteuer aus dem verfahrensgegenständlichen Bauauftrag zweckmäßig.

Die Bf hält den Interessen des Abgabengläubigers an der Heranziehung der Gesamtschuldner einen Irrtum der gemeinsamen steuerlichen Vertretung über die Anwendbarkeit des § 19 (1a) UStG 1994 auf den Umsatz aus der vereinbarten Rohbauerrichtung und ihre vollständige Entrichtung des in Rechnung gestellten Bruttobetrages an die M-GmbH entgegen. Im Übrigen weist sie, mangels Einflussmöglichkeit, jegliche Verantwortung für die Vorgangsweise der M-GmbH zurück.

Zum eingewendeten Irrtum der steuerlichen Vertretung ist zunächst daran zu erinnern, dass es dem Wesen einer Vertretung entspricht, Fehler des Vertreters dem Vertretenen zuzurechnen.
Die Bereinigung von Folgen einer unrichtigen steuerlichen Beratung ist grundsätzlich eine Angelegenheit zwischen den Parteien des Vertretungsverhältnisses.

Das gegenständliche Abgabenfestsetzungsverfahren bietet keinen Raum für eine Korrektur von Vertreterfehlern aus Ermessensgründen, zumal im anhängigen Verfahren eine abgabenbehördliche Mitveranlassung an der eingewendeten Fehlberatung weder behauptet wurde, noch aus dem Verfahrensergebnis ersichtlich ist. Auch das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Abstandnahme von der Abgabenfestsetzung nach § 206 BA0 ist daraus nicht abzuleiten.
Eine Überwälzung von Auswirkungen einer unrichtigen Beratung auf den Abgabengläubiger kommt daher nicht in Betracht.

Auch mit dem Hinweis auf eine vollständige Entrichtung der in Rechnung gestellten Bruttobeträge an die M-GmbH und auf das Fehlen einer Einflussmöglichkeit auf die Vorgangsweise des leistenden Unternehmens, zeigt die Bf keine für ihre Entlastung sprechenden Billigkeitsaspekte bei der vorzunehmenden Ermessenabwägung auf.

Zunächst ist darauf zu verweisen, dass eine Berücksichtigung der Entrichtung des Bruttobetrages an die M-GmbH als Billigkeitsgrund für eine Abstandnahme oder Einschränkung einer Inanspruchnahme der Gesamtschuldner, im Ergebnis einer Aufhebung der Besteuerung des Umsatzes aus dem Werkvertrag vom 15.Febr 2018 gleichkäme und wiederum zu einer Überwälzung des Schadens auf den Abgabengläubiger führen würde.

Zudem ist der Argumentation im Vorlageantrag der Bf auch inhaltlich nicht zu folgen.

Aufgrund des umfangreichen eigenen Immobilienbesitzes, der Stellung als Mehrheitsgesellschafterin und Erfahrung als langjährige GF der M-GmbH bestehen für das BFG keine Zweifel, dass die seit mehr als 20 Jahren in Österreich lebende und mehrjährig in der Baubranche tätige Bf keineswegs eine ahnungslose Hausfrau war, wie der Vorlageantrag zu vermitteln versucht, sondern sie über Kenntnisse und Erfahrungen verfügte, die sie in die Lage versetzten, die Sach- und Rechtslage zu klären und - wenn nötig unter Einsatz ihrer Gesellschafterrechte - Einfluss auf die Vorgangsweise des Ehemannes als GF der M-GmbH zu nehmen. Der erlernte Beruf der Bf und deren Wiedereinstieg in die Baubranche im Jahr 2021 bzw. die in diesem Jahr erzielten Einnahmen von einem mit Finanzberatung und Immobilienhandel befassten Unternehmen, unterstützen diese Einschätzung.

Vor diesem Hintergrund und unter Berücksichtigung der Mehrfachfunktionen ihres Ehemannes als ihr nachfolgender GF der M-GmbH, geschäftsführender Alleingesellschafter der Immo-GmbH und 2/3 Mehrheitsvertreter der MEG sowie der eigenen Position als Miteigentümerin der Liegenschaft in der R-Gasse, ist aus Sicht der BFG unbedenklich davon auszugehen, dass die Bf eine Rückzahlung einer von ihr vor der Rechnungskorrektur bereits an die M-GmbH bezahlten Umsatzsteuer oder deren Weiterleitung an das FA durch den Ehemann veranlassen konnte.
Im Übrigen ist aufgrund der Beschwerdeeinbringung durch die XY WTH GmbH daran zu erinnern, dass die Bf auf die Kompetenz einer über die Abrechnung des Rohbauauftrages vollständig informierten Vertretung zurückgreifen konnte.

Wie festgestellt, gingen der Bf mehrere korrigierte Rechnungen zu, in welchen die Umsatzsteuerschuld aus dem Werkvertrag zur Rohbauerrichtung vom 15.Febr 2018 explizit auf sie übertragen wurde.
Wenn sich die Bf - nicht zuletzt trotz wiederholter vergleichbarer Sanierungsprojekte bei ihren eigenen Immobilien - dennoch über die diesen Rechnungen zugrundeliegenden Vorgänge in der M-GmbH nicht informierte, ist ihr unter den gegebenen Umständen eine Mitverantwortung für eine daraus resultierende Unkenntnis der vermeintlich auf sie übertragenen Steuerschuld nicht abzusprechen.
Unter Anwendung der ihr zumutbaren Sorgfalt, hätte die Bf die Umsatzsteuer aus den korrigierten Rechnungen an das FA abführen und dadurch den Schaden im Steueraufkommen verhindern können und müssen.

Einen Beitrag zu einer Abgabenhinterziehung setzt die Heranziehung eines Gesamtschuldners nicht voraus.

Dem aus der formalrechtlichen Selbständigkeit der M-GmbH abgeleiteten Fehlen einer Einflussnahmemöglichkeit der Bf auf die Vorgangsweise der M-GmbH ist, neben ihrer Stellung als Mehrheitsgesellschafterin der Gesellschaft, auch die Personalunion der Bf und ihres Ehemannes als Beteiligte beider Vertragsparteien, mit einer geradezu unvermeidlichen gegenseitigen Beeinflussung, entgegenzuhalten.

In Abwägung der angeführten Umstände liegt der Heranziehung der Bf als Gesamtschuldnerin aus Sicht des BFG eine gesetzmäßige Ermessensübung iSd § 20 BAO zugrunde, an der auch die zwischenzeitig weitgehende Tilgung der betroffenen Umsatzsteuer nichts ändert.

Vor dem Hintergrund der Uneinbringlichkeit bei der leistenden M-GmbH und des ungewissen Zeithorizonts für eine Realisierung der Einbringung bei den weiteren Gesamtschuldnern, bietet der nach dem Verkauf mehrerer Wohnungen noch verbliebene Immobilienbesitz der Bf unverzichtbare zusätzliche Einbringungschancen, sei es durch einen Zugriff auf Vermietungseinnahmen der Bf oder durch hypothekarische Besicherungsmaßnahmen, wie sie von der Abgabenbehörde bei der Liegenschaft in der R-Gasse bereits veranlasst waren.

Auch die dargestellte Mitverantwortung der Bf am eingetretenen Umsatzsteuerausfall aus dem verfahrensgegenständlichen Rohbauauftrag bei der M-GmbH erscheint nicht vernachlässigbar.
Wenn auch die Bf nicht als primär verantwortliche Gesamtschuldnerin anzusehen ist, wäre es doch zweifellos das falsche Signal, ihre für die Gefährdung des Steueraufkommens nicht weniger kausale "Nebenrolle" als maßgebliches Billigkeitsargument im Verfahren betreffend ihre Heranziehung als Gesamtschuldnerin zu berücksichtigen. Würde dadurch doch einer sowohl spezial- als auch generalpräventiv unerwünschten Vorgangsweise Vorschub geleistet.

Zusammenfassend hält das BFG die Aufrechterhaltung der mit dem angefochtenen Bescheid bekämpften Inanspruchnahme der Bf als Gesamtschuldnerin im Umfang der aktuell aushaftenden Umsatzsteuerschuld aus dem Werkvertrag vom 15.Febr.2018 zur Rohbauerrichtung für die MEG in der R-Gasse für spezial- und generalpräventiv gerechtfertigt und in Hinblick auf die bei der Bf gegebenen Einbringungsmöglichkeiten auch - im Sinne der VwGH-Judikatur zum Haftungsbereich - für geboten.

Zu Spruchpunkt II. (Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im anhängigen Verfahren lagen die genannten Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Revision vor, weil für den Bereich des § 19 (1a) UStG 1994 VwGH-Judikatur fehlt
- zum Vorliegen eines unrichtigen Hinweises auf die Beauftragung des Leistungsempfängers mit der Bauleistung;
- zur Auswirkung von Rechnungsberichtigungen nach der Heranziehung von Gesamtschuldnern.

Den Parteien des Beschwerdeverfahrens steht das Recht zu, innerhalb von sechs Wochen ab Zustellung dieser Entscheidung eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof zu erheben. Die Revision ist schriftlich innerhalb von sechs Wochen ab Zustellung der Entscheidung beim Bundesfinanzgericht einzubringen. Sie ist - abgesehen von den gesetzlichen Ausnahmen - durch eine bevollmächtigte Rechtsanwältin oder einen bevollmächtigten Rechtsanwalt (in Abgaben- und Abgabenstrafsachen auch von einer Steuerberaterin bzw. einem Steuerberater oder einer Wirtschaftsprüferin bzw. einem Wirtschaftsprüfer) abzufassen und einzubringen. Bei entsprechend ungünstiger Einkommens- und Vermögenslage kann Verfahrenshilfe gewährt werden. Wird die Verfahrenshilfe bewilligt, entfällt die Eingabengebühr und es wird eine Rechtsanwältin oder ein Rechtsanwalt bestellt, die oder der den Schriftsatz verfasst. Der Antrag ist beim Bundesfinanzgericht einzubringen. Das Antragsformular ist elektronisch auf der Website des Bundesfinanzgerichtes (https://www.bfg.gv.at/public/faq.html) erhältlich.

Graz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 6 Abs. 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 19 Abs. 1a UStG 1994, Umsatzsteuergesetz 1994, BGBl. Nr. 663/1994
§ 198 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 93 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2023:RV.7100697.2022

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at