Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 20.09.2023, RV/7105334/2019

Haftungsbescheid: zweifache Inanspruchnahme des Beschwerdeführers in derselben Sache?

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Mag. Mirha Karahodzic MA in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerden gegen die Bescheide des Finanzamtes Baden Mödling 1. vom und 2. vom , Steuernummer ***Bf-StrNr***, betreffend Inanspruchnahme zur Haftung gemäß 1. § 9a BAO bzw. 2. § 9 iVm § 83 BAO zu Recht:

I. 1. Der Beschwerde gegen den Bescheid vom wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben. Der Bescheid wird - ersatzlos - aufgehoben.

  • 2. Die Beschwerde gegen den Bescheid vom wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen. Der Bescheid bleibt unverändert.

II. Die Revision ist nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Bisheriger Verfahrensgang

Strittig ist, ob der Beschwerdeführer zu Recht mit den angefochtenen Bescheiden zur Haftung herangezogen werden durfte.

Mit Schreiben vom wurde der Beschwerdeführer vom Finanzamt erstmalig über seine beabsichtigte Haftungsinanspruchnahme informiert, ihm eine Rückstandsaufgliederung übermittelt und die Möglichkeit zur Stellungnahme eingeräumt. Eine Stellungnahme erfolgte nicht.

Mit (erstem) Haftungsbescheid vom wurde der Beschwerdeführer zur Haftung für den Betrag von 3.182.252,00 Euro herangezogen, da er als faktischer Geschäftsführer gemäß § 9a BAO tätig gewesen sein soll. Am beantragte der damals anwaltlich vertretene Beschwerdeführer hinsichtlich der übersendeten Grundlagenbescheide die Übermittlung der Begründung der Körperschaftsteuerbescheide 2014 und 2015 sowie der in den übrigen Bescheiden in der Begründung genannten Prüfungsberichte des Lohnabgabenverfahrens vom und des Betriebsprüfungsverfahrens vom . Mit Schriftsatz vom wurde fristgerecht Beschwerde erhoben und die Stellung des Beschwerdeführers als faktischer Geschäftsführer bestritten.

Gegen die der Haftung zugrundeliegenden Abgabenbescheide (Grundlagenbescheide) betreffend Körperschaftssteuer 2014 und 2015 vom sowie die Haftungsbescheide KESt 2013, 2014, 2015 vom und sämtliche Haftungsbescheide Lohnabgaben, alle vom , erhob der Beschwerdeführer nach Fristverlängerung mit Schreiben vom Beschwerde gemäß § 248 BAO.

Mit weiterem (zweiten) Haftungsbescheid vom wurde der Beschwerdeführer erneut zur Haftung für den Betrag von 3.182.252,00 Euro herangezogen, diesmal als Vertreter gemäß § 9 i.V.m. § 83 BAO. Das Finanzamt führte darin aus, dieser Haftungsbescheid trete "ergänzend zur Haftungsinanspruchnahme gemäß § 9a BAO vom hinzu". Die Voraussetzungen für eine Haftungsinanspruchnahme lägen vor, da durch die Haftungsbestimmung des § 9 BAO grundsätzlich auch rechtsgeschäftlich bevollmächtigte Vertreter im Sinne des § 83 BAO erfasst seien. In der Folge wurde der im Abgabenverfahren festgestellte Sachverhalt wiedergegeben, der der Haftung zugrunde liege.

Auch gegen den Bescheid vom erhob der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom Beschwerde. Mit Schreiben vom selben Tag ergänzte der Beschwerdeführer seine Beschwerde gegen den Bescheid vom wie folgt:

"Da das Finanzamt im Rahmen der Bescheidbegründung davon ausgeht, dass die Haftung nach § 9 BAO gerechtfertigt ist, widerspricht sie somit ihrer bisherigen Auffassung, dass eine Haftung (des Beschwerdeführers) gem § 9a BAO vorliegt. Die Bescheidbegründung erweist sich als nicht mehr nachvollziehbar."

Mit Beschwerdevorentscheidung vom entschied die belangte Behörde unter einem über beide Beschwerden gegen die genannten Bescheide (vom und ). Die belangte Behörde vertrat darin die Ansicht, dass der zweite Haftungsbescheid den ersten Haftungsbescheid ergänze. Die Behörde wies beide Beschwerden als unbegründet ab und führte aus, der gewillkürte Vertreter könne gleich einem gesetzlichen Vertreter eine GmbH in verwaltungsbehördlichen, abgabenrechtlichen Verfahren gegenüber dem Finanzamt vertreten. Dabei erfasse nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Haftung nach § 9 BAO auch solche gemäß § 83 BAO bevollmächtigten Vertreter (unter Hinweis auf ). Gemäß § 80 Abs. 1 BAO hätten die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen, und seien befugt, die diesen zustehenden Rechte wahrzunehmen. Sie hätten insbesondere dafür zu sorgen, dass die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet würden. § 9a BAO erweitere den Personenkreis der gemäß §§ 80ff BAO potentiell Haftungspflichtigen auf faktische Geschäftsführer oder Personen die den Vertretenen dahingehend beeinflussen, dass abgabenrechtliche Pflichten dadurch verletzt würden. Da der Beschwerdeführer sowohl als gewillkürter Vertreter als auch als faktischer Machthaber der Primärschuldnerin ***L*** GmbH agiert habe, erfülle er beide gesetzlichen Haftungstatbestände des § 9 und § 9a BAO. Zur Verletzung von abgabenrechtlichen Pflichten isd §§ 9 und 9a BAO sei wie folgt auszuführen:

Die Firma ***L*** GmbH habe mithilfe von Scheinrechnungen überhöhte Betriebsausgaben geltend gemacht und dadurch unter Verletzung der Offenlegungs- und Wahrheitspflicht die haftungsgegenständlichen Abgaben verkürzt. Als faktischer Machthaber und bevollmächtigter Vertreter der ***L*** GmbH und infolge seiner tatsächlichen Mitwirkung an den Geschäftsabwicklungen mit den Subfirmen, sei dem Beschwerdeführer die Verletzung von gebotenen und zumutbaren Sorgfaltspflichten und damit eine schuldhafte Pflichtverletzung im Zusammenhang mit den verkürzten haftungsgegenständlichen Abgaben vorzuwerfen. Die Geltendmachung der Haftung stelle die letzte Möglichkeit der Durchsetzung des Abgabenanspruchs dar, wobei die Vermeidung eines endgültigen Abgabenausfalles ein zentrales Ermessenskriterium darstelle. Aus dem auf die Hereinbringung der Abgabenschuld beim Haftenden gerichteten Besicherungszweck der Haftungsnorm folge, dass die Geltendmachung der Haftung in der Regel ermessenskonform sei, wenn die betreffende Abgabe beim Primärschuldner uneinbringlich sei. Die Haftungsinanspruchnahme sei somit zu Recht erfolgt.

Mit Vorlageantrag vom ersuchte der Beschwerdeführer um Vorlage seiner Beschwerde gegen den Haftungsbescheid vom an das Bundesfinanzgericht, stellte einen Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung, regte die Durchführung eines Erörterungstermins an und beantragte die Aussetzung der Einhebung gemäß § 212a BAO.

Am fand vor dem Bundesfinanzgericht im Beisein eines Vertreters der Abgabenbehörde und des - nunmehr unvertretenen - Beschwerdeführers der im Vorlageantrag angeregte Erörterungstermin statt, bei dem insbesondere mit dem Vertreter der Abgabenbehörde die verfahrensrechtliche Konstellation (zwei Haftungsbescheide, zwei Haftungstatbestände) erörtert wurde. Der Beschwerdeführer gab an, seit geraumer Zeit arbeitslos und krank zu sein und über kein Vermögen zu verfügen. Nach entsprechender Aufklärung zog er den im Vorlageantrag gestellten Antrag auf mündliche Verhandlung zurück und gab bekannt, dass er voraussichtlich ab Juli 2023 eine neue Zustelladresse haben werde. Die belangte Behörde vertrat die Auffassung, dass der Beschwerdeführer sehr wohl zwei Mal für dieselben Abgaben zur Haftung herangezogen werden könne, wenn auch diese freilich nur ein Mal bezahlt werden müssten. Weiters vertrat die belangte Behörde die Auffassung, dass nur der spätere Haftungsbescheid dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vorliege, weil nur hinsichtlich dieses ein Vorlageantrag gestellt worden sei.

II. Über die Beschwerde wurde erwogen:

1. Sachverhalt

Feststellungen zum Verfahren allgemein:

Mit den beiden Haftungsbescheiden vom und vom wurde der Beschwerdeführer jeweils für folgende Abgaben, Zeiträume und Beträge zur Haftung für aushaftende Abgabenschulden der ***L*** GmbH herangezogen:

Der Haftungsbescheid vom stützte sich auf § 9a BAO. Ihm waren sämtliche darin genannten Grundlagenbescheide beigelegt.

Im Haftungsbescheid vom wurde wörtlich festgehalten, "(d)er angeführte Haftungstatbestand trete ergänzend zur Haftungsinanspruchnahme gemäß § 9a BAO laut Bescheid vom ". Bescheide betreffend die zur Haftung herangezogenen Abgaben waren dem Haftungsbescheid vom nicht begelegt.

Gegen die der Haftung zugrundeliegenden Abgabenbescheide (Grundlagenbescheide) betreffend Körperschaftssteuer 2014 und 2015 vom sowie die Haftungsbescheide KESt 2013, 2014, 2015 vom und sämtliche Haftungsbescheide Lohnabgaben, alle vom , erhob der Beschwerdeführer nach Fristverlängerung mit Schreiben vom Beschwerde gemäß § 248 BAO.

Feststellungen zur ***L*** GmbH (Primärschuldnerin):

Aufgrund einer Verdachtsmeldung der niederösterreichischen Gebietskrankenkasse wurden Erhebungen der Finanzpolizei bei der ***L*** GmbH durchgeführt. Betriebsgegenstand der ***L*** GmbH war das Baumeistergewerbe gemäß § 99 GewO und die Überlassung von Arbeitskräften. Die Gesellschaft wurde als *** GmbH am **.**.2009 im Firmenbuch eingetragen. ***M*** war als 100-prozentiger Allein-Geschäftsführer und Gesellschafter bis zum **.**.2013 im Firmenbuch eingetragen. Die Gewerbeberechtigungen umfassten die Hausbetreuung, bestehend aus der Durchführung einfacher Reinigungstätigkeiten. Mit Antrag vom **.**.2012 wurde der Name auf ***L*** GmbH geändert.

Mit Abtretungsvertrag vom **.**.2013 wurden die Geschäftsanteile an ***U***, den Onkel des Beschwerdeführers, um einen Abtretungspreis von einem Euro veräußert und dieser als Geschäftsführer und 100 %iger Gesellschafter im Firmenbuch eingetragen. Als Wohnsitz des neuen Geschäftsführers wurde die ***Adr1*** Wien angegeben.

Die ***L*** GmbH verrechnete die Leistungen der Fremdleister mit einem Aufschlag von 5-15 % an ihre Auftraggeber weiter. Lohnzahlungen erfolgten fast ausnahmslos bar.

Der Beschwerdeführer war ab nicht mehr bei der Firma ***L*** GmbH als Dienstnehmer gemeldet. Mit E-Mail vom hat er bei der steuerlichen Vertretung seine Kündigung bzw. die Kündigung der gewerberechtlichen Geschäftsführerin veranlasst.

Am wurde die Umsatzsteueridentifikationsnummer der ***L*** GmbH begrenzt sowie ein Sicherstellungsauftrag erlassen. Seitens der GmbH gab es dazu keine Reaktion.

Am wurde auch die laufende Betriebsprüfung in eine Prüfung gemäß § 147 BAO iVm § 99 Abs. 2 FinStrG umgewandelt. Es bestand der Verdacht, dass im Prüfungszeitraum Schein- und Deckungsrechnungen von Subunternehmen in das Rechenwerk der GmbH aufgenommen und als Betriebsausgaben in Ansatz gebracht wurden. Die im Jahr 2016 durchgeführte Außenprüfung betreffend Umsatzsteuer, Kapitalertragsteuer, Körperschaftsteuer, Kammerumlage und zusammenfassende Meldung für die Jahre 2013-2015 fand ihren Niederschlag im Bericht vom . Darin kam es zu zahlreichen Feststellungen betreffend das Vorliegen von Scheinrechnungen (Tz 8 ff. des BP-Berichtes).

Mit Beschluss des LG Wiener Neustadt vom wurden die Anträge auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens gemäß § 63 IO zurückgewiesen. Am wurde die Konkursabweisung mangels Vermögens eingetragen. Am erging seitens der belangten Behörde ein Feststellungsbescheid über das Vorliegen eines Scheinunternehmens gemäß § 8 SBBG. Der Bescheid wurde am rechtskräftig, am wurde die Scheinunternehmerschaft eingetragen. Am **.**.2017 wurde die Firma gemäß § 40 FBG im Firmenbuch gelöscht (vgl. historischer Firmenbuchauszug im Akt).

Die in Rede stehenden Abgaben sind bei der Primärschuldnerin uneinbringlich.

Feststellungen zum Beschwerdeführer:

Der Beschwerdeführer, Jahrgang ****, war vom bis an der ***Adr1*** Wien gemeldet (vgl. ZMR-Abfrage im Akt). Am wurde der im Firmenbuch eingetragene Geschäftsführer und laut eigenen Angaben Onkel des Beschwerdeführers, ***U***, an dieser Adresse im Zentralen Melderegister erfasst. Als Unterkunftgeber schien bis zur amtlichen Abmeldung am der Beschwerdeführer auf (vgl. ZMR-Abfrage im Akt). Dabei handelte es sich um Scheinmeldungen. Am wurde der Wohnsitz des Beschwerdeführers in die ***Adr2*** Wien verlegt. Seit ist der Beschwerdeführer an der Adresse ***3*** Wien gemeldet (vgl. ZMR-Abfrage im Akt).

Dem Beschwerdeführer wurde von ***U*** als Vertreter der ***L*** GmbH am eine notarielle, "allgemeine und unbeschränkte Vollmacht" für die ***L*** GmbH erteilt, um diese "in allen Angelegenheiten vor Behörden aller Art wie auch gegenüber allen Dritten nach bestem Wissen und Gewissen zu vertreten" und insbesondere "alle in § 1008 ABGB angeführten Geschäfte" in ihrem Namen zu tätigen, nämlich (wörtlich):

"Sachen zu veräußern und entgeltlich zu erwerben; Darlehen zu gewähren und aufzunehmen; Geld oder Geldeswert in Empfang zu nehmen; Vergleiche aller Art zu schließen, Bürgschaften zu übernehmen, Erbschaften unbedingt anzunehmen oder auszuschlagen, Vermögenserklärungen abzugeben, Gesellschaftsverträge zu errichten, Schenkungen zu machen; Schiedsverträge abzuschließen und Schiedsrichter zu wählen und Rechte unentgeltlich aufzugeben.

Die ***L*** erteilt ihm auch Prozessvollmacht im Sinne des § 31 ZPO.

(…)

Der Bevollmächtigte ist ausdrücklich auch berechtigt, im eigenen Namen und namens für die ***L*** GmbH Erklärungen abzugeben."

Der Beschwerdeführer war von bis als geringfügig Beschäftigter und von bis als Angestellter bei der ***L*** GmbH angemeldet. Auf Grund des Aufenthaltes seines Onkels in Serbien und der besonderen Nähe zu diesem sowie der tatsächlichen Abwicklung der Geschäfte, agierte der Beschwerdeführer im angegeben Zeitraum als de facto Geschäftsführer.

Ein gegen den Beschwerdeführer wegen § 33 FinStrG (gewerbsmäßige Abgabenhinterziehung und Abgabenbetrug) eingeleitetes Strafverfahren wurde gemäß § 190 Z 2 StPO am eingestellt (vgl. AS 5 und 13, Haftungsakt ***L*** GmbH). Ein weiteres Finanzstrafverfahren zur Strafnummer 2017/00665-001 wurde ebenfalls eingestellt (vgl. Angaben in der Beschwerde).

Der Beschwerdeführer ist derzeit arbeitslos gemeldet und verfügt über kein Vermögen in Österreich. Im Jahr 2022 war er von bis bei der ***A*** GmbH beschäftigt und von 1.9.- arbeitslos gemeldet. Im Jahr 2021 war er ganzjährig bei der ***A*** GmbH als beschäftigt angemeldet, während er im Jahr 2020 von bis bei der ***A*** GmbH beschäftigt war, in den restlichen Monaten u.a. auch Notstandshilfe bezog. In den Jahren 2016 bis 2019 bezog der Beschwerdeführer entweder Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe.

2. Beweiswürdigung

Das Bundesfinanzgericht stützt seine Feststellungen auf den gesamten Akteninhalt (Verwaltungsakt und verwaltungsgerichtlicher Akt), an dessen Vollständigkeit und Richtigkeit keine Zweifel entstanden sind.

Die Feststellungen zu Inhalt und Umfang der beiden Haftungsbescheide ergeben sich aus diesen.

Die Feststellungen zur Geschäftstätigkeit der Primärschuldnerin und der sie betreffenden Betriebsprüfung ergeben sich aus den im zitierten BP-Bericht getroffen Feststellungen, die auf umfangreichen Ermittlungen der Finanzverwaltung basieren. Es ergeben sich keine Anhaltspunkte an den Feststellungen im BP-Bericht zu zweifeln. Die Feststellungen zur Konkursabweisung, Einstufung als Scheinunternehmen und Löschung der Firma ergeben sich aus der Einsicht ins historische Firmenbuch.

Die Feststellungen zu den jeweiligen Meldeadressen des Beschwerdeführers und weiterer Personen ergeben sich aus der Einsicht ins Zentrale Melderegister. An der Adresse ***Adr1*** wurde eine Hausdurchsuchung durchgeführt, bei der festgestellt wurde, dass ***U*** nicht an dieser Adresse aufhältig war und es sich daher um eine Scheinmeldung gehandelt hat. An der Adresse wurde vielmehr eine andere Person angetroffen, die mit ihrer Familie seit die Mieterin der Wohnung war. Sie gab an, weder ***U*** noch die Firma ***L*** GmbH oder den Beschwerdeführer zu kennen. Es befanden sich auch keine Unterlagen der letztgenannten Personen an dieser Adresse.

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer im angegebenen Zeitraum als de facto Geschäftsführer agierte, beruht auf folgenden Überlegungen:

Auf Grund der Nähe zum eingetragenen Geschäftsführer, seinem Onkel, kam dem Beschwerdeführer im Unternehmen eine besondere Rolle zu:

Der Beschwerdeführer war zunächst nur als geringfügig Beschäftigter und dann Angestellter (seinen Angaben zufolge mit 20h) bei der Primärschuldnerin angestellt und trat offiziell als Vertriebsleiter der ***L*** GmbH auf. Zudem wickelte er Termine für den eingetragenen Geschäftsführer persönlich ab: so wurden seitens der Betriebsprüfung im Zeitraum bis mehrfach Termine mit dem Beschwerdeführer vereinbart, bei welchen der eingetragene Geschäftsführer persönlich erscheinen hätte sollen. Diese Termine wurden kurzfristig vom Beschwerdeführer telefonisch oder per Mail abgesagt, da sich der Geschäftsführer krankheitsbedingt in Serbien aufgehalten habe.

Der Beschwerdeführer selbst wurde am von der Finanzpolizei niederschriftlich vernommen. Darin erwähnte er erstmals die Vollmacht und gab an, er sei als Angestellter für 20 Wochenstunden angemeldet gewesen und würde bei guten Geschäften die Geschäftsführertätigkeiten übernehmen. Sein Onkel betreibe in Serbien eine Landwirtschaft und sei sozusagen Investor.

Im Rahmen der Betriebsprüfung wurde der Beschwerdeführe weiters am weiter als Auskunftsperson vernommen. Darin gab der Beschwerdeführer unter anderem an, dass er mit den Auftraggebern in Kontakt trete und der Ansprechpartner für diese und die eigenen Arbeitskräfte sei. Er war auch - neben dem eingetragenen Geschäftsführer - für die Konten zeichnungsberechtigt. Die Kontaktpersonen der Subleister kamen vorwiegend aus dem Balkanraum, der Beschwerdeführer erstellte die Ausgangsrechnungen bzw. Angebote.

Am befand an der Wohnadresse des Beschwerdeführers eine Hausdurchsuchung statt. Dabei nahm der Beschwerdeführer sein Recht auf Aussageverweigerung in Anspruch. Er gab bekannt, dass er seit nicht mehr bei der GmbH tätig sei und "keine offizielle Funktion in der Gesellschaft" mehr innehabe. Die an ihn ausgestellte Generalvollmacht wurde aber nicht widerrufen. Bei der Hausdurchsuchung wurden unter anderem sichergestellt:

• Firmenstempel der ***L***

• Drei Bargeldkuverts mit Aufschrift 4.900, 10.000, 15.000 ohne Inhalt

• ein Bargeldkuvert mit Inhalt ***G*** GmbH mit einem unterfertigten Kassenbeleg i.H.v. 5.500 Brutto im Auto des Beschwerdeführers

• ein Notebook mit Rechnungen und Mails der ***L*** GmbH sowie diverse Mobiltelefone.

Der Beschwerdeführer hatte keine plausible Erklärung für das Auffinden dieser Dinge bei ihm. Im Rahmen der Auswertung des Laptops des Beschwerdeführers wurden folgende E-Mail Accounts eingesehen: ***Bf***@***L***.at und ***L***@***L***.at. Für ***U***, den Onkel des Beschwerdeführers, gab es keine angelegten E-Mail-Adressen.

Die E-Mail-Adressen nutzte der Beschwerdeführer, um Angebote der Auftraggeber zu übermitteln sowie für Korrespondenz mit der steuerlichen Vertretung und Behörden. Weiters war er Ansprechpartner für die Auftraggeber, aber auch die eigenen Arbeitskräfte. Der Beschwerdeführer hat zwar keine Abgabenerklärungen unterzeichnet oder abgegeben, aber eigenen Angaben zufolge alle Finanzamtszahlungen angewiesen sowie Lohnsteuerzahlungen ohne Rechnungsanweisung durchgeführt (vgl. NS über die Einvernahme des Beschwerdeführers als Auskunftsperson am /BP-Bericht S. 6). Er hatte damit entscheidenden Einfluss auf die Entrichtung von Abgaben der Primärschuldnerin.

Vor dem Hintergrund dieser Ausführungen geht das Bundesfinanzgericht in freier Beweiswürdigung davon aus, dass der Beschwerdeführer nicht "nur" einfacher Angestellter der Primärschuldnerin war. Auf Grund des Umstandes, dass sein Onkel als eingetragener Geschäftsführer immer im Ausland aufhältig und im Inland nur zum Schein gemeldet war, ist es naheliegend, dass der Beschwerdeführer dessen Geschäfte und Verpflichtungen in Österreich gleichsam eines Stellvertreters wahrgenommen hat und damit auch Einfluss auf die Wahrnehmung abgabenrechtlicher Pflichten hatte. Die Vollmacht aus dem Jahr 2013 untermauert das letztlich. Dass der Beschwerdeführer behauptet, "keine Ahnung" von den Vorgängen gehabt zu haben und sich auch nicht erklären konnte, wie zB Ausgangsrechnungen einer Fremdleisterin der ***L*** GmbH samt Bargeld in sein Auto gelangt sein könnten (vgl. Protokoll Beschuldigteneinvernahme bei der Steuerfahndung/BP-Bericht S. 9), stellt nach Ansicht des Bundesfinanzgerichtes reine Schutzbehauptungen dar.

Die Feststellung zum Beschäftigungsverhältnis des Beschwerdeführers bei der Primärschuldnerin ergibt sich aus dem Akt sowie dessen Angaben im Verfahren.

Die Feststellung zur wirtschaftlichen Lage des Beschwerdeführers ergibt sich aus den glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers vor dem Bundesfinanzgericht. Auch die Einsicht in das Steuerkonto des Beschwerdeführers hat ergeben, dass er seit 2022 (erneut) arbeitslos ist, in den Jahren zuvor entweder Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe bezogen hat, kein Grundvermögen in Österreich besitzt und auch kein Kfz (mehr) auf ihn angemeldet ist.

3. Rechtliche Beurteilung

Die in den Abgabenvorschriften geregelten persönlichen Haftungen werden durch Erlassung von Haftungsbescheiden geltend gemacht. Die im vorliegenden Fall maßgeblichen Bestimmungen lauten idgF wie folgt:

§ 9 Abs. 1 BAO:

"Die in den §§ 80 ff bezeichneten Vertreter haften neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese betreffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben in Folge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können."

§ 9a BAO:

"(1) Soweit Personen auf die Erfüllung der Pflichten der Abgabepflichtigen und der in den §§ 80 ff bezeichneten Vertreter tatsächlich Einfluss nehmen, haben sie diesen Einfluss dahingehend auszuüben, dass diese Pflichten erfüllt werden.

(2) Die in Abs. 1 bezeichneten Personen haften für Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge ihrer Einflussnahme nicht eingebracht werden können. § 9 Abs. 2 gilt sinngemäß."

§ 80 Abs. 1 BAO lautet:

"Die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen haben alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen und sind befugt, die diesen zustehenden Rechte wahrzunehmen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden."

§ 83 BAO:

"(1) Die Parteien und ihre gesetzlichen Vertreter können sich, sofern nicht ihr persönliches Erscheinen ausdrücklich gefordert wird, durch natürliche voll handlungsfähige Personen, juristische Personen oder eingetragene Personengesellschaften vertreten lassen, die sich durch eine schriftliche Vollmacht auszuweisen haben.

(2) Inhalt und Umfang der Vertretungsbefugnis des Bevollmächtigten richten sich nach der Vollmacht; hierüber sowie über den Bestand der Vertretungsbefugnis auftauchende Zweifel sind nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechtes zu beurteilen. Die Abgabenbehörde hat die Behebung etwaiger Mängel unter sinngemäßer Anwendung der Bestimmungen des § 85 Abs. 2 von Amts wegen zu veranlassen.

(3) Vor der Abgabenbehörde kann eine Vollmacht auch mündlich erteilt werden; hierüber ist eine Niederschrift aufzunehmen.

(4) Die Abgabenbehörde kann von einer ausdrücklichen Vollmacht absehen, wenn es sich um die Vertretung durch amtsbekannte Angehörige (§ 25), Haushaltsangehörige oder Angestellte handelt und Zweifel über das Bestehen und den Umfang der Vertretungsbefugnis nicht obwalten.

(5) Die Bestellung eines Bevollmächtigten schließt nicht aus, daß sich die Abgabenbehörde unmittelbar an den Vollmachtgeber selbst wendet oder daß der Vollmachtgeber im eigenen Namen Erklärungen abgibt."

§ 224 BAO:

"(1) Die in Abgabenvorschriften geregelten persönlichen Haftungen werden durch Erlassung von Haftungsbescheiden geltend gemacht. In diesen ist der Haftungspflichtige unter Hinweis auf die gesetzliche Vorschrift, die seine Haftungspflicht begründet, aufzufordern, die Abgabenschuld, für die er haftet, binnen einer Frist von einem Monat zu entrichten.

(2) Die Bestimmungen des Einkommensteuerrechtes über die Geltendmachung der Haftung für Steuerabzugsbeträge bleiben unberührt.

(3) Die erstmalige Geltendmachung eines Abgabenanspruches anläßlich der Erlassung eines Haftungsbescheides gemäß Abs. 1 ist nach Eintritt der Verjährung des Rechtes zur Festsetzung der Abgabe nicht mehr zulässig."

§ 1008 ABGB lautet:

"Folgende Geschäfte: Wenn im Nahmen eines Andern Sachen veräußert, oder entgeldlich übernommen; Anleihen oder Darleihen geschlossen; Geld oder Geldeswerth erhoben; Processe anhängig gemacht; Eide aufgetragen, angenommen oder zurückgeschoben, oder Vergleiche getroffen werden sollen, erfordern eine besondere, auf diese Gattungen der Geschäfte lautende Vollmacht. Wenn aber eine Erbschaft unbedingt angenommen oder ausgeschlagen; Gesellschaftsverträge errichtet; Schenkungen gemacht; das Befugniß, einen Schiedsrichter zu wählen, eingeräumt, oder Rechte unentgeldlich aufgegeben werden sollen; ist eine besondere, auf das einzelne Geschäft ausgestellte Vollmacht nothwendig. Allgemeine, selbst unbeschränkte Vollmachten sind in diesen Fällen nur hinreichend, wenn die Gattung des Geschäftes in der Vollmacht ausgedrücket worden ist."

3.1. Zu Spruchpunkt I.

1. Zum Haftungsbescheid vom

Wie aus der Darstellung des Verfahrensganges, aber auch aus dem festgestellten Sachverhalt ersichtlich ist, hat die belangte Behörde zunächst am einen Haftungsbescheid erlassen und den Beschwerdeführer unter Hinweis auf § 9a BAO und den Betriebsprüfungsbericht zur Primärschuldnerin zur Haftung für die oben näher genannten Abgabenschulden der Primärschuldnerin herangezogen. In der Begründung des Bescheides wurde bereits auf die bestehende Vollmacht hingewiesen. Der Umstand, dass der Beschwerdeführer über eine Vollmacht gemäß ABGB verfügte, war also der belangten Behörde schon auf Grund des Betriebsprüfungsberichtes bekannt. Der Haftungsbescheid vom erwuchs mit Bekanntgabe an den Beschwerdeführer in materieller Rechtskraft.

Aus nicht erklärlichen Gründen zog die belangte Behörde den Beschwerdeführer rund neun Monate später mit einem weiteren Haftungsbescheid, nämlich jenem vom , erneut zur Haftung für dieselben Abgabenschuldigkeiten der Primärschuldnerin heran, nunmehr unter Hinweis auf § 9 iVm § 83 BAO und führte im Spruch aus, der angeführte Haftungstatbestand trete "ergänzend zur Haftungsinanspruchnahme gem. § 9a BAO laut Bescheid vom ."

Die jeweils dagegen getrennt eingebrachten Beschwerden "gegen den Haftungsbescheid vom ergänzt durch den Haftungsbescheid vom " wurden von der belangten Behörde in einer gemeinsamen Beschwerdevorentscheidung als unbegründet abgewiesen, wobei in der Begründung auf "die Verletzung der abgabenrechtlichen Pflichten iSd §§ 9 und 9a BAO" verwiesen wurde.

Der dagegen eingebrachte Vorlageantrag bezeichnet ausdrücklich nur den Haftungsbescheid vom , aus dem Inhalt des Vorlageantrages ergibt sich nach Ansicht des Bundesfinanzgerichtes aber, dass sich dieser Vorlageantrag auch gegen den Haftungsbescheid vom richtet:

Demnach nimmt der Vorlageantrag auf die Beschwerdevorentscheidung, die über beide Bescheide abgesprochen hat, Bezug und führt aus, es sei verfahrensrechtlich undenkbar, dass der zweite Haftungsbescheid den ersten ergänze, wie die belangte Behörde dies in der Beschwerdevorentscheidung anführe. Es lägen vielmehr zwei getrennt bekämpfbare Bescheide vor, "sodass jeweils ein gesonderter Vorlageantrag gestellt wird." Auch nach Ansicht des Bundesfinanzgerichtes handelt es sich um zwei voneinander unabhängige und auch unabhängig bekämpfbare Bescheide, deren Vorlage an das Bundesfinanzgericht beantragt wurde. Da auch beide Bescheide dem Bundesfinanzgericht vorgelegt wurden, erachtet sich als zur Entscheidung über beide Haftungsbescheide befugt.

Es ist daher zunächst zu klären, ob der Beschwerdeführer dem Grunde nach mit zwei Haftungsbescheiden zur Haftung für dieselben Abgaben, Zeiträume und Beträge herangezogen werden durfte, zumal der BAO das Instrument einer "Bescheidergänzung" durch die Erlassung eines weiteren (Haftungs)Bescheides in dieser Form fremd ist.

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist der Spruch des Haftungsbescheides die Geltendmachung der Haftung für einen bestimmten Abgabenbetrag einer bestimmten Abgabe. Damit wird die Sache des konkreten Haftungsverfahrens und auch der Rahmen für die Abänderungsbefugnis des Verwaltungsgerichts im Rechtsmittelverfahren festgelegt (vgl. , VwSlg. 7780/F; , 2005/13/0099 sowie jüngst ; vgl. auch Ritz/Koran, BAO7, § 224 Tz 8).

Nach Ansicht des Bundesfinanzgerichtes liegt im vorliegenden Fall Identität der Sache vor, weil es sich um dieselbe Person, dieselben Haftungsbeträge, Abgaben und Zeiträume betreffend dieselbe Primärschuldnerin, aber auch um denselben der Haftungsinanspruchnahme zugrundeliegenden Sachverhalt handelt und auch das Bestehen der Vollmacht in beiden Bescheiden thematisiert wurde. Die Angabe des anderen Haftungstatbestandes ("§ 9 iVm § 83 BAO") im späteren Bescheid bewirkt nach Ansicht des Bundesfinanzgerichtes im vorliegenden Fall keine eigene Sache. Der spätere (zweite) Haftungsbescheid diente nach Ansicht des Bundesfinanzgerichtes einzig und allein des - unzulässigen - "Nachschießens" einer weiteren Bescheidbegründung durch die belangte Behörde.

Nach der Rechtsprechung ist ein Bescheid durch meritorische Beschwerdeerledigung (durch das Verwaltungsgericht sohin mit Erkenntnis) ersatzlos aufzuheben, wenn er nicht ergehen hätte dürfen und in der Sache keine weitere Entscheidung in Betracht kommt (Ritz/Koran, BAO7, § 279 Tz 5; Ellinger/Sutter/Urtz, BAO³, Rz 50 zu § 279; jeweils mit weiteren Nachweisen). Dies ist etwa dann der Fall, wenn der angefochtene Bescheid in derselben Sache wie ein älterer Bescheid ergangen ist () oder wenn ein verfahrensrechtlicher Bescheid zu Unrecht erlassen wurde. Ergeht in derselben Sache, die unanfechtbar und unwiderruflich entschieden ist, eine neue Entscheidung, so ist diese inhaltlich rechtswidrig ().

Die belangte Behörde hat daher insoweit einen zweiten Bescheid in derselben Sache erlassen und damit gegen den Grundsatz der Unwiederholbarkeit behördlicher Entscheidungen verstoßen. Der zweite Haftungsbescheid vom hätte daher nicht ergehen dürfen; an seiner Stelle kommt auch keine andere oder weitere Entscheidung in Frage. Er ist daher gemäß § 279 Abs. 1 BAO spruchgemäß ersatzlos zu beheben.

2. Zum Haftungsbescheid vom

3.1.2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes setzt die Geltendmachung der Haftung nach § 9 BAO voraus, dass eine uneinbringliche Abgabenforderung gegen den Vertretenen besteht, die als haftungspflichtige in Frage kommende Person zum Personenkreis des §§ 80 ff. BAO gehört, eine schuldhafte Verletzung abgabenrechtlicher Pflichten des Vertreters vorliegt und die Pflichtverletzung für die Uneinbringlichkeit ursächlich war.

Auch die Haftung nach § 9a Abs. 1 BAO ist eine Ausfallshaftung, zumal sie nur insoweit besteht, als die Abgaben infolge der Einflussnahme nicht eingebracht werden können. Mit § 9a BAO wird der Personenkreis, den die Ausfallshaftung des § 9 BAO trifft, nach dem Vorbild des § 6a Abs. 2 und 3 KommStG auf Personen erweitert, die entweder faktische Geschäftsführer sind (somit de facto an Stelle des Vertreters die abgabenrechtlichen Pflichten des Vertretenen erfüllen bzw. verletzten) oder die den Vertreter dahingehend beeinflussen, dass abgabenrechtliche Pflichten durch den Vertreter verletzt werden, wobei nur Pflichtverletzungen nach dem nach dieser Bestimmung in Betracht kommen (vgl. Fischerlehner in Fischerlehner/Brennsteiner, Abgabenverfahren I³, § 9a, Rz 1/Rz 5). Die Pflicht des faktischen Geschäftsführers nach § 9a BAO, Einfluss "dahingehend" auszuüben, geht immer nur soweit, als dieser tatsächlich auf die Erfüllung abgabenrechtlicher Pflichten Einfluss nimmt bzw. genommen hat (vgl. Althuber, Abgabenrechtliche Haftung des faktischen Geschäftsführers, RdW 2013, 112 f - 115).

Der Beschwerdeführer wurde mit dem Haftungsbescheid vom als faktischer Geschäftsführer der Primärschuldnerin nach Ansicht des Bundesfinanzgerichtes zu Recht zur Haftung herangezogen. Dies aus den folgenden Gründen:

1. Wie festgestellt sind die haftungsgegenständlichen Abgaben bei der Primärschuldnerin uneinbringlich, da ihr Konkurs im Jahr 2016 abgewiesen wurde und die Löschung im Firmenbuch erfolgte.

2. Die Annahme einer faktischen Geschäftsführertätigkeit des Beschwerdeführers ist nicht von der Unterschrift auf der Generalvollmacht abhängig, sondern davon, ob er die Geschäftsführung de facto an Stelle des handelsrechtlich bestellten Geschäftsführers ausgeübt hat. Das Bundesfinanzgericht geht im vorliegenden Fall in freier Beweiswürdigung davon aus, dass der Beschwerdeführer auf Grund seines Naheverhältnisses zum eingetragenen Geschäftsführer gleichsam eines Stellvertreters des Geschäftsführers als faktischer Geschäftsführer der Primärschuldnerin agiert hat (siehe Pkt. II.2.)

3. Der Haftungsinanspruchnahme des Beschwerdeführers liegen die unter II.1.1. genannten Bescheide zugrunde. Wie aus dem Akteninhalt ersichtlich war, hat der Beschwerdeführer auch Beschwerden gegen die Grundlagenbescheide eingelegt, da er anlässlich der Erlassung des Haftungsbescheides auch Kenntnis über den haftungsgegenständlichen Abgabenanspruch durch Übermittlung der genannten Bescheide samt Feststellungen der abgabenbehördlichen Prüfungen erlangt hat. Das Bundesfinanzgericht ist im gegenständlichen Verfahren daher an diese Entscheidung gebunden und hat sich an diese Abgabenbescheide zu halten.

4. Auch die nach § 9a Abs. 2 BAO bestehende Haftung setzt die Verletzung abgabenrechtlicher Pflichten voraus (siehe Ritz/Koran, BAO7, § 9a, Tz 3 mwN). Zu solchen abgabenrechtlichen Pflichten gehört insbesondere die Führung von Büchern und Aufzeichnungen, die Einreichung von Abgabenerklärungen und die Entrichtung von Abgaben.

Angesichts der nicht aufgeklärten Feststellungen im BP-Bericht (fehlende Aufzeichnungen zur Dokumentation eines Leistungsaustausches zwischen der jeweiligen Subfirma und der Primärschuldnerin, Auslagerung von Lohnabgaben an nicht existente Gesellschaften) ist nicht vom Vorliegen einer ordnungsgemäßen Buchführung bei der Gesellschaft auszugehen. Dem Beschwerdeführer, der als rechte Hand des in Serbien befindlichen eingetragenen Geschäftsführers fungierte und - wie die Hausdurchsuchung gezeigt hat - Zugang zu sämtlichen Informationen hatte, ist nach Ansicht des Bundesfinanzgerichtes die Verletzung der abgabenrechtlichen Verpflichtungen - wozu auch die Pflicht zur (ordnungsgemäßen) Führung von Büchern und Aufzeichnungen, und die Pflicht zur Abgabe (richtiger) Abgabenerklärungen gehört - anzulasten.

Liquiditätsberechnungen zu den jeweiligen Fälligkeitstagen der haftungsgegenständlichen Bescheide wurden vom Beschwerdeführer im gesamten Verfahren weder vorgelegt noch in Aussicht gestellt. Etwaige Liquiditätsberechnungen wären aber auf Grund der nicht ordnungsgemäßen Buchhaltung der Gesellschaft und ihrer (hier nicht beschwerdegegenständlichen) Einstufung als Scheinunternehmen ohnehin nicht aussagekräftig gewesen wären.

Sofern der Beschwerdeführer völlige Unkenntnis der Vorgänge, insbesondere in steuerlichen Belangen, geltend gemacht hat, ist ihm die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entgegenzuhalten, wonach auch eine solche Unkenntnis den Geschäftsführer einer GmbH nicht zu exkulpieren vermag ().

5. Die Einflussnahme des Beschwerdeführers auf die Geschäfte und abgabenrechtlichen Verpflichtungen der Primärschuldnerin waren auch kausal für die Uneinbringlichkeit der Abgaben.

6. Die Erlassung von Haftungsbescheiden (§ 224 BAO) liegt im Ermessen der Abgabenbehörde (siehe Ritz/Koran, BAO7 § 7 Tz 5 mwN). Nach § 20 BAO müssen sich Ermessensentscheidungen in den Grenzen halten, die das Gesetz dem Ermessen zieht. Innerhalb dieser Grenzen sind Ermessensentscheidungen nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen. Wesentliches Ermessenskriterium bei der Geltendmachung persönlicher Haftungen ist die Vermeidung eines endgültigen Abgabenausfalles. Dem Begriff "Billigkeit" ist die Bedeutung "Angemessenheit in Bezug auf berechtigte Interessen der Partei", dem Begriff "Zweckmäßigkeit" die Bedeutung "öffentliches Interesse, insbesondere an der Einbringung der Abgaben" beizumessen (vgl. zB ). Neben der Nachrangigkeit der Haftung wäre bei der Ermessensübung in diesem Sinn beispielsweise ein behördliches Mitverschulden an der Erschwerung der Einbringung beim Hauptschuldner (etwa durch Säumigkeit der Abgabenbehörde bei der Eintreibung der Abgaben bei der Primärschuldnerin), die Geringfügigkeit des haftungsgegenständlichen Betrages oder die Uneinbringlichkeit beim Haftungspflichtigen selbst zu berücksichtigen (siehe dazu Ritz/Koran, BAO7 § 7 Tz 7 mwN).

In Hinblick auf die Vermögenslosigkeit der Primärschuldnerin ist die Geltendmachung der Haftung die einzige Möglichkeit, für die Einbringlichkeit der gegenständlichen Abgaben zu sorgen. Ein langer Zeitabstand zwischen dem Entstehen der Abgabenschuld oder der Feststellung der Uneinbringlichkeit der Abgaben bei der Primärschuldnerin einerseits und der bescheidmäßigen Inanspruchnahme zur Haftung andererseits ist zweifellos ein Umstand, den die Abgabenbehörde bei der Inanspruchnahme zur Haftung im Sinne des Ermessens nicht außer Betracht lassen darf. Ein solcher Umstand kann jedoch auch lediglich einer von mehreren Gesichtspunkten sein, die im Rahmen des Ermessens zu berücksichtigen sind. Inwieweit dieser Gesichtspunkt beim Ermessen Berücksichtigung findet, hängt vom Einzelfall ab. Eine Ermessensüberschreitung oder ein Ermessensmissbrauch läge dann vor, wenn ein solcher Umstand bei der Ermessensentscheidung überhaupt nicht berücksichtigt würde ().

Im vorliegenden Fall wurde der Beschwerdeführer zeitnah (binnen eines Jahres ab Konkursabweisung bzw. sofort nach Eintragung der Löschung der Firma im Firmenbuch) von seiner beabsichtigten Haftungsinanspruchnahme informiert, der Haftungsbescheid wurde binnen eines weiteren Jahres am nach weiteren Ermittlungen erlassen. Für eine Ermessensübung zugunsten des Beschwerdeführers auf Grund lange verstrichener Zeit ist vor diesem Hintergrund kein Raum.

Auch die vom Beschwerdeführer ins Treffen geführte Arbeitslosigkeit und Krankheit stehen seiner Haftungsinanspruchnahme nicht entgegen:

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes darf nämlich die Haftung nicht nur bis zur Höhe der aktuellen Einkünfte und des aktuellen Vermögens des Haftungspflichtigen geltend gemacht werden, sondern auch darüber hinaus. Die Vermögens- und Arbeitslosigkeit des Haftenden steht - auch im Zusammenhang mit der Ermessensübung - in keinem erkennbaren Zusammenhang mit der Geltendmachung der Haftung, zumal es eine allfällige (zur Zeit der Erlassung des Haftungsbescheides bestehende) Uneinbringlichkeit beim Haftenden nicht ausschließt, dass künftig neu hervorkommendes Vermögen oder künftig erzielte Einkünfte zur Einbringlichkeit der haftungsgegenständlichen Abgaben führen können (vgl. , mwN). Aufgrund des Alters des Beschwerdeführers (41 Jahre) ist davon auszugehen ist, dass er - trotz derzeitiger Arbeitslosigkeit und behaupteter Krankheit - künftig im Erwerbsleben tätig sein wird. Es kann daher nicht mit Bestimmtheit ausgeschlossen werden, dass er künftig durchaus in der Lage sein wird, zumindest einen Teil des eingetretenen Abgabenausfalles und erlittenen Schadens in Zukunft wieder gut zu machen.

Die Beschwerde war daher spruchgemäß als unbegründet abzuweisen.

Der Beschwerdeführer wird abschließend darauf hingewiesen, dass bei einer allfälligen Exekutionsführung auf das Existenzminimum Rücksicht zu nehmen sein wird und insoweit ein der Exekution entzogener unpfändbarer Freibetrag besteht (§ 291a EO). Aus dem Titel der Haftung werden dem Beschwerdeführer daher bei gleichbleibenden Vermögensverhältnissen keine Kosten erwachsen können.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Gegen eine Entscheidung des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere, weil der Beschluss von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die gegenständliche Entscheidung weicht weder von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung (vgl. Pkt. 3.1).

Die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Im Übrigen liegen keine Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der hier zu lösenden Rechtsfrage, ob der Beschwerdeführer zu Recht zur Haftung herangezogen wurde, vor.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 9a BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 80 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 83 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 224 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 1008 ABGB, Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch, JGS Nr. 946/1811
§ 9 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2023:RV.7105334.2019

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at