Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 25.08.2023, RV/3101156/2014

Mittelpunkt der Lebensinteressen: Vorrangig maßgeblich sind die engsten persönlichen Beziehungen, dh. wo der Familienwohnsitz gelegen ist

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin***Ri*** in der Beschwerdesache
***Bf1***, Adresse, vertreten durch RA Rechtsanwalt, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Innsbruck (nunmehr Finanzamt Österreich-FAÖ) vom , SV-Nr, betreffend Rückforderung zu Unrecht bezogener Beträge an Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag für den Zeitraum Jänner 2003 bis August 2007 zu Recht erkannt:

Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof
nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang:

1. Herr ***Bf1*** (= Beschwerdeführer, Bf) hatte für die Tochter A, geb. 08/1989, laufend Familienbeihilfe (FB, mtl. € 130,90) und Kinderabsetzbetrag (KG, mtl. € 50,90) bezogen.

2. Beigebracht wurden die Formulare E 401 ("Familienstandsbescheinigung für die Gewährung von Familienleistungen") und E 411 ("Anfrage betr. Anspruch auf Familienleistungen in dem Mitgliedstaat, in dem die Familienangehörigen wohnen"), ausgestellt von den zuständigen Behörden der Gemeinde Ort1/Italien im September und Oktober 2008. Demnach sind der Bf (österreichischer Staatsbürger), die Ehegattin B (italienische Staatsangehörige) und die Tochter in I-Ort1-Straße1, gemeinsam mit Wohnsitz gemeldet.
Zum Bf scheint als weitere Adresse auf: A-Ort2-Straße2.
Bescheinigt wird, dass die Gattin seit 10/2003 in Italien keine berufliche Tätigkeit ausgeübt hat.

3. Vom Finanzamt wurde durch Einsicht in die Sozialversicherungsdaten erhoben, dass der Bf seit laufend als gewerblich selbständig Erwerbstätiger im Inland gemeldet war.
Laut telefonischer Auskunft eines Mitarbeiters der SV-Anstalt der gewerbl. Wirtschaft vom Oktober 2008 hat der Bf seit 1993 ein Gewerbe als Masseur angemeldet (lt. Zentralem Gewerberegister); er könne in Österreich so lange sozialversichert sein, als er in Österreich Gewerbeinhaber ist.

4. Im Akt erliegen weiters folgende Unterlagen:

a) insgesamt 4 italienische Schulzeugnisse der Tochter A, wonach diese in den
Schuljahren 2003/2004 bis 2007/2008 das pädagogische Gymnasium, Fachrichtung
Kunst, in I-Ort1 besucht hat;

b) drei "General Certificates of Education" betr. deren Besuch einer Sommerschule in
England im Juni 2007;

c) die italienischen Steuererklärungen des Bf und seiner Gattin für das Jahr 2007.

5. Das Finanzamt hat daraufhin mit Bescheid vom , SV-Nr, zu Unrecht bezogene Beträge an FB und KG für die Tochter A für den Zeitraum Jänner 2003 bis August 2007 (= 56 Monate à € 181,80) im Betrag von gesamt € 10.180,80 vom Bf zurückgefordert und in der Begründung ausgeführt:
Gemäß § 2 Abs. 8 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG), BGBl 1967/376 idgF., haben Personen, die sowohl im In- als auch im Ausland einen Wohnsitz haben, nur dann einen FB-Anspruch, wenn sie den Mittelpunkt der Lebensinteressen in Österreich haben und sich die Kinder ständig im Bundesgebiet aufhalten. Der Lebensmittelpunkt liege in dem Staat, zu dem die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen bestehen. Da der Bf samt Familie den Familienwohnsitz in I-Ort1 habe und auch seine Einkünfte in Italien erziele, sei anzunehmen, dass sein Lebensmittelpunkt nicht in Österreich gelegen sei (im Einzelnen: siehe den Bescheid v. ).

6. In der dagegen am erhobenen Berufung, nunmehr Beschwerde, wendet der Bf ein:
Die Bescheidbegründung sei unzutreffend. Sowohl der Bf als auch seine Tochter hätten dauernd und ununterbrochen den Wohnsitz in Österreich; die Tochter studiere und lebe derzeit in A-Ort3. Er habe in A-Ort2 bei der Handelskammer einen Betrieb angemeldet und sei hier sozialversichert; er besitze den österr. Führerschein. Seine ganze Familie samt pflegebedürftiger Mutter lebe in A-Ort2. Die Entfernung zwischen dem österr. und dem italien. Wohnsitz sei so gering, dass auch ein tägliches Pendeln möglich wäre und daher dem Lebensinteresse in Österreich nicht entgegenstehe. Er erkläre ausdrücklich Österreich als seinen Lebensmittelpunkt. Der zeitweilige Aufenthalt des Bf und der Tochter in Italien sei durch einen familiären Notfall erzwungen gewesen, da ein Elternteil der Gattin (italien. Staatsbürgerin) schwer erkrankt wäre und ihr dortiger Aufenthalt erforderlich gewesen sei. Als verantwortliche Eltern hätten sie zum Wohl der Tochter diese in die Schule in I-Ort1 geschickt und habe der Bf versucht, in Ort1 zu arbeiten. Er habe immer wieder auch in Österreich, jedoch geringfügig je unter der Freigrenze, gearbeitet. Immerhin habe er mit seinem Einkommen in Italien die österr. Sozialversicherung als Nettozahler finanziert, sodass nicht behauptet werden könne, seine wirtschaftlichen Interessen seien in Italien gelegen. Außerdem habe er immer alle Pflichten unter Beibringung aller Unterlagen gegenüber dem Finanzamt erfüllt und sei die FB bis 2007 als rechtmäßig ausbezahlt worden. Er habe die FB in gutem Glauben angenommen. Auch aus diesem Grund wird beantragt, den Rückforderungsbescheid aufzuheben.

7. Vom Finanzamt wurde anschließend durch Einsicht in das Abgabeninformationssystem erhoben, dass zum Bf für die Zeiträume 2002 - 2008 keinerlei steuerliche Bemessungsgrundlagen aufscheinen.
Laut Sozialversicherungsanstalt schreibt diese ihre Beiträge aufgrund der jährlich eingebrachten italienischen Steuererklärung bzw. italienischem Steuerbescheid des Bf vor.

8. Das Finanzamt hat am unter ausführlicher Darstellung des Sachverhaltes einen Nachschauauftrag an die KIAB, nunmehrige Finanzpolizei, gerichtet. Zwecks Abklärung, wo der Bf seinen Mittelpunkt der Lebensinteressen habe, wurde um Ermittlung ersucht
- ob an der inländischen Adresse ein Wohnsitz vorliege
- ob an diesem Wohnsitz bzw. in diesem Haushalt eine Massagepraxis des Bf vorhanden
sei
- in welchem Ausmaß ev. dort eine selbständige Tätigkeit ausgeübt werde.

9. Von der KIAB/Finanzpolizei wurde mit Schreiben v. dem Finanzamt mitgeteilt:
"Trotz mehrfacher Versuche konnte an der Adresse A-Ort2-Straße2, niemand angetroffen werden. Weiters wurde im Haus weder ein Hinweis auf ***Bf1*** noch auf eine Massage-Praxis festgestellt."

10. Mit Ergänzungsersuchen v. wurde die Fragenbeantwortung samt Nachweisen vom Bf zu Folgendem erbeten:
Ob und wie lange die Tochter in Österreich und ab wann in I-Ort1 die Schule besucht hat; ob und wann der Bf ab 2003 in Österreich selbständig erwerbstätig war samt Aufstellung der erzielten Einkünfte sowie Vorlage der italien. Steuerbescheide; ob die Gattin ab 2003 in Italien erwerbstätig war samt Vorlage der italien. Steuerbescheide; ob der Bf die (lt. eigenen Angaben) pflegebedürftige Mutter in A-Ort2 betreut.

11. Das mit RSa-Rückschein an den Bf unter seiner inländischen Wohnsitzadresse versandte Ergänzungsersuchen wurde nach erfolglosem Zustellversuch am beim Postamt zur Abholung hinterlegt, ist am mit dem Vermerk "nicht behoben" an das Finanzamt zurückgelangt und somit unbeantwortet geblieben.

12. Mit Berufungsvorentscheidung (nunmehr Beschwerdevorentscheidung/BVE) vom wurde die Berufung/Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
Nach ausführlicher Darstellung des Verfahrensganges, der durchgeführten Erhebungen, des bislang festgestellten Sachverhaltes und der bezughabenden Rechtslage, insbes. zu § 2 Abs. 8 FLAG 1967, führt das Finanzamt in seiner Begründung ua. aus (im Einzelnen siehe die BVE):

" … Auf Grund der vorliegenden Nachweise kann nicht davon ausgegangen werden, dass sich der Mittelpunkt der Lebensinteressen des Berufungswerbers im Inland befindet. Diese Ansicht begründet sich aus der Tatsache, dass weder von Herrn Bf noch von dessen Gattin Einkünfte aus selbständiger oder unselbständiger Arbeit in Österreich erklärt wurden. Es wurde außerdem angegeben, dass Frau B keine Erwerbstätigkeit in Italien ausübt. Jedoch wurde eine italienische Einkommensteuererklärung von Herrn Bf für das Kalenderjahr 2007 vorgelegt. Es ist somit anzunehmen, dass Einkünfte zur Gänze bzw. zum Großteil in Italien bezogen wurden und werden. Unter der Adresse A-Ort2-Straße2, konnte weder ein Hinweis auf Bf noch auf eine Massage-Praxis festgestellt werden.
Die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 regelt, welcher Mitgliedstaat für ein und denselben Zeitraum und denselben Familienangehörigen vorrangig zur Gewährung der im jeweiligen Hoheitsgebiet vorgesehenen Familienleistungen verpflichtet ist.
Vorrangig muss grundsätzlich jener Mitgliedstaat die Familienleistungen gewähren, in dem eine Erwerbstätigkeit ausgeübt wird.
Sind die Elternteile in verschiedenen Mitgliedstaaten erwerbstätig, trifft die vorrangige Verpflichtung zur Gewährung der Familienleistungen jenen Mitgliedstaat, in dessen Gebiet die Familienangehörigen wohnen. Sind die Familienleistungen im anderen Mitgliedstaat höher, besteht dort gegebenenfalls Anspruch auf die Gewährung des Differenzbetrages (Artikel 76 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 in Verbindung mit Art. 10 der DVO 574/72). …….
Für die Auszahlung von Familienleistungen ist somit Italien vorrangig zuständig.
Die eingebrachte Berufung wird somit abgewiesen."

13. Im dagegen am eingebrachten Vorlageantrag wurde - ohne weiteres Vorbringen - die Entscheidung durch das Bundesfinanzgericht und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt.

14. In der Folge hatte das Finanzamt zunächst mit zweiter BVE am der Berufung des Bf nunmehr stattgegeben; diese zweite BVE wurde jedoch mit Bescheid des Finanzamtes vom gemäß § 299 BAO aufgehoben und die dagegen erhobene Beschwerde (betr. Aufhebung der zweiten BVE) vom Bundesfinanzgericht mit Erkenntnis v. , RV/3100616/2012, als unbegründet abgewiesen.

Die Bescheidaufhebung war im Wesentlichen auf die Befragung des Bf vor dem Finanzamt am gestützt, wo er laut im Akt erliegender Niederschrift Folgendes zu Protokoll gegeben hat:

" … Zur Frage, wo der Mittelpunkt meiner Lebensinteressen im verfahrensgegenständlichen Zeitraum (Anm.: Jänner 2003 - August 2007) liegt, gebe ich an, dass dies in Italien ist und begründe dies wie folgt:
Ich lebe mit meiner Familie seit den 1990-er Jahren in
Ort1 (I). Meine Tochter hat die Schule in Ort1 besucht. Der Schwerpunkt meiner wirtschaftlichen Betätigung liegt in Italien. Die Wohnung in Ort2-Straße2, gehörte meiner Mutter. Meine Mutter ist im Oktober 2011 verstorben. Meine Ehegattin, unsere Tochter und ich sind in der A-Ort2-Straße2 gemeldet. Die Wohnung ist nicht geeignet, um einen Wohnsitz zu begründen. Eine feste örtliche Betriebsstätte fehlt in Österreich. 2005 und 2006 war ich jeweils 3 Tage und 2007 4 Tage in Österreich tätig.
In Italien gab es damals, als ich nach
Ort1 übersiedelte, keine Möglichkeit der Versicherung. Daher meldete ich einen Betrieb (das Gewerbe) in Österreich an und zahlte die Sozialversicherungsbeiträge in Österreich. ..."

Die Niederschrift war vom Bf gelesen, unterfertigt und ihm eine Zweitschrift ausgehändigt worden.

15. Im gegenständlich fortzuführenden Verfahren (nach rechtskräftiger Aufhebung der zweiten BVE) hat das Bundesfinanzgericht (BFG) Einsicht genommen in das Zentrale Melderegister (ZMR), wonach die gesamte Familie (Bf + Ehegattin + Tochter) im streitgegenständlichen Zeitraum 01/2003 - 08/2007 mit Hauptwohnsitz an der inländischen Adresse in A-Ort2-Straße2, angemeldet war.
Die Mutter des Bf, Fr. C, geb. 04/1918, war bis an derselben Adresse sowie anschließend im Altersheim in A-Ort4, mit Hauptwohnsitz gemeldet und ist im Oktober 2011 verstorben.

16. Mit Schreiben vom wurde seitens des Bf der vormalige Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung zurückgenommen.

II. Sachverhalt:

Der Bf, die Ehegattin B (italien. Staatsbürgerin) und die damals mj. Tochter A, geb. 08/1989, für die der Bf laufend FB + KG bezogen hat, waren im streitgegenständlichen Zeitraum 2003 bis 2008 gemeinsam mit Wohnsitz in Italien, Ort1-Straße1, gemeldet (siehe Formulare E 401 und E 411 mit Bestätigung der zuständigen italien. Behörden aus Oktober 2008). Sie haben dort (in I/Ort1) lt. eigenen Angaben des Bf bereits seit den 1990er Jahren gelebt (siehe Niederschrift/NS vom ).
Zugleich war die gesamte Familie mit Hauptwohnsitz in A-Ort2-Straße2, angemeldet (lt. ZMR-Abfragen). Eigentümerin der betr. Wohnung, die sich lt. Bf nicht für eine Wohnsitzbegründung geeignet hat, war die Mutter des Bf (siehe eigene Angaben lt. NS v. ).
Die laut eigenen Angaben pflegebedürftige Mutter des Bf war bis April 2004 an selbiger inländ. Adresse und anschließend in einem Altersheim mit Hauptwohnsitz gemeldet und ist im Oktober 2011 verstorben (siehe ZMR-Abfrage; NS v. ).

Grund für den Aufenthalt in Italien war laut eigenen Angaben ein Krankheitsfall in der Familie der Gattin, wobei in dieser Zeit die Tochter die Schule in I-Ort1 besucht hat (lt. Beschwerde; siehe 4 Zeugnisse des pädagogischen Gymnasiums in I-Ort1 für die Schuljahre 2003/2004 - 2007/2008; lt. NS v. ) und der Bf in Italien gearbeitet hat (lt. Beschwerdevorbringen; siehe italien. Einkommensteuererklärungen des Bf und auch der Gattin für das Jahr 2007; NS v. ).

Der Bf hatte ab 1993 in Österreich laufend ein Gewerbe als "Masseur" angemeldet (lt. Zentralem Gewerberegister) und war zufolge der Sozialversicherungsdaten ab 2003 als gewerblich selbständig Erwerbstätiger im Inland gemeldet bzw. sozialversichert.
Für die Dauer eines aufrecht gemeldeten Gewerbes ist die Sozialversicherung im Inland möglich. Von der Sozialversicherungsanstalt wurden die SV-Beiträge anhand der jährlichen italienischen Steuerklärungen bzw. Steuerbescheide des Bf vorgeschrieben (lt. Auskunft seitens der SV-Anstalt der gewerbl. Wirtschaft v. Oktober 2008; eigene Angaben in der Beschwerde: "habe mit italien. Einkommen die österreichische Sozialversicherung als Nettozahler finanziert").

An der inländischen Adresse in A-Ort2-Straße2, konnte kein Hinweis auf einen Wohnsitz oder etwa eine dort befindliche Massagepraxis des Bf vorgefunden werden (lt. Nachschau der Finanzpolizei im Jahr 2009).

Laut eigenen Angaben hat der Bf im betr. Zeitraum teils auch im Inland geringfügig gearbeitet. In Österreich war jedoch keine feste örtliche Betriebsstätte vorhanden; die Tätigkeit wurde in den Jahren 2005 bis 2007 jeweils lediglich 3 - 4 Tage ausgeübt (siehe NS v. ).

Weder vom Bf noch von der Ehegattin wurden im Zeitraum 2002 - 2008 Einkünfte aus einer selbständigen oder unselbständigen Tätigkeit in Österreich erklärt (lt. Abfragen im Abgabeninformationssystem/AIS).

III. Beweiswürdigung:

Obige Sachverhaltsfeststellungen konnten aufgrund des Akteninhaltes, konkret aufgrund der obangeführten Unterlagen, der durchgeführten Erhebungen und weitgehend auch anhand der eigenen Angaben des Bf getroffen werden, und sind insofern unbestritten.

IV. Rechtslage:

Gemäß § 2 Abs. 1 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG), BGBl 1967/376 idgF., haben Anspruch auf Familienbeihilfe Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben,
lit a) für minderjährige Kinder

§ 2 Abs. 8 FLAG 1967 idF BGBl. I Nr. 23/1999, in Geltung bis (aF), lautet:

"Personen, die sowohl im Bundesgebiet als auch im Ausland einen Wohnsitz haben, haben nur dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sie den Mittelpunkt der Lebensinteressen im Bundesgebiet haben und sich die Kinder ständig im Bundesgebiet aufhalten. Eine Person hat den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen in dem Staat, zu dem sie die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen hat."

Gemäß § 2 Abs. 8 FLAG 1967 idF BGBl I Nr. 100/2005 ab (nF) gilt:

"Personen haben nur dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sie den Mittelpunkt der Lebensinteressen im Bundesgebiet haben. Eine Person hat den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen in dem Staat, zu dem sie die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen hat."

Zum Mittelpunkt der Lebensinteressen:

Der "ordentliche Wohnsitz" einer Person ist an dem Ort begründet, an dem sie sich in der erweislichen oder aus den Umständen hervorgehenden Absicht niedergelassen hat, ihn bis auf weiteres zum Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen zu wählen. Bei mehreren Wohnsitzen vereinigt jeweils einer die stärksten persönlichen Beziehungen auf sich; demnach gibt es nur einen Mittelpunkt der Lebensverhältnisse (). Dies trifft im Normalfall für den Familienwohnsitz zu.

Nach der ständigen VwGH-Judikatur kann eine Person daher zwar mehrere Wohnsitze, jedoch nur einen (1) Mittelpunkt der Lebensinteressen iSd § 2 Abs. 8 FLAG 1967 haben (vgl. ; ; Ritz, BAO-Kommentar, 6. Aufl., § 26 Rz 8).

Der polizeilichen An- und Abmeldung einer Wohnung (§ 1 Abs. 1 MeldeG) kommt dabei nur Indizwirkung zu (vgl. ).

Im Erkenntnis vom , 86/16/0198, hat der Verwaltungsgerichtshof dargetan, dass auch die auf die einzelnen Wohnsitze entfallenden Aufenthaltszeiten ein bedeutsames quantitatives Kriterium dafür sind, wo der Mittelpunkt der Lebensinteressen einer Person besteht.

Der VwGH führt ua. in seinem Erkenntnis vom , 89/14/0054, aus:

"Unter persönlichen sind dabei all jene Beziehungen zu verstehen, die jemanden aus in seiner Person liegenden Gründen aufgrund der Geburt, der Staatszugehörigkeit, des Familienstandes und der Betätigungen religiöser und kultureller Art, mit anderen Worten nach allen Umständen, die den eigentlichen Sinn des Lebens ausmachen, an ein bestimmtes Land binden, während den wirtschaftlichen Beziehungen nur eine weitergehenden Zwecken dienende Funktion zukommt (vgl. Zl. 1001/69). Der Verwaltungsgerichtshof hat wiederholt ausgesprochen, dass die stärkste persönliche Beziehung eines Menschen im Regelfall zu dem Ort besteht, an dem er regelmäßig mit seiner Familie lebt, dass also der Mittelpunkt der Lebensinteressen einer verheirateten Person regelmäßig am Ort des Aufenthaltes ihrer Familie zu finden sein wird. Diese Annahme setzt also im Regelfall die Führung eines gemeinsamen Haushaltes sowie als weiteren Umstand das Fehlen ausschlaggebender und stärkerer Bindungen zu einem anderen Ort, etwa aus beruflichen oder gesellschaftlichen Gründen, voraus (vgl. Zl. 83/16/0177 ….)."

Die der Lebensgestaltung dienenden wirtschaftlichen Beziehungen treten laut VwGH hinter die persönlichen Bindungen eindeutig zurück und kommt ihnen in der Regel eine geringere Bedeutung zu. Entscheidend ist das Gesamtbild der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse, wobei das Überwiegen der Beziehungen zum einen oder anderen Staat den Ausschlag gibt (vgl. ; ).

Von maßgebender und entscheidender Bedeutung ist demnach der "Familienwohnsitz" für die Festlegung des Ortes, an welchem sich der Mittelpunkt der Lebensinteressen einer Person befindet (vgl. u.a.)

(siehe zu vor: Lenneis/Wanke, FLAG-Kommentar, 2. Aufl., Rzn. 7-8 und insbes. Rzn. 14 ff. zu § 2 mit weiterer hg. Judikatur)

Rückzahlung zu Unrecht bezogener Familienleistungen:

Nach § 10 Abs. 2 FLAG 1967 wird die Familienbeihilfe vom Beginn des Monats gewährt, in dem die Voraussetzungen für den Anspruch erfüllt werden. Der Anspruch auf Familienbeihilfe erlischt mit Ablauf des Monats, in dem eine Anspruchsvoraussetzung wegfällt oder ein Ausschliessungsgrund hinzukommt.

Gemäß § 26 Abs. 1 FLAG 1967 hat derjenige, der Familienbeihilfe zu Unrecht bezogen hat, die entsprechenden Beträge zurückzuzahlen.
Gleiches gilt für zu Unrecht bezogene und gemeinsam mit der Familienbeihilfe ausbezahlte Kinderabsetzbeträge (§ 33 Abs. 3 EStG 1988 iVm § 26 FLAG 1967).

Aus § 26 Abs. 1 FLAG 1967 und § 33 Abs. 3 EStG 1988 ergibt sich sohin eine objektive Rückzahlungspflicht desjenigen, der Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag zu Unrecht bezogen hat. Es kommt nur auf die objektive Rechtswidrigkeit des Bezugs der Familienleistungen an (vgl. ; ), also auf das Fehlen der Anspruchsvoraussetzungen für den Leistungsbezug (vgl. ; ).

Subjektive Momente, wie Verschulden an der (ursprünglichen oder weiteren) Auszahlung der Familienleistungen (etwa durch unrichtige Angaben im Antrag gemäß § 10 FLAG 1967 oder Verstoß gegen die Meldepflicht gemäß § 25 FLAG 1967), Gutgläubigkeit des Empfanges der Familienbeihilfe und des Kinderabsetzbetrags oder die Verwendung der Familienbeihilfe und des Kinderabsetzbetrags, sind nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für die Verpflichtung zur Rückerstattung unrechtmäßiger Beihilfenbezüge unerheblich. Gleiches gilt für den gutgläubigen Verbrauch der Beträge. Entscheidend ist lediglich, ob der Empfänger die Beträge zu Unrecht erhalten hat (vgl. ; ).

V. Erwägungen:

1. Für das Bundesfinanzgericht bestehen zufolge des - anhand der durchgeführten Erhebungen und vorliegenden Unterlagen wie auch der eigenen Angaben des Bf - oben dargelegten und erwiesenen Sachverhaltes keinerlei Zweifel daran, dass der Bf im streitgegenständlichen Zeitraum 2003 bis 2007 den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen in Italien in Ort1 hatte:

Wie oben ausgeführt kann jemand zwar mehrere (gemeldete) Wohnsitze haben, jedoch nur einen (einzigen) Mittelpunkt der Lebensinteressen, der bei einer verheirateten Person regelmäßig am Familienwohnsitz besteht. Dieser persönlichen Beziehung zur eigenen Familie kommt vorrangige Bedeutung gegenüber etwa wirtschaftlichen/beruflichen oder sonstigen gesellschaftlichen Beziehungen zu.

Im Gegenstandsfalle hatten der Bf wie auch die Gattin und die mj. Tochter zwar - neben dem italienischen Wohnsitz - einen "Hauptwohnsitz" an der inländischen Adresse in A-Ort2 angemeldet und hat der Bf aufgrund aufrechter Gewerbeanmeldung als Masseur weiterhin - was laut SV-Anstalt möglich ist - die Sozialversicherungsabgaben in Österreich geleistet. Fest steht jedoch, dass diesen Umständen im Hinblick auf den anhand der Gesamtumstände zu beurteilenden "Mittelpunkt der Lebensinteressen" lediglich Indizwirkung zukommt.
Fakt ist, dass die Finanzpolizei bei einer Kontrolle im Jahr 2009 an der inländischen Adresse keinen Hinweis für einen tatsächlichen Wohnsitz oder etwa einen tatsächlich vorhandenen Betriebssitz des Bf (etwa eine Massage-Praxis) vorfinden konnte, und der Bf in seiner nachfolgenden Aussage am bestätigt hat, dass in der betr. Wohnung keine Wohnsitzbegründung möglich und an der dortigen Adresse auch keine feste Betriebsstätte vorhanden war.

Selbst dann, wenn wie hier auch im Inland eine Hauptwohnsitzmeldung vorlag, ist in Anbetracht der geltenden Judikatur und Literatur bei Vorliegen von mehreren Wohnsitzen nur einer hievon als "Mittelpunkt der Lebensinteressen" anzusehen. Dabei ist im Rahmen einer objektiven Betrachtung auf den "faktischen Lebensmittelpunkt" bezogen primär auf die engsten persönlichen Verhältnisse - regelmäßig auf den Familienwohnsitz - abzustellen. Dieser ist nach Ansicht des BFG grundsätzlich dort zu sehen, wo eine Person mit eigener Familie, also mit Ehepartner oder Lebensgefährten und ev. gemeinsamen Kindern als den nächsten Familienangehörigen, zu dem oder denen wohl die engsten persönlichen Verhältnisse bestehen, zusammen lebt.
Im Hinblick auf den im Streitzeitraum zusammen mit der Ehegattin und der mj. Tochter unbestritten bestehenden Wohnsitz in I-Ort1, wo die Familie im gemeinsamen Haushalt gelebt und die Tochter die Schule durchgehend besucht hat, ist ohne Zweifel vom maßgebenden "Familienwohnsitz" in dieser Zeit in Italien auszugehen.
Dem Umstand, wo allenfalls die Herkunftsfamilie (zB Eltern, Geschwistern etc.) lebt, kommt in diesem Fall, dh. bei einer verheirateten Person mit Ehepartner und Kind, entgegen dem Beschwerdevorbringen keine wesentliche Bedeutung zu.

Wenn der Bf mit dem Verweis auf die Pflegebedürftigkeit der Mutter allfällige im Inland auszuübende Betreuungspflichten ihr gegenüber andeuten wollte, so ist dem zu entgegnen, dass die Mutter (bereits) ab April 2004 (nachweislich mit dort gemeldetem Hauptwohnsitz) in einem Altersheim untergebracht war und dort vermutlich umfassend betreut wurde.

Des Weiteren ist wie dargelegt der "faktische Lebensmittelpunkt" nach rein objektiven Gesichtspunkten zu betrachten. Die vom Bf nach seinem subjektiven Dafürhalten getroffene Aussage, er erkläre ausdrücklich Österreich als seinen Lebensmittelpunkt, ist daher als gänzlich irrelevant zu erachten.
Gleiches gilt für den Einwand, dass aufgrund der Entfernung zwischen beiden Wohnsitzen "auch ein tägliches Pendeln möglich wäre" und daher seinem "Lebensinteresse in Österreich nicht entgegenstehe", da vom BFG ausschließlich der konkret vorliegende Sachverhalt zu beurteilen ist und eben feststeht, dass es sich beim Bf nicht um einen Tagespendler gehandelt hat.

Neben dem dortigen Familienwohnsitz ist nicht zu übersehen, dass der Bf in Italien auch - völlig unstrittig - seine berufliche Tätigkeit ausgeübt und diesbezügliche Steuerklärungen eingereicht hat. Die möglicherweise in Österreich hie und da ausgeübte Tätigkeit war - auch nach eigenen Angaben - sehr geringfügig und auf wenige Tage pro Jahr beschränkt; es liegen jedenfalls keinerlei steuerlichen Erklärungen über Einkünfte aus einer selbständigen oder unselbständigen Tätigkeit im betr. Zeitraum in Österreich vor.

Die vom Bf ins Treffen geführte Anmeldung zur Sozialversicherung und Zahlung der Sozialversicherungsabgaben in Österreich - lt. eigenen Angaben als "Nettozahler" - bemißt sich ausschließlich anhand seiner Einkünfte in Italien und ist lt. SV-Anstalt der gewerbl. Wirtschaft solange möglich, als eine aufrechte Gewerbeanmeldung besteht. Insofern kommt diesem Umstand, mangels offensichtlich tatsächlich ausgeübter Berufstätigkeit im Inland, ebenso wie einer bloßen Wohnsitzmeldung, lediglich Indizwirkung zu.

Ausschlaggebend ist nach obiger Rechtsprechung das Gesamtbild der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse bzw. Beziehungen, die nach Ansicht des BFG weitaus überwiegend - auch quantitativ - zu Italien bzw. in Italien als Ort des gemeinsamen Familienwohnsitzes sowie auch als Ort der nahezu ausschließlichen Berufsausübung bestanden haben. Aus diesem Grund war der Mittelpunkt der Lebensinteressen des Bf im Streitzeitraum eindeutig in Italien und nicht in Österreich gelegen, sodass die Voraussetzung iSd § 2 Abs. 8 FLAG für den FB-Anspruch im Inland nicht erfüllt ist.

2. Im Hinblick darauf, dass gegenständlich die Ausübung der Erwerbstätigkeit des Bf samt Erzielung der Einkünfte im selben Staat Italien stattgefunden hat, in dem sich im betreffenden Zeitraum auch alle Familienmitglieder aufgehalten haben, wobei die Ehegattin nicht erwerbstätig war bzw. beide Elternteile jedenfalls nicht in verschiedenen Mitgliedstaaten erwerbstätig waren, liegt nach dem Dafürhalten des BFG - entgegen den Ausführungen in der Beschwerdevorentscheidung v. - wohl kein Anwendungsfall des Artikel 76 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 (betr. "Prioritätsregeln für den Fall der Kumulierung von Ansprüchen auf Familienleistungen gemäß den Rechtsvorschriften des zuständigen Staates und den Rechtsvorschriften des Staates, in dem die Familienangehörigen wohnen") iVm Artikel 10 der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 (DVO) vor.

3. Wird Familienbeihilfe trotz fehlender Anspruchsvoraussetzungen vereinnahmt, wurde diese zu Unrecht bezogen. Nach § 26 Abs. 1 FLAG 1967 hat, wer Familienbeihilfe zu Unrecht bezogen hat, die entsprechenden Beträge zurückzuzahlen (vgl. Wanke in Lenneis/Wanke (Hrsg), FLAG², § 26 Rz 20f).

Aus § 26 Abs. 1 FLAG 1967 ergibt sich eine rein objektive Rückzahlungspflicht desjenigen, der die Familienbeihilfe zu Unrecht bezogen hat, es kommt somit auf das Fehlen der Anspruchsvoraussetzungen für den Leistungsbezug an und sind subjektive Elemente unbeachtlich und unerheblich. Dies unabhängig davon, ob etwa die Beträge an das Kind weitergegeben wurden (vgl ) oder ob diese - wie vom Bf eingewendet - gutgläubig bezogen und verbraucht worden sind (vgl ). Auch eine unrichtige Auszahlung, die ausschließlich auf einer Fehlleistung der Abgabenbehörde beruhen würde, steht einer Rückforderung nicht entgegen. Die Rückforderung ist auch keine Ermessensentscheidung der Abgabenbehörde (vgl. Wanke in Lenneis/Wanke (Hrsg), FLAG², § 26 Rz 12ff mwN).
Gleiches gilt - wie oben angeführt - für die mit der Familienbeihilfe ausbezahlten und diesfalls zu Unrecht bezogenen Kinderabsetzbeträge.

In Anbetracht obiger Sach- und Rechtslage konnte daher der Beschwerde kein Erfolg beschieden sein und war spruchgemäß zu entscheiden.

Unzulässigkeit einer Revision:

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Maßgeblich war die im Einzelfall relevante Würdigung des Parteienvorbringens und der vorgelegten Beweismittel in Zusammenhalt mit den durchgeführten Erhebungen zum Sachverhalt, dh. die Klärung von Tatfragen. Zur entscheidungswesentlichen Rechtsfrage, wo eine Person den "Mittelpunkt der Lebensinteressen" hat, besteht die oben umfassend zitierte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes. Eine Revision ist daher nicht zulässig.

Innsbruck, am

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