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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 24.05.2023, RV/3100137/2023

Haftungsinanspruchnahme gem. § 12 BAO iVm §§ 128 und 130 UGB nach Änderung der Gesellschafterstellung von beschränkt haftend (Kommanditist) auf unbeschränkt haftend, sowie Rechtsformwechsel von KG auf OG

Rechtssätze


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Stammrechtssätze
RV/3100137/2023-RS1
§ 130 UGB (Haftung des eintretenden Gesellschafters) ist weit auszulegen. Die Haftungsbestimmung erfasst auch einen vormaligen Kommanditisten, der unbeschränkt haftender Gesellschafter wird. Ein solcher haftet somit nach Maßgabe des § 128 UGB auch für Abgabenschuldigkeiten, die vor seinem "Eintritt", was in diesem Fall Wechsel der Gesellschafterstellung bedeutet, entstanden sind.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin R in der Beschwerdesache Bf, Bf_Adr, über die Beschwerde vom gegen den Haftungsbescheid gem. § 12 BAO des Finanzamtes Österreich vom , Steuernummer Bf_StNr zu Recht erkannt:

I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO teilweise Folge gegeben.
Der angefochtene Bescheid wird abgeändert und die Haftungssumme mit Betrag_neu wie folgt festgesetzt:

[...]

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

1. Mit Bescheid vom wurde der Beschwerdeführer (Bf) zur Haftung als unbeschränkt haftender Gesellschafter der D_Taxi OG (OG) iHv insgesamt Betrag_alt herangezogen.

2. In der Beschwerde vom wurde eingangs darauf verwiesen, dass die primärschuldnerische OG zunächst eine Kommanditgesellschaft, die D_Taxi KG, gewesen sei. In diese KG sei der Bf 2016 als Kommanditist mit einer Haftsumme von € 100,00 eingetreten. Dem Bf sei das operative Geschäft (Taxi- und Mietwagengewerbe) oblegen, während der Komplementär A die wirtschaftlichen Belange sowie steuerlichen Angelegenheiten übernommen habe. Im Mai 2017 sei die Änderung der Rechtsform in eine OG erfolgt und der Bf, dem langfristig die Übernahme des Unternehmens angeboten worden sei, als unbeschränkt haftender Gesellschafter der D_Taxi OG im Firmenbuch eingetragen worden. Die OG sei gem. § 123 UGB mit der Eintragung im Firmenbuch am entstanden.

Nach etwa zwei Jahren, im Juli 2019, sei der Bf infolge von Differenzen aus der OG ausgeschieden und die OG mit einer Vermögensübernahme gem. § 142 UGB durch A erloschen.

Die haftungsgegenständlichen Abgaben resultierten aus einer gemeinsamen Prüfung lohnabhängiger Abgaben der OG durch die GK, welche die Jahre 2013 bis 2017 umfasst hatte. Der Bf sei erst am als Kommanditist in die (damalige) KG eingetreten, die OG sei erst am entstanden. Es sei daher nicht nachvollziehbar, weshalb den Bf für Zeiträume, in denen er gar nicht bzw. nur beschränkt haftender Gesellschafter gewesen sei, eine unbeschränkte Haftung treffen solle. Damit reduziere sich die Haftung des Bf auf Abgabennachforderungen für jene Zeiträume, in denen der Bf unbeschränkt haftender Gesellschafter gewesen sei, in Summe Betrag_x.

Im Beschwerdefall habe die Abgabenbehörde das Ermessen bei der Haftungsinanspruchnahme des Bf nicht im gesetzlichen Rahmen ausgeübt. Es habe jedenfalls dargestellt werden müssen, weshalb der Bf, und nicht A als Rechtsnachfolger der OG in Haftung genommen worden sei.

3. Ungeachtet der bestehenden Zustellvollmacht des Rechtsanwaltes des Bf im Haftungsverfahren wurde die Beschwerdevorentscheidung vom dem Bf persönlich zugestellt; mangels Heilung dieses Zustellmangels hat diese Beschwerdevorentscheidung keine Rechtswirksamkeit erlangt (vgl. ).

Mit Beschwerdevorentscheidung vom wurde die Beschwerde unter Verweis auf §§ 128 und 130 UGB als unbegründet abgewiesen.

4. Im Vorlageantrag vom wurde zunächst auf die bereits in der Beschwerde vorgebrachten Argumente verwiesen. Im Weiteren wurde die Rechtsansicht dargelegt, dass der von der Abgabenbehörde angeführte § 130 UGB nur im Fall des Eintritts eines neuen Gesellschafters in eine bereits bestehende OG anzuwenden sei. Demgegenüber sei es im Beschwerdefall so, dass die OG erst mit ihrer Eintragung im Firmenbuch im Mai 2017 entstanden sei. Ein identitätswahrender Übergang der Rechtsträgerschaft von der KG auf die OG habe nicht stattgefunden.

Es sei außerdem im Sinne von Ermessensüberlegungen zu beachten, dass der Bf bis Mai 2017 keine Einflussmöglichkeiten auf steuerrechtliche Belange gehabt und als Kommanditist keine Vertretungsmacht gehabt habe. Ihn könne daher keine schuldhafte Verletzung abgabenrechtlicher Pflichten treffen.

II. Sachverhalt

1. 2010 wurde die A KG (ab 2013: D_Taxi KG) mit dem unbeschränkt haftenden Gesellschafter A gegründet. Im März 2016 erwarb der Bf einen 50%igen Anteil an der KG und trat ihr als Kommanditist mit einer Haftsumme von € 100,00 bei (vgl. Antrag ans LG v. ).

Mit Vereinbarung vom änderte der Bf seine Stellung in die eines unbeschränkt haftenden Gesellschafters; am wurde die Änderung der Rechtsform in eine OG im Firmenbuch eingetragen (vgl. Antrag ans LG v. ; Firmenbuchauszug).

Mit Bescheiden vom wurden die haftungsgegenständlichen Lohnabgaben 2013 bis 2017, basierend auf den Feststellungen einer abgabenbehördlichen Prüfung, festgesetzt.

Mit Vereinbarung vom trat der Bf seinen Gesellschaftsanteil an A ab, wodurch es zum Übergang des Gesellschaftsvermögens auf A im Wege der Gesamtrechtsnachfolge gem. § 142 UGB kam.

2. Mit Beschluss des BG_B vom , GZ_SRV, wurde über das Vermögen von A das Schuldenregulierungsverfahren mit Eigenverwaltung des Schuldners eröffnet. Mit Beschluss vom wurde der Zahlungsplan bestätigt, lautend auf eine Zahlungsquote von 5 %, zahlbar binnen 3,5 Jahren in sieben halbjährlichen Raten, beginnend mit November 2022 (vgl. Ediktsdatei zum og. Aktenzeichen). Bis dato wurden zwei dieser Raten, außerdem eine nicht auf den Zahlungsplan anzurechnende sog. "Verteilungsquote" bezahlt.

3. Seit Ergehen des Haftungsbescheides hat sich der auf dem Abgabenkonto aushaftende (haftungsrelevante) Rückstand von € Betrag_alt durch Gutschriften aus den Umsatzsteuerveranlagungen 2018 und 2019, durch Übertragungen vom Abgabenkonto von A sowie die Quotenzahlungen aus dessen Schuldenregulierungsverfahren auf aktuell Betrag_Rü reduziert, wobei die am entrichtete 2. Quotenzahlung aus dem Schuldenregulierungsverfahren noch dem Abgabenkonto der OG gutzuschreiben ist.

4. Der dargestellte Sachverhalt ergibt sich unstrittig aus dem öffentlich einsehbaren Firmenbuch bzw. den dort verlinkten Urkunden, der ebenfalls öffentlichen Ediktsdatei, sowie dem Abgabenkonto der Primärschuldnerin.

III. Rechtslage und Erwägungen

1. Gemäß § 12 BAO haften die Gesellschafter von als solche abgabepflichtigen und nach bürgerlichem Recht voll oder teilweise rechtsfähigen Personenvereinigungen ohne eigene Rechtspersönlichkeit persönlich für die Abgabenschulden der Personenvereinigung. Der Umfang ihrer Haftung richtet sich nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechtes.

2.1. Den Maßstab für die Beurteilung der Gesellschaftereigenschaft bildet das Gesellschaftsrecht. Die Gesellschaftereigenschaft ist somit nach dem für die betroffene Gesellschaft maßgebenden Gesellschaftsrecht, gegebenenfalls als Vorfrage iSd § 116 BAO, zu beurteilen (Stoll, BAO-Kommentar, 148).

2.2. Gemäß § 123 Abs. 1 UGB entsteht die offene Gesellschaft mit der Eintragung in das Firmenbuch.

Die Eintragung ins Firmenbuch hat konstitutive Wirkung.
Neben der originären Gründung einer OG gibt es auch alternative Gründungsvorgänge, die auf der Transformation eines anderen Rechtsträgers in eine OG beruhen (derivative Gründung). In Fällen der Umwandlung einer Kapitalgesellschaft in eine OG oder KG entsteht die Gesellschaft mit der Registrierung des Umwandlungsbeschlusses (§ 5 Abs 5 Satz 2 UmwG). Eine OG kann aber auch dann, wenngleich identitätswahrend entstehen, wenn der letzte Kommanditist aus einer KG ausscheidet, sofern mehrere Komplementäre vorhanden sind. (Koppensteiner/Auer in Straube/Ratka/Rauter, UGB I4 § 123 [Stand , rdb.at], § 123 Tz 7; Haberer/Zib in Zib/Dellinger (Hrsg), Unternehmensgesetzbuch [2016] zu § 161 UGB - Begriff, Anwendung der Vorschriften über die offene Gesellschaft Rz 18)
Nichts anderes kann nach Ansicht des Bundesfinanzgerichtes gelten, wenn der, wie im Beschwerdefall, einzige Kommanditist seine Gesellschafterstellung in die eines unbeschränkt haftenden Gesellschafters ändert.

Entgegen den Ausführungen im Vorlageantrag kam es im Beschwerdefall somit nicht zu einer so tiefgreifenden Änderung der Rechtsträgerschaft, dass von einer völligen Neugründung der OG als Gesellschaft auszugehen wäre. Vielmehr hat eine formwechselnde Umwandlung stattgefunden, aufgrund welcher sich die Identität des Unternehmens nicht geändert hat (Dziurdź in Wundsam/Zöchling/Huber/Khun, UmgrStG6 § 7 [Stand , rdb.at].

2.3. Für die Gesellschafter einer OG und die Komplementäre einer KG ist § 128 UGB, für Kommanditisten vor allem § 171 Abs. 1 UGB maßgebend.

Gemäß § 128 UGB haften die Gesellschafter der Offenen Gesellschaft für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft den Gläubigern als Gesamtschuldner unbeschränkt. Eine entgegenstehende Vereinbarung ist Dritten gegenüber unwirksam.

Gesellschafter einer OG sowie Komplementäre (einer KG) haften unmittelbar, primär, unbeschränkt, unbeschränkbar, persönlich und solidarisch (vgl zB Eckert in Torggler, UGB3, § 128 Rz 9).

2.4. Wer in eine bestehende Gesellschaft eintritt, haftet gemäß § 130 Abs. 1 UGB gleich den anderen Gesellschaftern nach Maßgabe der §§ 128, 129 für die vor seinem Eintritt begründeten Verbindlichkeiten der Gesellschaft, ohne Unterschied, ob die Firma geändert wird oder nicht.

§ 130 UGB setzt den "Eintritt" einer Person in eine bestehende Gesellschaft voraus. Der Begriff "Eintritt" ist nach herrschender Lehre weit auszulegen und erfasst alle Fälle, in denen jemand unbeschränkt haftender Gesellschafter wird, der es bislang noch nicht war. Demzufolge kann der Eintritt als unbeschränkt haftender Gesellschafter auch durch die Umwandlung der bisherigen Kommanditistenstellung in jene eines Komplementärs erfolgen. Wird der einzige Kommanditist Komplementär, wandelt sich die KG identitätswahrend in eine OG um. Die wohl überwiegende Meinung der Lehre sieht den Wechsel eines Kommanditisten in die Komplementärstellung nicht als Eintritt iSd § 130 an, will aber diese Bestimmung analog bzw. entsprechend anwenden. Versteht man den Eintritt (siehe Rz 7) weit und jene Fälle umfassend, in denen jemand unbeschränkt haftender Gesellschafter wird und es bislang noch nicht war, kann man auch den Rollenwechsel bedenkenlos als unmittelbaren Anwendungsfall des § 130 ansehen, ohne den unnötigen Umweg über eine analoge oder sinngemäße Anwendung des § 130 gehen zu müssen. (Schummer in Zib/Dellinger [Hrsg], Unternehmensgesetzbuch [2016], § 130 Rz 7 und 10; vgl. außerdem Koppensteiner/Auer in Straube/Ratka/Rauter, UGB I4 § 130 [Stand , rdb.at] mit folgenden Verweisen: Staub/Pisko3 Art 113 § 1; ferner etwa Jabornegg/Artmann in Artmann, UGB I3 § 130 Rz 8; Habersack in Großkomm HGB5 § 130 Rz 4; Hueck, OHG4 393 Anm 10; K. Schmidt in MünchKomm HGB4 § 130 Rz 3; für unmittelbare Anwendung Schummer in Zib/Dellinger, UGB § 130 Rz 10).

2.5. Der eben beschriebene Fall, den die Lehre übereinstimmend als Anwendungsfall des § 130 UGB ansieht, entspricht dem Sachverhalt im Beschwerdefall: Der Bf als einziger Kommanditist der D_Taxi KG wurde mit der zwischen ihm und A getroffenen Vereinbarung vom zum unbeschränkt haftenden Gesellschafter und die KG damit zur OG (vgl. oben Pt. III.2.2. dieses Erkenntnisses). Die Haftungsinanspruchnahme des Bf gem. § 12 BAO iVm § 128 UGB auch für Zeiträume, in denen der Bf noch gar kein bzw. lediglich ein beschränkt haftender Gesellschafter der primärschuldnerischen Gesellschaft war, erfolgte damit zu Recht.

3.1. Die Geltendmachung der Gesellschafterhaftung gem. § 12 BAO liegt, wie jede Haftungsinanspruchnahme, im Ermessen der Abgabenbehörde.

Entscheidungen, die die Abgabenbehörden nach ihrem Ermessen zu treffen haben (Ermessensentscheidungen), müssen sich gem. § 20 BAO in den Grenzen halten, die das Gesetz dem Ermessen zieht. Innerhalb dieser Grenzen sind Ermessensentscheidungen nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen.

3.2. Die gem. § 12 BAO bestehende Haftung ist keine Ausfallshaftung; sie ist außerdem verschuldensunabhängig. Zu beachten ist im Rahmen der Ermessensübung in erster Linie der Zweck der Haftungsbestimmung, welcher in der Besicherung des Abgabengläubigers besteht. Daraus ergibt sich die grundsätzliche Nachrangigkeit der Haftung, weshalb in erster Linie der Hauptschuldner in Anspruch zu nehmen sein wird. (Ritz/Koran, BAO7, § 7 Tz 6 mwN und § 12 Tz 5 mwN; Schummer in Zib/Dellinger [Hrsg], Unternehmensgesetzbuch [2016] zu § 128 UGB - Unbeschränkte Haftung der Gesellschafter Rz 15)

Eine solche Inanspruchnahme des Hauptschuldners ist, soweit möglich, erfolgt. Mit dem Ausscheiden des Bf aus der OG im Juli 2019 verblieb A als einziger Gesellschafter und somit Gesamtrechtsnachfolger der OG gem. § 142 UGB. Die haftungsgegenständlichen Abgaben wurden von der Abgabengläubigerin als Insolvenzforderungen im Schuldenregulierungsverfahren von A angemeldet und damit der einzig mögliche Einbringungsschritt gegen den (nunmehrigen) Primärschuldner gesetzt. Die aushaftenden Abgabenschuldigkeiten der OG konnten und können auf diesem Weg jedoch nicht vollständig eingebracht werden.

3.3. Die im § 20 erwähnten Ermessenskriterien der Billigkeit und Zweckmäßigkeit sind grundsätzlich und subsidiär zu beachten. Unter Billigkeitversteht die ständige Rechtsprechung die "Angemessenheit in bezug auf berechtigte Interessen der Partei", unter Zweckmäßigkeitdas öffentliche Interesse, insbesondere an der Einbringung der Abgaben (Ritz/Koran, BAO7, § 20 Tz 6f mwN).

Infolge der Uneinbringlichkeit der aushaftenden Abgabenschulden bei der primärschuldnerischen OG bzw. deren Rechtsnachfolger hatte die Abgabenbehörde, dem öffentlichen Auftrag zur Sicherung des Abgabenaufkommens folgend, den Haftungsbescheid zu erlassen. Eine unrichtige Ermessensübung der Abgabenbehörde bei der Haftungsinanspruchnahme des Bf kann unter dem Gesichtspunkt der Zweckmäßigkeit nicht erkannt werden.

Zum Aspekt der Billigkeit wurde vom Bf geltend gemacht, er habe bis keine Einflussmöglichkeiten auf die steuerlichen Pflichten der Gesellschaft gehabt; bis zu diesem Zeitpunkt sei ausschließlich A als unbeschränkt haftender Gesellschafter zur Vertretung der Gesellschaft befugt gewesen. Dem Bf könne daher keine schuldhafte Verletzung abgabenrechtlicher Pflichten angelastet werden. In der mündlichen Verhandlung wurde dazu nochmals betont, der Bf sei bereit, seine Verantwortung als unbeschränkt haftender Gesellschafter ab dem genannten Zeitpunkt zu übernehmen. Insgesamt sei er nur für Organisatorisches, etwa die Einteilung der Fahrer, zuständig gewesen, niemals für Finanzielles. Er habe deshalb auch keine Kenntnis von den in der Außenprüfung festgestellten Aufzeichnungsmängeln gehabt, welche zu Nachforderungen an Lohnabgaben von mehr als € 100.000,00 führten. Vor allem brachte der Bf auch vor, die Haftungsinanspruchnahme sei für ihn existenzgefährdend.

Dazu ist zunächst zu sagen, dass es sich bei der Haftung gem. § 12 BAO um eine verschuldensunabhängige Haftung handelt. Der unbeschränkt haftende Gesellschafter einer OG haftet auch dann, wenn ihm de facto kein Einfluss auf die Betriebsführung zukommt (Ritz/Koran, BAO7, § 12 Tz 1 mwN). Der mehrfach vorgebrachte gute Glaube des Bf bzw. das Vertrauen in A und die wirtschaftlich positive Zukunft des Unternehmens vermögen ein Absehen von der Haftungsinanspruchnahme des Bf aus Billigkeitsgründen nicht zu rechtfertigen; dies gilt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch für die in der mündlichen Verhandlung vorgebrachte allgemeine Behauptung einer Existenzgefährdung (zB mwN).

Insgesamt ist eine unrichtige Ermessensübung der Abgabenbehörde bei der Haftungsinanspruchnahme des Bf somit nicht zu erkennen.

4. Durch die Erlassung des Haftungsbescheides gem. § 12 BAO wurde ein Gesamtschuldverhältnis des Bf und des Rechtsnachfolgers der OG, A, begründet. Gesamtschuldverhältnisse erlöschen durch die Erfüllung; soweit der Gläubiger durch Leistung eines Schuldners befriedigt wird, werden daher alle anderen Schuldner von ihrer Verbindlichkeit befreit. Der Gläubiger bekommt daher insgesamt die Leistung nur einmal (§ 893 ABGB). Bereits geleistete Zahlungen aus dem Schuldenregulierungsverfahren von A vermindern daher, wie im Folgenden dargestellt, die Haftungssumme. Künftige Zahlungen von A werden von der Abgabenbehörde bei der Einbringung der Haftschuld beim Bf zu berücksichtigen sein.

Durch die oben unter Pt. II.3. dieses Erkenntnisses erwähnten Gutschriften auf dem Abgabenkonto der primärschuldnerischen OG wurden die im Haftungsbescheid enthaltenen Lohnabgaben 2013 sowie teilweise Lohnsteuer 2014 abgestattet. Diese Abgaben waren aus der Haftung des Bf auszuscheiden. Unabhängig davon, dass die im Haftungsbescheid enthaltene Umsatzsteuer 07/2017 iHv € 17,53 mittlerweile durch Verrechnung mit der Gutschrift aus der Umsatzsteuerjahresveranlagung 2017 nicht mehr im Rückstand enthalten ist, war die Haftungssumme auch um diesen Betrag zu kürzen, da die Abgabe erst nach Ausscheiden des Bf aus der OG fällig geworden war.

Der Beschwerde war somit teilweise stattzugeben und die Haftung des Bf auf die im Spruch dargestellten Abgaben einzuschränken.

Zulässigkeit der Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im gegenständlichen Verfahren war zu beurteilen, ob der Bf, der zunächst Kommanditist war, nach § 128 iVm § 130 UGB auch für jene Zeiträume zur Haftung heranzuziehen war, die vor seinem Eintritt in die OG als unbeschränkt haftender Gesellschafter und damit dem Rechtsformwechsel von der KG zur OG lagen. Zu dieser - als Vorfrage - ausschließlich nach Gesellschaftsrecht zu lösenden Rechtsfrage liegt keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vor, weshalb die Revision zugelassen wird.

Innsbruck, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 123 UGB, Unternehmensgesetzbuch, dRGBl. S 219/1897
§ 128 UGB, Unternehmensgesetzbuch, dRGBl. S 219/1897
§ 20 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 130 UGB, Unternehmensgesetzbuch, dRGBl. S 219/1897
§ 12 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise
Zitiert/besprochen in
ECLI
ECLI:AT:BFG:2023:RV.3100137.2023

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at