Hinzuschätzung bei einem Gastronomiebetrieb wegen Nichterfassung von Umsätzen
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht erkennt durch den Richter Mag. David Hell LL.B. LL.M. in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch ***, über die Beschwerde vom gegen die Bescheide des Finanzamtes Innsbruck vom betreffend Feststellung der Einkünfte gemäß § 188 BAO sowie Umsatzsteuer 2018, Steuernummer ***BF1StNr1***, zu Recht:
I. Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
1. Verfahrensgang und Parteienvorbringen
Nach Eingang mehrerer Anzeigen bei der Finanzpolizei führte die Abgabenbehörde bei der Beschwerdeführerin (Bf.) eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung für den Zeitraum 10/2018 bis 7/2019 durch. Die Prüferin stellte fest, dass Bar- und Lieferserviceumsätze nicht (vollständig) in der Registrierkasse erfasst worden seien, weshalb der Umsatz und somit die erzielten Erlöse anhand des nachgewiesenen Wareneinsatzes zuzüglich eines Aufschlages von 300 % (dies entspricht einem Rohaufschlagskoeffizienten von 4) hochzurechnen seien.
Nach der Berechnung der Prüferin würden sich folgende Zu- bzw. Abrechnungen ergeben:
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Monat | Zurechnung Erlöse 10 % | Zurechnung Erlöse 20 % | Umsatzsteuer |
Oktober 2018 | 2.370,10 | 3.367,94 | 910,60 |
November 2018 | 1.951,16 | 852,17 | 365,55 |
Dezember 2018 | -1.584,44 | -645,30 | -287,50 |
Zur Schlussbesprechung am ist weder ein Gesellschafter der Bf. noch ihr steuerlicher Vertreter erschienen. Daraufhin erließ die belangte Behörde am zwei dieser Berechnung entsprechende Festsetzungsbescheide betreffend die Umsatzsteuervorauszahlungen für Oktober und November 2018. Für Dezember 2018 erging kein Festsetzungsbescheid.
Mit Beschluss des Landesgerichtes Innsbruck vom ***Konkursdatum***, Gz. ***Gz***, wurde über die Bf. der Konkurs eröffnet. Der Masseverwalter der Bf. brachte am die Umsatzsteuersowie die Feststellungserklärung für 2018 ein, ohne das Ergebnis der abgabenbehördlichen Prüfung zu berücksichtigen.
Am erließ die Abgabenbehörde unter Verweis auf den Prüfbericht und die Berechnung der Prüferin von den Erklärungen abweichende Umsatzsteuer- und Feststellungsbescheide gemäß § 188 BAO für das Jahr 2018. Dabei berücksichtigte die Abgabenbehörde ohne diesbezügliche Begründung erneut nur die Zurechnungen für die Monate Oktober und November 2018, aber nicht die Abrechnung für den Monat Dezember 2018, die sich nach der Berechnung der Prüferin ergeben würde.
Gegen diese Bescheide richtet sich die am rechtzeitig vom Masseverwalter der Bf. eingebrachte Beschwerde, in welcher zusammengefasst vorgebracht wird, die Lieferserviceumsätze seien rechtzeitig nacherfasst worden und der von der Prüferin angesetzte Rohaufschlagskoeffizient von 4 sei viel zu hoch, zumal dieser in den Wintermonaten nicht erzielbar sei, wenn ca. 70 % der Verkaufsfläche ein Gastgarten ausmache und auch die vorherigen Besitzer nur einen Aufschlag von 2 bis 2,5 erzielen hätten können, zumal ein hoher Schwund zu verbuchen gewesen sei. Die Prüferin sei auf die besondere Situation des gegenständlichen Betriebes (neuer Betrieb mit Kundenaufbauproblem, Notwendigkeit eines Ersteinkaufs zur erstmaligen Lagerfüllung) nicht ausreichend eingegangen und habe auch weder Schwund noch Eigenverbrauch berücksichtigt.
Am wies die Behörde die Beschwerde mit zwei Beschwerdevorentscheidungen als unbegründet ab, wobei sie begründend ausführte, in der Beschwerde werde eingeräumt, dass die Umsätze nicht vollständig (jedenfalls nicht zeitgerecht) in der Registrierkasse erfasst wurden. Mangels laufender Erfassung der Umsätze würden erhebliche formelle Mängel vorliegen, die zu erheblichen Zweifeln an der Vollständigkeit der Umsätze der Monate Oktober bis Dezember 2018 führen würden, weshalb die Behörde berechtigt gewesen sei, die Bemessungsgrundlagen gemäß § 184 BAO zu schätzen. Die Nichterfassung der Umsätze sei darüber hinaus auch im vorliegenden Kontrollmaterial beschrieben und durch kalkulatorische Berechnungen bestätigt worden.
Am brachte der Masseverwalter der Bf. rechtzeitig zwei Vorlageanträge ein, ohne dabei neues Vorbringen zu erstatten. Am legte die belangte Behörde, nunmehr infolge der Finanzorganisationsreform das Finanzamt Österreich, die gegenständliche Beschwerde samt Akt und Vorlagebericht dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor.
Mit Beschluss des Landesgerichtes Innsbruck vom ***AufhDatum***, Gz. ***Gz*** wurde der Konkurs über die Bf. gemäß § 123a IO mangels Kostendeckung aufgehoben. Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses des Bundesfinanzgerichts vom wurde die gegenständliche Rechtssache der mit neu besetzten Gerichtsabteilung 4013 zugewiesen.
Am forderte das Gericht die belangte Behörde auf, zur Nichtberücksichtigung der Abrechnung für Dezember 2018 sowie zur Ermittlung der konkreten Höhe des Aufschlags von 300 % Stellung zu nehmen. Am wurde dieser Aufforderung nachgekommen und die Höhe des Aufschlags für Oktober und November 2018 als "Mindestaufschlag" bezeichnet, wohingegen der von der Bf. erklärte Aufschlag im Dezember 2018 branchenüblich sei und deshalb keine Änderung der für Dezember 2018 erklärten Zahlen vorzunehmen sei.
2. Sachverhalt
Die Bf. entstand durch Eintragung im Firmenbuch im September 2018. Gesellschafter der Bf. waren im Jahr 2018 die ***Staat*** Staatsangehörigen ***Komplementär*** als Komplementär und dessen Schwester ***Kommanditistin*** als Kommanditistin. Ab Oktober 2018 betrieb die Bf. das Restaurant ***Restaurantname*** am [...] in ***Ort***. In diesem Betrieb wurden Speisen der österreichischen und italienischen Küche sowie Burger angeboten.
Wann immer möglich, wurden die Umsätze des Betriebes nicht in die Registrierkasse eingegeben und auch keine ordnungsgemäßen Belege über die Konsumationen erteilt. Es erfolgte auch keine anderweitige Einzelerfassung der Umsätze. Die Umsätze aus dem Lieferservice wurden ebenfalls zunächst nicht erfasst, aber vor Einreichung der Umsatzsteuervoranmeldungen und der mit diesen übereinstimmenden Jahreserklärung nachgebucht.
Folgende Beträge wurden von der Bf. tatsächlich in der Registrierkasse erfasst, als Wareneinsatz verbucht, in den Umsatzsteuervoranmeldungen erklärt bzw. vom Lieferservice eingenommen (Beträge bereits nach Abzug der Servicegebühr des Lieferdienstes in Höhe von 12 % des Umsatzes):
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Monat | Registrierkasse | Wareneinsatz | in UVA erklärt | Lieferserviceumsatz |
Oktober 2018 | 56,90 | 1.999,39 | 2.259,52 | 2.549,20 |
November 2018 | 2.376,90 | 3.636,31 | 11.741,91 | 10.599,40 |
Dezember 2018 | 594,20 | 2.115,92 | 10.693,42 | 3.375,00 |
SUMME 2018 | =SUM(ABOVE) =SUM(ABOVE) 3.028,00 | =SUM(ABOVE) 7.751,62 | =SUM(ABOVE) 24.694,85 | =SUM(ABOVE) =SUM(ABOVE) 16.523,60 |
3. Beweiswürdigung
Die Feststellungen zur Bf., zu deren Gesellschaftern und zum Ort des Betriebes ergeben sich widerspruchsfrei aus dem vom Gericht eingeholten Firmenbuchauszug zu FN ***FN***. Die Feststellung zum Speisenangebot gründet auf dem von der Bf. im Rahmen der Prüfung vorgelegten Speisekarte.
Dass Umsätze im Betrieb der Bf. nach Möglichkeit nicht in die Registrierkasse eingegeben wurden und keine ordnungsgemäßen Belege erteilt wurden, ergibt sich aus den sehr geringen tatsächlich in der Registrierkasse erfassten Umsätzen und übereistimmenden Anzeigen bzw. Aussagen von Kunden und Angestellten der Bf. sowie der von den Organen der Finanzpolizei angefertigten Niederschrift anlässlich der Nachschau am samt den dazugehörigen Fotos. Die Bf. hat im gesamten Verfahren nichts Substanzielles gegen die auch schon von der Prüferin getroffene Feststellung der Nichterfassung von Umsätzen vorgebracht.
Die in der Registrierkasse erfassten Umsätze ergeben sich unmittelbar aus der von der Prüferin analysierten Registrierkassendatei ("JSON-Datei"), die Lieferserviceumsätze aus den im Zuge der Prüfung vorgelegten Kassaberichten für Oktober bis Dezember 2018. Die angeführten Beträge für Wareneinsatz, die von der Prüferin auf Grundlage der Buchhaltungsunterlagen ermittelt wurden, stimmen für November und Dezember 2018 exakt mit den in der Beschwerde behaupteten Beträgen überein, weshalb deren Richtigkeit vom Gericht angenommen werden konnte. Der von der Prüferin ermittelte Wareneinsatz für Oktober 2018 lag (zugunsten der Bf.) unter dem in der Beschwerde behaupteten Betrag, weshalb das Gericht auch an der Richtigkeit dieses Betrages nicht zweifelt.
4. Rechtliche Beurteilung
4.1. Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)
Gemäß § 184 Abs. 1 BAO sind die Bemessungsgrundlagen für die Abgabenerhebung zu schätzen, falls diese von der Abgabenbehörde nicht ermittelt oder berechnet werden können. Obwohl diesbezüglich oft der Begriff der Schätzungsbefugnis oder -berechtigung verwendet wird, handelt es sich dabei in Wahrheit um eine Pflicht der Abgabenbehörde (kein Ermessensspielraum). In § 184 Abs. 2 und 3 BAO wird konkretisiert, dass insbesondere dann zu schätzen ist, wenn die Bemessungsgrundlagen wegen Verletzung der Mitwirkungspflicht bzw. Nichtvorlage oder Vorlage mangelhafter Aufzeichnungen nicht ermittelt werden können (Ritz/Koran, BAO7, § 184 Tz 6). Eine Schätzung kann auch bei Vorliegen rein formeller Mängel durchgeführt werden, sofern diese berechtigte Zweifel an der sachlichen Richtigkeit der Aufzeichnungen nach sich ziehen ().
Nach dem festgestellten Sachverhalt sind die Aufzeichnungen der Bf. formell mangelhaft im Sinne des § 163 BAO, insbesondere da die Geschäftsfälle nicht gemäß § 131 Abs. 1 Z. 2 lit. a und b BAO vollständig, chronologisch und einzeln erfasst wurden. In Anbetracht der Umstände, insbesondere der vorliegenden Anzeigen gegen die Bf., ist dieser Mangel jedenfalls geeignet, berechtigte Zweifel an der sachlichen Richtigkeit der Aufzeichnungen nach sich zu ziehen. Ein Verstoß gegen die Registrierkassenpflicht kann der Bf. hingegen im Zeitraum Oktober bis Dezember 2018 (erste Monate nach Betriebseröffnung) noch nicht angelastet werden.
Berechtigen formelle Mängel zur Schätzung der Besteuerungsgrundlagen, steht der Abgabenbehörde die Wahl der Schätzungsmethode grundsätzlich frei ( mit weiteren Nachweisen). Da im vorliegenden Fall den Aufzeichnungen über den Wareneinkauf mehr Glauben zu schenken war als den Aufzeichnungen über die Erlöse, erscheint die von der Abgabenbehörde gewählte Methode - eine kalkulatorische Schätzung der Erlöse durch Hochrechnung des Wareneinsatzes - sachgerecht. Auch der Höhe nach erscheint der Ansatz eines Aufschlages von 300 % (entspricht einem Rohaufschlagskoeffizienten von 4) als sachgerecht. Selbst nach dem Vorbringen der Bf. in der Beschwerde würde der Rohaufschlagskoeffizient im November 2018 ungefähr 3,2 und im Dezember 2018 ungefähr 5 betragen. Der von der Abgabenbehörde herangezogene Wert liegt relativ zentral innerhalb dieser Bandbreite, weshalb zu vermuten ist, dass er der Realität so nahe wie möglich kommt. Er beruht auch auf über viele Jahrzehnte gesammelten Erfahrungswerten der Finanzverwaltung. Der Ansicht der Bf., wonach in den Wintermonaten ein Rohaufschlagskoeffizient von 4 zu hoch sei, kann nicht gefolgt werden, zumal er selbst nach den Ausführungen in der Beschwerde ungefähr 5 beträgt. Entgegen der Ansicht der Bf. berücksichtigt der von der Abgabenbehörde herangezogene Aufschlag auch bereits die betriebsspezifischen Gegebenheiten sowie Schwund und Eigenverbrauch in zwar typisierender, aber ausreichender Art und Weise. Festzuhalten ist zudem, dass die Bf. selbst keine konkreten Angaben oder Aufzeichnungen zu Schwund und Eigenverbrauch machte, welche die Abgabenbehörde oder das Gericht für eine Schätzung dieser Positionen heranziehen könnte. Sachgerecht ist schließlich auch, dass die belangte Behörde die von ihr berechnete, gegenüber der Erklärung und dem Beschwerdevorbringen geringere Bemessungsgrundlage für Dezember 2018 nicht ansetzte. Wenn schon das Beschwerdevorbringen konstatiert, es habe in diesem Monat höhere Erlöse als jene gegeben, welche die Behörde durch Schätzung ermittelt hatte, besteht für die Behörde kein Anlass, unter dem erklärten und von der Bf. faktisch außer Streit gestellten Betrag zu bleiben. Jeder Schätzung ist eine gewisse Ungenauigkeit immanent
(; , 95/16/0222; , 2009/17/0127). Wer zur Schätzung Anlass gibt und bei der Ermittlung der materiellen Wahrheit nicht entsprechend mitwirkt, muss jedoch die mit jeder Schätzung verbundene Ungewissheit hinnehmen (zB ; , 98/14/0026; , 96/14/0111; , Ro 2020/13/0005). Insgesamt erweist sich der angefochtene Bescheid daher als richtig, weshalb spruchgemäß zu entscheiden war.
4.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Im vorliegenden Fall waren zunächst im Wege der freien Beweiswürdigung Tatfragen zu beurteilen, die einer Revision nicht zugänglich sind. In der rechtlichen Beurteilung weicht das Erkenntnis nicht von der zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ab. Die Revision war daher nicht zuzulassen.
5. Hinweis auf die Zustellfiktion gemäß § 101 Abs. 3 und 4 BAO
Dieses Erkenntnis wirkt hinsichtlich des Feststellungsverfahrens gegenüber allen (ehemaligen) Beteiligten der Bf., denen im angefochtenen Feststellungsbescheid Einkünfte zugerechnet wurden (§ 191 Abs. 3 BAO). Mit der Zustellung dieses Erkenntnisses an die nach § 81 BAO vertretungsbefugte Person gilt die Zustellung an alle (ehemaligen) Beteiligten als vollzogen
(§ 101 Abs. 3 und 4 BAO), da weder die (ehemaligen) Beteiligten noch die nach § 81 BAO vertretungsbefugte Person dieser Rechtsfolge nach § 81 Abs. 8 BAO widersprochen haben.
Innsbruck, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2023:RV.3100188.2021 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at