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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 14.06.2023, RV/7105981/2017

Tätigkeit eines GmbH-Geschäftsführers in verschiedenen Staaten

Rechtssätze


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Stammrechtssätze
RV/7105981/2017-RS1
Übt der in Russland ansässige (nicht mehrheitlich beteiligte) Gesellschafter-Geschäftsführer einer österreichischen GmbH seine Tätigkeit zum Teil in Österreich, zum Teil in Russland und zum Teil in sonstigen Staaten aus, steht Österreich das Besteuerungsrecht für dessen Bezüge nur insoweit zu, als sie für die Tätigkeit in Österreich gewährt werden. Ist eine konkrete Zuordnung dieser Bezüge zur österreichischen Tätigkeit nicht möglich, sind diese nach dem jeweiligen Zeitaufwand zu aliquotieren.
RV/7105981/2017-RS2
Würden die Feststellungen einer Außenprüfung zu einer Haftung für Lohnsteuer i.H.v. lediglich € 17,55 (0,41 % des zunächst angenommenen Betrages) bzw. € 6,72 (0,67 % des ursprünglich angenommenen Betrages) führen, hat eine Inanspruchnahme wegen Geringfügigkeit bzw. mangels Zweckmäßigkeit i.S.d. § 20 BAO zu unterbleiben.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter ***R*** in der Beschwerdesache ***Bf*** in Liqu., ***Bf-Adr*** vertreten durch ***Bf-Vertr**, Rechtsanwalt, ***Bf-Vertr-Adr***, als Liquidator, über die Beschwerde vom gegen die Bescheide des Finanzamtes Wien 2/20/21/22 (nunmehr: Finanzamt Österreich) vom betreffend Haftung für Lohnsteuer 2011 und 1-7/2013 sowie Säumniszuschlag zur Lohnsteuer 2011, Steuernummer ***BFStNr***, zu Recht erkannt:

I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben. Die angefochtenen Bescheide werden ersatzlos aufgehoben.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Mit Bescheiden vom verfügte die belangte Behörde nach einer vorangegangenen Außenprüfung gem. § 82 EStG 1988 die Haftung der Beschwerdeführerin für Lohnsteuer 2011 i.H.v. € 4.282,10 und Lohnsteuer 2013 (Jänner bis Juli) i.H.v. € 1.002,76. Gleichzeitig wurde ein Säumniszuschlag zur Lohnsteuer 2011 i.H.v. € 82,13 festgesetzt. Es handelt sich hierbei um die Lohnsteuer aus den Bezügen (einschließlich Sachbezug aus der Privatnutzung arbeitgebereigener Kraftfahrzeuge) des nicht mehrheitlich (zu 24 %) beteiligten Gesellschafter-Geschäftsführers der Beschwerdeführerin, ***Gf***. Da dessen Haupt- und Nebenwohnsitz sowie der Sitz der Beschwerdeführerin in Österreich liegen, wäre Lohnsteuer abzuführen gewesen. Da dies nicht erfolgt sei, werde die Lohnsteuer nachverrechnet.

Dagegen richtet sich die gegenständliche Beschwerde vom , in der - wie bereits im Rahmen der Außenprüfung - geltend gemacht wurde, dass der Mittelpunkt des Lebensinteresses des ***Gf*** in den streitgegenständlichen Jahren Russland gewesen sei und dass er seine Tätigkeit für die Beschwerdeführerin fast ausschließlich im Ausland (überwiegend in Russland) ausgeübt habe. Demnach seien dessen Einkünfte aus nichtselbstständiger Tätigkeit nach Art. 15 des "Abkommens zwischen der Regierung der Republik Österreich und der Regierung der Russischen Föderation zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen", BGBl III Nr. 10/2003 (DBA-RUS) in Österreich nicht steuerpflichtig. Über Vorhalt der belangten Behörde legte die Beschwerdeführerin Auszüge aus der russischen Steuererklärung und Ansässigkeitsbescheinigungen ihres Geschäftsführers für die Jahre 2011 und 2013 sowie eine Auflistung vor, aus der ersichtlich ist, wie viele Tage er in diesen Jahren jeweils Russland und in anderen Staaten verbracht hat. Hierzu brachte sie ergänzend vor, dass ***Gf*** rd. 15 % der Tage, an denen er sich außerhalb Russlands aufgehalten hat, in Österreich verbracht habe. Ein Mittelpunkt der Lebensinteressen in Österreich sei auch deswegen nicht anzunehmen, weil er sich von seiner Ehegattin getrennt habe und seitdem keine familiären Bezugspunkte in Österreich mehr bestehen.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies die belangte Behörde die Beschwerde als unbegründet ab. Sie ging weiterhin davon aus, dass ***Gf*** aufgrund seines Wohnsitzes in Österreich unbeschränkt steuerpflichtig sei. Zu den vorgelegten Steuererklärungen hielt sie fest, dass diese teilweise nicht datiert und unterschrieben seien und nicht ersichtlich sei, ob sie tatsächlich der zuständigen Behörde übermittelt wurden und die erklärten Einkünfte einer Besteuerung unterzogen wurden. Weiters würden die darin angegebenen Summen nicht mit den der österreichischen Finanzbehörde vorliegenden Daten übereinstimmen. Zu den Ansässigkeitsbescheinigungen hielt sie fest, dass diese lediglich bestätigen, dass ***Gf*** aus steuerlicher Sicht Russlands dort ansässig gewesen sei. Dass er seine Tätigkeit für die Beschwerdeführerin fast ausschließlich von Russland aus durchgeführt habe, erscheine vor dem Hintergrund, dass er seit mehreren Jahren in Österreich als Gesellschafter und Geschäftsführer diverser von ihm gegründeter Unternehmungen tätig ist, unglaubwürdig. Die vorgelegte Auflistung sei nicht tauglich, das Gegenteil zu belegen, sondern hätten die Reisebewegungen mit amtlichen Sichtvermerke im Reisepass oder mit Flugtickets nachgewiesen werden müssen. Auch die behauptete Trennung von seiner Ehegattin sei in keiner Weise nachgewiesen worden.

Nachdem die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom beantragt hatte, die Frist zur Einbringung eines Rechtsmittels gegen die Beschwerdevorentscheidung bis zu verlängern und die belangte Behörde über diesen Antrag nicht entschieden hatte, brachte sie mit Schriftsatz vom , sohin rechtzeitig (§ 245 Abs. 3 letzter Satz i.V.m. § 264 Abs. 4 lit. a BAO), Vorlageantrag gemäß § 264 BAO ein. Darin führte sie zum Einwand der belangten Behörde, wonach aus den Steuererklärungen nicht ersichtlich sei, ob die Einkünfte der Besteuerung unterzogen wurden, aus, dass es in Russland keine Steuerbescheide gebe, sondern lediglich eine entsprechende Einzahlung. Dass die in den Steuererklärungen genannten Summen von den der österreichischen Finanzbehörde vorliegenden Daten abweichen, beruhe darauf, dass die in der russischen Steuererklärung angegebenen Einkünfte nach dem Zuflussprinzip versteuert werden und sich dadurch Verschiebungen ergeben. Zum Nachweis ihres Vorbringens, wonach ***Gf*** hauptsächlich in Russland für sie gearbeitet habe und auch dessen Mittelpunkt der Lebensinteressen in Russland liege, legte sie mit dem Vorlageantrag sowie mit einem ergänzenden Schriftsatz vom Kopien von vier Reisepässen und Flugtickets, eine Erklärung seiner früheren Ehegatten in beglaubigter Übersetzung und die Scheidungsurkunde im russischen Original vor.

Anzumerken ist, dass die belangte Behörde mit weiteren Bescheiden vom auch Dienstgeberbeiträge (§ 41 FLAG 1967) und Zuschläge zum Dienstgeberbeitrag (§ 122 Abs. 8 u. 9 WKG 1998) aufgrund der Bezüge des Geschäftsführers ***Gf*** für die Jahre 2011-2013 festgesetzt hat. Diese Bescheide erwuchsen in Rechtskraft und sind nicht Gegenstand des Beschwerdeverfahrens.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Die Beschwerdeführerin wurde mit Gesellschaftsvertrag vom in der Fassung eines Nachtrages vom gegründet. Geschäftsführer und zu 24 % beteiligter Gesellschafter war von bis ***Gf***. Dieser ist russischer Staatsangehöriger und war von bis in ***Gf-Adr1*** (Hauptwohnsitz), und von bis in ***Gf-Adr2*** (Nebenwohnsitz), polizeilich gemeldet. Weiters verfügte er in diesem Zeitraum auch über einen Wohnsitz in Russland.

Für seine Tätigkeit als Geschäftsführer erhielt ***Gf*** im Jahr 2011 laufende Bezüge i.H.v. € 20.388,13 (monatlich sohin € 1.699,01) sowie eine Sonderzahlung i.H.v. € 2.924,34. Weiters konnte er im Zeitraum Jänner bis Juni 2011 zwei firmeneigene Kraftfahrzeuge auch privat nutzen. Dieser Sachbezug ist mit € 500,00 monatlich zu bewerten. Im Zeitraum Jänner bis Juli 2013 erhielt er laufenden Bezüge i.H.v. € 9.520,33 (monatlich sohin € 1.360,05) sowie eine Sonderzahlung i.H.v. € 1.869,96.

Im Jahr 2011 verbrachte der Geschäftsführer der Beschwerdeführerin etwa 10 % seiner Zeit in Österreich, etwa 38 % in Russland und etwa 52 % in sonstigen Staaten. Im Zeitraum Jänner bis Juli 2013 verbrachte er etwa 6 % seiner Zeit in Österreich, etwa 62 % in Russland und etwa 32 % in sonstigen Staaten. Seine Tätigkeit für die Beschwerdeführerin übte er gleichermaßen in Österreich, in Russland und in den sonstigen Staaten aus.

Die frühere Ehegattin des Geschäftsführers der Beschwerdeführerin (die Trennung erfolgte im Jahr 2009, die Scheidung im Jahr 2013) lebte in den streitgegenständlichen Jahren 2011 und 2013 in Moskau, wo sich auch der gemeinsame - damals minderjährige - Sohn überwiegend aufhielt und die Schule besuchte.

Die Beschwerdeführerin wurde mit Generalversammlungsbeschluss vom aufgelöst und befindet sich seitdem in Liquidation. Zum Liquidator wurde RA ***Bf-Vertr** bestellt.

2. Beweiswürdigung

Die Feststellungen zu den gesellschaftsrechtlichen Verhältnissen der Beschwerdeführerin gründen sich auf die Einsichtnahme in das öffentliche Firmenbuch, jene zu den polizeilichen Meldungen des ***Gf*** in Österreich auf die Einsichtnahme in das zentrale Melderegister. Dass er daneben auch über einen Wohnsitz in Russland verfügte, hat die Beschwerdeführerin - wie dem Aktenvermerk vom zu entnehmen ist - vorgebracht und ergibt sich mittelbar auch aus den Bestätigungen der russischen Steuerbehörde, wonach ***Gf*** in den Jahren 2011 und 2013 in der russischen Föderation steuerlich ansässig ("tax resident") war, was gem. Art. 15 Abs. 1 DBA-RUS erfordert, dass er dort über einen Wohnsitz oder ständigen Aufenthalt verfügt. Zudem kann angesichts der Zeit, die ***Gf*** in Russland verbracht hat (139 Tage im Jahr 2011; 132 Tage im Zeitraum Jänner bis Juli 2013), nicht davon ausgegangen werden, dass er dort nicht über eine ständige Wohnstätte verfügt. Das diesbezügliche Vorbringen der Beschwerdeführerin ist daher glaubhaft.

Die Feststellungen zu den Bezügen des Geschäftsführers der Beschwerdeführerin sind dem Bericht über die Außenprüfung vom entnommen. Nachdem die Beschwerdeführerin die dort angeführten Zahlen (insb. auch die Bewertung des Sachbezuges mit € 500,00 mtl.) nicht bestreitet, besteht für das Gericht keine Veranlassung, diese zu bezweifeln.

Die Aufenthalte des ***Gf*** in Österreich, Russland und sonstigen Staaten sind der mit Schreiben der Beschwerdeführerin vom vorgelegten Auflistung sowie den Reisepasskopien und Flugtickets zu entnehmen. Demnach ergibt sich folgende Chronologie der Aufenthalte:


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Zeitraum
Tage
Aufenthaltsort
von
bis
10
Österreich
10
Russland
23
Österreich
20
Russland
11
25
Russland
8
12
Russland
25
29
Russland
27
4
Russland
22
6
Russland
41
Rumänien
9
Russland
47
4
Russland
3
Österreich
20
Russland
9
Indien

Im Jahr 2011 hat sich ***Gf*** laut diesen Unterlagen sohin 36 Tage in Österreich, 139 Tage in Russland und 50 Tage in sonstigen Staaten aufgehalten. Für die restlichen 140 Tage des Jahres 2011 ist den Unterlagen kein Aufenthaltsort zu entnehmen.


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Zeitraum
Tage
Aufenthaltsort
von
bis
3
Russland
11
19
Russland
27
36
Russland
14
4
Russland
11
Oman
21
Russland
7
10
Russland
3
Österreich
20
Russland
7
Montenegro
27
Russland
7
Litauen
6
Russland
3
Dänemark
16
Russland
7
Österreich
8
Russland
1
Polen
10
Russland
13
Schweiz
2
Russland
1
Polen
20
Russland
4
Österreich
38
Russland
2
Deutschland
7
Russland

Für das Jahr 2013 belegen die Unterlagen sohin einen Aufenthalt des Geschäftsführers der Beschwerdeführerin in Österreich im Ausmaß von 14 Tagen, in Russland im Ausmaß von 247 Tagen und in sonstigen Staaten im Ausmaß von 45 Tagen. Für die restlichen 59 Tage des Jahres 2013 ist den Unterlagen kein Aufenthaltsort zu entnehmen. Für den verfahrensgegenständlichen Zeitraum Jänner bis Juli 2013 ergeben sich 3 Tage in Österreich, 132 Tage in Russland, 18 Tage in sonstigen Staaten und 59 Tage mit unbekanntem Aufenthalt.

Dass bei einigen Aufenthalten außerhalb Russlands nicht bekannt ist, wohin ***Gf*** gereist ist, liegt daran, dass - soweit die Sichtvermerke ("Stempel") in den Reisepässen lesbar sind - teilweise nur Aus- und Einreisevermerke der russischen Behörden aber keine korrespondierenden Sichtvermerke ausländischer Behörden vorhanden sind und dass diese fehlenden Informationen auch durch die nachgereichten Flugtickets nicht ergänzt werden konnten. Da jedoch die Angaben der Beschwerdeführerin über die Aufenthalte ihres Geschäftsführers durch die vorliegenden Reisepasskopien (soweit diese lesbar sind) und Flugtickets bestätigt werden, geht das Gericht davon aus, dass diese Angaben glaubwürdig sind und die fehlenden Informationen sohin nicht bewusst verschwiegen wurden, sondern angesichts der zahlreichen Reisen und der mittlerweile verstrichenen Zeit nicht vollständig rekonstruiert werden konnten. Demnach ist auch das Vorbringen, wonach der Geschäftsführer rd. 15 % der Zeit außerhalb Russlands in Österreich verbracht hat, glaubwürdig und mit den vorliegenden (lesbaren) Reisedaten gut in Einklang zu bringen. Im Jahr 2011 hat der Geschäftsführer der Beschwerdeführerin 226 Tage außerhalb Russlands verbracht. 15 % hiervon (Aufenthalt in Österreich) sind 34 Tage, das entspricht rund 10 % des Jahres 2011. Die 139 Tage, die der Geschäftsführer der Beschwerdeführerin im Jahr 2011 in Russland verbracht hat, entsprechen etwa 38 %. Die restlichen 52 % entfallen demnach auf sonstige Staaten. Im Zeitraum Jänner bis Juli 2013 hat der Geschäftsführer der Beschwerdeführerin 80 Tage außerhalb Russlands verbracht. 15 % hiervon (Aufenthalt in Österreich) sind zwölf Tage, das entspricht knapp 6 % des Zeitraumes Jänner bis Juli 2013 (212 Tage). Jene 132 Tage, die er in Russland verbracht hat, entsprechen rund 62 % dieses Zeitraumes. Die restlichen 32 % entfallen auf sonstige Staaten.

Da ist die Tätigkeit als Geschäftsführer es erfordert, laufend für Belange der Gesellschaft zur Verfügung zu stehen und für diese zu arbeiten (insbesondere Entscheidungen zu treffen) geht das Gericht nicht davon aus, dass ***Gf*** ausschließlich während seiner seltenen und kurzen Aufenthalte in Österreich für die Beschwerdeführerin tätig war. Vielmehr muss angenommen werden, dass er auch während seiner Aufenthalte in Russland und in sonstigen Staaten (soweit erforderlich unter Nutzung moderner Kommunikationsmittel wie Videokonferenzen, Telefon, E-Mail etc.) für die Beschwerdeführerin gearbeitet hat. Die Behauptung der Beschwerdeführerin, dass ihr Geschäftsführer hauptsächlich im Ausland (überwiegend in Russland) und nur in geringem Ausmaß in Österreich für sie tätig war, ist daher glaubwürdig.

Die Feststellungen zur Trennung und Scheidung des Geschäftsführers der Beschwerdeführerin von seiner Ehegattin sowie zum Aufenthalt der (Ex-)Gattin und des gemeinsamen Sohnes gründen sich auf die schriftliche Erklärung der (Ex-)Gattin vom . Irgendwelche Anhaltspunkte, dass diese Angaben unzutreffend sein könnten, liegen nicht vor.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. (Stattgabe)

Gem. §§ 78f EStG 1988 hat der Arbeitgeber die Lohnsteuer seiner Arbeitnehmer bei jeder Lohnzahlung einzubehalten und an sein Finanzamt abzuführen. Gem. § 82 EStG 1988 haftet er dem Bund für die Einbehaltung und Abfuhr der Lohnsteuer, sodass er bei Nichteinhaltung dieser Verpflichtung mit Haftungsbescheid i.S.d. § 224 Abs. 1 BAO in Anspruch genommen werden kann. Arbeitnehmer sind hierbei gem. § 47 Abs. 1 EStG 1988 natürliche Personen, die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit beziehen, das sind gemäß § 25 Abs. 1 Z. 1 lit. b EStG 1988 i.V.m. § 22 Z. 2 EStG 1988 auch Bezüge und Vorteile von Personen, die an Kapitalgesellschaften nicht wesentlich (zu max. 25 %) beteiligt sind und deren Beschäftigung - abgesehen von der Weisungsunterworfenheit - alle Merkmale eines Dienstverhältnisses aufweist. Von dieser Regelung sind insbesondere Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH erfasst, die zu max. 25 % an der Gesellschaft beteiligt sind. Da ***Gf*** im gegenständlichen Zeitraum Geschäftsführer und 24 %iger Gesellschafter der Beschwerdeführerin war, war er deren Arbeitnehmer und war die Beschwerdeführerin daher grundsätzlich zur Einbehaltung und Abfuhr der Lohnsteuer aus seinen Bezügen verpflichtet.

Im Hinblick auf den grenzüberschreitenden Sachverhalt (***Gf*** ist russischer Staatsangehöriger mit Wohnsitz [auch] in Russland und hat für die Beschwerdeführerin u.a. auch in Russland gearbeitet), ist die Anwendbarkeit des "Abkommens zwischen der Regierung der Republik Österreich und der Regierung der Russischen Föderation zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen", BGBl III Nr. 10/2003, (DBA-RUS) zu prüfen. Der persönliche Anwendungsbereich dieses Abkommens erstreckt sich auf Personen, die in einem Vertragsstaat oder in beiden Vertragsstaaten ansässig sind (Art. 1 DBA-RUS). Eine (natürliche) Person ist dann in einem Vertragsstaat ansässig, wenn sie nach dem Recht dieses Staates dort aufgrund ihres Wohnsitzes oder ihres ständigen Aufenthalts steuerpflichtig ist (Art. 4 Abs. 1 DBA-RUS). Ist demnach eine natürliche Person in beiden Vertragsstaaten ansässig, gilt sie als in dem Staat ansässig, in dem sie über eine ständige Wohnstätte verfügt; verfügt sie in beiden Staaten über eine ständige Wohnstätte, so gilt sie gemäß Art. 4 Abs. 2 lit. a DBA-RUS als in dem Staat ansässig, zu dem sie die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen hat (Mittelpunkt der Lebensinteressen). Angesichts dessen, dass in den streitgegenständlichen Jahren die Aufenthalte des ***Gf*** in Russland jene in Österreich um ein Vielfaches übersteigen sowie dass seine (Ex-) Gattin und der gemeinsame minderjährige Sohn in Russland gelebt haben, während solche familiären Beziehungen zu Österreich nicht vorliegen, muss davon ausgegangen werden, dass er seine engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland hatte und dass er daher im Sinne des Art. 4 DBA-RUS in Russland ansässig war. Ob es sich bei den polizeilich gemeldeten Wohnsitzen in Österreich, die angesichts der Häufigkeit und der Dauer der Aufenthalte in Österreich im streitgegenständlichen Zeitraum nur für wenige Wochen genutzt worden sein konnten, tatsächlich um Wohnsitze i.S.d. § 26 Abs. 1 BAO oder um "ständige Wohnstätten" i.S.d. Art. 4 Abs. 2 lit. a DBA-RUS handelt, kann daher dahingestellt bleiben (die bloße polizeiliche Anmeldung ist jedenfalls nicht entscheidend: ; , 99/15/0104; , Ra 2015/15/0066). Festzuhalten ist, dass - wie den diesbezüglichen Bestätigungen zu entnehmen ist - auch die russische Steuerbehörde ***Gf*** als in der Russischen Föderation ansässig betrachtet. Da die Ausnahmebestimmung des Art. 4 Abs. 1 letzter Satz DBA-RUS (Personen, die in einem Vertragsstaat nur mit Einkünften aus Quellen in diesem Staat oder mit in diesem Staat gelegenem Vermögen steuerpflichtig sind, also keinen grenzüberschreitenden Sachverhalt verwirklichen) auf ***Gf*** nicht anwendbar ist, fällt er unter den persönlichen Anwendungsbereich des Abkommens. Da Art. 2 Abs. 3 lit. a Z. i DBA-RUS bei jenen Steuern, für die das Abkommen gilt, ausdrücklich die österreichische Einkommensteuer anführt, sind auch die Voraussetzungen für die sachliche Anwendbarkeit des Abkommens erfüllt.

Gem. Art. 15 Abs. 1 DBA-RUS dürfen Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Person aus unselbstständiger Arbeit bezieht, nur in diesem Staat besteuert werden, es sei denn, die Arbeit wird im anderen Vertragsstaat ausgeübt. Für Einkünfte aus unselbstständiger Arbeit ist daher das Besteuerungsrecht grundsätzlich demjenigen Vertragsstaat überlassen, in dem die betreffende Tätigkeit ausgeübt wird. Wird die Tätigkeit in keinem der beiden Vertragsstaaten, sondern in einem "Drittstaat" ausgeübt, steht das Besteuerungsrecht dem Ansässigkeitsstaat zu (Aigner/Kofler/Tumpel, DBA-Kommentar, Rz 49f zu Art 15, mwN). Soweit sich eine Tätigkeit auf mehrere Staaten erstreckt und dadurch das Besteuerungsrecht teils dem einen und teils dem anderen Vertragsstaat zukommen würde, ist der Arbeitslohn - soweit eine unmittelbare Zuordnung nicht möglich ist - zu aliquotieren und erstreckt sich das Besteuerungsrecht eines jeden Vertragsstaates auf jenen Teil des Arbeitslohnes der auf die im entsprechenden Staat (bzw. hinsichtlich des Ansässigkeitsstaates auch in einem "Drittstaat") ausgeübte Tätigkeit entfällt (Aigner/Kofler/Tumpel, DBA-Kommentar, Rz 49ff zu Art 15, mwN; ; , RV/0565-W/06).

Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass für den Sachbezug (Pkw-Nutzung) Österreich das Besteuerungsrecht zusteht. Insoweit ist eine unmittelbare Zuordnung möglich, da davon auszugehen ist, dass ***Gf*** diese Fahrzeuge ausschließlich während seiner Aufenthalte in Österreich genutzt hat und diese Nutzung daher in einem unmittelbaren Zusammenhang mit seiner Tätigkeit für die Beschwerdeführerin in Österreich steht. Im Übrigen, also hinsichtlich der Geldbezüge ist eine unmittelbare Zuordnung nicht möglich. Diese sind daher zu aliquotieren, sodass Österreich das Besteuerungsrecht für diese Bezüge - entsprechend dem Anteil der Tätigkeit in Österreich - nur im Ausmaß von 10 % (2011) bzw. 6 % (2013) zusteht. Für die restlichen 90 % bzw. 94 % steht Russland das Besteuerungsrecht zu, und zwar einerseits als (weiterer) Tätigkeitsstaat (soweit ***Gf*** in Russland für die Beschwerdeführerin gearbeitet hat) und andererseits als Ansässigkeitsstaat (soweit er in sonstigen Staaten für die Beschwerdeführerin tätig war). Ob diese Bezüge in korrekter Höhe in Russland erklärt und versteuert wurden (die belangte Behörde scheint dies zu bezweifeln, indem sie in der Beschwerdevorentscheidung ausführt, dass die vorgelegten russischen Steuererklärungen teilweise nicht unterschrieben sind, die darin angeführten Beträge nicht mit den ihr vorliegenden Daten übereinstimmen und nicht erkennbar ist, ob die Erklärungen der zuständigen Behörde übermittelt wurden), ist für das österreichische Abgabenverfahren ohne Bedeutung.

Die in Österreich zu versteuernden laufenden Bezüge betragen daher in Zeitraum Jänner bis Juni 2011 € 669,90 monatlich (Geldbezug € 1.699,01 x 10 % + Sachbezug [Pkw-Nutzung] € 500,00), im Zeitraum Juli bis Dezember 2011 € 169,90 (Geldbezug € 1.699,01 x 10 %) und im Zeitraum Jänner bis Juli 2013 € 81,60 (Geldbezug € 1.360,05 x 6 %). Die laufenden Bezüge liegen damit unterhalb der Freigrenze von € 1.011,44 (vgl. Monats-Lohnsteuertabelle Anh. 42.3 zur LStR 2002 Rz 1406), sodass von diesen Bezügen keine Lohnsteuer einzubehalten und abzuführen war und die Beschwerdeführerin demnach auch nicht zur Haftung herangezogen werden kann.

Die in Österreich zu versteuernden Sonderzahlungen belaufen sich für das Jahr 2011 auf € 292,43 (€ 2.924,34 x 10 %) und für den Zeitraum Jänner bis Juli 2013 auf € 112,08 (€ 1.867,96 x 6 %). Demnach ergäbe sich unter Anwendung des 6%igen Steuersatzes des § 67 Abs. 1 EStG 1988 für 2011 ein Betrag von € 17,55 und für 2013 ein Betrag von € 6,72. Allerdings liegt die Haftungsinanspruchnahme des Arbeitgebers für Lohnsteuer im Ermessen (; , 2010/15/0182). Ermessensentscheidungen sind gemäß § 20 BAO innerhalb der vom Gesetz gezogenen Grenzen nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen. Unter dem Gesetzesbegriff "Billigkeit" sind hierbei die berechtigten Interessen der Partei zu verstehen, unter dem Begriff "Zweckmäßigkeit" das öffentliche Interesse an der Einbringung der Abgaben (). Hierbei ist auch zu berücksichtigen, ob die Feststellungen, die zu einer Abgabenfestsetzung oder Haftung führen, erhebliche oder bloß geringfügige Auswirkungen haben. Demnach wird bei Geringfügigkeit des haftungsgegenständlichen Betrages eine Inanspruchnahme i.d.R. zu unterbleiben haben (Ritz/Koran, BAO, 7. Aufl. [2021], Rz. 7 zu § 7 u. Rz. 30 zu § 201). Im vorliegenden Fall beläuft sich die Lohnsteuer, für die eine Haftung der Beschwerdeführerin infrage kommt für das Jahr 2011 auf € 17,55 bzw. 0,41 % des ursprünglich angenommenen Betrages und für das Jahr 2013 auf € 6,72 bzw. 0,67 % des ursprünglich angenommenen Betrages. Die betraglichen Auswirkungen der Prüfungsfeststellungen sind daher so geringfügig, dass sich eine Haftungsinanspruchnahme als nicht zweckmäßig i.S.d. § 20 BAO erweist (vgl. ).

Die angefochtenen Haftungsbescheide waren daher ersatzlos aufzuheben und wird dies zum Anlass genommen, auch den Bescheid über die Festsetzung eines Säumniszuschlages zur Lohnsteuer 2011 (der im Übrigen - selbst bei grundsätzlicher Aufrechterhaltung der Haftung im o.a. Ausmaß von € 17,55 - unter € 50,00 liegen würde und daher schon nach § 217 Abs. 10 BAO nicht festzusetzen wäre) gemäß § 217 Abs. 8 BAO aufzuheben.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Soweit Rechtsfragen zu beantworten waren, sind diese durch die zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes geklärt. Die Ausübung des Ermessens (Abstandnahme von der Haftung wegen Geringfügigkeit) hängt maßgeblich von den Umständen des Einzelfalles und damit nicht von einer Rechtsfrage von grundlegender Bedeutung ab. Im Übrigen hängt die gegenständliche Entscheidung maßgeblich von Tatsachenfragen (Orte, an denen der Geschäftsführer der Beschwerdeführerin gearbeitet hat) ab. Rechtsfragen von grundlegender Bedeutung waren daher nicht zu lösen.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
Art. 15 Abs. 1 DBA RUS (E, V), Doppelbesteuerungsabkommen Russische Föderation (Einkommen- u. Vermögenssteuern), BGBl. III Nr. 10/2003
§ 20 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2023:RV.7105981.2017

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at