Vorsteuerberichtigung bei steuerfreiem Verkauf eines ungenutzten Gebäudeteiles in einem insgesamt bereits genutzten Gebäude
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RV/3100077/2015-RS1 | Ein selbständig nutzbarer - insbesondere ein parifizierbarer - Gebäudeteil stellt für Zwecke der Vorsteuerberichtigung ein selbständiges Objekt dar. Wurde ein solcher selbständiger Gebäudeteil eines insgesamt bereits genutzten Gebäudes nie tatsächlich genutzt, ist im Falle seines steuerfreien Verkaufs nicht § 12 Abs. 10 UStG, sondern § 12 Abs. 11 UStG anzuwenden. |
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch den Senatsvorsitzenden Dr. Günter Wellinger, den Richter Mag. David Hell LL.B. LL.M. sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Thomas Karner und Mag. Katrin Kirchebner in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Wirtschaftstreuhand Hager Steuerberatungsgesellschaft m.b.H., Bahnhofstraße 21, 6300 Wörgl, über die Berufung, nunmehr Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Kitzbühel Lienz vom betreffend Umsatzsteuer 2010, Steuernummer ***BF1StNr1***, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am in Anwesenheit der Schriftführerin Angelika Aichinger zu Recht erkannt:
I. Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) zulässig.
Entscheidungsgründe
1. Verfahrensgang und Parteienvorbringen
Das Finanzamt Kitzbühel Lienz führte bei der Beschwerdeführerin (Bf.) eine Außenprüfung betreffend die Jahre 2007 bis 2010 durch, die mit Prüfungsbericht und Bescheiden vom abgeschlossen wurde. Unter diesen Bescheiden befindet sich auch der nunmehr angefochtene Umsatzsteuerbescheid für 2010. Der dazugehörige Wiederaufnahmebescheid wurde nicht angefochten.
Im Prüfungsbericht, auf den der angefochtene Bescheid verweist, führt die Abgabenbehörde begründend zusammengefasst aus, die Bf. habe im Jahr 2002 ein Einkaufszentrum errichtet; auch in den Folgejahren seien diesbezüglich noch weitere Anschaffungs-/Herstellungskosten angefallen, woraus jeweils der Vorsteuerabzug geltend gemacht worden sei. Im Jahr 2010 sei die gegenständliche Liegenschaft parifiziert worden; anschließend sei noch im selben Jahr eine Geschäftseinheit steuerfrei verkauft worden, die zuvor nie vermietet worden sei. Die Bf. habe dabei eine anteilige Vorsteuerberichtigung gemäß § 12 Abs. 10 UStG vorgenommen, tatsächlich sei jedoch unter diesen Umständen eine Vorsteuerberichtigung in voller Höhe gemäß § 12 Abs. 11 UStG vorzunehmen. Da das gegenständliche Objekt zuvor nicht in Verwendung gestanden habe, sei nämlich der Tatbestand des § 12 Abs. 10 UStG nicht erfüllt.
In der rechtzeitigen Berufung vom bringt die Bf. zusammengefasst vor, die Inbetriebnahme des Einkaufszentrums (als Ganzes) sei mit der Vermietung an die ersten Mieter erfolgt; ob auch konkret das gegenständliche Objekt genutzt wurde, sei unerheblich.
Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies die Abgabenbehörde die Berufung (nunmehr Beschwerde) der Bf. als unbegründet ab. Begründend führte sie zusammengefasst aus, bei Leerstehung eines zur Vermietung bestimmten Geschäftslokals liege eben keine Verwendung bzw. Nutzung im Sinne des § 12 Abs. 10 UStG vor. Diese Bestimmung könne nur hinsichtlich solcher Geschäftslokale zur Anwendung kommen, die vor dem Verkauf bereits vermietet waren. Es liege daher ein Anwendungsfall des § 12 Abs. 11 UStG vor.
Am brachte die Bf. einen rechtzeitigen Vorlageantrag ein, in welchem sie ihr bisheriges Vorbringen wiederholt. Am legte die Abgabenbehörde die Beschwerde samt Akt und Vorlagebericht dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor.
Mit der Finanzorganisationsreform trat zum das Finanzamt Österreich an die Stelle der bescheiderlassenden Behörde. Mittlerweile ging die Zuständigkeit auf das Finanzamt für Großbetriebe über, im gegenständlichen Beschwerdeverfahren blieb jedoch gemäß § 59 BAO das Finanzamt Österreich Amtspartei. Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses des Bundesfinanzgerichts vom wurde die gegenständliche Rechtssache der mit neu besetzten Senatsgerichtsabteilung 4013-1 zugewiesen.
Am fand die von der Bf. beantragte mündliche Verhandlung statt, im Zuge derer die Bf. ergänzend vorbrachte, dass die gegenständliche Einheit im Zeitpunkt der Errichtung noch gar nicht als eigenständige Einheit bestanden habe und deren Fläche möglicherweise einer oder mehreren anderen Einheiten zugeordnet gewesen sei. Überdies sei die unstrittig gegebene Verwendungsabsicht und nicht die tatsächliche Verwendung maßgeblich. Zudem brachte die Bf. in der Verhandlung verfassungs- und unionsrechtliche Bedenken gegen die Rechtsansicht der Behörde vor.
Nach Ansicht der Abgabenbehörde sei die gegenständliche Einheit hingegen bereits seit Errichtung des Einkaufszentrums als abgetrennte und parifizierungsfähige Einheit existent gewesen. Im Übrigen brachten beide Parteien in der Verhandlung vor wie bisher.
2. Sachverhalt
Die Bf. errichtete im Jahr 2002 auf der gegenständlichen Liegenschaft (***EZ/KG/GSt***) ein Einkaufszentrum mit Tiefgarage, Geschäften und Wohnungen. Vor der Neufestsetzung der Nutzwerte im Jahr 2010 war die Liegenschaft teilparifiziert. Die Bf. war bis zu diesem Zeitpunkt ideelle Miteigentümerin der Gesamtliegenschaft im Ausmaß von 5966/7422 Anteilen, während eine gemeinnützige Siedlungsgenossenschaft Wohnungseigentümerin der Wohnungen W 1 bis W 16 war (entspricht den übrigen 1456/7422 Anteilen).
Im September 2010 kamen die Eigentümer der Liegenschaft überein, den bisherigen Wohnungseigentumsvertrag aufzuheben und einen neuen abzuschließen, um die Liegenschaft vollständig zu parifizieren. Durch diesen Vertrag wurde die Bf. Wohnungseigentümerin der Geschäftseinheiten G 1 bis G 19, der Tiefgaragenparkplätze TG 1 bis TG 32, TG 37, TG 43 bis 52, TG 60 bis TG 108, der Außenparkplätze AP 1 bis AP 20 und des Turnsaals T 1 (insgesamt 5912/7422 Anteile); die Siedlungsgenossenschaft blieb weiterhin Wohnungseigentümerin der Wohneinheiten W 1 bis W 16 und wurde zusätzlich Wohnungseigentümerin der übrigen 16 Tiefgaragenparkplätze (insgesamt 1510/7422 Anteile). Die tatsächlichen Nutzungsverhältnisse haben sich durch die Neuparifizierung nicht verändert. Als Grundlage für die Neuparifizierung diente das Nutzwertgutachten der Sachverständigen ***SV1*** vom . Die Neuparifizierung erfolgte, da die Bf. den Verkauf eines Geschäftslokals beabsichtigte.
Im Hinblick auf den Verkauf dieses Geschäftslokals nahm die Bf. im Jahr 2010 diverse Adaptierungsarbeiten vor, insbesondere vergrößerte sie dieses Geschäftslokal durch Verlegung einer Zwischenwand zu Lasten eines benachbarten Geschäftslokals. Die beiden betroffenen Geschäftslokale waren seit ihrer Errichtung parifizierungsfähig und wurden bis zum Verkauf weder vermietet noch anderweitig von der Bf. genutzt. Andere Geschäftseinheiten im gegenständlichen Einkaufzentrum waren jedoch bereits zuvor vermietet.
Im Oktober 2010 veräußerte die Bf. die nunmehrige Geschäftseinheit G 18 (277/7422 Anteile) steuerfrei an ***Käufer*** zwecks Betrieb einer Arztpraxis durch ***Arzt***. Dem Kaufvertrag vom Oktober 2010 ging ein Vorvertrag vom voraus.
Nach der Errichtung im Jahr 2002 fielen auch in den Jahren 2003 bis 2010 nachträgliche Anschaffungs- bzw. Herstellungskosten an. Die Bf. machte jeweils den vollen Vorsteuerabzug geltend. Die abgezogenen Vorsteuern aus den Anschaffungs- bzw. Herstellungskosten der Jahre 2002 bis 2009, die auf die gegenständliche Geschäftseinheit entfallen, betragen insgesamt 49.246,03 €; diejenigen des Jahres 2010 betragen 3.506,38 €. Die Bf. erklärte im Jahr 2010 eine Umsatzsteuerberichtigung gemäß § 12 Abs. 10 UStG 1994 im Ausmaß von 6.934,18 €.
3. Beweiswürdigung
Die Feststellung, dass die Geschäftslokale, aus deren Flächen sich die nunmehrige Geschäftseinheit G 18 zusammensetzt, seit ihrer Errichtung parifizierungsfähig waren und bis zum Verkauf weder vermietet noch anderweitig von der Bf. genutzt wurden, gründet auf nachstehenden Erwägungen:
Vorwegzuschicken ist, dass der steuerliche Vertreter der Bf. in der mündlichen Verhandlung lediglich behauptete, die gegenständliche Einheit habe nicht von Anfang an als selbständige Einheit existiert, dafür jedoch keine Nachweise vorlegen konnte. Im Akt der Betriebsprüfung liegt das von der Bf. in Auftrag gegebene Bewertungsgutachten des Sachverständigen ***SV2*** auf, dem Pläne aus dem Jahr 2008 beigefügt sind. Aus diesem Gutachten, insbesondere dem Plan des 1. OG, geht eindeutig hervor, dass zu diesem Zeitpunkt an Stelle der nunmehrigen Geschäftseinheit G 18 zwei verschiedene Einheiten bestanden, die voneinander durch eine Zwischenwand getrennt und auch getrennt vermietbar waren. Da nach der von der Bf. unbestrittenen Aufstellung der Abgabenbehörde im Bericht über die Außenprüfung seit der Errichtung des Einkaufszentrums nur noch verhältnismäßig geringe nachträgliche Anschaffungs- und Herstellungskosten anfielen (Beilagen 1 und 2 zum Bericht), geht das Gericht davon aus, dass bis kurz vor der Veräußerung keine größeren Umbauarbeiten durchgeführt wurden und die beiden Geschäftslokale laut Plan aus dem Gutachten des ***SV2*** bereits seit ihrer Errichtung in dieser Form existierten.
Der Umstand, dass in der Liste "Mieter gemäß Verträge", die in der mündlichen Verhandlung vorgelegt wurde, überhaupt keine Einheit "G 18" angeführt ist, lässt sich nach Ansicht des Gerichts mit einer vom Parifizierungsgutachten abweichenden Nummerierung erklären. Anhand der vorgelegten Liste lässt sich zweifelsfrei erkennen, dass die Einheit "G13" laut Liste der Einheit "G 16" laut Parifizierungsgutachten entspricht und die Einheit "G14" laut Liste der Einheit "G 15" laut Parifizierungsgutachten. Die Nummerierung der Einheiten erfolgte bei der Parifizierung offenbar im Uhrzeigersinn, auf der vorgelegten Liste allerdings gegen den Uhrzeigersinn. Daraus folgt, dass die nunmehrige streitgegenständliche Einheit "G 18" in der vorgelegten Liste den Einheiten "G12.1" und einem Teil der Einheit "G12.2" entsprechen muss.
Dass die Flächen, aus denen die nunmehrige Geschäftseinheit G 18 besteht, zuvor jemals vermietet oder anderweitig genutzt gewesen wären, hat selbst die Bf. nie behauptet. Die vorgelegte Liste "Mieter gemäß Verträge" aus dem Jahr 2004 untermauert in Verbindung mit dem oben angeführten Plan aus dem Jahr 2008, dass die gegenständlichen Flächen niemals vermietet oder anderweitig genutzt wurden: Die Einheiten "G12.1" und "G12.2" laut Liste, aus deren Flächen sich die nunmehrige Geschäftseinheit G 18 zusammensetzt, waren weder laut dieser Liste aus dem Jahr 2004 noch laut dem Plan aus dem Jahr 2008 vermietet oder anderweitig von der Bf. genutzt.
Die übrigen Elemente des festgestellten Sachverhaltes ergeben sich widerspruchsfrei aus den vorgelegten Aktenteilen, insbesondere dem Nutzwertgutachten vom und dem Kaufvertrag aus dem Oktober 2010 sowie aus den Unterlagen im Arbeitsbogen des Betriebsprüfers, insbesondere der Aufhebungsvereinbarung aus dem September 2010. Zudem waren die übrigen Sachverhaltselemente zwischen den Parteien zu keinem Zeitpunkt strittig. Das Gericht konnte sie daher ohne Bedenken seiner Entscheidung zugrunde legen.
4. Rechtliche Beurteilung
4.1. Rechtslage
§ 12 Abs. 10 UStG 1994 lautet auszugsweise:
"Ändern sich bei einem Gegenstand, den der Unternehmer in seinem Unternehmen als Anlagevermögen verwendet oder nutzt, in den auf das Jahr der erstmaligen Verwendung folgenden vier Kalenderjahren die Verhältnisse, die im Kalenderjahr der erstmaligen Verwendung für den Vorsteuerabzug maßgebend waren (Abs. 3), so ist für jedes Jahr der Änderung ein Ausgleich durch eine Berichtigung des Vorsteuerabzuges durchzuführen.[…]; im Falle der Lieferung ist die Berichtigung für den restlichen Berichtigungszeitraum spätestens in der letzten Voranmeldung des Veranlagungszeitraumes vorzunehmen, in dem die Lieferung erfolgte."
§ 12 Abs. 11 UStG 1994 lautet:
"Ändern sich bei einem Gegenstand, den der Unternehmer für sein Unternehmen hergestellt oder erworben hat oder bei sonstigen Leistungen, die für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, die Voraussetzungen, die für den Vorsteuerabzug maßgebend waren (Abs. 3), so ist, sofern nicht Abs. 10 zur Anwendung gelangt, eine Berichtigung des Vorsteuerabzuges für den Veranlagungszeitraum vorzunehmen, in dem die Änderung eingetreten ist."
Mit diesen Bestimmungen werden die Art. 184 ff RL 2006/112/EG (MwStSystRL) umgesetzt. Die Vorsteuerberichtigung nach § 12 Abs. 10 UStG 1994 geht auf Art 187 MwStSystRL zurück, diejenige nach § 12 Abs. 11 UStG 1994 auf Art 188 MwStSystRL. Die relevanten Bestimmungen des Unionsrechts lauteten im Zeitpunkt der Veräußerung auszugsweise wie folgt:
Art. 184: "Der ursprüngliche Vorsteuerabzug wird berichtigt, wenn der Vorsteuerabzug höher oder niedriger ist als der, zu dessen Vornahme der Steuerpflichtige berechtigt war."
Art. 185: "Die Berichtigung erfolgt insbesondere dann, wenn sich die Faktoren, die bei der Bestimmung des Vorsteuerabzugsbetrags berücksichtigt werden, nach Abgabe der Mehrwertsteuererklärung geändert haben, zum Beispiel bei rückgängig gemachten Käufen oder erlangten Rabatten."
Art. 186: "Die Mitgliedstaaten legen die Einzelheiten für die Anwendung der Artikel 184 und 185 fest."
Art. 187 Abs. 1: "Bei Investitionsgütern erfolgt die Berichtigung während eines Zeitraums von fünf Jahren einschließlich des Jahres, in dem diese Güter erworben oder hergestellt wurden.Die Mitgliedstaaten können jedoch für die Berichtigung einen Zeitraum von fünf vollen Jahren festlegen, der mit der erstmaligen Verwendung dieser Güter beginnt. Bei Grundstücken, die als Investitionsgut erworben wurden, kann der Zeitraum für die Berichtigung bis auf 20 Jahre verlängert werden."
Art. 188 Abs. 1: "Bei der Lieferung eines Investitionsgutes innerhalb des Berichtigungszeitraums ist dieses so zu behandeln, als ob es bis zum Ablauf des Berichtigungszeitraums weiterhin für eine wirtschaftliche Tätigkeit des Steuerpflichtigen verwendet worden wäre.Diese wirtschaftliche Tätigkeit gilt als in vollem Umfang steuerpflichtig, wenn die Lieferung des Investitionsgutes steuerpflichtig ist. Die wirtschaftliche Tätigkeit gilt als in vollem Umfang steuerfrei, wenn die Lieferung des Investitionsgutes steuerfrei ist."
Art. 188 Abs. 2: "Die in Absatz 1 genannte Berichtigung wird für den gesamten noch verbleibenden Berichtigungszeitraum auf einmal vorgenommen. […]"
Art. 189: "Für die Zwecke der Artikel 187 und 188 können die Mitgliedstaaten folgende Maßnahmen treffen:
a) den Begriff "Investitionsgüter" definieren;
b) den Betrag der Mehrwertsteuer festlegen, der bei der Berichtigung zu berücksichtigen ist;
c) alle zweckdienlichen Vorkehrungen treffen, um zu gewährleisten, dass keine ungerechtfertigten Vorteile aus der Berichtigung entstehen;
d) verwaltungsmäßige Vereinfachungen ermöglichen."
4.2. Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)
Dass der steuerfreie Verkauf der mit Vorsteuerabzug errichteten Geschäftseinheit eine Änderung der Verhältnisse bzw. Voraussetzungen im Sinne des § 12 Abs. 10 und 11 UStG 1994 darstellt, ist in Lehre und Rechtsprechung allgemein anerkannt und wird von der Bf. auch nicht bestritten (vgl. etwa Kanduth-Kristen/Payerer in Berger/Bürgler/Kanduth-Kristen/Wakounig, UStG-ON3.02 § 12, Rz 391).
Strittig ist die Bedeutung der Begriffe "Gegenstand" sowie der Nutzung bzw. Verwendung eines Gegenstandes im Anlagevermögen im Sinne des § 12 Abs. 10 UStG 1994. Nach Ansicht der Bf. ist als "Gegenstand" das gesamte Einkaufszentrum zu sehen und dessen Nutzung sei mit der Vermietung an den ersten Mieter begonnen worden. Bei dieser Sichtweise wäre der Tatbestand des § 12 Abs. 10 UStG 1994 erfüllt und daher nur eine anteilige Vorsteuerberichtigung vorzunehmen. Hingegen ist das verkaufte Geschäftslokal nach Ansicht der belangten Behörde als eigenständiger Gegenstand anzusehen, der vor dem Verkauf nicht genutzt wurde. Mangels Erfüllung des Tatbestandes des § 12 Abs. 10 UStG 1994 kann bei dieser Sichtweise nur eine Berichtigung in Höhe des vollen ursprünglich geltend gemachten Vorsteuerabzuges gemäß § 12 Abs. 11 UStG 1994 erfolgen.
Die Ansicht der Bf. überzeugt das Gericht aus nachstehenden Gründen nicht:
Die nationale Regelung enthält keine Definition der Begriffe "Gegenstand" sowie der Nutzung bzw. Verwendung eines Gegenstandes im Anlagevermögen. Auch ein Rückgriff auf den unionsrechtlichen Begriff "Investitionsgut" trägt nicht zur Klärung bei, da das Unionsrecht die Definition dieses Begriffes ausdrücklich den Mitgliedstaaten überlässt (Art. 189 MwStSystRL).
§ 12 Abs. 10 UStG 1994 geht jedoch erkennbar davon aus, dass Grundstücke jedenfalls Gegenstände des Anlagevermögens im Sinne dieser Bestimmung sein können. Zur Definition des Grundstücksbegriffs verwies diese Bestimmung in der anwendbaren Fassung noch auf § 2 GrEStG 1987. Die nunmehr gültige autonome unionsrechtliche Definition gemäß Art. 13b DVO (EU) 282/2011 war zum gegebenen Zeitpunkt noch nicht in Kraft.
§ 2 GrEStG 1987 verweist wiederum allgemein auf die Vorschriften des bürgerlichen Rechts, dem ebenfalls keine Begriffsdefinition zu entnehmen ist. Gemäß § 2 Abs. 3 zweiter Satz GrEStG 1987 sind jedoch auch Teile eines Grundstückes selbst als Grundstück im Sinne des GrEStG anzusehen, wenn sich ein Rechtsvorgang nur auf einen Teil bezieht. Daraus schließt das erkennende Gericht, dass auch Teile von Grundstücken selbständige Grundstücke im Sinne des GrEStG und somit auch selbständige Gegenstände gemäß § 12 Abs. 10 UStG 1994 sein können.
Auch die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zum ertragsteuerlichen Begriff des Wirtschaftsguts bzw. des Vermögensgegenstands spricht dafür, die einzelnen Geschäftseinheiten als selbständige Gegenstände zu betrachten. Ein Gegenstand hat den Charakter eines Wirtschaftsguts bzw. eines Vermögensgegenstands, wenn er (selbständig) bewertbar ist und wertmäßig realisiert werden kann (vgl. ). Wie die tatsächliche Veräußerung des gegenständlichen Geschäftslokals zeigt, war es selbständig bewertbar und realisierbar, weshalb es als (eigenständiger) Vermögensgegenstand anzusehen ist.
Der Umstand, dass jener Teil der Liegenschaft, in welchem sich das Geschäftslokal befindet, zum Zeitpunkt der Inbetriebnahme des Einkaufszentrums noch nicht parifiziert war, spielt nach Ansicht des erkennenden Gerichts keine Rolle. Die Parifizierung mag zwar Voraussetzung für die Veräußerung einzelner Geschäftseinheiten sein, die selbständige Bewertbarkeit und wertmäßige Realisierbarkeit sind jedoch bereits dann gegeben, wenn eine Parifizierung nur abstrakt möglich ist. Ob und inwieweit eine Parifizierung erfolgt, steht schließlich im Ermessen der Eigentümer und ändert nichts an den tatsächlichen Gegebenheiten, die für die selbständige Bewertbarkeit ausschlaggebend sind. Der Umstand, dass bereits vor der Parifizierung ein Vorvertrag über den Verkauf der gegenständlichen Geschäftseinheit abgeschlossen wurde, spricht ebenfalls für eine selbständige Bewertbarkeit und wertmäßige Realisierbarkeit bereits vor der tatsächlichen Parifizierung.
Das von der Bf. zur Begründung herangezogene Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom , 99/14/0015 behandelt die Absetzung für Abnutzung sowie den Investitionsfreibetrag. Die Ausführungen in diesem Erkenntnis können die Rechtsansicht der Bf. nach Ansicht des erkennenden Gerichts nicht stützen. Es enthält insbesondere keine explizite Aussage zum Begriff des Wirtschaftsguts. Hinsichtlich des Investitionsfreibetrages vertrat der VwGH in dieser Entscheidung im Übrigen die Ansicht, dass er für einen noch nicht vermieteten Gebäudeteil nicht zustehe, was eher die Argumentation der belangten Behörde stützt.
Abschließend sei auf die Rechtsprechung des deutschen BFH bei weitgehend vergleichbarer Rechtslage verwiesen, wonach ein Gebäude kein einheitliches Wirtschaftsgut und somit Berichtigungsobjekt im Zusammenhang mit der Vorsteuerberichtigung darstellt, sondern nur insoweit, als es bereits in Verwendung genommen wurde (BFH , XI R 14/19, siehe auch Kommentierung unter www.iww.de/astw, Abruf-Nr. 47054173).
Das erkennende Gericht ist aus vorstehenden Gründen der Ansicht, dass die gegenständliche Geschäftseinheit bereits vor ihrer Parifizierung einen selbständigen Gegenstand und somit ein eigenständiges Berichtigungsobjekt im Sinne des § 12 Abs. 10 und 11 UStG 1994 darstellte.
Nach den getroffenen Feststellungen stand das verkaufte Geschäftslokal seit der Errichtung bis zum Verkauf leer. Eine Leerstehung begründet keine Nutzung bzw. Verwendung dieses Geschäftslokals als Anlagevermögen (Kanduth-Kristen/Payerer aaO, Rz 424). Der Tatbestand des § 12 Abs. 10 UStG 1994 ist somit nicht erfüllt und es kommt § 12 Abs. 11 UStG 1994 zur Anwendung. Daher war im Jahr der Veräußerung - wie von der belangten Behörde bescheidmäßig durchgeführt - die gesamte für das gegenständliche Geschäftslokal zuvor geltend gemachte Vorsteuer zu berichtigen.
Die Bf. trug verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Anwendung des § 12 Abs. 11 UStG 1994 vor, da die Anwendung im vorliegenden Fall zu einem gleichheitswidrigen Ergebnis führe: Hätte die Bf. die gegenständlichen Einheiten nämlich auch nur für einen Monat tatsächlich vermietet, wäre jedenfalls nach § 12 Abs. 10 UStG 1994 vorzugehen und müsste die Bf. um fast 50.000 Euro weniger Steuern zahlen. Faktisch mache es aber nur einen geringen Unterschied, ob eine Einheit in 10 Jahren gar nie oder nur für einen Monat vermietet werde. Die höhere Steuerlast sei gewissermaßen "zufällig" entstanden.
Diese verfassungsrechtlichen Bedenken teilt das Gericht nicht. Vielmehr könnte umgekehrt die Rechtsansicht der Bf. zu einem viel unsachlicheren Ergebnis führen: Angenommen, es werde nur ein minimaler Teil eines Gebäudes tatsächlich steuerpflichtig vermietet, sollte dennoch ein späterer steuerfreier Verkauf des gesamten Gebäudes nur zu einer anteiligen oder vielleicht auch gar keiner Berichtigung führen? Dies erscheint dem Gericht nicht sachlich gerechtfertigt.
Zu den vorgebrachten - recht allgemein gehaltenen - unionsrechtlichen Bedenken ist auszuführen, dass das Gericht diese nicht teilt, weil das Unionsrecht den Mitgliedsstaaten bei der Umsetzung der Vorsteuerberichtigung, insbesondere bei der Definition des "Investitionsgutes" und somit auch bei der Definition des Berichtigungsobjektes einen großen Spielraum einräumt und ausdrücklich auch das Abstellen auf die erstmalige (tatsächliche) Verwendung zulässt.
Insgesamt war daher spruchgemäß zu entscheiden.
4.3. Zu Spruchpunkt II. (Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Zur zentralen Rechtsfrage, nämlich zur Frage, ob und unter welchen Umständen ein Teil eines Grundstückes als selbständiger Gegenstand und somit Berichtigungsobjekt im Sinne des § 12 Abs. 10 und 11 UStG 1994 anzusehen ist, existiert - soweit für das Gericht erkennbar - keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Die Revision war daher zuzulassen.
Innsbruck, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 12 Abs. 10 UStG 1994, Umsatzsteuergesetz 1994, BGBl. Nr. 663/1994 § 12 Abs. 11 UStG 1994, Umsatzsteuergesetz 1994, BGBl. Nr. 663/1994 § 2 GrEStG 1987, Grunderwerbsteuergesetz 1987, BGBl. Nr. 309/1987 Art. 184 ff RL 2006/112/EG, ABl. Nr. L 347 vom S. 1 |
Verweise | BFH , XI R 14/19 |
Zitiert/besprochen in | Mayr in Hell in BFGjournal 2023, 255 |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2023:RV.3100077.2015 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at