Bescheidbeschwerde – Senat – Erkenntnis, BFG vom 08.05.2023, RV/7100649/2020

Familienbeihilfe für exekutivdienstliche Grundausbildung

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Senatsvorsitzende Dr. Gabriele Krafft, die Richterin Dr. Monika Kofler sowie die fachkundigen Laienrichter Ing. KomzlR. Georg Senft und Karl Stubenvoll in der Beschwerdesache VN NN, ***Bf1-Adr*** über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 2/20/21/22 vom betreffend Abweisung des Antrages auf Gewährung der Familienbeihilfe ab Juli 2019, Sozialversicherungsnummer SN-NR, in Anwesenheit der Schriftführerin Romana Schuster zu Recht erkannt:

I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.

Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Mit Eingabe vom reichte NN VN, in der Folge mit Bf. bezeichnet, beim Finanzamt ein ausgefülltes, mit datiertes Formular "Überprüfung des Anspruches auf Familienbeihilfe" ein.

In diesem wurde für NN TO, geboren am GebDat, als derzeitige Tätigkeit des Kindes "Schülerin" angeführt und in dem Kästchen betreffend die vom Finanzamt angeforderten Unterlagen handschriftlich "Aufnahmeprüfung Polizei" eingefügt.

Beigelegt war ein Reife- und Diplomprüfungszeugnis für NN TO vom .

Am stellte die Bf. einen Antrag auf Gewährung der Familienbeihilfe für TO ab Juli 2019 und gab als Grund "exekutivdienstliche" Ausbildung an.

Beigelegt war ein Schreiben der Landespolizeidirektion Wien vom , gemäß welchem TO NN ab als Vertragsbedienstete aufgenommen werde.

Mit Bescheid vom wies das Finanzamt den Antrag auf Gewährung der Familienbeihilfe für NN TO ab Juli 2019 ab und führte begründend wie folgt aus:

"Absolviert der öffentlich Bedienstete (etwa auch: in einem privatrechtlichen Dienstverhältnis zum Bund nach § 1 Abs. 1 VBG) seine Grundausbildung oder Ausbildungsphase erfolgreich, hat dies nicht eine Überstellung in ein anderes (öffentliches oder öffentlich-rechtliches) Dienstverhältnis zur Folge. Dem öffentlich Bediensteten soll die für seine erfolgreiche Verwendung notwendige Ausbildung in seinem Dienstverhältnis vermittelt werden (vgl. die ErläutRV 1561 BlgNR 20. GP zu § 66 VBG), worin bereits die Ausübung eines Berufs liegt. Der Umstand, dass ein öffentlich Bediensteter in der ersten Zeit seines Dienstverhältnisses im Rahmen einer Grundausbildung oder Ausbildungsphase die für die Erfüllung seiner Aufgaben erforderlichen Kenntnisse, Erfahrungen und Fertigkeiten erlangen soll, nimmt dem Dienstverhältnis auch nicht zum Teil die Qualität eines Berufes. Mit einer Berufsausübung sind die Tatbestandsvoraussetzungen in § 2 Abs. 1 lit. b FLAG nicht erfüllt.

Die Familienbeihilfe ist daher für den oben genannten Zeitraum abzuweisen."

Mit Eingabe vom erhob die Bf. gegen den Bescheid Beschwerde und führte begründend aus, ihre Tochter habe am die Polizeigrundausbildung im Bildungszentrum Wien - aufgrund eines Sondervertrages nach § 36 VBG 1948 für die exekutivdienstliche Ausbildung begründeten - privatrechtlichen Dienstverhältnis zum Bund (§ 1 Abs. 1 VBG) - begonnen.
Die im angefochtenen Abweisungsbescheid angeführte Begründung, wonach ein öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis (einschließlich Grundausbildung oder Ausbildungsphase/n) hingegen bereits als "Berufsausübung" zu werten sei und nicht die Tatbestandsvoraussetzungen nach § 2 Abs 1 lit b FLAG 1967 erfülle, weshalb in diesem Zusammenhang kein Anspruch auf Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag bestehe (vgl. VwGH Ra 2018/16/0203 vom ) gehe ins Leere, da in casu ihre Tochter keine fremden- und grenzpolizeiliche exekutivdienstliche Ausbildung absolviere.
Der Verwaltungsgerichtshof habe sehr deutlich den Unterschied der im Bereich des Bundesministeriums für Inneres vorhandenen exekutivdienstlichen Ausbildungen aufgearbeitet.
Es folgte eine teilweise Darstellung des im Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes wiedergegebenen Verfahrensganges, in welchem der Verwaltungsgerichtshof die Begründung des Bundesfinanzgerichtes im damals entschiedenen Fall auszugsweise zitiert hatte.
Der Verwaltungsgerichtshof habe ferner festgehalten, dass es unstrittig sei, dass die Basisausbildung der Grundausbildung für die exekutivdienstliche Verwendung im fremden- und grenzpolizeilichen Bereich (Dauer 6 Monate) und die Ergänzungsausbildung zur Grundausbildung für den Exekutivdienst (9 Monate) als Berufsausbildung im Sinne des Familienlastenausgleichsgesetzes anzusehen seien.
Das Finanzamt Wien 2/20/21/22 habe unzutreffend und rechtswidrig eine Ausbildungsphase der fremden- und grenzpolizeilichen exekutivdienstlichen Ausbildung, die keinen Anspruch auf Familienbeihilfe begründe (weil das FLAG 1967 den Begriff der Ausbildungsphase nicht kenne) bei der 24-monatigen durchgehenden Ausbildung ihrer Tochter angenommen.
Dass im Zuge einer Berufsausbildung praktische und nicht nur theoretische Kenntnisse vermittelt werden können und etwa im Praktikum zu vermittelnde praktische Grundkenntnisse unter die Berufsausbildung fallen, hat der Verwaltungsgerichtshof etwa im Erkenntnis vom , 2009/16/0315, ausgesprochen. Wie sich auch aus § 5 Abs. 1 Iit. b FLAG ergebe, falle unter eine Berufsausbildung auch ein "duales System" der Ausbildung zu einem anerkannten Lehrberuf (; zur Berufsausbildung im Rahmen einer Lehre ).
Die 24-monatige- nicht durch Ausbildungsphasen unterbrochene - durchgehende Grundausbildung für den Exekutivdienst, welche ihre Tochter absolviere, sei daher als eine Berufsausbildung anzusehen und begründe den Anspruch auf Familienbeihilfe gem. § 2 Abs 1 Iit b FLAG 1967.
Abschließend beantragte die Bf., den Bescheid aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines stattgebenden Bescheides an das Finanzamt zurückzuverweisen, in eventu den Bescheid dahin gehend abzuändern, dass ihrem Antrag auf Familienbeihilfe für ihre Tochter Beantrice NN ab Juli 2019 stattgegeben werde.

Das Finanzamt erließ eine abweisende Beschwerdevorentscheidung und zitierte begründend zunächst § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967 sowie dazu ergangene Judikatur des Verwaltungs-gerichtshofes und verwies dann auf dessen Erkenntnis vom , Ra 2018/16/0203, gemäß welchem die Ausbildungsphase/Grundausbildung eines (Grenz-)Polizisten keine Berufsausbildung im Sinne des § 2 Abs. 1 Iit b FLAG 1967 darstelle.
Dieses Erkenntnis betreffe zwar den Zeitraum, in dem der Sohn des Revisionswerbers nach Absolvierung der ersten Ausbildungsphase seinen Dienst als Grenzpolizist ausgeübt habe, jedoch verneine der Verwaltungsgerichtshof in diesem Erkenntnis das Vorliegen einer Berufsausbildung für die gesamte Grundausbildung oder Ausbildungsphase von öffentlich Bediensteten und qualifiziere dies als Berufsausübung (vgl. Rz 16, 17). Es sei daher unerheblich, ob eine Grundausbildung, praktische Verwendung oder Ergänzungsausbildung absolviert werde (vgl. ).
Mit einer Berufsausübung seien die Tatbestandsvoraussetzungen in § 2 Abs. 1 lit b FLAG nicht erfüllt und es spiele daher auch keine Rolle, ob das Ausbildungsentgelt einer Entschädigung aus einem anerkannten Lehrverhältnis iSd § 5 Abs. 1 lit b FLAG 1967 gleichgehalten werden könnte.
Da die Tochter der Bf. keine Berufsausbildung im Sinne des § 2 Abs. 1 lit b FLAG 1967 absolviere, bestehe ab Juli 2019 kein Anspruch auf Familienbeihilfe.

Die Bf. stellte einen Vorlageantrag und wiederholte ihr bisheriges Vorbringen. Ergänzend verwies sie "auf den Bescheid GZ. RV/6100175/2018". Sie beantragte eine Entscheidung durch den Senat.

Seit wohnt TO NN an einer anderen Adresse als die Bf.. Sie erzielte 2020 ein zu versteuerndes Einkommen gemäß § 33 Abs. 1 EStG 1988 in Höhe von 19.033,57 Euro.

Mit Schreiben vom wurde der Bf. Folgendes vorgehalten:

"In der Zwischenzeit hat der Verwaltungsgerichtshof einige einschlägige Fälle entschieden, aus denen hervorgeht, dass für "normale" Ausbildungen von Exekutivbediensteten zumindest für die Basisausbildung im ersten Jahr, während welcher üblicherweise auch ein niedrigeres Gehalt ausbezahlt wird, grundsätzlich die Familienbeihilfe gebührt, je nach Verwendung in der anschließenden Praxis auch länger. Bei Sonderverträgen, in denen während der Kursunterbrechung Grenzdienst verrichtet wird, steht bereits die Berufsausübung im Vordergrund. D.h., es muss genau festgestellt werden, was wann gemacht wurde.

Bis dato liegt von Ihrer Tochter jedoch kein Dienstvertrag für die Ausbildung im Akt. Auch detaillierte Gehaltsnachweise, welches Gehalt ihre Tochter jeweils bezogen hat, liegen nicht im Akt, ebensowenig Nachweise über ihre Ausbildung am Bildungszentrum.

Darüber hinaus ist strittig, ob für das von ihr bezogene Gehalt die Grenze des § 5 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG) in Höhe von 15.000,00 Euro zur Anwendung kommt, oder ob die Ausnahme für Lehrlingsentschädigungen darauf angewendet werden kann. Das Bundesfinanzgericht hat dazu keine einheitliche Linie. In einem mir bekannten Fall ist eine Revision beim Verwaltungsgerichtshof anhängig, über den jedoch noch nicht entschieden wurde.

Ihre Tochter hat 2020 mehr als 15.000,00 Euro verdient und hat überdies im Februar 2020 einen eigenen Wohnsitz begründet und wohnt mit Ihnen nicht mehr im selben Haushalt. Die Haushaltszugehörigkeit als eine mögliche Anspruchsvoraussetzung ist damit weggefallen. Aufgrund der Höhe des Einkommens der Tochter gehe ich davon aus, dass sie ihren Unterhalt ab März 2020 selbst bestritten hat, sodass auch die überwiegende Tragung der Unterhaltskosten als Grundlage für den Anspruch auf Familienbeihilfe bei Ihnen weggefallen ist.

Was meinen Beschwerdezeitraum betrifft (Juli 2019 bis - mindestens - zur Bescheiderlassung September 2019) wird der Beschwerde voraussichtlich stattzugeben sein, vorausgesetzt Sie legen den Dienstvertrag und einen Nachweis über den Schulbesuch im ersten Jahr im Bildungszentrum der Sicherheitsakademien vor.

Ob weiterhin ein Anspruch gegeben ist, würde dann von der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes abhängen. Persönlich gehe ich davon aus, dass das von Ihrer Tochter bezogene Gehalt keine Lehrlingsentschädigung darstellt und 2020 die Einkommensgrenze überschritten wurde, sodass weder für Sie noch für Ihre Tochter in diesem Jahr Anspruch auf Familienbeihilfe besteht. Wäre die Familienbeihilfe ausbezahlt worden, müsste sie zurückgefordert werden.

Sie können dazu noch eine Stellungnahme abgeben und Unterlagen vorlegen. Wenn Sie möchten, können Sie auch den Antrag auf Behandlung im Senat zurückziehen. Sie können auch eine Erklärung abgeben, wonach Sie möchten, dass das Verfahren bis zur Entscheidung durch den Verwaltungsgerichtshof ausgesetzt wird. Sollte der Verwaltungsgerichtshof eine Entscheidung dahingehend treffen, dass das Gehalt als Lehrlingsentschädigung einzustufen ist, könnten Sie wohl bis Februar 2020 Familienbeihilfe beziehen, danach Ihre Tochter. Alternativ wäre es bei Vorlage entsprechender Unterlagen möglich, den Bescheid aufzuheben, um zunächst den Bezug der Familienbeihilfe für 2019 zu ermöglichen und für 2020 einen neuen Antrag zu stellen."

Die Bf. hat dazu keine Stellungnahme abgegeben.

Mit weiterem Schreiben vom wurde der Bf. Folgendes vorgehalten:

"Die offenen Rechtsfragen betreffend die Polizeigrundausbildung sind nunmehr durch den Verwaltungsgerichtshof geklärt worden.

Ihre Tochter wurde 2019 als Vertragsbedienstete bei der Landespolizeidirektion Wien aufgenommen. Bis dato wurde jedoch kein Nachweis der Landespolizeidirektion vorgelegt, dass Ihre Tochter tatsächlich die Grundausbildung für den Exekutivdienst absolviert hat und wenn ja, in welchem Zeitraum.

Sie haben ferner eine Entscheidung durch den Senat beantragt. Sollte dieser Antrag nicht zurückgezogen werden, muss abgewartet werden, bis der nächste Senat anberaumt wird. Unabhängig davon ist jedoch die Vorlage einer Bescheinigung über die Art und Dauer der Ausbildung Ihrer Tochter notwendig.

Sie werden daher ersucht, diese Bescheinigung nachzureichen, weil diese sonst vom Dienstgeber angefordert werden müsste."

In Beantwortung dieses Vorhaltes übermittelte die Bf. mittels E-Mail vorab ein Begleitschreiben mit folgendem Wortlaut, welches in der Folge auch per Post übermittelt wurde:

" … bezugnehmend auf Ihr Schreiben vom , lege ich diesem Schreiben das Dienstprüfungszeugnis und das Inspektordekret meiner Tochter NN TO, geb. GebDat bei.

Diese Zeugnisse belegen, dass meine Tochter vom bis die exekutivdienstliche Ausbildung zum Exekutivbeamten positiv absolviert hat. Diese Ausbildung umfasst 24 Monate wovon sieben Monate Praxisausbildung sind.

Betreffend die Familienbeihilfe für den Zeitraum vom Juli 2019 bis Februar 2020 steht mir die Familienbeihilfe zu, da meine Tochter in diesem Zeitraum bei mir gelebt hat.

Ab März 2020 bis April 2021 hatte meine Tochter Anspruch auf Familienbeihilfe, da sie ab März 2020 einen eigenen Haushalt führt und für ihren Lebensunterhalt allein aufkommen musste. Für diesen Zeitraum hat meine Tochter bereits eine Nachzahlung vom Finanzamt erhalten, da sie hier selbständig mit einem Anwalt XY rechtlich vorgegangen ist.

Es ist jetzt also nur mehr der Zeitraum von Juli 2019 bis Februar 2020 betreffend Familienbeihilfe zu klären."

Dem Schreiben beigelegt war das Dienstprüfungszeugnis der Grundausbildung für den Exekutivdienst (Polizeigrundausbildung) vom und das Ernennungsdekret vom August 2021, wonach die Tochter der Bf. mit Wirksamkeit vom auf die Planstelle einer Inspektorin im Planstellenbereich des Bundesministeriums für Inneres, Sicherheitsexekutive, der Verwendungsgruppe E2b ernannt wurde.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt und Streitpunkte:

TO NN, in der Folge auch mit Tochter (der Bf.) bezeichnet, legte am die Reife- und Diplomprüfung für den AUFBAULEHRGANG an den BEZEICHNUNG SCHULE, ADRESSE, ab.

Die Tochter der Bf. wurde laut Schreiben der Bundespolizeidirektion Wien vom mit als Vertragsbedienstete bei der Landespolizeidirektion Wien aufgenommen. Sie absolvierte in der Folge ab die Grundausbildung für den Exekutivdienst und legte am die Dienstprüfung ab. Mit Wirksamkeit vom wurde sie zur Inspektorin ernannt.

Laut Bf. befand die Tochter sich von September 2019 bis in der 24-monatigen exekutivdienstlichen Ausbildung zum Exekutivbeamten.

Aus vergleichbaren Fällen ist bekannt, dass die Polizeigrundausbildung zunächst im Rahmen der Basisausbildung (12 Monate) im Bildungszentrum erfolgt. Die Verwaltungspraxis anerkennt für das folgende Praktikum I ebenfalls, dass noch keine berufliche Verwendung erfolgt. Im Anschluss an eine fünfmonatige Vertiefung der Basisausbildung im Bildungszentrum ist die Dienstprüfung abzulegen. Da die Tochter der Bf. die Dienstprüfung erst 2021 abgelegt hat, ist für den Zeitraum von September 2019 bis April 2021 (Ablegung der Dienstprüfung) eine Ausbildung anzunehmen.

Ab März 2020 wohnte die Tochter der Bf. mit dieser nicht mehr im gemeinsamen Haushalt und bezog die Familienbeihilfe für sich selbst, da sie einen eigenen Haushalt führte.

Die Tochter bezog 2020 ein zu versteuerndes Einkommen gemäß § 33 Abs. 1 EStG 1988 in Höhe von 19.033,57 Euro.

Der Sachverhalt ist unstrittig.

Strittig ist, ob die Bf. für die Zeit nach der Reifeprüfung von TO NN und für die Dauer der Grundausbildung und der Haushaltszugehörigkeit bis Februar 2020 Anspruch auf Gewährung der Familienbeihilfe für ihre Tochter hatte.

2. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. (Stattgabe)

Gemäß § 2 Abs. 1 lit. b Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG) in der geltenden Fassung (idgF), haben Personen Anspruch auf Familienbeihilfe, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, für volljährige Kinder, die das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und die für einen Beruf ausgebildet oder in einem erlernten Beruf in einer Fachschule fortgebildet werden, wenn ihnen durch den Schulbesuch die Ausübung ihres Berufes nicht möglich ist.

Gemäß § 2 Abs. 1 lit. d FLAG idgF haben Personen Anspruch auf Familienbeihilfe, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, für volljährige Kinder, die das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, für die Zeit zwischen dem Abschluss der Schulausbildung und dem Beginn einer weiteren Berufsausbildung, wenn die weitere Berufsausbildung zum frühestmöglichen Zeitpunkt nach Abschluss der Schulausbildung begonnen wird ...

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem Rechtssatz zu seinem Erkenntnis Ra 2020/16/0039 vom Folgendes festgehalten:

"Hat die von der Revisionswerberin (Antragstellerin betreffend Familienbeihilfe) angesprochene Ausbildung ihres Sohnes - wie in der Beschwerde vorgebracht - in einer unter Rz 4 des Erkenntnisses , erwähnten "Basisausbildung" mit einem Lehrplan und einer Stundentafel bestanden und hat diese - abgesehen allenfalls von einer Ausbildung im Waffengebrauch, in Selbstverteidigung oder im Sport - in theoretischen Unterweisungen, Aufgabenstellungen, Übungen und Arbeiten bestanden, dann läge darin noch eine Berufsausbildung im Sinne des § 2 Abs. 1 lit. b FLAG. (Hier: Nach Angabe der Revisionswerberin befand sich ihr Sohn seit , also seit dem ersten Tag der Dauer des Vertragsverhältnisses zum Bund, in der Polizeigrundausbildung im Bildungszentrum.)"

Die Tochter der Bf. hat 2019 und 2020 (noch) eine derartige Basisausbildung absolviert und sich daher in einer Ausbildung befunden, welche grundsätzlich einen Anspruch auf Familienbeihilfe vermittelt.

Gemäß § 10 FLAG gilt Folgendes:

"(1) Die Familienbeihilfe wird, abgesehen von den Fällen des § 10a, nur auf Antrag gewährt; die Erhöhung der Familienbeihilfe für ein erheblich behindertes Kind (§ 8 Abs. 4) ist besonders zu beantragen.

(2) Die Familienbeihilfe wird vom Beginn des Monats gewährt, in dem die Voraussetzungen für den Anspruch erfüllt werden. Der Anspruch auf Familienbeihilfe erlischt mit Ablauf des Monats, in dem eine Anspruchsvoraussetzung wegfällt oder ein Ausschließungsgrund hinzukommt."

Die Entscheidung über die Gewährung von monatlich wiederkehrenden Leistungen, zu denen auch die Familienbeihilfe zählt, ist ein zeitraumbezogener Abspruch. Ein derartiger Abspruch gilt mangels eines im Bescheid festgelegten Endzeitpunktes für den Zeitraum, in dem die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse keine Änderung erfahren, jedenfalls aber bis zum Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides (vgl. z.B. ).

Gemäß § 5 Abs. 1 FLAG in der für 2020 geltenden Fassung gilt Folgendes:

"Ein zu versteuerndes Einkommen (§ 33 Abs. 1 EStG 1988) eines Kindes führt bis zu einem Betrag von 15.000 € in einem Kalenderjahr nicht zum Wegfall der Familienbeihilfe. Übersteigt das zu versteuernde Einkommen (§ 33 Abs. 1 EStG 1988) eines Kindes in einem Kalenderjahr, das nach dem Kalenderjahr liegt, in dem das Kind das 19. Lebensjahr vollendet hat, den Betrag von 15.000 €, so verringert sich die Familienbeihilfe, die für dieses Kind nach § 8 Abs. 2 einschließlich § 8 Abs. 4 gewährt wird, für dieses Kalenderjahr um den 15.000 € übersteigenden Betrag. § 10 Abs. 2 ist nicht anzuwenden. Bei der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens (§ 33 Abs. 1 EStG 1988) des Kindes bleiben außer Betracht:

a)das zu versteuernde Einkommen, das vor oder nach Zeiträumen erzielt wird, für die Anspruch auf Familienbeihilfe besteht,

b)Entschädigungen aus einem anerkannten Lehrverhältnis,

..."

TO NN erhielt 2020 einen Bezug, welcher den Betrag von 15.000,00 Euro um einen Betrag von 4.033,57 Euro überstieg.

Gemäß § 8 Abs. 2 FLAG betrug die Familienbeihilfe monatlich 165,10 Euro für jedes Kind ab Beginn des Kalendermonats, in dem es das 19. Lebensjahr vollendet.

Multipliziert man diesen Betrag von 165,10 Euro mit 12, errechnet sich ein Betrag von 1.981,20 Euro. Der anzurechnende Differenzbetrag gemäß § 5 Abs. 1 FLAG in Höhe von 4.033,57 Euro übersteigt diesen Betrag, sodass kein Anspruch auf Gewährung der Familienbeihilfe für TO NN für 2020 besteht, wenn es sich nicht um eine Entschädigung aus einem anerkannten Lehrverhältnis handelt.

Ob die Bf. daher dennoch einen Anspruch auf Gewährung von Familienbeihilfe hat, hängt davon ab, ob es sich bei dem von ihrer Tochter erhaltenen Bezügen um Entschädigungen aus einem anerkannten Lehrverhältnis handelt.

Die Grundregel des § 5 Abs. 1 FLAG sieht eine Verringerung der gebührenden Familienbeihilfe um den 15.000,00 Euro übersteigenden Betrag des Einkommens gemäß § 33 EStG vor. Von dieser Regelung bestehen Ausnahmen, was eine einschränkende Interpretation nahelegt.

Lehrverhältnisse unterliegen bestimmten Regelungen des Berufsausbildungsgesetzes, welches bis März 2020 auch den Begriff "Lehrlingsentschädigung" verwendete (§ 17 Berufsausbildungs-gesetz, aktuell wird der Begriff "Lehrlingseinkommen" verwendet).

Gemäß § 5 Abs. 1 Abs. Berufsausbildungsgesetz sind Lehrberufe Tätigkeiten,

"a) die alle oder einzelne Teile einer den Bestimmungen der Gewerbeordnung 1994 unterliegenden Beschäftigung oder mehrere solcher Beschäftigungen zum Gegenstand haben,

b) die geeignet sind, im Wirtschaftsleben den Gegenstand eines Berufes zu bilden, und

c) deren sachgemäße Erlernung mindestens zwei Jahre erfordert."

Auch wenn gewisse Ähnlichkeiten der gegenständlichen Grundausbildung mit einem Lehrverhältnis vorliegen, insbesondere ein "duales" System vorliegt, reichen die Ähnlichkeiten doch nicht aus, um das Gehalt der Bundesbediensteten in Grundausbildung mit einer Lehrlingsentschädigung gleichzusetzen.

Lehrlinge können nach Abschluss der Pflichtschule oder sogar ohne Pflichtschulabschluss aufgenommen werden. Üblicherweise erhalten sie im ersten Lehrjahr eine vergleichsweise niedrige Lehrlingsentschädigung. Der Großteil der Ausbildung findet im Betrieb statt, die ergänzende Ausbildung in der Berufsschule nimmt einen vergleichsweise geringeren Anteil der Ausbildungszeit ein, während das erste Jahr der exekutivdienstlichen Grundausbildung ausschließlich im Bildungszentrum erfolgt.

Im Hinblick auf die Grundausbildung der Finanzverwaltung, welche einen Umlauf in den verschiedenen Abteilungen eines Finanzamtes mit verschränkter theoretischer Ausbildung vorgesehen hat und welche damit einer Lehre ähnlicher war als die gegenständliche Ausbildung, ist der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom , Ra 2018/16/0164 von einer Berufsausübung ausgegangen, wodurch es bei Bundesbediensteten je nach Ausgestaltung der Grundausbildung zu einer unterschiedlichen Behandlung hinsichtlich der Gewährung der Familienbeihilfe kommt.

Gemäß § 18 Abs. 1 Berufsausbildungsgesetz ist der Lehrberechtigte verpflichtet, den Lehrling, dessen Lehrverhältnis mit ihm gemäß § 14 Abs. 1 oder § 14 Abs. 2 lit. e endet, im Betrieb drei Monate im erlernten Beruf weiter zu beschäftigen.

Gerade bei der Ausbildung zu Exekutivbediensteten kommt es nicht zu einer Ausbildung für ein Gewerbe oder zu einem Beruf, der in der Wirtschaft nachgefragt wird. Ziel der Ausbildung ist vielmehr die Übernahme der ausgebildeten Aspiranten in den Polizeidienst, welche im Fall des Bestehens der Dienstprüfung und der erforderlichen Eignung von beiden Seiten angestrebt wird.

Eine hinreichende Ähnlichkeit zwischen der Grundausbildung von Bundesbediensteten und einer Lehre ist daher nicht gegeben (vgl. auch ).

Dass nicht jedes Ausbildungsverhältnis als Lehre anzusehen ist, kommt auch in einem vom Verwaltungsgerichtshof verfassten Rechtssatz zum Erkenntnis vom , 83/13/0105 zum Ausdruck. In diesem wurde der dem Rechtspraktikaten bewilligte Unterstützungsbeitrag nicht als Entschädigung aus einem gesetzlich anerkannten Lehrverhältnis beurteilt.

Es kommt daher zur Anwendung der Grundregel des § 5 Abs. 1 FLAG, welche dazu führt, dass 2020 kein Anspruch auf Familienbeihilfe bestand.

Auch im Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom , RV/7103880/2020 wurde die Rechtsansicht vertreten, dass es sich bei dem während der exekutivdienstlichen Grundausbildung bezogenen Gehalt um keine Lehrlingsentschädigung handelt. Da die Beschwerdeführerin in diesem Verfahren ein ausführlicheres Vorbringen erstattet hat und mehr Unterlagen zur Polizeigrundausbildung gewürdigt wurden, setzte sich die Begründung dieses Erkenntnisses im Einzelnen damit auseinander. Gegen dieses Erkenntnis wurde Revision beim VwGH eingebracht. Der VwGH hat die Revision als unbegründet abgewiesen
(Ro 2022/16/0004 vom ).

Nach § 13 zweiter Satz FLAG hat ein Bescheid nur dann zu ergehen, wenn einem Antrag auf Familienbeilhilfe nicht oder nicht vollinhaltlich stattgeben wird. Die Stattgabe eines Antrags auf Familienbeihilfe erfolgt durch deren Gewährung (Auszahlung). Das Bundesfinanzgericht darf daher bei Stattgabe der Beschwerde den abweisenden Bescheid des Finanzamts nicht abändern, sondern muss diesen ersatzlos beheben (vgl. ).

Da TO NN im Juni 2019 eine Schulausbildung abgeschlossen hat und im September 2019 neuerlich eine Berufsausbildung begonnen hat, konnte der Beschwerde durch Aufhebung des Bescheides stattgegeben werden.

Da bei der Polizeigrundausbildung nicht von einem Lehrverhältnis auszugehen ist, gebührt für 2020 keine Familienbeihilfe. Zum Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides durch das Finanzamt war jedoch nicht bekannt, dass das zu versteuernde Einkommen der Tochter der Bf. die Grenze des § 5 Abs. 1 Familienlastenausgleichsgesetz um einen Betrag überschreiten würde (Anrechnungsbetrag), welcher höher ist als die errechnete Familienbeihilfe. Es handelt sich hierbei um eine Änderung der Verhältnisse, welche das Finanzamt im Bescheid noch nicht berücksichtigen konnte. Die Aufhebung des Bescheides des Finanzamtes ist daher nicht gleichzusetzen mit der Anerkennung eines Anspruches auf Gewährung der Familienbeihilfe für das Jahr 2020. Die Entscheidung war aus formalen Gründen in dieser Form zu treffen.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Gegenständlich war keine Rechtsfrage zu beurteilen, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Auf die im Erkenntnis angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes wird verwiesen.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
FLAG
betroffene Normen
Schlagworte
Grundausbildung
Familienbeihilfe
Bildungszentrum
Vertragsbedienstete
exekutivdienstliche Ausbildung
Verweise
VwGH, Ro 2022/16/0004
VwGH, Ra 2018/16/0003
VwGH, Ra 2018/16/0164
VwGH, Ro 2021/16/0004
VwGH, Ra 2020/16/0039
VwGH, RA 2018/16/0203
VwGH, 83/13/0105
BFG, RV/7102743/2018
BFG, RV/7103880/2020
ECLI
ECLI:AT:BFG:2023:RV.7100649.2020

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at