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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 24.04.2023, RV/2100214/2023

Haftung gemäß § 9 BAO: Prokurist ist keine "zur Vertretung juristischer Personen berufene Person" im Sinne des § 80 Abs. 1 BAO

Beachte

Revision (Amtsrevision) beim VwGH anhängig zur Zahl Ro 2023/13/0021.


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Rechtssätze
Stammrechtssätze
RV/2100214/2023-RS1
Wäre ein (mit den steuerlichen Agenden der Gesellschaft betrauter) Prokurist eine zur Vertretung juristischer Personen berufene Person im Sinne des § 80 Abs. 1 BAO, so bestünde diesbezüglich keine laufende Überwachungspflicht durch den Geschäftsführer, sondern – wie im Falle von mehreren Geschäftsführern, von denen ein Geschäftsführer mit den steuerlichen Agenden der Gesellschaft betraut ist – lediglich eine anlassbezogene Überwachungspflicht. Beim Prokuristen handelt es sich daher um keine zur Vertretung juristischer Personen berufene Person im Sinne des § 80 Abs. 1 BAO, weshalb die Heranziehung des Beschwerdeführers zur Haftung nicht auf diese Bestimmung gestützt werden durfte.
RV/2100214/2023-RS2
§ 83 BAO normiert das Recht einer Partei, sich vor der Abgabenbehörde - wenn nicht ihr persönliches Erscheinen ausdrücklich gefordert wird - vertreten zu lassen. Die Bestimmung begründet aber für den Vertreter - anders als nach §§ 80 und 81 BAO - keine Verantwortlichkeit für abgabenrechtliche Pflichten des Vertretenen. Der Bevollmächtigte mag auf Grund der Vollmacht berechtigt sein, namens des Vertretenen jede Erklärung gegenüber der Abgabenbehörde abzugeben. Die Übertragung der Erfüllung der dem Vertretenen obliegenden Pflichten kommt aber darin nicht zum Ausdruck (ähnlich zu § 33 ASVG und § 34 ASVG: ). Die Heranziehung eines in § 83 Abs. 1 BAO bezeichneten Vertreters zur Haftung gemäß § 9 BAO für Abgaben des Vertretenen ist daher nicht zulässig.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den ***Einzelrichter*** über die Beschwerde des ***Bf***, ***Bf-Adr***, vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Graz-Stadt vom betreffend Haftung gemäß § 9 BAO zu Recht erkannnt:

Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) zulässig.

Entscheidungsgründe

Der Beschwerdeführer war Prokurist der X-GmbH. Über die Gesellschaft wurde mit Gerichtsbeschluss vom das Sanierungsverfahren eröffnet. Mit Gerichtsbeschluss vom wurde die Bezeichnung von Sanierungs- auf Konkursverfahren geändert und die Gesellschaft infolge Konkurseröffnung aufgelöst. Mit Gerichtsbeschluss vom wurde der Konkurs nach Schlussverteilung aufgehoben und die Firma gemäß § 40 FBG infolge Vermögenslosigkeit gelöscht (siehe Firmenbuchauszug vom , OZ 7).

Mit Vorhaltschreiben vom (OZ 10) hielt die Abgabenbehörde dem Beschwerdeführer vor, dass sie ihn zur Haftung heranzuziehen beabsichtige. Er sei bis zur Insolvenzeröffnung als Vertreter gemäß § 83 BAO bestellt gewesen. Aufgrund seiner Funktion als Prokurist sei er für die kaufmännischen und finanziellen Agenden der Gesellschaft zuständig gewesen und daher sei ihm die Wahrnehmung der abgabenrechtlichen Verpflichtung der Gesellschaft oblegen (Seite 2).

Mit dem hier angefochtenen Bescheid vom (OZ 1) zog die Abgabenbehörde den Beschwerdeführer gemäß § 9 BAO zur Haftung für Umsatzsteuer für 02/2015 im Betrag von 35.962,63 € heran, wobei sie in der Begründung ausführte, dass der Beschwerdeführer als Prokurist ein Vertreter der Gesellschaft "im Sinne der §§ 9 und 83 BAO" gewesen sei (Seite 1).

Dagegen erhob der Beschwerdeführer mit Eingabe vom (OZ 3) die (als Einspruch bezeichnete) Beschwerde und beantragte die Aufhebung des angefochtenen Bescheides.

Die Abgabenbehörde wies die Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung vom (OZ 4) als unbegründet ab.

Der Beschwerdeführer stellte gegen die Beschwerdevorentscheidung den (als Einspruch bezeichneten) Antrag auf Entscheidung über die Bescheidbeschwerde durch das Verwaltungsgericht (OZ 6).

Die Abgabenbehörde legte die Bescheidbeschwerde dem Bundesfinanzgericht mit Vorlagebericht vom zur Entscheidung vor.

Der Beschwerdeführer hat weder die mündliche Verhandlung noch die Entscheidung durch den Senat beantragt.

Das Bundesfinanzgericht hat über die Bescheidbeschwerde erwogen:

Die in den §§ 80 ff. bezeichneten Vertreter haften neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können (§ 9 Abs. 1 BAO).

Die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen haben alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen, und sind befugt, die diesen zustehenden Rechte wahrzunehmen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden (§ 80 Abs. 1 BAO).

Zur Vertretung juristischer Personen können Vertreter sowohl durch Gesetz als auch durch Vertrag berufen sein, wobei nach den abgabenrechtlichen Vorschriften zwischen den beiden Vertretungsarten nicht unterschieden wird ().

Die Prokura kann nur von einem in das Firmenbuch eingetragenen Unternehmer oder seinem gesetzlichen Vertreter und nur mittels ausdrücklicher Erklärung erteilt werden (§ 48 UGB).

Die Prokura ermächtigt zu allen Arten von gerichtlichen und außergerichtlichen Geschäften und Rechtshandlungen, die der Betrieb eines Unternehmens mit sich bringt. Für diese bedarf es keiner besonderen Vollmacht nach § 1008 ABGB (§ 49 UGB).

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Geschäftsführer einer GmbH, wenn er einen Prokuristen mit den steuerlichen Agenden betraut, ihn zumindest in solchen Abständen zu überwachen, die es ausschließen, dass ihm Steuerrückstände verborgen bleiben (vgl. z.B. ). Hingegen kommt eine Überprüfung der Tätigkeit des mit der Entrichtung der Steuern der Gesellschaft betrauten (oder hiefür verantwortlichen) Geschäftsführers durch den anderen Geschäftsführer nur dann in Betracht, wenn ein Anlass vorliegt, an der Ordnungsmäßigkeit seiner Geschäftsführung zu zweifeln (vgl. Z.B. VwGH vS , 91/13/0037).

Wäre ein (mit den steuerlichen Agenden der Gesellschaft betrauter) Prokurist eine zur Vertretung juristischer Personen berufene Person im Sinne des § 80 Abs. 1 BAO, so bestünde diesbezüglich keine laufende Überwachungspflicht durch den Geschäftsführer, sondern - wie im Falle von mehreren Geschäftsführern, von denen ein Geschäftsführer mit den steuerlichen Agenden der Gesellschaft betraut ist - lediglich eine anlassbezogene Überwachungspflicht.

Beim Prokuristen handelt es sich daher um keine zur Vertretung juristischer Personen berufene Person im Sinne des § 80 Abs. 1 BAO, weshalb die Heranziehung des Beschwerdeführers zur Haftung nicht auf diese Bestimmung gestützt werden durfte.

Die Abgabenbehörde stützt den angefochtenen Bescheid ausdrücklich darauf, dass der Beschwerdeführer ein Vertreter der Gesellschaft im Sinne des § 83 BAO gewesen sei.

Die Parteien und ihre gesetzlichen Vertreter können sich, sofern nicht ihr persönliches Erscheinen ausdrücklich gefordert wird, durch natürliche voll handlungsfähige Personen, juristische Personen oder eingetragene Personengesellschaften vertreten lassen, die sich durch eine schriftliche Vollmacht auszuweisen haben (§ 83 Abs. 1 BAO).

§ 83 BAO normiert das Recht einer Partei, sich vor der Abgabenbehörde - wenn nicht ihr persönliches Erscheinen ausdrücklich gefordert wird - vertreten zu lassen. Die Bestimmung begründet aber für den Vertreter - anders als nach §§ 80 und 81 BAO - keine Verantwortlichkeit für abgabenrechtliche Pflichten des Vertretenen. Der Bevollmächtigte mag auf Grund der Vollmacht berechtigt sein, namens des Vertretenen jede Erklärung gegenüber der Abgabenbehörde abzugeben. Die Übertragung der Erfüllung der dem Vertretenen obliegenden Pflichten kommt aber darin nicht zum Ausdruck (ähnlich zu § 33 ASVG und § 34 ASVG: ). Die Heranziehung eines in § 83 Abs. 1 BAO bezeichneten Vertreters zur Haftung gemäß § 9 BAO für Abgaben des Vertretenen ist daher nicht zulässig.

Ob der Beschwerdeführer allenfalls gemäß § 9a BAO zur Haftung hätte herangezogen werden können, hatte das Bundesfinanzgericht nicht zu beurteilen.

Der angefochtene Bescheid war daher aufzuheben.

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Da diese Voraussetzung vorliegt, war auszusprechen, dass eine Revision zulässig ist.

Graz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 49 UGB, Unternehmensgesetzbuch, dRGBl. S 219/1897
§ 80 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 83 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 9 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 48 UGB, Unternehmensgesetzbuch, dRGBl. S 219/1897
Verweise



Zitiert/besprochen in
ECLI
ECLI:AT:BFG:2023:RV.2100214.2023

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at