Eigenanspruch eines in einer sozialpädagogischen Einrichtung betreuten Kindes auf Familienbeihilfe
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin***Ri***
in der Beschwerdesache des ***Bf1***, ***Bf1-Adr***,
vertreten durch Bezirkshauptmannschaft ***1***, Adresse w. o.,
betreffend den Bescheid des ***FA*** vom
hinsichtlich Abweisung eines Antrages auf Familienbeihilfe ab Februar 2021,
Steuernummer ***BF1StNr1***,
zu Recht erkannt:
I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.
Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.
Familienbeihilfe steht dem Beschwerdeführer gemäß § 6 Abs. 5 FLAG 1967 ab Februar 2021 zu.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
I. Verfahrensgang
Der Bescheid, mit dem der Antrag des durch die Bezirkshauptmannschaft ***1*** vertretenen minderjährigen Beschwerdeführers abgewiesen wurde, wurde nach anfänglicher Zustellung an eine falsche Adresse am neuerlich gültig zugestellt.
Der Bescheid enthält die Begründung, dass der Beschwerdeführer im Haushalt seiner Eltern lebe oder diese überwiegend seinen Lebensunterhalt finanzierten. Deshalb habe er selbst keinen Anspruch auf Familienbeihilfe gemäß § 6 Abs. 5 FLAG 1967. Es liege eine Bestätigung vor, wonach der Beschwerdeführer jedes Wochenende bei seinen Eltern verbringe. Aufgrund dieser Wochenendbesuche gelte die Haushaltszugehörigkeit nicht als aufgehoben und es bestehe somit kein Eigenanspruch des Kindes.
Es langte eine Beschwerde ein, in welcher seitens der Bezirkshauptmannschaft als Vertreterin des Beschwerdeführers ausgeführt wurde:
Der minderjährige Beschwerdeführer sei am im Rahmen einer Hilfe zur vollen Erziehung in einer Einrichtung der Stiftung ***2*** vollstationär untergebracht worden. Er verbringe jedes Wochenende zu Hause bei seinen Eltern. Soweit § 2 Abs. 5 lit. a FLAG 1967 besage, dass eine "lediglich vorübergehende" Abwesenheit vom Haushalt der Eltern die Haushaltszugehörigkeit nicht aufhebe, sei auf die VwGH-Rechtsprechung zu verweisen, wonach eine durchgehende und lang anhaltende Unterbringung in einem Kinderheim im Zuge einer Maßnahme der Jugendwohlfahrt nicht mehr als "nur vorübergehender" Aufenthalt außerhalb der gemeinsamen Wohnung im Sinne des § 2 Abs. 5 lit. a FL AG 1967 angesehen werden könne ().
Bei der Unterbringung des Kindes in der sozialpädagogischen Einrichtung ***2*** handle es sich um eine Hilfe zur Erziehung (volle Erziehung) gemäß § 21 des ***5*** KJH-G.
Das Kind verbringe daher jedenfalls nicht die überwiegende Zeit im Haushalt seiner Eltern. Die Beantwortung der Frage, mit welcher Person ein Kind die Wohnung teile, hänge ganz wesentlich davon ab, in wessen Wohnung das Kind regelmäßig nächtige und liege jedenfalls dann vor, wenn die betreffende Person die üblicherweise mit diesen Nächtigungen in Zusammenhang stehenden altersadäquaten Betreuungsmaßnahmen, etwa morgendliche und abendliche Körperpflege oder Begleitung zur Schule, erbringe. Ein im Haushalt der Kindeseltern in der schulfreien Zeit zur Nutzung für das Kind bereitstehendes Zimmer besage allein nicht, dass es auch tatsächlich genutzt werde bzw., wenn eine Nutzung stattfinde, ob diese nur vorübergehenden Besuchszwecken diene (; , 1562/68).
Der Aufenthalt des Kindes bei seinen Eltern an den Wochenenden oder in den Ferien diene daher jedenfalls im Sinne der zitierten Rechtsprechung lediglich einem vorübergehenden Besuchszweck, sodass nicht von einem gemeinsamen Haushalt des Kindes mit den Eltern ausgegangen werden könne.
Außerdem liege keine überwiegende Bestreitung des Lebensunterhaltes des Kindes durch die Eltern vor. Die Kindesmutter bezahle monatlich € 47,00 an Kostenersatz, der Kindesvater € 190,00.
Die Voraussetzungen des § 6 Abs. 5 FLAG 1967, wonach Kinder, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisteten und deren Unterhalt nicht zur Gänze aus Mitteln der Kinder-und Jugendhilfe oder nicht zur Gänze aus öffentlichen Mitteln getragen werde, unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe hätten wie Vollwaisen, lägen im Streitfall vor (§ 6 Abs. 1-3 FLAG 1967). Es sei daher dem Antrag auf Gewährung der Familienbeihilfe stattzugeben.
In der Folge erging seitens der Abgabenbehörde eine abweisende Beschwerdevorentscheidung in welcher ausgeführt wurde:
Der Beschwerdeführer lebe im Haushalt seiner Eltern oder diese finanzierten überwiegend seinen Lebensunterhalt. Dadurch habe er keinen Anspruch auf Familienbeihilfe. Der Abweisungsbescheid sei am an die richtige Adresse gesendet worden, die Beschwerde sei daher rechtzeitig eingebracht worden. Laut vorliegenden Meldedaten habe der Beschwerdeführer laufend den Hauptwohnsitz bei seinen Eltern in ***3***, ab zudem einen Nebenwohnsitz an der Adresse der Stiftung ***2***. Gemäß einer vorliegenden Bestätigung vom verbringe der minderjährige Beschwerdeführer jedes Wochenende im Haushalt der Eltern, die Haushaltszugehörigkeit zu den Eltern sei daher nicht aufgehoben. Es bestehe daher ein vorrangiger Anspruch auf Familienleistungen durch die Eltern.
Die Bezirkshauptmannschaft als Vertreterin des minderjährigen Beschwerdeführers brachte in der Folge einen Antrag auf Vorlage der Beschwerde an das Bundesfinanzgericht ein. Sie führte darin vorerst aus:
Die Beschwerdevorentscheidung vom , mit der die Beschwerde als unbegründet abgewiesen worden sei, sei der Bezirkshauptmannschaft ***1*** nicht zugestellt worden. Auf einem dem Finanzamt rückübermittelten Rückschein sei lediglich "Nicht behoben" vermerkt gewesen, es sei keine Verständigung über die Hinterlegung am Abgabeort hinterlassen worden. Es liege daher keine ordnungsgemäße Zustellung durch Hinterlegung vor.
Mit tatsächlicher Zustellung am sei der Zustellmangel behoben worden, die Rechtsmittelfrist habe gemäß § 7 ZustG erst mit diesem Zeitpunkt zu laufen begonnen.
Es werde daher in eventu beantragt, eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Einbringung eines Vorlageantrages aufgrund des Vorliegens eines unabwendbaren oder unvorhersehbaren Ereignisses in Form einer nicht erfolgten Zustellung zuzulassen.
Im Weiteren wurde das bisherige Beschwerdevorbringen wiederholt. Es wurde betont, dass das Kind sich nur an den Wochenenden bzw. in den Ferien bei seinen Eltern aufhalte und man daher nur von einem vorübergehenden Besuchszweck im Sinne der zitierten Judikatur sprechen könne sowie, dass der Lebensunterhalt des Kindes nicht überwiegend durch die Eltern getragen werde.
Deshalb bestehe Anspruch auf die Familienbeihilfe gemäß § 6 Abs. 5 FLAG 1967.
II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
1. Sachverhalt
Der minderjährige Beschwerdeführer wird im Rahmen einer Hilfe zur vollen Erziehung seit in der Kinderwohngruppe ***4*** 1 der sozialpädagogischen Einrichtung Stiftung ***2*** betreut.
Seit ist er an der Adresse der Stiftung ***2*** in ***4*** mit Nebenwohnsitz gemeldet.
Der Beschwerdeführer verbringt die Wochenenden von Freitagabend bis Sonntagabend bei seinen Eltern in ***3***, wo er mit Hauptwohnsitz gemeldet ist.
Die Kindesmutter bezahlt monatlich € 47,00 an Kostenersatz für den Lebensunterhalt des Kindes, der Kindesvater € 190,00.
Die Feststellungen zum Sachverhalt gründen sich auf unstrittigen Akteninhalt sowie auf einen Auszug aus dem Zentralmelderegister.
2. Gesetzliche Grundlagen und rechtliche Beurteilung
2.1. Zu Spruchpunkt I. (Stattgabe)
Gemäß § 6 Abs. 5 FLAG 1967 haben Kinder, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten und deren Unterhalt nicht zur Gänze aus Mitteln der Kinder-und Jugendhilfe oder nicht zur Gänze aus öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfs getragen wird, unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs. 1-3).
Gemäß § 2 Abs. 5 FLAG 1967 gehört ein Kind dann zum Haushalt einer Person, wenn es bei einheitlicher Wirtschaftsführung eine Wohnung mit dieser Person teilt. Die Haushaltszugehörigkeit gilt nicht als aufgehoben, wenn sich das Kind nur vorübergehend außerhalb der gemeinsamen Wohnung aufhält (lit. a leg. cit.).
Gemäß § 21 Abs. 1 KHJ-G (***5*** Kinder-und Jugendhilfegesetz) gilt: Ist zu erwarten, dass die Gefährdung eines Kindes oder Jugendlichen nur durch eine Betreuung außerhalb der Familie oder des sonstigen bisherigen Wohnumfeldes abgewendet werden kann, ist Kindern und Jugendlichen volle Erziehung zu gewähren. Gemäß Abs. 2 leg. cit. umfasst die volle Erziehung die Ausübung der Pflege und Erziehung; sie erfolgt in sozialpädagogischen Einrichtungen oder bei Pflegeeltern.
Gemäß § 25 Abs. 1 des KHJ-G sind sozialpädagogische Einrichtungen solche, die zur Ausübung der Pflege und Erziehung von Kindern und Jugendlichen im Rahmen der vollen Erziehung bestimmt sind. Gemäß Abs. 2 leg cit. sind sozialpädagogische Einrichtungen: Einrichtungen zur stationären Krisenintervention (a), Einrichtungen zur Pflege und Erziehung von Kindern und Jugendlichen (b), Einrichtungen für das ambulant betreute Wohnen für Jugendliche (c) und nicht ortsfeste Formen der Sozialpädagogik (d).
Strittig ist: Hat der minderjährige Beschwerdeführer einen Eigenanspruch auf Familienbeihilfe iSd § 6 Abs. 5 FLAG 1967?
Vorab ist festzustellen: Erfolgt eine Hinterlegung iSd § 17 Abs. 1 ZustG ohne schriftliche Verständigung gemäß Abs. 2 leg cit. oder ist die Verständigung fehlerhaft, so ist die Hinterlegung rechtswidrig und daher unwirksam.
Eine Heilung des Zustellmangels ist lediglich durch tatsächliches Zukommen nach § 7 ZustG möglich (Ritz, BAO6, § 17 ZustG, Tz 9 ff).
Die Vertretung des Beschwerdeführers hat im Vorlageantrag vorgebracht, keine Verständigung über die Hinterlegung der Beschwerdevorentscheidung vom erhalten zu haben, vielmehr erst auf telefonische Nachfrage vom erfahren zu haben, dass die Beschwerdevorentscheidung hinterlegt und als nicht behoben an das Finanzamt zurückgesendet worden sei. Erst mit der tatsächlichen Zustellung vom habe daher die Frist für die Einbringung eines Vorlageantrages zu laufen begonnen.
Seitens der Abgabenbehörde wurde diesem Vorbringen im Vorlagebericht nicht widersprochen. Der mangels Verständigung über die Hinterlegung vorliegende Zustellmangel (§ 17 Abs. 2 ZustG) wurde insofern durch die tatsächliche Zustellung vom (§ 7 ZuStG) geheilt und der Vorlageantrag vom langte rechtzeitig ein.
Ein weiteres Eingehen auf den in-eventu-Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erübrigt sich daher.
Das BFG kann im Weiteren der in der Beschwerdevorentscheidung vertretenen Rechtsmeinung, wonach ein vorrangiger Anspruch der Eltern auf die Familienleistungen bestehe, weil die Haushaltszugehörigkeit iSd § 2 Abs. 5 FLAG zu ihnen nicht aufgehoben sei, nicht folgen:
Schon in Beschwerde und Vorlageantrag wurde die VwGH-Rechtsprechung zitiert, wonach ein Kind dort haushaltszugehörige ist, wo es regelmäßig nächtigt und altersadäquat - etwa hinsichtlich Sorgetragung für morgendliche und abendliche Körperpflege, Begleitung zur Schule, Versorgung mit Nahrung etc. - betreut wird () sowie, dass ein Kind, welches sich außerhalb der Familienwohnung aufhält, nur dann als noch haushaltszugehörig angesehen werden kann, wenn der anderweitige Aufenthalt nur ein "vorübergehender" ist. Die Abwesenheit darf daher, um nicht zur Auflösung der Wohnungsgemeinschaft zu führen, nur eine zeitlich beschränkte sein ( sowie Lenneis/Wanke, FLAG2, § 2, Rz 146). Eine durchgehend rund zwei Jahre dauernde Unterbringung in einem Kinderheim im Zuge einer Maßnahme der Jugendwohlfahrt (volle Erziehung gemäß § 29 des burgenländischen Jugendwohlfahrtsgesetzes bei Übertragung der Obsorge an die Bezirkshauptmannschaft) kann nicht mehr als nur vorübergehender Aufenthalt außerhalb der gemeinsamen Wohnung im Sinne des § 2 Abs. 5 lit. a FLAG 1967 angesehen werden ().
Die Abgabenbehörde ist auf die insoweit in der höchstgerichtlichen Rechtsprechung erfolgte Aufarbeitung der Thematik in ihrer Beschwerdevorentscheidung und im Vorlagebericht nicht eingegangen, sondern hat lediglich die Begründung des abweisenden Bescheides wiederholt und auf die nach wie vor bestehende Meldung des Kindes mit Hauptwohnsitz bei den Eltern in ***3*** hingewiesen.
Für den Streitfall ist aus den zitierten Judikaten abzuleiten, dass der minderjährige Beschwerdeführer, der seit Jänner 2021 im Rahmen der vollen Pflege und Erziehung gemäß §§ 21 und 25 KHJ-G in einer sozialpädagogischen Einrichtung betreut wird, nicht mehr bei seinen Eltern haushaltszugehörig ist. Die bei ihnen aufrechte Meldung mit Hauptwohnsitz und die zeitlich eingegrenzten Besuche am Wochenende vermögen daran nichts zu ändern (vgl. auch ).
Im Übrigen stellt - wie ebenfalls schon in der Beschwerde und im Vorlageantrag ausgeführt - der monatliche Kostenbeitrag durch die Eltern (€ 47,00 durch die Mutter, € 190,00 durch den Vater) keine überwiegende Unterhaltsleistung der Eltern dar.
Es liegen daher die Voraussetzungen für einen Eigenanspruch des Beschwerdeführers auf Familienbeihilfe gleich einem Vollwaisen gemäß § 6 Abs. 5 FLAG 1967 vor.
Insgesamt war wie im Spruch zu entscheiden.
2.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Die Lösung der in Streit stehenden Rechtsfrage findet Deckung in der zitierten höchstgerichtlichen Judikatur.
Feldkirch, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer FLAG |
betroffene Normen | § 2 Abs. 5 lit. a FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 § 6 Abs. 5 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2023:RV.1100104.2023 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at