Rechtsmittelverzicht; Rechtsfolgen der Verzichtserklärung nur für die Partei, die den Rechtsmittelverzicht abgegeben hat
Entscheidungstext
Beschluss
Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Mag. Josef Ungericht in der Beschwerdesache des ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Treuhand-Union Innsbruck Wirtschaftstreuhand- und Steuerberatungsgesellschaft mbH, Anton-Melzer-Straße 7, 6020 Innsbruck, über die Beschwerde vom gegen die Bescheide des Finanzamtes Österreich vom über die Festsetzung der Kapitalertragsteuer für die Zeiträume 2015, 2016, 2017 und 2018, beschlossen:
I. Die angefochtenen Bescheide vom über die Festsetzung der Kapitalertragsteuer für die Zeiträume 2015, 2016, 2017 und 2018 sowie die Beschwerdevorentscheidung vom werden gemäß § 278 Abs. 1 BAO unter Zurückverweisung der Sache an das Finanzamt aufgehoben.
II. Gegen diesen Beschluss ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Begründung
I. Verfahrensgang
1.1. Mit den an den Beschwerdeführer (in der Folge kurz: Bf.) ergangenen Bescheiden über die Festsetzung der Kapitalertragsteuer für die Zeiträume 2015 bis 2018 (Bescheide jeweils vom ) hat das Finanzamt die Kapitalertragsteuer gemäß § 95 Abs. 4 EStG 1988 für die Zeiträume 2015 bis 2018 festgesetzt.
1.2. Diese nunmehr angefochtenen Bescheide resultieren aus einer die Jahre 2015 bis 2018 betreffenden Betriebsprüfung bei der A. Gmb, an der der Bf. (mittelbar) zu 50 % beteiligt ist bzw. war (vgl. Bericht über das Ergebnis der Außenprüfung gem. § 150 BAO vom ).
1.3. Begründend führte das Finanzamt in den Bescheiden über die Festsetzung der Kapitalertragsteuer für die Zeiträume 2015 bis 2018 unter teilweiser Wiedergabe des § 95 Abs. 1 und 4 EStG 1988 an, dass die Haftung gemäß § 95 Abs. 1 EStG 1988 bedingt durch die Eröffnung der Insolvenz der geprüften A. GmbH nicht oder nur erschwert durchsetzbar erscheine.
2. Der Bf. erhob durch seine steuerliche Vertretung mit Schreiben vom fristgerecht Beschwerde gegen die Bescheide über die Festsetzung der Kapitalertragsteuer für die Zeiträume 2015 bis 2018 (Bescheide jeweils vom ). In der Beschwerde wurde beantragt, "die Haftungsbescheide zur Gänze aufzuheben" und als Begründung ausgeführt:
"Im Rahmen einer Betriebsprüfung, welche im Zeitraum Februar 2019 bis März 2020 durchgeführt wurde, sind Kalkulationsdifferenzen aufgetaucht. Diese konnten letztlich nicht geklärt werden, es wurde jedoch bereits im Februar 2020 der Prüfungsabteilung mitgeteilt, daß der Steuerpflichtige niemals im Service tätig war, über keinen Kellnerschlüssel verfügte, sich aufgrund eines Traktorunfalles im August 2016 bis Mai 2017 im Krankenhaus befand, danach an den Rollstuhl gefesselt war und sich erst später nur mühsam mit Krücken fortbewegen konnte. Es ist daher mit Sicherheit auszuschließen, daß Geldmittel dem Steuerpflichtigen zugeflossen sind.
Aufgrund der ungeklärten Kalkulationsdifferenzen kam es im Jahr 2017 zur Entlassung eines früheren Mitarbeiter, welcher de facto als Geschäftsführer tätig war und für Kellnerabrechnungen verantwortlich war. Es wurde Strafanzeige erhoben und es kam in der Folge zu Zeugeneinvernahmen durch die Staatsanwaltschaft.
Es wurden dem Betrieb der A. GmbH keine Geldmittel entzogen. Im Gegenteil war es so, daß die A. GmbH die fälligen Gebäudemieten, welche an Herrn ***Bf1*** zu zahlen gewesen wären, nicht bedienen konnte.
Eine Haftung gem. § 95 (4) EStG 1988 wird schlagend, wenn es zu entsprechenden Geldflüssen kommt. Dass eine verdeckte Ausschüttung nicht notwendigerweise an den Gesellschafter der ausschüttenden Gesellschaft gehen muss, hat der Verwaltungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen und dabei zum Ausdruck gebracht, dass eine verdeckte Ausschüttung auch dann dem Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft zuzurechnen ist, wenn die von der Gesellschaft gewährten Vorteile nicht diesen, sondern einer ihm nahestehenden Person zufließen (vgl. ; , 2008/15/0039).
Diese Ausschüttungen bzw. Vorteilszuwendungen fanden jedoch weder auf direktem noch auf indirektem Wege statt. Als Beweis dafür ist das Verfahren gg. den ehemaligen Mitarbeiter ins Treffen zu führen. Wäre es so gewesen, daß dieser im Auftrag des Steuerpflichtigen Umsätze vereinnahmt hätte, ohne diese in der Registrierkasse zu erfassen und dann dieselben an den Steuerpflichtigen abgeführt hätte, wäre es logischerweise nicht zu einer Strafanzeige gekommen.
Dies wurde auch der Betriebsprüfungsabteilung zur Kenntnis gebracht. Ebenso wurde am Selbstanzeige gem. § 29 FinStrG hinsichtlich des Jahres 2018 gemacht. Im Jahr 2018 war der genannte Mitarbeiter nicht mehr im Betrieb tätig, trotzdem kam es zu Kalkulationsdifferenzen. Hier wurde in der Selbstanzeige die Vermutung geäußert, daß die Kalkulationsdifferenzen durch die B., welche dem Lokal angeschlossen war und Zugang zu den Getränkevorräten im Keller hatte, der Grund für die Kalkulationsabweichungen im restlichen Jahr 2017 und 2018 war. Dieser Zugang wurde ab dem geschlossen und das Jahr 2019 weist einen im Vergleich zu den Vorjahren um 30% niedrigeren Wareneinsatz auf. Die Kalkulationsdifferenzen belaufen sich auf unter 10%.
Daraus kann geschlossen werden, daß dem Steuerpflichtigen keine Gelder zugeflossen sind.
…"
3. Mit Beschwerdevorentscheidung vom hat das Finanzamt die Beschwerde gegen die angefochtenen Bescheide gemäß § 260 BAO zurückgewiesen. Begründend hat das Finanzamt angegeben, dass bei der Betriebsprüfung der A.-GmbH erhebliche Kalkulationsdifferenzen festgestellt worden seien, dass die Ordnungsmäßigkeit der Buchführung nicht gegeben sei und in der Folge eine Schätzungsberechtigung gem. § 184 BAO bestehe. Entsprechende Erlöshinzuschätzungen seinen vorgenommen worden. Den in der Beschwerde vorgebrachten Einwendungen sei bereits insofern Rechnung getragen worden, als nur 50 % der Hinzuschätzungen als verdeckte Ausschüttungen behandelt worden seien.
Im Zuge der Schlussbesprechung sei niederschriftlich bekannt gegeben worden, dass die Kapitalertragsteuer von den Gesellschaftern getragen würde. Außerdem sei gem. § 255 Abs. 2 BAO auf die Einbringung eines Rechtsmittels verzichtet worden, worüber mit Datum eine separate Niederschrift aufgenommen worden sei. In dieser Niederschrift seien die entsprechenden Mehrsteuern an Umsatz-, Körperschaft- und der - nun mit Beschwerde bekämpften - Kapitalertragsteuer ausgewiesen.
Nach Ansicht der Behörde liege somit ein gültiger Rechtsmittelverzicht vor, auch wenn in der Folge die Kapitalertragsteuer nicht gem. § 95 Abs. 1 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 EStG 1988 an die A.-GmbH als Haftungspflichtige vorgeschrieben worden seien, sondern die Vorschreibung gem. § 95 Abs. 4 EStG 1988 direkt an den Gesellschafter erfolgt sei.
Die Beschwerde sei daher gem. § 260 Abs. 1 lit. a BAO zurückzuweisen gewesen.
4. Dagegen brachte der Bf. mit Schreiben vom einen Vorlageantrag ein. Seitens der steuerlichen Vertretung wurde darin ergänzend zur Beschwerde vom vorgebracht, in Anbetracht der Tatsache, dass sich der Bf. über einen Großteil des Zeitraumes in der Klinik befunden und erst sehr langsam wieder in seinen normalen Alltag zurückgefunden habe mit dem Umstand, dass ein Strafverfahren gegen einen ehemaligen Mitarbeiter gestartet worden sei und das Entstehen eines reduzierten Wareneinsatzes durch die Versperrung des Zuganges zum Lager, könne nicht davon ausgegangen werden, dass Vorteilszuwendungen bzw. Geldmittel an den Bf. gewährt worden seien. Auch die vom Finanzamt genannten 50% der hinzugerechneten Beträge als Ausschüttungen zu behandeln, würde die tatsächlichen Gegebenheiten nicht widerspiegeln. Denn dem Bf. seien weder direkte noch indirekte Vorteilszuwendungen bzw. Ausschüttungen gewährt worden. Hätte der ehemalige Mitarbeiter im Auftrag des Bf. Umsätze vereinnahmt, ohne diese in der Registrierkasse zu erfassen, dann wäre nicht Strafanzeige gegen den ehemaligen Mitarbeiter erhoben worden.
In Bezug auf den in der Beschwerdevorentscheidung angesprochenen Rechtsmittelverzicht wurde im Vorlageantrag eingewendet, dass dieser gegenüber der A. GmbH gelte, da diese den Verzicht in der Niederschrift vom auch unterzeichnet habe. Allerdings gelte der Verzicht nicht gegenüber dem Bf. persönlich. Der Bf. habe den Verzicht nicht persönlich unterzeichnet und habe somit nicht auf sein Rechtsmittel in Bezug auf die Festsetzung der Kapitalertragsteuern aus den Zeiträumen von 2015 bis 2018 verzichtet.
5. Der eingebrachte Vorlageantrag vom wurde dem Bundesfinanzgericht am zur Entscheidung vorgelegt (Vorlagebericht des Finanzamtes vom ).
Im Vorlagebericht vom hat das Finanzamt folgende Stellungnahme angeführt:
"Im Vorlageantrag wird ausgeführt, dass der Verzicht nicht gegenüber Hr. ***Bf1*** gilt, da dieser nicht persönlich unterzeichnet hat und somit nicht auf sein Rechtsmittel in Bezug auf die Festsetzung der Kapitalertragsteuern aus den Zeiträumen 2015 bis 2018 verzichtet. Hierzu ist anzumerken, dass Hr. ***Bf1*** offensichtlich bei der Schlussbesprechung nicht anwesend war (ist auf der Niederschrift nicht angeführt). Der Verzicht wurde somit vom steuerlichen Vertreter - auch im Namen von Herrn ***Bf1*** - abgegeben. Gem. BAO-Kommentar Ritz/Koran, 7. Aufl. (2021), § 255 Rz 3 kann eine Verzichtserklärung auch von einem bevollmächtigten Vertreter wirksam abgegeben werden.
Im Übrigen wird noch darauf verwiesen, dass im Zuge der Niederschrift zur Schlussbesprechung vom steuerlichen Vertreter erklärt wurde, dass die Kapitalertragsteuer (KESt) von den Gesellschaftern (somit auch von Herrn ***Bf1***) getragen wird. Ansonsten hätte ja auch die KESt wiederum eine verdeckte Ausschüttung dargestellt und es wäre zu einer höheren Vorschreibung an KESt gekommen. Auf Grund dieser Erklärung wäre ja Hr. ***Bf1*** auch verpflichtet gewesen die KESt an die Gesellschaft zurückzuzahlen. Auch diese Rückzahlung ist aber nicht erfolgt.
Nach Ansicht der belangten Behörde liegt daher ein gültiger Rechtsmittelverzicht vor.
Es wird somit beantragt die Beschwerde als unzulässig zurückzuweisen."
II. Sachverhalt, Rechtsgrundlagen und rechtliche Würdigung
1. Sachverhalt
Den Ausgangssachverhalt für das gegenständliche Beschwerdeverfahren bildet die vorgenommene Betriebsprüfung bei der am im Firmenbuch eingetragenen A. Gmb mit dem Geschäftszweig Gastronomiebetrieb und Durchführung von Veranstaltungen bzw. der darüber von der Prüferin erstellte Betriebsprüfungsbericht (vgl. Bericht über das Ergebnis der Außenprüfung gem. § 150 BAO vom ).
Nach dem vorliegenden Betriebsprüfungsbericht vom sind an der A. GmbH je zur Hälfte die "B. GmbH" und die "***Bf1*** Vermietungs- und Verpachtungs GmbH" beteiligt. Im Zeitraum vom bis wurde Hr. XX. bei der Firma A. als Geschäftsführer eingesetzt. Gegen Hr. XX. wurde wegen diverser Vergehen, u.a. Verdacht auf Veruntreuung, Anzeige erstattet. Das Verfahren war laut Betriebsprüfungsbericht im Zeitpunkt der Erstellung des Betriebsprüfungsberichtes vom noch offen (vgl. Tz. 1 Sachverhaltsdarstellung des Betriebsprüfungsberichts).
Gesellschafter der ***Bf1*** Vermietungs- & Verpachtungs GmbH ist der Bf. (100 %).
Im Rahmen der Betriebsprüfung wurden Kalkulationsdifferenzen festgestellt, und diese von der Prüferin (brutto) als verdeckte Gewinnausschüttung behandelt, wobei auf "Grund der Malversationen der Mitarbeiter und der eingebrachten Anzeige betreffend Hr. XX." nur 50% der Kalkulationsdifferenzen als verdeckte Gewinnausschüttung gewertet wurden. Lt. Mitteilung des steuerlichen Vertreters wird die Kapitalertragssteuer von den Gesellschaftern getragen (vgl. Tz. 4 des Betriebsprüfungsberichts vom ).
Im Rahmen der Betriebsprüfung wurde eine "Niederschrift über die Erklärung von Rechtsmittelverzichten gem. § 255 Abs. 2 Bundesabgabenordnung (BAO) anlässlich der Außenprüfung gem. § 147 BAO bei: A. GmbH" aufgenommen. In dieser von der Prüferin und dem steuerlichen Vertreter unterfertigten Niederschrift vom heißt es: "Nach Abschluss der Außenprüfung gem. § 147 BAO erklärt die/der Abgabepflichtige bzw. die/der Vertreter/in: Ich verzichte auf das Rechtsmittel der Beschwerde gegen folgende, auf Grund nachstehender Übersicht der Bemessungsgrundlagen, Abgabenhöhen und Abweichungen von den bisherigen Festsetzungen zu erteilenden Bescheide."
Nach Beendigung der Betriebsprüfung wurde über das Vermögen der A. Gmb das Konkursverfahrens eröffnet (Beschluss des Gerichtes vom zu zzz.). Mit Beschluss des Gerichtes vom wurde der Konkurs gemäß § 123 a IO mangels Kostendeckung aufgehoben (eingetragen im Firmenbuch am ). Die Gesellschaft ist aufgelöst und gelöscht (eingetragen im Firmenbuch am ).
Dieser Sachverhalt ergibt sich auf Grund der vorliegenden Aktenlage (Bericht über das Ergebnis der Außenprüfung gem. § 150 BAO vom , Niederschrift über die Schlussbesprechung gem. § 149 Abs. 1 BAO, Niederschrift über die Erklärung von Rechtsmittelverzichten vom ), der Einsichtnahme in die Datenbank der Finanzverwaltung sowie der vorgenommenen Einsicht in das Firmenbuch.
Dieser Sachverhalt ist zwischen den Parteien auch unstrittig. Strittig ist, ob die Festsetzung der Kapitalertragsteuer für die Jahre 2015 bis 2018 gegenüber dem Bf. zu Recht oder zu Unrecht erfolgte.
2. Rechtsgrundlagen und rechtliche Würdigung
Der mit "4. Verzicht auf Beschwerde" überschriebene § 255 BAO lautet:
"§ 255. (1) Auf die Einbringung einer Bescheidbeschwerde kann verzichtet werden. Der Verzicht ist schriftlich oder mündlich zu erklären.
(2) Vor Erlassung eines Bescheides kann ein Verzicht rechtswirksam nur abgegeben werden, wenn aus der Verzichtserklärung (Niederschrift) hervorgeht, dass dem Verzichtenden im Zeitpunkt ihrer Abgabe der Inhalt des zu erwartenden Bescheides, bei Abgabenbescheiden die Grundlagen der Abgabenfestsetzung, die Höhe der Abgabe und die Abweichungen von den bisherigen Festsetzungen, bekannt waren. Eine Abschrift der Niederschrift ist dem Abgabepflichtigen auszufolgen.
(3) Eine trotz Verzicht eingebrachte Bescheidbeschwerde ist unzulässig (§ 260). Die Möglichkeit, den Bescheid hinsichtlich der Fälligkeit einer festgesetzten Abgabe anzufechten, bleibt unberührt."
Unterschiedliche Ansichten bestehen darüber, ob der in der Niederschrift vom im Rahmen der Betriebsprüfung vom steuerlichen Vertreter abgegebene Rechtsmittelverzicht nur gegenüber der geprüften A. GmbH rechtliche Wirkung entfaltet oder ob dieser Rechtsmittelverzicht auch für den Bf. hinsichtlich der an ihn ergangenen Bescheide über die Festsetzung der Kapitalertragsteuer für die Zeiträume 2015 bis 2018 (Bescheide jeweils vom ) als Rechtsmittelverzicht zu qualifizieren ist.
Seitens des Finanzamtes wird dazu und ausgehend davon, dass der Bf. bei der Schlussbesprechung nicht anwesend war, die Ansicht vertreten, dass der vom steuerlichen Vertreter erklärte Rechtsmittelverzicht auch im Namen des Bf. abgegeben worden sei. Diese Auffassung stützend wird vom Finanzamt unter Hinweis auf Ritz/Koran, BAO-Kommentar, 7. Aufl., § 255 Rz 3, auch darauf hingewiesen, dass eine Verzichtserklärung auch von einem bevollmächtigten Vertreter wirksam abgegeben werden könne. Davon abweichend ist nun allerdings seitens des Bundesfinanzgerichts festzustellen, dass seitens der steuerlichen Vertretung ein Rechtsmittelverzicht ausdrücklich im Namen des Bf. nicht erklärt wurde und sind auch keine Umstände ersichtlich, woraus auf die Annahme eines von der steuerlichen Vertretung in Vertretung für den Bf. erklärten Rechtsmittelverzichts geschlossen werden könnte. Der von der steuerlichen Vertretung abgegebene Rechtsmittelverzicht steht sachverhaltsmäßig mit der vorgenommenen Betriebsprüfung bei der A. GmbH im Zusammenhang und ergibt sich auch aus der über den Rechtsmittelverzicht aufgenommenen Niederschrift vom nichts, woraus auf einen (weiteren) Rechtsmittelverzicht des Bf. geschlossen werden könnte. Wenn im Übrigen das Finanzamt weiters darauf verweist, dass im Zuge der Niederschrift zur Schlussbesprechung vom steuerlichen Vertreter erklärt wurde, dass die Kapitalertragsteuer (KESt) von den Gesellschaftern (somit auch vom Bf.) getragen würde, kann auch daraus kein Rechtsmittelverzicht des Bf. abgeleitet werden.
Dem in der Niederschrift vom von der steuerlichen Vertretung erklärten Rechtsmittelverzicht ist sohin die Bedeutung beizulegen, dass damit ein Rechtsmittelverzicht nach § 255 Abs. 2 BAO für die geprüfte A. GmbH hinsichtlich der auf Grund der Betriebsprüfung zu erwartenden Abgabenbescheide erklärt wurde.
Für Haftende hat ein Rechtsmittelverzicht eines Schuldners keine Wirkung und der Rechtsmittelverzicht eines Haftenden (im Verfahren nach § 248) keine Wirkung gegenüber dem Erstschuldner. Dem durch Rechtsmittelverzicht eines anderen (Abgabenschuldners oder Haftenden) nicht gebundenen Abgabepflichtigen gegenüber kann somit ein anderer Bescheid erlassen werden als der, der die Grundlage des Rechtsmittelverzichtes des einzelnen Verzichtenden bildete, ohne daß dessen Verzicht ihm gegenüber unwirksam würde (vgl. Stoll, BAO-Kommentar, 2609).
Entgegen der Ansicht des Finanzamtes liegt daher ein gültiger Rechtsmittelverzicht des Bf. nicht vor und sind folglich die an den Bf. ergangenen Bescheide über die Festsetzung der Kapitalertragsteuer für die Zeiträume 2015 bis 2018 (Bescheide jeweils vom ) rechtsmittefähig. Die Zurückweisung der vom Bf. erhobenen Beschwerde nach § 260 BAO gegen die Festsetzung der Kapitalertragsteuer für die Zeiträume 2015 bis 2018 erfolgte somit zu Unrecht.
Gemäß § 95 Abs. 1 EStG 1994 ist Schuldner der Kapitalertragsteuer der Empfänger der Kapitalerträge. Der Abzugsverpflichtete (Abs. 2) haftet dem Bund für die Einbehaltung und Abfuhr der Kapitalertragsteuer.
Gemäß § 95 Abs. 4 EStG 1988 ist dem Empfänger der Kapitalerträge die Kapitalertragsteuer ausnahmsweise vorzuschreiben, wenn
1. der Abzugsverpflichtete die Kapitalerträge nicht vorschriftsmäßig gekürzt hat und die Haftung nach Abs. 1 nicht oder nur erschwert durchsetzbar wäre oder
2. der Empfänger weiß, dass der Abzugsverpflichtete die einbehaltene Kapitalertragsteuer nicht vorschriftsmäßig abgeführt hat und dies dem Finanzamt nicht unverzüglich mitteilt.
In den an den Bf. ergangenen angefochtenen Bescheiden über die Festsetzung der Kapitalertragsteuer für die Zeiträume 2015 bis 2018 (Bescheide jeweils vom ) wird als Begründung angegeben, die "Feststellungen wurden im Rahmen der Betriebsprüfung getroffen" und "bedingt durch die Eröffnung der Insolvenz ist von der erschwerten Durchsetzbarkeit der Haftung auszugehen." Dazu ist nun festzustellen, dass auch in dem verwiesenen Betriebsprüfungsbericht vom keine konkreten Angaben enthalten sind, dass der Bf. der Empfänger der Kapitalerträge ist bzw. auch keine konkreten Feststellungen getroffen wurden, dass und in welcher Höhe dem Bf. Kapitalerträge aus den festgestellten Kalkulationsdifferenzen zugeflossen sind. Auch in der Beschwerdevorentscheidung vom wird auf vorgebrachten Einwendungen in der Beschwerde vom nur rudimentär eingegangen, wenn es dort heißt, dass den in der Beschwerde vorgebrachten Einwendungen bereits insofern Rechnung getragen worden sei, "als nur 50 % der Hinzuschätzungen als verdeckte Ausschüttungen behandelt worden seien." Im Kern wurde die Beschwerde auch mit der unzutreffenden Annahme eines vom Bf. erklärten Rechtsmittelverzichts nach § 260 Abs. 1 lit. a BAO zurückgewiesen.
Gemäß § 278 Abs. 1 BAO kann das Verwaltungsgericht mit Beschluss die Beschwerde durch Aufhebung des angefochtenen Bescheides und allfälliger Beschwerdevorentscheidungen unter Zurückverweisung der Sache an die Abgabenbehörde erledigen, wenn Ermittlungen (§ 115 Abs. 1) unterlassen wurden, bei deren Durchführung ein anders lautender Bescheid hätte erlassen werden oder eine Bescheiderteilung hätte unterbleiben können. Eine solche Aufhebung ist unzulässig, wenn die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Nach § 115 Abs. 1 BAO haben die Abgabenbehörden die abgabepflichtigen Fälle zu erforschen und von Amts wegen die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse zu ermitteln die für die Abgabepflicht und die Erhebung der Abgaben wesentlich sind. Diese Verpflichtung wird durch eine erhöhte Mitwirkungspflicht des Abgabepflichtigen, wie beispielsweise bei Auslandssachverhalten, eingeschränkt.
Die aufhebende (die Sache an die Abgabenbehörde zurückverweisende) Beschwerdeerledigung setzt voraus, dass Ermittlungen (§ 115 Abs. 1) unterlassen wurden, bei deren Durchführung ein anders lautender Bescheid hätte erlassen werden oder eine Bescheiderlassung hätte unterbleiben können (vgl. Ritz/Koran, BAO-Kommentar, 7. Aufl., § 278 Rz 9).
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen insbesondere dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterlassen hat, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (vgl. zB , unter Hinweis auf ; Ellinger/Sutter/Urtz, BAO3 § 278 Anm 2a (Stand , rdb.at)).
Im Betriebsprüfungsbericht vom wurde von der Prüferin sachverhaltsmäßig festgestellt, dass im Zeitraum vom bis XX. bei der A. GmbH als Geschäftsführer eingesetzt gewesen sei. Gegen XX. sei wegen diverser Vergehen, u.a. Verdacht auf Veruntreuung, Anzeige erstattet worden. Das Verfahren sei bis dato noch offen (vgl. Tz. 1 des Betriebsprüfungsberichts vom ). Nähere Angaben über den Inhalt der Anzeige bzw. über den Stand dieses Verfahren (zB allfällige Zeugeneinvernahmen) sind im Betriebsprüfungsbericht nicht enthalten. Im Betriebsprüfungsbericht wird im Ergebnis der Schluss gezogen, dass auf Grund der Malversationen der Mitarbeiter und der eingebrachten Anzeige betreffend XX. nur 50% der Kalkulationsdifferenzen als verdeckte Gewinnausschüttung gewertet würden. Auch diesbezüglich ist anzumerken, dass die Frage, um welche Malversationen welcher Mitarbeiter in welchen Zeiträumen es sich dabei handelt, nicht näher konkretisiert wurde.
Auch in den an der Bf. ergangenen Bescheiden über die Festsetzung der Kapitalertragsteuer für die Zeiträume 2015 bis 2018 (Bescheide jeweils vom ) und in der Beschwerdevorentscheidung vom sind diesbezüglich keine Angaben enthalten. Auch mit dem Vorbringen in der Beschwerde vom , wonach bereits im Februar 2020 der Prüfungsabteilung mitgeteilt worden sei, der Bf. sei niemals im Service tätig gewesen, habe über keinen Kellnerschlüssel verfügt, habe sich aufgrund eines Traktorunfalles im August 2016 bis Mai 2017 im Krankenhaus befunden und sei danach an den Rollstuhl gefesselt gewesen und habe sich erst später nur mühsam mit Krücken fortbewegen können, und daher auszuschließen sei, dass dem Bf. Geldmittel zugeflossen seien, hat sich das Finanzamt in der Beschwerdevorentscheidung vom nicht auseinandergesetzt. Gleiches gilt auch für die in der Beschwerde aufgestellte Behauptung, wonach die Kalkulationsabweichungen im restlichen Jahr 2017 und 2018 durch die B. verursacht worden sei.
Feststellungen und konkrete Ermittlungen dahingehend, ob bzw. in welcher Höhe dem Bf. Geldmittel aus den Kalkulationsdifferenzen unter Mitberücksichtigung der seitens der steuerlichen Vertretung aufgezeigten Einwände, wurden vom Finanzamt nicht getroffen. Hiezu ist seitens des Bundesfinanzgerichts festzustellen, dass das Finanzamt gegen die in § 115 Abs. 1 BAO normierte Ermittlungspflicht verstoßen hat. Dies deshalb, da (zumindest) nach Einlangen der vom Bf. erhobenen Beschwerde vom jedenfalls sachverhaltsmäßige Feststellungen zu den vom Bf. durch seine steuerliche Vertretung vorgebrachten Einwendungen bzw. weiters zu den Geldflüssen an den Bf. zu treffen gewesen wären. Dies wurde seitens des Finanzamtes, wohl unter der unzutreffenden Annahme eines Rechtsmittelverzichts seitens des Bf., unterlassen.
Eine Entscheidung anhand der vorliegenden vom Finanzamt dem Bundesfinanzgericht übermittelten Akten ist vor diesbezüglich vorzunehmenden Ermittlungsschritten bzw. Feststellungen nicht möglich. Zudem ist es nach Ansicht des Bundesfinanzgerichtes auch zweifelsfrei nicht ausgeschlossen, dass bei Vornahme der gebotenen Sachverhaltsermittlungen seitens des Finanzamtes ein anders lautender Bescheid erlassen werden hätte können.
Die Aufhebung und Zurückverweisung gem. § 278 Abs 1 BAO steht im Ermessen (§ 20) des Gerichts (vgl. ).
Hingewiesen sei auch darauf, dass es angesichts des Grundsatzes, dass das Bundesfinanzgericht nach der Sach- und Rechtslage zu entscheiden hat, welche im Zeitpunkt seiner Entscheidung vorliegt (vgl. etwa ), es nicht darauf ankommt, ob eine Rechtsansicht oder Rechtsauslegung der Abgabenbehörde schon im Zeitpunkt deren Entscheidung bekannt gewesen ist (vgl. -8, Rn 15).
Zur Ermessensübung (zu § 66 Abs 2 AVG) weist der VwGH (, 2002/20/0315, ZfV B 2004/234) darauf hin, es würde die Anordnungen des Gesetzgebers (über ein zweitinstanzliches Verfahren) unterlaufen, wenn es wegen des Unterbleibens eines Ermittlungsverfahrens in erster Instanz zu einer Verlagerung nahezu des gesamten Verfahrens vor die Rechtsmittelbehörde käme und die Einrichtung von zwei Entscheidungsinstanzen damit zur bloßen Formsache würde. Es sei nicht im Sinn des Gesetzes, wenn die Rechtsmittelbehörde, statt ihre (umfassende) Kontrollbefugnis wahrnehmen zu können, jene Behörde ist, die erstmals den entscheidungswesentlichen Sachverhalt ermittelt und einer Beurteilung unterzieht (vgl. Ritz/Koran, BAO-Kommentar, 7. Aufl., § 278 Rz 5; vgl. zB auch , uHa Ritz, BAO6, Tz 5 zu § 278 BAO und die dort zitierte Judikatur des VwGH und des UFS; vgl. auch Achatz, SWK 2015, S 1248ff [1252f]; Ellinger/Sutter/Urtz, BAO3 § 278 Anm 2a (Stand , rdb.at)).
Das Bundesfinanzgericht müsste im vorliegenden Fall bei Fällung einer Sachentscheidung erstmalig vollumfänglich Sachverhaltsermittlungen durchführen, erstmals daran anschließend den entscheidungsrelevanten Sachverhalt feststellen und in der Folge auf dieser Grundlage erstmals eine einkommensteuerliche Beurteilung vornehmen.
Für die Ermessensübung (§ 20 BAO) zu Gunsten einer Bescheidaufhebung spricht für den vorliegenden Fall weiters, dass dem Bf. der volle Instanzenzug erhalten bleiben soll (vgl. Ritz/Koran, BAO-Kommentar, 7. Aufl., § 278 Rz 5; Fellner, BFGjournal 2015, 441 f, mwN). Im vorliegenden Fall müsste das Bundesfinanzgericht allerdings erstmals über die an den Bf. ergangenen Bescheide über die Festsetzung der Kapitalertragsteuer für die Zeiträume 2015 bis 2018 entscheiden.
Aus diesen Gründen war spruchgemäß zu entscheiden.
Zur Zulässigkeit einer Revision
Gegen einen Beschluss des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Im gegenständlichen Fall wurde von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht abgewichen bzw. ergeben sich die Rechtsfolgen unmittelbar und eindeutig aus den gesetzlichen Bestimmungen, weshalb eine Revision nicht zuzulassen war.
Insgesamt war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Feldkirch, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 115 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 255 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 278 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2023:RV.3100010.2023 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at