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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 22.02.2023, RV/2100359/2021

Die Unterlassung einer Verrechnungsweisung für die abzuführenden Lohnsteuerbeträge kann nicht nachträglich im Haftungsverfahren Berücksichtigung finden; Ermessen; Ausnahme vom Gleichbehandlungsgrundsatz für Abfuhrabgaben

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter ***1*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Kanzlei Kleiner Eberl Brandstätter Steuerberatung GmbH, Burgring 22, 8010 Graz, über die Beschwerde vom gegen den Haftungsbescheid nach § 9 BAO des Finanzamtes Österreich vom Steuernummer ***BF1StNr1*** zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Der Beschwerdeführer (Bf.) ist seit Gründung der C. GmbH (2004) deren Einzelgeschäftsführer.

Mit Beschluss des Landesgerichtes für ZRS Graz wurde über die GmbH ein Sanierungsverfahren ohne Eigenverwaltung eröffnet. Dieses wurde durch einen gerichtlich bestätigten Sanierungsplan, der die Leistung einer Sanierungsquote von 25% vorsah, beendet.

Mit Vorhalt vom teilte die belangte Behörde dem Geschäftsführer mit, auf Grund der nach Entrichtung der Quote noch offenen Abgabenrückständen in Höhe von 18.469,15 € (darin enthalten u.a. L 4/2017 in Höhe von 1.591,70 € und L 5/2017 in Höhe von 1.120,09 €, in Summe: 2.711,79 €) werde geprüft, ob ihn an der Nichtentrichtung der Abgaben eine abgabenrechtliche Pflichtverletzung (Gleichbehandlungsgrundsatz) treffe und er werde zu näher angeführten Entlastungsbeweisen aufgefordert.

Der Geschäftsführer reichte durch seine steuerliche Vertreterin eine umfangreiche Stellungnahme mit entsprechenden Beilagen ein, die die Einhaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes bescheinigen sollte.

Im angefochtenen Bescheid nahm die belangte Behörde den Geschäftsführer als Haftenden gemäß § 9 i.V.m. §§ 80ff BAO für die oa. Lohnabgaben in Höhe von insgesamt 2.711,79 € in Anspruch.

In ihrer Begründung verwies sie unter anderem auf das den Geschäftsführer treffende Verschulden und den Nachweis der Gleichbehandlung der Gläubiger, der anerkannt werde. Hinsichtlich der Lohnabgaben sei nach der Rechtsprechung des VwGH eine Ausnahme von Gleichbehandlungsgrundsatz anzuwenden, weil im Falle des Nichtausreichens der zur Verfügung stehenden Mittel, der Arbeitgeber die ausbezahlten Arbeitslöhne entsprechend zu kürzen und die darauf entfallende Lohnsteuer zur Gänze zu entrichten gehabt hätte. Die Unterlassung der Abfuhr der Lohnsteuer sei als schuldhafte Verletzung abgabenrechtlicher Pflichten als Vertreter (Geschäftsführer) der GmbH zu werten.

Mit Schriftsatz vom überreichte der Bf. durch seine steuerliche Vertreterin gegen den vorhin erwähnten Haftungsbescheid das Rechtsmittel der Beschwerde. Nach Wiedergabe der Überlegungen der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid führte er Folgendes aus:

"2. Ausführungen der Beschwerdeführerin

Rz. 14:
Nach
§ 80 Abs. 1 Satz 2 BAO haben die Vertreterjuristischer Personen insbesondere dafür zu sorgen, dass die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden. Die dem Vertreter persönlich auferlegte Verpflichtung zur Entrichtung von Abgaben ist auf jene Mittel beschränkt, deren Verwaltung ihm obliegt. Eine Verpflichtung zur Entrichtung von Abgaben aus eigenen Mitteln des Vertreters kommt grundsätzlich nicht in Betracht.

Wird eine Abgabe nicht entrichtet, weil der Vertretene überhaupt keine oder nicht ausreichende liquide Mittel hat, so verletzt der Vertreter dadurch keine abgabenrechtlichen Pflichten.

Rz. 15:
Bis unmittelbar vor Eröffnung des Sanierungsverfahrens am xx.yy.2017 hat der Beschwerdeführer regelmäßig, bis heute nachvollziehbar, nach Maßgabe der Liquidität der Gesellschaft, Zahlungen an das Finanzamt Graz-Stadt geleistet.

Rz 16:
Im Zeitraum von bis zur Eröffnung des Sanierungsverfahrens am xx.yy.2017 wurden vom Beschwerdeführer insgesamt € 43.561,02 an die belangte Behörde zur Überweisung gebracht (Anlage. /2, Seite 1).
In Bezug auf die für diesen Zeitraum fälligen Abgabenbeträge von € 49.675,26 entspricht dies einer Zahlungsquote von rund 88 %.
Alleine im Mai 2017 (Monat der Fälligkeit der haftungsgegenständlichen Lohnabgaben für April 2017) wurden Zahlungen in Höhe von €25.491,05 an die belangte Behörde geleistet (Anlage ./2, Seite 4); dieser Überweisungsbetrag entspricht 188% (!) der in diesem Monat fällig gewordenen Abgabenverbindlichkeiten.

Rz 17:
Zur Entlastung des Beschwerdeführers ist hier konkret die wesentliche Teilzahlung von € 10.000,00 vom zu nennen.

Rz 18:
Auch diese Abgabenzahlungen des Beschwerdeführers allerdings wurde aber - mangels Widmung durch den Beschwerdeführer - gem. § 214 (1) BAO auf die dem Fälligkeitstag nach älteste Abgabenschuld der C. GmbH angerechnet.
Die zeitlich "jüngsten" Abgabenvorschreibungen vor Eröffnung des Sanierungsverfahrens blieben deshalb trotz dieser hohen Teilzahlungen bis zuletzt noch als Rückstand am Abgabenkonto der C. GmbH ausgewiesen.
Alleine aber aus dieser fehlenden Widmung der geleisteten Abgabenzahlungen des Beschwerdeführers kann diesem nun aber kein Verschulden konkret am offenen Aushaften der Lohnabgaben-April und Mai 2017 zur Last gelegt werden.

Rz 19:
Denn dem Beschwerdeführer war schlicht nicht bewusst, dass er diese Teilzahlung auf die aushaftenden Lohnabgaben hätte eben auf diese Lohnabgaben widmen müssen, um sich von der Ausfallhaftung des § 9 BAO zu "enthaften".
Wir verweisen gerade in diesem Zusammenhang auf und , konkret folgenden Rechtssatz:
"Der Verwaltungsgerichtshof hat (...) judiziert, dass Gesetzesunkenntnis oder irrtümlich fehlerhafte Rechtsauffassungen (...) entschuldbar und nicht als Fahrlässigkeit zuzurechnen sind, wenn die objektiv gebotene, der Sache nach pflichtgemäße, nach den subjektiven Verhältnissen zumutbare Sorgfalt nicht außer Acht gelassen wurde".
Der Beschwerdeführer war im konkreten Fall offenkundig und bis heute jederzeit nachvollziehbar bestrebt, die Abgabenverbindlichkeiten der C. GmbH - trotz damals bestehender Drucksituation vor Insolvenzeröffnung - noch weitestgehend zu entrichten, allerdings ohne Kenntnis darüber, dass er diese zur eigenen Enthaftung konkret auf die Lohnsteuer zu widmen gehabt hätte.

Rz 20:
Dieses Bestreben des Beschwerdeführers ist bis heute wie folgt dokumentiert:
Der Beschwerdeführer besicherte das Betriebskonto der C. GmbH bei der Sparkasse, von welchem nicht zuletzt auch die Abgabenverbindlichkeiten zur Überweisung gebracht wurden, durch sein Privatvermögen, um vor Insolvenzeröffnung eine Bedeckung der Verbindlichkeiten zu erreichen.
Wiewohl gesetzlich nicht gefordert (vgl. Rz 14) veräußerte der Beschwerdeführer in Folge dieser Besicherung und um weitere liquide Mittel zur Bedeckung der Verbindlichkeiten der Gesellschaft aufzubringen, seine (private) Eigentumswohnung mit der Anschrift 80xx Graz, zu Gunsten des Vermögens der Gesellschaft.
Die Gesamtverbindlichkeiten der C. GmbH konnten durch den bei Verkauf erzielten Veräußerungserlös nicht bedeckt werden.
Dem Beschwerdeführer aber ist insoweit - nach Abschluss des Sanierungsverfahrens - kein Privatvermögen verblieben; dieses ist zur Gänze den Gläubigern der Gesellschaft zugewidmet worden.
Der Beschwerdeführer bewohnt als Folge dieses Liegenschaftsverkaufs aktuell eine Mietwohnung zur Adresse 80xx Graz, R. 10.
Der Beschwerdeführer ist damit aber seinen Verpflichtungen als Geschäftsführer der C. GmbH sogar über die von ihm verwalteten, liquiden Mitteln hinaus, bestmöglich nachgekommen.
Die angespannte Liquiditätssituation der C. GmbH bot dem Beschwerdeführer schlicht keine Möglichkeit einer anderen Verhaltensweise.

Rz. 21:
Voraussetzung für eine Inanspruchnahme des Vertreters gem.
§ 9 BAO ist aber konkret, dass die schuldhafte Pflichtverletzung ursächlich für die Uneinbringlichkeit der Abgabenbeträge war (Aghdam, Insolvenzrecht2, Oktober 2010, Vertreterhaftung).
Wäre die Abgabe auch ohne schuldhafte Pflichtverletzung des Vertreters uneinbringlich geworden, so besteht keine Haftung (Ritz, BAO Kommentar5 (2014), § 9 Rz 24).

Die Zahlungen wären weder in einem höheren Ausmaß noch zu einem anderen Zeitpunkt möglich gewesen, der Ausfall auch durch eine etwaige, für den Beschwerdeführer in rückblickender Betrachtung günstigere Widmung nicht zu vermeiden gewesen.

Rz. 22:
Bei der Ermessensübung über eine Inanspruchnahme des Beschwerdeführers zur Haftung hat die Abgabenbehörde dazu zu berücksichtigen
> die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Haftungspflichtigen, wie etwa die Höhe seines Einkommens,
> den Grad des Verschuldens des Vertreters sowie
> ein Mitverschulden der Abgabenbehörde an der Uneinbringlichkeit der Abgabenschuld (Ritz, BAO Kommentar 2014, § 9, Rz 27f).

Rz 23:
Natürlich ist die Ermessensentscheidung über die Haftungsinanspruchnahme im Sinne des
§ 20 BAO innerhalb der vom Gesetz gezogenen Grenzen nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen ().

Rz. 24:
Dem Gesetzesbegriff "Billigkeit" ist die Bedeutung "berechtigte Interessen der Partei" beizumessen ().

Rz 25:
Das Ermessen umfasst auch das Ausmaß der Heranziehung zur Haftung innerhalb des vom Gesetz vorgegebenen Rahmens ().

Rz 26:
Bei Ermessensübung ist den jeweiligen Umständen des Einzelfalles in der gebotenen Weise Rechnung zu tragen.

Rz 27:
Dazu weisen wir daraufhin, dass die tatsächliche Inanspruchnahme als Haftender - selbst bei kumulativem Vorliegen der Haftungsvoraussetzungen, wovon im konkreten Fall nach unserer Überzeugung nicht auszugehen ist - stets einer Ermessensentscheidung der Behörde. Vorbehalten bleibt (z.B. bei dauerhafter Einkommens- oder Vermögenslosigkeit; ).

Rz. 28:
Vor diesem Hintergrund wird - für den Fall, dass unserer Rechtsüberzeugung nicht gefolgt wird - in Ermessensübung zu Gunsten des Beschwerdeführers zu berücksichtigen sein (Anlage./3):
Der Beschwerdeführer selbst bezog für seine Geschäftsführertätigkeit im Jahr 2017 lediglich ein Einkommen von € 9.528,91.
Die Vermögenslage des Beschwerdeführers hat sich bis dato nicht verbessert:
Im Jahr 2018 erzielte der Beschwerdeführer einen Verlust in Höhe von € 15.084,42.
Im Jahr 2019 lukrierte er ein Einkommen in Höhe von € 9.436,10.
Das Einkommen dieser Jahre war gerade ausreichend zur Bedeckung des notwendigsten Lebensunterhalts.
Das Jahr 2020 und 2021 ist bisher aufgrund der anhaltenden COVID-19-Situation ebenfalls von einer angespannten Geschäftssituation in der M.-Branche gekennzeichnet.
Wie bereits dargelegt, war der Beschwerdeführer infolge der Insolvenz der C. GmbH gezwungen, zur Bedeckung der im Privatvermögen besicherten, offenen Verbindlichkeiten der Gesellschaft seine Eigentumswohnung mit der Anschrift 80xx Graz, T.-str. 6 zu veräußern.
Der Veräußerungserlös bedeckte die Verbindlichkeiten der C. GmbH nicht zur Gänze. Dem Beschwerdeführer ist insoweit nach diesem Sanierungsverfahren kein Privatvermögen verblieben, aus welchem er die nunmehrige Haftungssumme in Überweisung bringen könnte, ohne seinen persönlichen Lebensunterhalt zu gefährden.

Rz 29:
Konkret wurde im Insolvenzverfahren der C. GmbH durch das Finanzamt Graz-Stadt ein Betrag in Höhe von € 89.563,84 angemeldet. Hierzu wurde eine Quote in Höhe von 25 % - dies entspricht einem Betrag in Höhe von € 22.390,96 - auf die offenen Insolvenzforderungen geleistet.
Am Steuerkonto der C. GmbH haftete gem. Aufstellung der

Abgabenbehörde im Vorhalt vom nach erfolgter Quotenzahlung ein (konkursverfangener) Betrag in Höhe von € 18.469,15 offen aus.
Schlussendlich verbleibt - nach anerkannter Gläubigergleichbehandlung mittels Stellungnahme vom - ein aushaftender Restbetrag für die Lohnsteuer des Zeitraumes April und Mai 2017 in Höhe von € 2.711,79.

Rz 30:
Gerade deswegen, weil die Ausfallshaftung nach § 9 BAO in zunächst gebundener Verwaltungsübung bei jeglicher Form des Verschuldens eines Geschäftsführers schlagend wird, muss umso mehr auf den Grad dieses Verschuldens Bedacht genommen werden.
Der Entgang von Abgabenschuldigkeiten darf für den Fiskus, gemessen an der ursprünglichen Schuld, nicht vergleichsweise unbedeutend gewesen sein, wenn bereits bei leichtem Verschulden auf den Geschäftsführer zugegriffen werden soll (Althuber (Hrsg), Geschäftsführer- und Vorstandshaftung im österreichischen Steuerrecht 3. Auflage (2019) S. 112 ff).

Rz 31:
Ist die belangte Behörde weiterhin der Ansicht, der Beschwerdeführer habe "schuldhaft" gehandelt, so geht diese sicherlich bloß von einer leicht fahrlässigen Pflichtverletzung durch den Beschwerdeführer aus.
Zumal der "Entgang der Abgabenschuldigkeit " aber unzweifelhaft unbedeutend ist, ist diesfalls in pflichtgemäßer Ermessensausübung im Hinblick auf den jedenfalls bloß minderen Grad des Verschuldens - nach unserer Überzeugung aber eben nicht schuldhaften Vorgehens -die Haftung des Beschwerdeführers nicht festzusetzen.

Rz 32:
Die Abgabenbehörde hat in Hinblick auf ihre Zweckmäßigkeitsüberlegungen auch regelmäßig das Gebot der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit der Vollziehung, sohin Gedanken der Verwaltungsökonomie miteinzubeziehen.
Im konkreten Fall wären die in Zusammenhang mit dem Verwaltungsverfahren anfallenden Kosten im Verhältnis zu dem aushaftenden Abgabenbetrag in Höhe von € 2.711,79 für die Abgabenbehörde nicht zielführend und damit nicht als zweckmäßig (verwaltungsökonomisch) zu beurteilen.

Rz 33:
Auch der Zeitabstand zwischen dem Entstehen der Abgabenschuld bei der Primärschuldnerin und der bescheidmäßigen Inanspruchnahme zur Haftung beim Vertreter ist bei der Ermessensausübung nicht außer Betracht zu lassen.
Nach ständiger Rechtsprechung des VwGH ist dem Element der Zumutbarkeit der Heranziehung der Haftung besondere Bedeutung beizumessen.
Das Verstreichen einer längeren Zeit zwischen Uneinbringlichkeit und Haftungsinanspruchnahme führte in den von BFG entschiedenen Fällen sodann zu einer aliquoten Herabsetzung der Haftungsbeträge.
Das BFG führte in seiner Entscheidung vom zu RV/7102887/2019 aus:
"Auch wenn zwischen dem Zeitpunkt der endgültigen Feststellung der Uneinbringlichkeit der Abgaben und der Haftungsinanspruchnahme des Beschwerdeführers nur wenige Monate liegen, ist auf die lange verstrichene Zeit zwischen der Fälligkeit der Abgabenschuldigkeiten und der Haftungsinanspruchnahme zur Hintanhaltung von Unbilligkeiten bei der Ermessensübung Bedacht zu nehmen."
Im zugehörigen Sachverhalt der zitierten Entscheidung wurde der Haftungsbetrag um 30 % reduziert. Der Haftungsbescheid wurde am erlassen und betraf die Lohnsteuer der Monate Juli, August und September 2013.

Im konkreten Fall wurde der Haftungsbescheid am erlassen und hat die Lohnsteuer der Monate April und Mai 2017 zum Gegenstand.

Rz 34:
Im Haftungsbescheid vom geht die belangte Behörde bisher davon aus, dass alle Voraussetzungen zur Haftungsinanspruchnahme gem.
§ 9 BAO erfüllt sind.
Sie führt hinsichtlich der Ermessensausübung an, dass aus dem auf die Hereinbringung der Abgabenschuld beim Haftenden gerichteten Besicherungszweck der Haftungsnorm folgt, dass die Geltendmachung der Haftung in der Regel dann ermessenskonform ist, wenn die betreffenden Abgaben beim Primärschuldner uneinbringlich sind.
Die Ermessensübung aber ist, im Haftungsbescheid zu begründen. Hierbei sind die maßgebenden Umstände und Erwägungen der belangten Behörde aufzuzeigen ().
Ermessensentscheidungen sind insoweit zu begründen, als dies die Nachprüfbarkeit des Ermessensaktes in Richtung auf seine Übereinstimmung mit dem Sinn des Gesetzes erfordert (zB. VwGH 24.03,2004,2001/14/0083).
Allein die Annahme einer Vorprägung des Ermessens durch den angenommenen, grundlegenden Umstand, dass der Haftende den haftungsbegründenden Tatbestand erfüllt, wäre allerdings unsachgerecht.
Dies würde eine rechtslogisch unzulässige Vermengung der Ebene der gebundenen Verwaltung mit jener der Ermessensübung bedeuten. Ebenso unsachgerecht wäre es, wollte man allgemein das Verschulden des Haftungspflichtigen an einem endgültigen Steuerausfall ermessensbegründend ins Treffen führen.
Die Abgabenbehörde geht deshalb bisher unsachgerecht vor, wenn sie von Vornherein annimmt, dass keine Gründe der Billigkeit und Zweckmäßigkeit vorliegen, zumal bereits in der Stellungnahme vom hiezu zahlreiche Gründe ins Treffen geführt wurden, mit welchen sie sich im gegenständlichen Haftungsbescheid allerdings nicht (mehr) auseinandergesetzt hat.

Rz 35:
Von einer Inanspruchnahme des Beschwerdeführers im Haftungswege ist nach unserer rechtlichen und persönlichen Überzeugung auch in pflichtgemäßer Ermessenübung durch die Abgabenbehörde vollständig abzusehen.
…"

Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies die belangte Behörde die Beschwerde als unbegründet ab.

Für Abgaben, die der Vertretene als Abfuhrverpflichteter nicht ordnungsgemäß abgeführt hat - wie die Lohnsteuer nach § 82 EStG - hafte der Vertreter in voller Höhe, und zwar auch dann, wenn liquide Mittel zur Abfuhr dieser Abgaben nicht oder nicht in ausreichendem Maß vorhanden waren. Zur Vermeidung des haftungsrelevanten Verschuldens hätten die anfallenden Abgabenverbindlichkeiten zumindest anteilig entrichtet werden müssen und die Löhne gem. § 78 Abs. 3 EStG 1988 nur in einem geringeren Ausmaß ausgezahlt werden dürfen.
Gem. § 214 Abs. 1 BAO seien Zahlungen und sonstige Gutschriften auf die dem Fälligkeitstag nach ältesten verbuchten Abgabenschuldigkeiten zu verrechnen. Gemäß § 214 Abs. 4 BAO seien Zahlungen, dem der Abgabenbehörde auf dem Zahlungsbeleg bekannt gegebenen Verwendungszweck, entsprechend zu verrechnen. Soweit eine Verrechnungsweisung im Sinne des § 214 Abs. 4 BAO irrtümlich nicht erteilt wurde, könne diese binnen drei Monaten nachträglich erteilt werden. Somit erfolgte die Verbuchung der getätigten Zahlungen ordnungsgemäß und die haftungsrelevanten Lohnsteuern bestünden zu Recht.
Zum bf. Hinweis, von einer Verrechnungsweisung nichts gewusst haben, werde bemerkt, das Risiko eines Rechtsirrtums trage der, der es verabsäume, sich an geeigneter Stelle (Abgabenbehörde) zu erkundigen. Die haftungsrelevanten Lohnabgaben seien am bzw. gemeldet worden.

Aus der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ergebe sich noch nicht die Uneinbringlichkeit der Abgaben bei der Primärschuldnerin, wobei die mögliche Insolvenzquote zu berücksichtigen sei. Das Insolvenzverfahren wurde am xx.11.2017 gem. § 152b IO aufgehoben. Die Insolvenzquote von 25% war in drei Teilquoten zu bezahlen, wobei die dritte Teilquote am bezahlt wurde und somit wäre die Uneinbringlichkeit der über die Quote hinausgehenden Abgabenforderungen erst zu diesem Zeitpunkt festgestanden. Bereits am sei ein Vorhalt betreffend die Heranziehung zur Haftung gem. § 9 iVm. §§ 80ff BAO übermittelt worden.
Somit könne der Behauptung, dass seit dem Entstehen der Abgabenschuld bei der Primärschuldnerin ein außergewöhnlich langer Zeitraum vergangen ist und dieser Umstand bei der Ermessensentscheidung zu berücksichtigen sei, nicht entsprochen werden.
Gemäß Einkommensteuerbescheid 2019 erzielte der Bf. ein Einkommen von 28.330,98 €. Auch wenn aufgrund der derzeitigen wirtschaftlichen Situation die Haftungssumme erschwert einbringlich ist, schließe dies nicht eine Geltendmachung der Haftung oder eine Einbringung der Haftungssumme zu einem späteren Zeitpunkt aus.
Gegen diese Entscheidung richtet sich der rechtzeitig eingebrachte Vorlageantrag, der jedoch weiteren Ausführungen auf die Beschwerdevorentscheidung enthält.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Der Bf. ist Geschäftsführer der C. GmbH seit . Anlässlich der Gründung der GmbH wurde mit Einbringungsvertrag vom die Einbringung des nicht protokollierten Einzelunternehmens C.W.-Agentur des Bf. vereinbart. Somit ist der Bf. schon seit über 15 Jahre als Unternehmer tätig und im Verkehr mit Abgabenbehörden vertraut.

Die Tatsache, dass die im angefochtenen Bescheid angeführten haftungsgegenständlichen Lohnabgaben uneinbringlich waren, kann als unbestritten angesehen werden, da eine Einbringlichmachung bei der Primärschuldnerin (GmbH) über die bestätigte und geleistete Konkursquote von 25% rechtlich nicht mehr möglich ist. Die Vornahme von Zahlungen mit Verrechnungsweisung auf die streitgegenständlichen Abgaben (Lohnsteuer) wurde nicht behauptet.

2. Beweiswürdigung

Die Beweiswürdigung stützt sich in objektiver Hinsicht im Wesentlichen auf die unstrittige Aktenlage.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)

3.1.1. Rechtsquellen

Bundesabgabenordnung

§ 9 Abs. 1 BAO
Die in den §§ 80 ff. bezeichneten Vertreter haften neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.

§ 80 Abs. 1 BAO
Die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen haben alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen, und sind befugt, die diesen zustehenden Rechte wahrzunehmen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, daß die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden.
Abs. 2
Steht eine Vermögensverwaltung anderen Personen als den Eigentümern des Vermögens oder deren gesetzlichen Vertretern zu, so haben die Vermögensverwalter, soweit ihre Verwaltung reicht, die im Abs. 1 bezeichneten Pflichten und Befugnisse.
Abs. 3
Vertreter (Abs. 1) der aufgelösten Gesellschaft mit beschränkter Haftung nach Beendigung der Liquidation ist, wer nach
§ 93 Abs. 3 GmbHG zur Aufbewahrung der Bücher und Schriften der aufgelösten Gesellschaft verpflichtet ist oder zuletzt verpflichtet war.

EStG 1988

Einbehaltung der Lohnsteuer

§ 78 EStG 1988
Abs. 1: Der Arbeitgeber hat die Lohnsteuer des Arbeitnehmers bei jeder Lohnzahlung einzubehalten. Als Lohnzahlungen gelten auch Vorschuss- oder Abschlagszahlungen, sonstige vorläufige Zahlungen auf erst später fällig werdenden Arbeitslohn, Bezüge aus einer gesetzlichen Krankenversorgung sowie im Rahmen des Dienstverhältnisses von einem Dritten geleistete Vergütungen, wenn der Arbeitgeber weiß oder wissen muss, dass derartige Vergütungen geleistet werden.
Abs. 2: Arbeitgeber, die ihren Arbeitnehmern den Arbeitslohn während eines Kalendermonats regelmäßig nur in ungefährer Höhe in Teilbeträgen auszahlen (Abschlagszahlung) und erst für den Kalendermonat eine genaue Lohnabrechnung vornehmen, können die Lohnsteuer abweichend von Abs. 1 erst bei der Lohnabrechnung einbehalten. Voraussetzung ist, daß die Lohnabrechnung bis zum 15. Tag des folgenden Kalendermonats erfolgt. Das Finanzamt kann jedoch anordnen, daß die Lohnsteuer gemäß Abs. 1 einzubehalten ist.
Abs. 3: Reichen die dem Arbeitgeber zur Verfügung stehenden Mittel zur Zahlung des vollen vereinbarten Arbeitslohnes nicht aus, so hat er die Lohnsteuer von dem tatsächlich zur Auszahlung gelangenden niedrigeren Betrag zu berechnen und einzubehalten.

3.1.2. Rechtliche Würdigung

3.1.2.1. Abfuhrverpflichtung (Lohnsteuer)

Der Vertreter haftet nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für die nicht entrichteten Abgaben der Gesellschaft auch dann, wenn die zur Verfügung stehenden Mittel zur Entrichtung aller Verbindlichkeiten der Gesellschaft nicht ausreichen, es sei denn, er weist nach, dass er die Abgabenschuld im Verhältnis nicht schlechter behandelt hat als bei anteiliger Verwendung der vorhandenen Mittel für die Begleichung aller Verbindlichkeiten. Eine Betrachtung der Gläubigergleichbehandlung hat zum jeweiligen Fälligkeitszeitpunkt zu erfolgen (, mwN).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt jeder bei der abzuführenden Lohnsteuer der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht zum Tragen. Aus der Bestimmung des § 78 Abs. 3 EStG 1988, wonach in Fällen, in denen die dem Arbeitgeber zur Verfügung stehenden Mittel zur Zahlung des vollen vereinbarten Arbeitslohnes nicht ausreichten, die Lohnsteuer von dem tatsächlich zur Auszahlung gelangenden niedrigeren Betrag zu berechnen und einzubehalten ist, ergibt sich nämlich, dass jede vom Beschwerdeführer vorgenommene Zahlung voller vereinbarter Arbeitslöhne eine schuldhafte Verletzung seiner abgabenrechtlichen Pflicht mit den Rechtsfolgen des § 9 Abs. 1 BAO darstellt (), wenn die zur Verfügung stehenden Mittel nicht auch für die darauf entfallende Lohnsteuer ausreichen. Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass ungeachtet wirtschaftlicher Schwierigkeiten von einer schuldhaften Pflichtverletzung des Geschäftsführers auszugehen ist, wenn die Lohnsteuer nicht einbehalten und zur Gänze an das Finanzamt abgeführt wird; der Geschäftsführer hätte ungeachtet des Grundsatzes der Gleichbehandlung die einzubehaltende Lohnsteuer zur Gänze abzuführen gehabt (). In den Erkenntnissen vom , 2008/15/0283, und vom , 2000/15/0168, hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass die Verpflichtung nach § 80 BAO hinsichtlich der Lohnsteuer über das Gebot der gleichmäßigen Behandlung aller Schulden (aller Gläubiger) hinausgeht; aus den Bestimmungen des § 78 Abs. 3 EStG ergibt sich die Verpflichtung, dass die Lohnsteuer - ungeachtet des Grundsatzes der Gleichbehandlung aller andrängenden Gläubiger - jeweils zur Gänze zu entrichten ist. Schon im Erkenntnis vom , 2001/15/0187, hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass das allfällige Fehlen liquider Mittel das Unterlassen der Abfuhr von Lohnsteuer nicht hätte entschuldigen können. Dem ist zu entnehmen, dass die einbehaltene Lohnsteuer zur Gänze zur späteren Abfuhr zu verwenden ist und bei sich bis zum Abfuhrzeitpunkt geänderten wirtschaftlichen Verhältnissen nicht dem Gleichbehandlungsgebot unterliegt. Somit trifft den Vertreter nach § 80 BAO die Verpflichtung, die Lohnsteuer einerseits einzubehalten und andererseits - ungeachtet wirtschaftlicher Schwierigkeiten und des Gleichbehandlungsgebotes - zur Gänze dem Finanzamt zum Fälligkeitstag abzuführen (). Im Falle des Vorliegens einer schuldhaften Pflichtverletzung wegen Nichtentrichtung von Abgaben, ist in der Nichtentrichtung auch die Ursache der Uneinbringlichkeit (Abgabenausfall) zu erblicken (; ).

3.1.2.2. Verrechnungsweisung

Die bf. Ausführungen, wonach die ins Treffen geführten Abgabenzahlungen mangels Widmung durch den Bf. gemäß § 214 Abs. 1 BAO auf die dem Fälligkeitstag nach älteste Abgabenschuld verrechnet wurden und dass die zeitlich "jüngsten" Abgabenvorschreibungen vor Eröffnung des Sanierungsverfahrens trotz hoher Teilzahlungen noch als Rückstand am Abgabenkonto der GmbH ausgewiesen wurden, zeigen keine objektive Rechtswidrigkeit auf. Mangels Widmung der Primärschuldnerin hatte die Abgabenbehörde gar keine andere Möglichkeit als nach den vorhin von der Bf. selbst aufgezeigten gesetzlichen Vorschriften zu handeln und bieten keine Veranlassung für eine Prüfung für ein ev. Nichtvorliegen abgabenrechtlichen Verschuldens.
Mit dem Einwand des Nichtwissens über die Möglichkeit der gezielten Entrichtung bestimmter Abgaben entfernt sich der Bf. vom tatsächlichen Sachverhalt und möchte diesen durch einen behaupteten oder fiktiven ersetzen. Hierzu ist zu erwidern, dass die Abgabenbehörden und Verwaltungsgerichte nicht gehalten sind, sich mit hypothetischen Sachverhalten zu befassen ().
Abgesehen davon wird bei dieser Argumentation die grundsätzliche Zahlungspflicht fälliger Abgaben des Geschäftsführers aus Mitteln der GmbH übersehen, denn diese endet erst mit deren Entrichtung. Solange Abgabenschuldigkeiten, mit deren Einzahlung die GmbH in Rückstand geraten ist, bleibt sie weiterhin verpflichtet, diese zu erfüllen und der Geschäftsführer hat aus vorhandenen Mitteln auch ältere Abgabenschuldigkeiten zu bedienen. Selbst wenn man die Überlegungen des Bf. (widmungsgemäße Zahlungen der haftungsgegenständlichen Lohnsteuerbeträge) aufgreift, bleibt doch zu bedenken, dass bei dieser Vorgangsweise zwar die haftungsgegenständlichen entrichtet worden wären, aber andere Abgaben, die durch die Leistung von ungewidmeten Zahlungen aus dem Rückstand durch Verrechnung nach § 214 Abs. 1 BAO eliminiert wurden, in diesem wiederum als offen ausgewiesen und damit u.U. unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung der Gläubiger in anderer Weise im Haftungsverfahren zu beurteilen gewesen wären. M.a.W. hätte sich zwar die Zusammensetzung, nicht aber die Höhe des Haftungsbetrages geändert.
Die vom Bf. aufgezeigten Umstände, ihm sei schlicht nicht bewusst gewesen, dass er die Zahlungen auf die aushaftenden Lohnabgaben hätte widmen müssen, um sich von der Ausfallhaftung des § 9 BAO zu "enthaften" und ihn so kein Verschulden treffe, können in der Weise nicht nachvollzogen werden, wie sich hier sachverhaltsmäßig allfällige Rechtsirrtümer bei der Tätigung und Widmung von Abgabenzahlungen verschuldensausschließend wirken sollten. In diesem Zusammenhang liegt eher ein Rechtsfolgenirrtum des Bf. über seine selbst gesetzten Handlungen vor. Ihm wäre es unbenommen geblieben, sich vor der Vornahme von Abgabenzahlungen bei der Abgabenbehörde oder seiner steuerlichen Vertreterin zu erkundigen, welche Konsequenzen die eine (Zahlung ohne Widmung) oder andere Vorgangsweise (Zahlung mit Widmung) nach sich ziehen würde. Warum er dies verabsäumt hat und wer ihn daran gehindert habe, wird in keiner Weise dargetan, sondern lediglich ein abweichender hypothetischer Sachverhalt ins Treffen geführt. Bei oberflächlicher Betrachtung wird hier der Eindruck vermittelt, dass die geleisteten Abgaben für die "Enthaftung" - wie sie der Bf. bezeichnet - "verloren" wären. Er übersieht dabei, dass der Abgabenausfall insgesamt nicht geringer geworden wäre. Um bei allfälligen Fiktionen zu bleiben, hätte die Abgabenbehörde den grundsätzlichen Haftungsanspruch unter dem Gesichtspunkt des Gleichbehandlungsgrundsatzes auf Grund anderer Sachverhaltsgrundlage neu zu beurteilen gehabt. Im Übrigen ist festzuhalten, dass dem Bf. die Kenntnis der Möglichkeit von Abgabenzahlungen mit Widmung als bekannt angesehen werden muss, zumal Lohnabgaben bis 12/2015 entsprechend eingezahlt und am Abgabenkonto verbucht wurden. Da er seit 2004 als Geschäftsführer tätig ist, kann ihm ein grundsätzliches Wissen über die Art der Abgabenzahlungen als bekannt vorausgesetzt und zugerechnet werden.

3.1.2.3. Ermessen:

Gegenständlich beschränkte sich der angefochtene Bescheid die Haftungsinanspruchnahme ausschließlich auf die abzuführende Lohnsteuer und bezog andere Abgaben nicht mit ein, wobei geringfügige Benachteiligungen des Abgabengläubigers in Kauf genommen wurden. Die haftungsgegenständlichen Abgaben von gerundet 2.700 € können nicht als geringfügig angesehen werden.

Den umfangreichen Ausführungen über die persönlichen wirtschaftlichen Verhältnisse wie dem Verkauf einer Eigentumswohnung und die derzeitigen bescheidenden Einkünfte ist zu erwidern, dass der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung zu § 9 BAO die Ansicht vertritt, den wirtschaftlichen Verhältnissen des Haftungspflichtigen im Zeitpunkt der Geltendmachung der Haftung komme keine Bedeutung zu, da eine allfällige aktuelle Uneinbringlichkeit nicht ausschließe, dass künftig neu hervorkommendes Vermögen oder künftig erzielte höhere Einkünfte zur späteren Einbringlichkeit führen könnten (). Eine Haftungsinanspruchnahme ist daher nicht mit dem im Zeitpunkt der Erlassung des Haftungsbescheides vorhandenen aktuellen Vermögens begrenzt (). Im Übrigen dürften der Einsatz privaten Vermögens wohl zur Rettung und dem Weiterbestand der Primärschuldnerin (Aufbringung der Konkursquote, Abdeckung von Verbindlichkeiten zur Vermeidung größerer Schäden etc.) und nicht primär der Erfüllung oder Vermeidung von Haftungsverpflichtungen gedient haben.

Die Geltendmachung der Haftung ist zwar eine Einhebungsmaßnahme (Ritz/Koran, BAO7, § 224, Tz. 4), die sich primär auf die Einhebung der Abgaben bei der Primärschuldnerin bezieht. Gegenüber dem Haftungsschuldner ist die Heranziehung zur Haftung noch keine Einhebungsmaßnahme, sondern eine Maßnahme, der Festsetzungscharakter zukommt, denn gemäß § 7 Abs. 1 BAO wird er erst durch die Geltendmachung der Haftung zum Gesamtschuldner. Daran schließt sich ein eigenständiges Einhebungsverfahren der ausgesprochenen Haftungsschuld beim Haftungspflichtigen an. Allfällige Billigkeitsgründe wären dann in einem Verfahren nach § 236 BAO zu prüfen.

Von der Heranziehung zur Haftung kann die Behörde im Rahmen ihrer Ermessensentscheidung nur dann absehen, wenn die Heranziehung unzweckmäßig, z.B. bei dauerhafter Einkommens- und Vermögenslosigkeit des potentiell Haftungspflichtigen wäre. Ein solcher Fall liegt nicht vor, weil der Bf. weiterhin als Geschäftsführer für die GmbH tätig ist und Einkünfte erzielt.

Zum Einwand zwischen dem Entstehen der Abgabenschuld bei Primärschuldner und der bescheidmäßigen Inanspruchnahme der Haftung ist grundsätzlich der zeitliche Abstand bei der Ausübung des der Abgabenbehörde in Betracht zu ziehen (). Nach der Aktenlage ergibt sich, dass die streitgegenständlichen Lohnabgaben am 18. April bzw. fällig waren. Über das Vermögen der GmbH wurde im August 2017 das Sanierungsverfahren eröffnet und im November 2017 wurde der Sanierungsplan mit der Maßgabe bestätigt, dass die Insolvenzgläubiger eine Gesamtquote von 25% erhalten. Davon ist binnen 14 Tagen nach rechtskräftiger Bestätigung eine Barquote von 12,5% und jeweils 6,25% binnen 12 und binnen 18 Monaten ab Annahme des Sanierungsplans zu zahlen. Das Ende der Zahlungsfrist wurde vom Insolvenzgericht mit ausgemessen (s. Insolvenzdatei zu 26 S xx/17y).
Bereits mit Vorhalt vom ist die Abgabenbehörde an den Bf. heranzutreten, um die Voraussetzungen der Geltendmachung einer abgabenrechtlichen Haftung des verantwortlichen Geschäftsführers zu prüfen. Damit war dem Bf. zumindest in Umrissen klar, dass er zu einer Abgabenzahlung herangezogen werden könnte. Der angefochtene Bescheid ist zugegebenermaßen erst am erlassen worden. Aus dem Vergleich zwischen der im Haftungsvorhalt vom ventilierten Haftungssumme von insgesamt rd. 18.500 € sind letztendlich nur rd. 2.700 € geltend gemacht worden. Somit hat unzweifelhaft eine sorgfältige Beurteilung und Durchrechnung der Haftungsvoraussetzungen stattgefunden. Eine vom Insolvenzgericht bewilligte Aufbringung der Konkursquote in Teilbeträgen kann nicht als zum Nachteil des Abgabengläubigers ausgelegt werden, denn schließlich ist diese Zahlungserleichterung wohl primär der Primärschuldnerin und damit mittelbar auch dem Alleingesellschafter und Geschäftsführer (Bf.) zu Gute gekommen. Ein zu langer Zeitraum konnte daher nach der Rechtsprechung des VwGH, der zu einer Herabsetzung des Haftungsbetrages im Rahmen der Ermessensübung führen könnte, nicht erblickt werden. Nach dem dem Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom , Ro 2014/16/0066, zu Grunde liegenden Sachverhalt wurde der Revisionswerber mit Bescheid vom zur Haftung für Abgaben des Jahres 2007 herangezogen. Der Umstand lange verstrichener Zeit wurde im dort angefochtenen Erkenntnis beachtet, allerdings eine Unbilligkeit verneint, weil der Revisionswerber noch immer über "entsprechende Unterlagen" der Primärschuldnerin verfügt habe. Derartige Umstände kommen im hier gegenständlichen Verfahren nicht zum Tragen, zumal dem Bf. der Nachweis rechtskonformen Verhaltens derjenigen potentiell betroffenen Abgaben, für die der Gleichbehandlungsgrundsatz zur Anwendung kommt, ohne weiteres möglich war. Im Erkenntnis vom , 2013/17/0829, führte der Verwaltungsgerichtshof zu mit Haftungsbescheid vom geltend gemachten Abgaben für Zeiträume ab dem Jahr 2008 aus, es liege kein langer Zeitraum zwischen dem Entstehen der Abgabenschuld oder der Feststellung der Uneinbringlichkeit der Abgaben bei der Primärschuldnerin einerseits und der bescheidmäßigen Inanspruchnahme zur Haftung anderseits vor. An dieser Rechtsansicht hat der , festgehalten. Somit kann als grobe Richtschnur gelten, dass fünf Jahre ab Entstehen des Abgabenanspruchs bei der Primärschuldnerin eine Geltendmachung abgabenrechtlicher Haftungen ohne weitere Einschränkung des Haftungsbetrages als ermessenskonform betrachtet werden kann. Schließlich konnte die Uneinbringlichkeit der Abgaben erst nach Erfüllung der Konkursquote im Mai 2019 abschließend beurteilt werden.

Eine vom Bf. geortete Verletzung des Gebotes der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit der Abgabenbehörde bei der Haftungsinanspruchnahme konnte bei der Geltendmachung der Haftung nicht erblickt werden, zumal eine Haftungssumme von rd. 2.700 € nicht als geringfügig angesehen werden kann. Eine andere Vorgangsweise - wie sie dem Bf. vorschwebt, würde u.U. dem rechtsstaatlichen Handeln der Verwaltung und dem Gebot der Gleichmäßigkeit der Besteuerung (Ritz/Koran, BAO7, § 20 Tz. 5, § 114 Tz. 1ff) widersprechen.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Im Übrigen wird auf die obzitierte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes verwiesen.

Graz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 78 Abs. 3 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
§ 80 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 9 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 20 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2023:RV.2100359.2021

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at