Indexierung europarechtswidrig: Rückforderung in Höhe des polnischen Erziehungsgeldes 500+; auch Kinderabsetzbetrag ist eine Familienleistung iS der VO (EG) 883/2004 und daher bei der Höhe der Differenzzahlung zu beachten
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Mag. Heidemarie Winkler über die Beschwerde des ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Sahinol Rechtsanwalt, Salesianergasse 3/E1, 1030 Wien, vom , gegen den Bescheid des vormaligen Finanzamtes Wien 4/5/10, nunmehr Finanzamt Österreich, vom , betreffend Rückforderung von zu Unrecht bezogener Familienbeihilfe (Ausgleichszahlung) und Kinderabsetzbeträgen für den Zeitraum Juli 2019 bis September 2019, nach durchgeführter mündlicher Verhandlung am in Anwesenheit des Beschwerdeführers, seiner Anwältin Mag. ***RA*** für Mag. Sahinol und der Vertreterin der belangten Behörde, Fr. ***1***, zu Recht erkannt:
Der Beschwerde wird im eingeschränkten Umfang gemäß § 279 BAO Folge gegeben.
Der angefochtene Bescheid wird abgeändert.
Es wird von ***Bf1*** Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag für den im April 2017 geborenen S. X. für den Zeitraum Juli 2019 bis September 2019 gemäß § 26 Abs. 1 FLAG 1967 und § 33 Abs. 3 EStG 1988 im Gesamtbetrag von € 84,74 zurückgefordert.
Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
Verfahrensgang
Der Beschwerdeführer (in Folge kurz Bf.), polnischer Staatsbürger, bezieht auf Grund seiner Beschäftigung in Österreich für sein erstes Kind S., geboren 2017, ab dessen Geburt österreichische Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträge (Differenzzahlung).
Mit Bescheid vom forderte das Finanzamt vom Bf. die für S. für den Zeitraum Juli 2019 bis September 2019 bezogenen Beträge ((Familienbeihilfe [Differenzzahlung] € 172,71 und Kinderabsetzbetrag € 88,47)) in Höhe von € 261,18 mit der Begründung zurück, dass auf Grund der Mitteilung der polnischen Behörde betreffend ausbezahlter Erziehungsleistungen die Differenzzahlung neu berechnet worden sei.
Gegen den Abweisungsbescheid wurde am vom rechtsfreundlichen Vertreter des Bf. folgende Beschwerde erhoben:
Der Einschreiter sei polnischer Staatsbürger, arbeite, lebe und wohne in ***Bf1-Adr***. Der Einschreiter habe zwei Kinder S., geb. ***Geb1***, und ***K2***, geb. ***Geb2***. Die zwei Kinder würden in Polen bei der Kindesmutter wohnen. Der Einschreiter zahle in Österreich Einkommensteuer und Sozialversicherungsabgaben. Die Ehefrau des Bf. habe für S. keine polnische Familienleistung erhalten, da diese von den polnischen Behörden laut beiliegendem Entscheidungskonvolut abgelehnt worden seien.
Die wirtschaftliche Situation des Bf. dessen Familie sei sehr schlecht (Aufzählung der monatlichen Kosten für Versicherung, Auto, Telefon, Energiekosten etc.). Der Bf. verdiene lediglich Euro 2.100,00 brutto im Monat. Die Ehefrau habe nicht gearbeitet und verdiene kein Geld. Sie sei in Karenz. Der Bf. und seine Ehefrau hätten gemeinsam einen Kredit bei der Bank für den Hauskauf iHv € 8.500,00 aufgenommen und auf Grund der schlechten wirtschaftlichen Situation des Bf. würde ihn die Rückzahlung in eine existenzielle Notlage bringen.
Beweis:
• PV;
• Herbeischaffung des polnischen Steueraktes und Familienleistungsaktes der Ehefrau des Bf.;
• Entscheidungskonvolut der polnischen Behörden (Beilage ./2)
• vorzulegende Kreditvertrag;
• weitere Beweise bleiben vorbehalten.
…
Der gegenständliche Bescheid der belangten Behörde verletze den Bf. in seinem subjektiven Recht auf Nichtrückzahlung der Familienbeihilfe wegen Nichtvorliegen der Rückzahlungsvoraussetzungen, wegen Nachsicht bzw. Unbilligkeit und in eventu auf Rückzahlung lediglich des tatsächlichen Unterschiedsbetrages zwischen der polnischen und der österreichischen Leistungen bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen.
Der angefochtene Bescheid beruhe auf folgender Rechtsgrundlage: Art 68 Verordnung (EG) Nr. 883/2004 und Durchführungsverordnung (EG) Nr. 987/2009 sowie § 26 Familienlastenausgleichsgesetz. Er lasse jedoch § 26 Abs 4 FLAG und § 236 BAO und die richtige Auslegung des Art 68 Verordnung (EG) Nr. 883/2004 außer Acht.
Bei rechtsrichtiger Auslegung dieser Bestimmung müsste dem Bf. die Rückzahlung des Unterschiedsbetrages nachgesehen werden. Aus advokatorischer Vorsicht werde ausgeführt, dass selbst wenn auf Grund der bezogenen Leistungen eine Rückforderung zulässig wäre, so lediglich in der Höhe des tatsächlichen aushaftenden Unterschiedsbetrages.
Der gegenständliche Bescheid der belangten Behörde sei inhaltlich rechtswidrig. […]
Nach Zitierung des Art. 68 Verordnung (EG) Nr. 883/2004, wurde weiters vorgebracht, dass es die belangte Behörde unterlassen festzustellen habe, für welchen konkreten Zeitraum die Ehefrau des Bf. konkret für deren Sohn EUR 261,18 polnische Familienleistungen bezogen habe. Die belangte Behörde habe es unterlassen konkret festzustellen, in welcher Höhe diese konkreten Familienleistungen in Polen tatsächlich erhalten habe. Der Sachverhalt sei daher bezüglich der konkreten Zahlungen von polnischen Familienleistungen an die Ehefrau des Bf. ergänzungsbedürftig (Arg. "sekundärer Feststellungsmangel"). […]
So habe die belangte Behörde gar nicht tatsächlich festgestellt, ob und wie viel die Ehefrau des Bf. für S. erhalten habe. Dadurch ergebe sich, dass der Rückforderungsbetrag iHv Euro 261,18 unschlüssig sei und der Rückforderungsanspruch nicht zustehe.
Die belangte Behörde habe zu dem die Bestimmungen zur Nachsicht und Unbilligkeit § 24 Abs 4 FLAG und § 236 BAO außer Acht gelassen. Die Rückzahlung des geforderten Betrages wäre unbillig und nachzusehen.
In der gegenständlichen Verwaltungssache würden persönliche und sachliche Gründe vorliegen, welche die Einhebung der Abgabenschuldigkeit in keinem wirtschaftlich vertretbaren Verhältnis zu jenen Nachteilen erscheinen ließen, die sich aus einer Einhebung für die Abgabepflichtigen und deren Familie ergeben würde. Es lägen Gründe für die Unbilligkeit der Einhebung vor. Es liege eine akute Existenzgefährdung für den Bf. und dessen Kinder vor.
Bei Einhebung der oben bezeichneten Abgabenschuldigkeit würde beim Bf. und dessen Familie eine Notlage herbeiführen, die es der Familie unmöglich mache, essentielle Dinge des täglichen Lebens (insbesondere Nahrungsmittel) anzuschaffen. In diesem Sinne könne auf die oben angeführten Angaben zur familiären Situation des Bf. im Punkt Sachverhalt verwiesen werden.
Eine Einforderung bzw. Aufrechnung (§ 26 Abs 2 FLAG) der geltend gemachten Beiträge durch die belangte Behörde würde eine existenzzerstörende Kettenreaktion herbeiführen, welche - in diesem Zusammenhang und unter beschriebenen Umständen - vom Gesetzgeber keinesfalls gewollt sein könne. […]
Der Bf. habe beim Finanzamt kein minus, sondern ein plus, da die indexierte Familienbeihilfe (unions)rechtswidrig sei und sei daher eine Anrechnung vorzunehmen. […]
Unionsrechtliche Vorgaben würden Indexierungen nicht zulassen. Der geplante nationale Alleingang Österreichs hinsichtlich einer Indexierung der Familienbeihilfe, wie sie im § 8a FLAG 1967 gemäß dem vorliegenden Ministerialentwurf vorgesehen sei, würde im Falle einer Beschlussfassung durch den Nationalrat gegen eine Reihe zwingender unionsrechtlicher Bestimmungen verstoßen. […]
Das Finanzamt Wien habe auf Grund der einschlägigen Rechtslage Feststellungen zu treffen über den Arbeitsort, die Sozialversicherungsleistungen und die Steuerzahlungen des Einschreiters in Österreich. Dies sei notwendig, um den Sachverhalt ordnungsgemäß beurteilen zu können. So habe der Einschreiter in Österreich nicht nur gewohnt, sondern auch als Arbeitnehmer gearbeitet, Steuern bezahlt und Sozialversicherungsbeiträge bezahlt.
Diese Feststellungen seien wesentlich, weil sich daraus rechtlich ergebe, dass der Einschreiter in Österreich seinen Wohnsitz und unselbständigen Beschäftigungsort habe und sohin ein Arbeitnehmer iSd EU-Rechtes sei und diskriminiert werde.
Darüber hinaus habe das Finanzamt Wien festzustellen, welche Nationalität der Einschreiter habe. Der Einschreiter sei polnischer Staatsbürger. Es liege daher ein gemeinschaftsrechtlicher Sachverhalt vor, auf den jedenfalls das Diskriminierungsverbot der Arbeitnehmerfreizügigkeit der EU und des Art 7 VO 883/2004 anwendbar sei.
Zudem verstoße die indexierte Familienbeihilfe gegen den Gleichheitsgrundsatz gemäß Art. 7 Bundesverfassungsgesetzes und Art. 2 Staatsgrundgesetz. Die Regelung sei undifferenziert und nicht sachlich gerechtfertigt. Die Regelung müsste auch innerhalb von Österreich zu unterschiedlichen Familienbeihilfesätzen führen, da auch in den österreichischen Bundesländern die Lebenshaltungskosten unterschiedlich seien.
Beim Abstellen auf den Lebensstandard müsste konsequenterweise auch zwischen Arbeitern, Angestellten, Beamten und Selbstständigen differenziert werden und nicht alle gleich behandelt werden.
Der österreichische Gesetzgeber bevorzuge hier ohne sachliche Rechtfertigung und willkürlich die österreichischen Bundesländer und österreichischen Familienbeihilfebezieher. Aufgrund dessen, dass die reduzierte Ausbezahlung der indexierten Familienbeihilfe des Finanzamt Wien gegen das Diskriminierungsverbot des EU-Rechtes und den Gleichbehandlungsgrundsatz des Verfassungsrechtes verstoße, basiere die Entscheidung auf materieller Rechtswidrigkeit. […]
Beweis: PV
Herbeizuschaffender Steuerakt des Einschreiters betreffend die ESt 2015 bis 2018;
Herbeizuschaffender Sozialversicherungsakt des Einschreiters;
ZMR und Mitteilung des FA vom und vom (Beilage J1);
Kontoauszugkonvolut (Beilage J2);
Rechner des BMFJ (Beilage J3);
Artikel Standard (Beilage J4);
Standard, , APA, (Beilage J5);
Österreichische Gesellschaft für Europapolitik (Beilage J6);
weitere Beweise bleiben Vorbehalten".
Beweis: […]
Der gegenständliche Bescheid der belangten Behörde sei infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften rechtswidrig. Es liege ein grob mangelhaftes Ermittlungsverfahren vor. Die belangte Behörde habe es unterlassen, den für die Erledigung maßgeblichen Sachverhalts von Amtswegen zu ermitteln und festzustellen (VwSlg 16.498 A/1931). Gemäß § 37 iVm § 39 Abs. 2 ASVG wäre die belangte Behörde dazu verpflichtet gewesen und hätte die erforderlichen Beweise zu erheben gehabt. Die belangte Behörde habe jedoch nur unzureichend ermittelt und damit gegen ihre Pflicht zur Erforschung der materiellen Wahrheit verstoßen, da die belangte Behörde nicht einmal konkret eruiert habe, in welcher Höhe die Ehefrau des Bf. polnische Familienleistungen tatsächlich erhalten habe und keine konkrete Feststellungen dazu im gegenständlichen Bescheid getroffen habe. Die belangte Behörde habe keinerlei Erhebungen zum Sachverhalt vorgenommen. Insbesondere habe es die belangte Behörde unterlassen, den Bf. unmittelbar zu vernehmen und den Bf. zum Thema (Erhalt der polnischen Familienleistungen Unterhaltsgefährdung/wirtschaftlichen Notlage) einzuvernehmen bzw. bei den polnischen Behörden wegen der in Polen ausbezahlten Familienleistungen nachzufragen.
Zudem habe es die belangte Behörde entgegen ihrer Verpflichtung unterlassen, sich den polnischen Steuerakt sowie den österreichischen Steuerakt des Bf.s zu organisieren.
Der Bf. sei nicht zu den obigen Themen befragt, und sei auch diesbezüglich nichts in einem Protokoll niederschriftlich festgehalten worden.
Die belangte Behörde habe in ihrem Bescheid lediglich allgemein ausgeführt, dass aufgrund der Mitteilung der polnischen Behörde Betreff ausbezahlt der Erziehungsleistungen die Differenzzahlung neu berechnet werde. Diese sehr allgemein gehaltenen Ausführungen seien nicht ausreichend und würden zudem einen Begründungsmangel darstellen. Ein Rechtsgutachten sei weiters auch nicht eingeholt worden. Die belangte Behörde habe keine Aufstellung vorgenommen, welche Leistungen der Kläger erhalten habe, sondern nur abstrakt den Betrag von EUR 261,18 als Rückforderungsbetrag erfasst. Die belangte Behörde habe auch das Vorbringen des Einschreiters in seiner Äußerung vom unberücksichtigt gelassen und mit Stillschweigen übergangen.
Die belangte Behörde verkenne in diesem Zusammenhang, dass sie von Amts wegen den Sachverhalt zu ermitteln habe. Es gelte der Grundsatz der Offizialmaxime bzw. Untersuchungsgrundsatz. Die belangte Behörde habe sowohl die entlastenden Umstände als auch die belastenden Umstände in gleicher Weise zu berücksichtigen. Die Behörde habe das Verfahren von Amts wegen zu betreiben, den notwendigen Sachverhalt festzustellen und die erforderlichen Beweise einzuholen. Die belangte Behörde hätte von Amtswegen den Bf. (unmittelbar) zu den Themen (tatsächlicher Erhalt von polnischen Familienleistungen, Nachsicht und Unbilligkeit wegen existenzgefährdender Notlage Steuerzahlung, Zahlung von Sozialversicherungsbeträgen) einvernehmen müssen sowie die polnischen und österreichischen Steuerdaten bzw. Sozialversicherungsbeitragsdaten sowie den Akt zum Bezug der polnischen Familienleistungen einholen müssen.
Aus den obigen Gründen stelle der Bf. die Anträge, das Bundesfinanzgericht möge
I. gemäß § 44 VwGVG eine mündliche Verhandlung durchführen,
II. den angefochtenen Bescheid des Finanzamt Wien 4/5/10 vom aufheben und dahingehend abändern, dass der Bf. für das Kind S. keine Beträge zurückzahlen muss, in eventu
III. den angefochtenen Bescheid des Finanzamt Wien 4/5/10 vom aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückverweisen."
Das Finanzamt wies die Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung vom mit folgender Begründung ab:
"Die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 in der ab gültigen Fassung regelt, welcher Mitgliedstaat für ein und denselben Zeitraum für ein und denselben Familienangehörigen vorrangig zur Gewährung der im jeweiligen Hoheitsgebiet vorgesehenen Familienleistungen verpflichtet ist.
Vorrangig muss grundsätzlich jener Mitgliedstaat die Familienleistungen gewähren, in dem eine Erwerbstätigkeit ausgeübt wird.
Sind die Elternteile in verschiedenen Mitgliedstaaten erwerbstätig, trifft die vorrangige Verpflichtung zur Gewährung der Familienleistungen jenen Mitgliedsstaat, in dessen Gebiet die Familienangehörigen wohnen. Sind die Familienleistungen im anderen Mitgliedsstaat höher, besteht dort gegebenenfalls ein Anspruch auf Gewährung des Unterschiedsbetrages (Artikel 68 der Verordnung (EG) Nr. 883 /2004).
Wird in jenem Mitgliedstaat, der vorrangig zur Gewährung von Familienleistungen verpflichtet ist, kein Antrag gestellt, so kann der andere Mitgliedsstaat dennoch jene Leistungen, die bei Antragstellung gewährt worden wären, bei der Berechnung des Unterschiedsbetrages berücksichtigen.
Gemäß § 8a des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 sind die Beträge an Familienbeihilfe und gemäß § 33 Abs. 3 Z 2 des Einkommensteuergesetzes 1988 ist der Kinderabsetzbetrag für Kinder, die sich ständig in einem anderen Mitgliedstaat der EU oder Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei des Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz aufhalten, an das Preisniveau des Wohnortstaates anzupassen. Die Beträge an Familienbeihilfe nach § 8a des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 und des Kinderabsetzbetrages nach § 33 Abs. 3 Z 2 des Einkommensteuergesetzes 1988 wurden mit der Familienbeihilfe Kinderabsetzbetrag-EU-Anpassungsverordnung (BGBl. II Nr. 318/2018) kundgemacht und gelten ab . Familienbeihilfenbeträge für Kinder, die sich ständig im EU/EWR-Raum und der Schweiz aufhalten, können auf der Homepage des Bundeskanzleramtes/Familien abgerufen werden.
Auf Grund der aus Polen eingegangenen für die Behörde bestimmten Formulare F001 vom , , und wurde konkret der Anspruch auf die polnischen Leistungen für die in Polen lebende Kindesmutter festgestellt, wobei der Anspruch auf die Familienleistung genügt, um die nachrangig in Österreich zustehende Ausgleichszahlung auszuzahlen.
Da das polnische Programm "Rodzina 500+" ab ohne Einkommenskriterium unabhängig vom Einkommen jedem Kind gewährt wird, ergab sich eine Rückforderung für 07/2019-09/2019."
Der Bf. stellte mit Schreiben vom einen Vorlageantrag an das Bundesfinanzgericht (BFG) mit im Wesentlichen den gleichen Einwendungen wie in seiner Beschwerde.
Am legte die belangte Behörde die Beschwerde mit Vorlagebericht dem Bundesfinanzgericht mit folgenden Beilagen zur Entscheidung vor:
Formular F001 "Vordrucke der F-Reihe zur Klärung familienbezogener Leistungen zwischen Leistungsträgern innerhalb EU/EWR/Schweiz" vom , , , und vom
Formular E 401 "Familienstandsbescheinigung für die Gewährung von Familienleistungen" vom
Formular E 411 "Anfrage betreffend den Anspruch auf Familienleistungen (Kindergeld) in dem Mitgliedstaat, in dem die Familienangehörigen wohnen" vom
[...]
diverse, (zum Teil) nicht übersetzte, polnische Bescheide, aus denen hervorgeht, dass die Mutter aufgrund Überschreiten der Einkommensgrenze keine Familienbeihilfe in Polen erhält:
[...]
Mit Beschluss vom hat das BFG das Verfahren bis zur Beendigung des beim Gerichtshof der Europäischen Union zur Gz C-163/20 anhängigen Vorabentscheidungsverfahrens zur Indexierung gem. § 271 BAO ausgesetzt.
Der Gerichtshof der Europäischen Union entschied mit Urteil EuGH , C-328/20, ECLI:EU:C:2022:468, dass die Indexierung der Familienleistungen gegen EU-Recht verstößt.
Die belangte Behörde teilte mittels Mail vom dem BFG aufgrund eines zuvor ergangenen Ermittlungsauftrages folgendes mit:
Ermittlungsauftrag BFG: "Wurde die Ausgleichszahlung für S. X. im Zeitraum der Rückforderung (Juli 19 - Sept 19) indexiert?Falls ja, könnten Sie mir bitte den Rückforderungsbetrag ohne Indexierung mitteilen?
Soweit ich am Abgabenkonto gesehen habe, wurde der strittige Betrag am mittels Überweisung beglichen.Gab es hierfür (vorab) Zahlungserleichterungen?"
Antwort: "Sehr geehrte Frau Mag. Winkler, die Rückforderung erfolgte indexiert, 500 Zloty 07-09/2019 siehe Umrechnung Blatt2.
Es wurde der Betrag der FB und der KAB rückgefordert siehe Blatt1.
Die Rf ohne Indexierung wäre für 07/2019 gewesen: FB 116,70, für 08/2019 FB 117,69 und für 09/2019 FB 116,52 siehe Blatt2.
Die bereitgestellte Nachzahlung von € 4,39 ist die Differenz zur verminderten Geschwisterzulage von 7,10, da die Familienbeihilfe mit € 114,-- ausgeschöpft war: siehe Blatt5
116,70-114= 2,70 > 7,10-2,70=€ 4,40(4,39)
Insgesamte RF 07/2019-09/2019: FB 350,91 (je 500,-- pl Zloty siehe Umrechnungskurs Blatt 2)
Es wird nur jeweils die Differenz und der Kinderabsetzbetrag nachbezahlt werden, daher ist eine Angleichung der Rückforderung nicht erforderlich.
Der Betrag wurde nicht mit Überweisung beglichen, sondern wurde vom Guthaben auf Grund der Einkommensteuer 2018 aufgerechnet.Keine Zahlungserleichterungen-kein Zahlungserleichterungsansuchen
Anhang
1 Rückforderung
2 polnischer Zlotykurs der Rückforderung
3 indexierte Beträge für Polen
4 österreichische Familienbeihilfe 2019
5 bereitgestellte Nachzahlung der Indexierung Auszug."
[...]
Am ersuchte das BFG die belangte Behörde erneut um Beantwortung folgender Fragen:
"1.) Ging die Mutter in Polen einer Beschäftigung nach? (und ist Österreich deswegen nachrangig und Polen vorrangig verpflichtet?)
2.) Ist es richtig, dass das polnische Erziehungsgeld "Rodzina 500+" ab für alle Kinder ausbezahlt wird und davor (von 2016 bis ) nur ab dem 2. Kind?
3.) Erhält die Familie, abgesehen von der in Punkt 2 genannten Leistung, noch weitere Familienleistungen (Familienbeihilfe) aus Polen?
4.) Können Sie mitteilen, ob das polnische Erziehungsgeld im konkreten Fall ausbezahlt wurde?
5.) Ist hierfür ein Antrag in Polen notwendig oder wird dies automatisch ausbezahlt?
6.) Welche Leistungen hat der Vater für den Sohn S. (in Österreich) ursprünglich (vor der Rückforderung) erhalten? Die EUR 261,18 oder darüber hinaus auch noch einen Betrag? (der jedoch nicht rückgefordert wurde). Dh wurden die österreichischen Leistungen im Streitzeitraum zur Gänze zurückgefordert?
7.) Hat das Finanzamt versucht einen Ausgleich mit den polnischen Behörden herzustellen? vgl. hierzu: :
Rechtsatz: "Werden von einem nur nachrangig zuständigen Staat der Europäischen Union Familienleistungen in Form einer Differenzzahlung (in Höhe der vollen Familienbeihilfe) ausbezahlt und wird zu einem späteren Zeitpunkt erkannt, dass im vorrangig zuständigen Staat ein Anspruch bestanden hat bzw. haben könnte, ist primär kein Rückforderungsbescheid zu erlassen, sondern ist direkt zwischen den zuständigen Trägern ein Ausgleich herzustellen (Art 72 VO(EG) 987/2009)."
Am antwortete die belangte Behörde wie folgt:
"Ad1 Ja siehe Auszug F001 eingegangen am Polen war vorrangig verpflichtet
Ad2 ja
Ad3 nein, da das Einkommen zu hoch ist
Ad4 ja siehe Anhang F001 vom
Ad5 Antrag notwendig
Ad6 Die komplette Leistung für 07-09/2019 wurde rückgefordert-siehe 1. Mail
Ad7 Die Leistung wurde in Polen ausbezahlt-eine Erstattung von Polen hätte daher gar nicht stattfinden können. Wir haben in diesem Fall erst rückgefordert, nachdem die Mitteilung gekommen ist und nicht mit der Begründung, dass der Anspruch entstanden ist - unabhängig von einer Auszahlung."
[...]
Am teilte die belangte Behörde im Zuge der Vorbereitung auf die mündliche Verhandlung mit, dass am an den BF EUR 176,43 (Ausgleichszahlung ohne Indexierung) (automatisch/systembedingt) ausbezahlt wurde.
In der am stattgefunden mündlichen Verhandlung wurde durch den BF behauptet, seine Gattin sei im Beschwerdezeitraum keiner Beschäftigung nachgegangen. Darüber hinaus wurde außer Streit gestellt, dass mittlerweile sämtliche (wechselseitige) Forderungen und Ansprüche zwischen dem BF und der belangten Behörde, durch die Überweisung vom , wechselseitig bereinigt sind.
Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
Festgestellter Sachverhalt
Das Bundesfinanzgericht stellt auf Basis des oben geschilderten Verwaltungsgeschehens und der aktenkundigen Unterlagen folgenden entscheidungswesentlichen Sachverhalt fest:
Der Bf., seine Ehegattin und die Kinder S., geboren im April 2017 und ***K2***, geboren im Juni 2019, sind polnische Staatsbürger.
Der Bf. geht in Österreich einer Beschäftigung nach.
Die Ehegattin lebt mit den Kindern in Polen und ist selbstständig erwerbstätig/erzielt Einkünfte aus einer beruflichen Tätigkeit. In Polen hat die Ehegattin dem Grunde nach Anspruch auf Familienleistungen, aufgrund des Überschreitens der Einkommensgrenzen werden diese jedoch nicht ausbezahlt.
Der Bf. bezog auf Grund seiner Erwerbstätigkeit in Österreich für das Kind S. die Ausgleichszahlung zur Familienbeihilfe, welche - wie der Kinderabsetzbetrag - indexiert ausbezahlt wurde:
Familienbeihilfe monatlich EUR 57,57 für 3 Monate daher: EUR 172,71
Kinderabsetzbetrag monatlich EUR 29,49 für 3 Monate daher: EUR 88,47
gesamt EUR 261,18
Seit bezieht die Ehegattin für ihren Sohn S. das in Polen beantragte und (neu) eingeführte einkommensunabhängige Erziehungsgeld "Świadczenie wychowawcze 500+" (500 Zloty pro Monat und Kind).
Mittels "EU-Formular F001" vom wurde der belangten Behörde aus Polen mitgeteilt, dass für den Sohn des Bf., S. von - 500,- - Zloty monatlich zustehen und ausbezahlt wurden.
Mit Rückforderungsbescheid vom hat die belangte Behörde die gesamte an den Bf. ausbezahlte (indexierte) Differenzzahlung (Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag) in Höhe von EUR 261,18 zurückgefordert.
Der Umrechnungskurs (Euro/Zloty) wird im Beschwerdezeitraum wie folgt angenommen:
Die vom Finanzamt zur Anwendung gelangten indexierten Beträge (Polen) lauten wie folgt:
Am überwies die belangte Behörde dem BF € 176,43 (aus dem Titel der rechtswidrig vorgenommenen Indexierung). Diese Auszahlung erfolgte systemautomatisch.
Es wurde kein Antrag auf Nachsicht gem. § 236 BAO eingebracht.
Es liegt keine Weisung der Oberbehörde vor, von einem Rückzahlungsbescheid abzusehen.
Beweiswürdigung
Die Sachverhaltsfeststellungen entsprechen dem von der Behörde festgestellten Sachverhalt und den Feststellungen im Rahmen der mündlichen Verhandlung. Darüber hinaus ergeben sich keinerlei Hinweise aus dem Verwaltungsakt, die an der Richtigkeit des festgestellten Sachverhaltes zweifeln lassen.
Strittig sind die Rechtsfragen ob der Auszahlungsbetrag in Österreich im Zeitraum Juli bis September 2019 um den Anspruch auf die Erziehungsleistung für das Kind S. in Höhe von 500 PLN pro Monat zu reduzieren ist, ob daher die Rückforderung dem Grunde und in der ausgesprochenen Höhe zu Recht erfolgte, ob die Indexierung zu Recht erfolgte sowie ob eine Abstandnahme von der Rückforderung gem. § 26 Abs 4 FLAG respektive eine Nachsicht gem. § 236 BAO fallgegenständlich zur Anwendung kommt.
Dem vom Finanzamt übermittelte Umrechnungswert Euro/Zloty wurde in der mündlichen Verhandlung nicht widersprochen. Das Bundesfinanzgericht hält es daher für erwiesen, dass die polnischen Familienleistungen, auf die der BF im Beschwerdezeitraum Anspruch hatte und tatsächlich auch bezogen hatte, einen Wert von insgesamt € 362,06 aufweisen (für Juli: EUR 116,70, August 128,84 und September 116,52).
Auch die von der belangten Behörde übermittelten Indexbeträge konnten unwidersprochen dem Sachverhalt zugrunde gelegt werden.
Die Feststellung, wonach die Gattin des Bf. in Polen Einkünfte erzielt, stützt das Gericht auf die Meldung ("Formular 001" vom ) durch die polnische Behörde. Dieser Umstand wird untermauert durch die Tatsache, dass genau diese Einkünfte in Polen dazu führten, dass kein (primärer) Anspruch auf Familienbeihilfe aufgrund dieser Einkünfte bestand.
Die Überweisung in Höhe von € 176,43 (vom ) wurde in der mündlichen Verhandlung außer Streit gestellt.
Weitere (beantragte) Beweisaufnahmen waren im Hinblick auf den diesbezüglich unstrittigen Sachverhalt nicht geboten und wurden in der mündlichen Verhandlung auch nicht mehr aufrechterhalten.
Rechtliche Beurteilung
Familienbeihilfenanspruch
Nach § 2 Abs. 1 lit. a FLAG 1967 haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, für minderjährige Kinder Anspruch auf Familienbeihilfe. Nach Abs. 2 leg cit hat jene Person Anspruch auf Familienbeihilfe für ein im Abs. 1 genanntes Kind, zu deren Haushalt das Kind gehört. Eine Person, zu deren Haushalt das Kind nicht gehört, die jedoch die Unterhaltskosten überwiegend für das Kind trägt, hat dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn keine andere Person nach dem ersten Satz anspruchsberechtigt ist.
§ 4 Abs. 1 FLAG 1967 normiert, dass Personen, die Anspruch auf eine gleichartige Beihilfe haben, keinen Anspruch auf österreichische Familienbeihilfe haben.
In § 4 Abs. 2 FLAG 1967 ist vorgesehen, dass österreichische Staatsbürger, die gemäß Abs. 1 und § 5 Abs. 5 vom Anspruch auf Familienbeihilfe ausgeschlossen sind, eine Ausgleichszahlung erhalten, wenn die Höhe der gleichartigen ausländischen Beihilfe, auf die sie oder eine andere Person Anspruch haben, geringer ist als die Familienbeihilfe, die ihnen nach diesem Bundesgesetz ansonsten zu gewähren wäre.
Nach § 4 Abs. 6 FLAG 1967 gilt die Ausgleichszahlung, mit Ausnahme der Bestimmungen über die Höhe der Familienbeihilfe, als Familienbeihilfe im Sinne dieses Bundesgesetzes.
Gemäß § 5 Abs. 3 FLAG 1967 besteht kein Anspruch auf Familienbeihilfe für Kinder, die sich ständig im Ausland aufhalten.
In diesem Zusammenhang bestimmt jedoch § 53 Abs. 1 FLAG 1967, dass § 5 Abs. 3 FLAG 1967 in Bezug auf EU-Staatsbürger grundsätzlich nicht gilt; diese sind in diesem Bundesgesetz österreichischen Staatsbürgern gleichgestellt. Dabei ist der ständige Aufenthalt eines Kindes in einem Staat der Europäischen Union nach Maßgabe der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen dem ständigen Aufenthalt eines Kindes in Österreich gleichzuhalten.
Im vorliegenden Fall liegt ein grenzüberschreitender Sachverhalt vor, da der Bf. in Österreich einer Beschäftigung nachgeht und seine Ehegattin mit den gemeinsamen zwei mj. Kindern in Polen lebt und dort ebenfalls Einkünfte erzielt. Es sind daher nicht nur die innerstaatlichen Bestimmungen des FLAG 1967 zu beachten. Vielmehr ist die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (idF VO), die ab gilt, anzuwenden. Diese hat allgemeine Geltung, ist in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat ("Durchgriffswirkung"). Die VO geht dem nationalen Recht in ihrer Anwendung vor ("Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts"). Zu beachten ist weiters die Verordnung (EG) Nr. 987/2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der obigen VO.
Art 11 Abs. 3 lit a VO (EG) 883/2004 normiert, dass eine Person, die in einem Mitgliedstaat eine Beschäftigung oder selbstständige Erwerbstätigkeit ausübt, den Rechtsvorschriften dieses Mit-gliedstaats unterliegt.
Nach Art. 67 der VO hat eine Person auch für Familienangehörige, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats, als ob die Familienangehörigen in diesem Mitgliedstaat wohnen würden.
Sind für denselben Zeitraum und für dieselben Familienangehörigen Leistungen nach den Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten zu gewähren, so gelten die in Art 68 der VO ausgeführten Prioritätsregeln:
(1) Sind für denselben Zeitraum und für dieselben Familienangehörigen Leistungen nach den Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten zu gewähren, so gelten folgende Prioritätsregeln:
a) Sind Leistungen von mehreren Mitgliedstaaten aus unterschiedlichen Gründen zu gewähren, so gilt folgende Rangfolge:
an erster Stelle stehen die durch eine Beschäftigung oder eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausgelösten Ansprüche, darauf folgen die durch den Bezug einer Rente ausgelösten Ansprüche und schließlich die durch den Wohnort ausgelösten Ansprüche.
b) Sind Leistungen von mehreren Mitgliedstaaten aus denselben Gründen zu gewähren, so richtet sich die Rangfolge nach den folgenden subsidiären Kriterien:
i) bei Ansprüchen, die durch eine Beschäftigung oder eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausgelöst werden: der Wohnort der Kinder, unter der Voraussetzung, dass dort eine solche Tätigkeit ausgeübt wird, und subsidiär gegebenenfalls die nach den widerstreitenden Rechtsvorschriften zu gewährende höchste Leistung. Im letztgenannten Fall werden die Kosten für die Leistungen nach in der Durchführungsverordnung festgelegten Kriterien aufgeteilt;
ii) bei Ansprüchen, die durch den Bezug einer Rente ausgelöst werden: der Wohnort der Kinder unter der Voraussetzung, dass nach diesen Rechtsvorschriften eine Rente geschuldet wird, und subsidiär gegebenenfalls die längste Dauer der nach den widerstreitenden Rechtsvorschriften zurückgelegten Versicherungs- oder Wohnzeiten;
iii) bei Ansprüchen, die durch den Wohnort ausgelöst werden: der Wohnort der Kinder.
(2) Bei Zusammentreffen von Ansprüchen werden die Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften gewährt, die nach Absatz 1 Vorrang haben. Ansprüche auf Familienleistungen nach anderen widerstreitenden Rechtsvorschriften werden bis zur Höhe des nach den vorrangig geltenden Rechtsvorschriften vorgesehenen Betrags ausgesetzt; erforderlichenfalls ist ein Unterschiedsbetrag in Höhe des darüberhinausgehenden Betrags der Leistungen zu gewähren. Ein derartiger Unterschiedsbetrag muss jedoch nicht für Kinder gewährt werden, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, wenn der entsprechende Leistungsanspruch ausschließlich durch den Wohnort ausgelöst wird.
Die Ehefrau des Bf. hat im Beschwerdezeitraum auf jeden Fall Anspruch auf die (polnische) Erziehungsleistung und damit auf Familienleistungen. Weiters hat das Bundesfinanzgericht (BFG) hat in seiner bisherigen Rechtsprechung die polnische "Beihilfe 500+" als eine mit der österreichischen Familienbeihilfe und dem österreichischen Kinderabsetzbetrag gegen zu verrechnende Familienleistung angesehen (vgl. ; ).
Polen war daher gemäß Art. 68 Abs. 1 Buchst. b VO 883/2004 vorrangig zur Erbringung von Familienleistungen zuständig. Österreich hat gemäß Art. 68 Abs. 2 VO 883/2004 als nachrangig zuständiger Staat den Unterschiedsbetrag zwischen den polnischen und den österreichischen Familienleistungen zu leisten.
Strittig ist in weiterer Folge, ob der gesamte Betrag an österreichischen Familienleistungen im Beschwerdezeitraum zurückzufordern ist oder nur der Unterschiedsbetrag zwischen den österreichischen und den polnischen Familienleistungen und in diesem Fall die Höhe dieses Betrages.
Die bereits gewährte Familienbeihilfe bzw. Ausgleichszahlung war daher grundsätzlich zu Recht in Höhe der polnischen Erziehungsleistung zurückzufordern. Zur vorgenommenen Indexierung, siehe unten.
Nationales polnisches Recht
Die maßgebenden Bestimmungen des polnischen Rechts (Gesetz über Familienleistungen (Ustawa o swiadczeniach rodzinnych) vom , Gesetz über die staatliche Unterstützung für die Kindererziehung (Ustawa o pomocy panstwa w wychowywaniu dzieci) vom , Gesetz zur Unterstützung von schwangeren Frauen und ihrer Familien "Für das Leben" (Ustawa o wsparciu kobiet w ciazy i rodzin "Za zyciem") vom und Gesetz über Ergänzendes Elterngeld (Ustawa o rodzicielskim swiadczeniu uzupelniajacym) vom sehen zu Familienleistungen unter anderem vor (vgl. https://www.missoc.org/missoc-information/missoc-vergleichende-tabellen-datenbank/missoc-vergleichstabellen-datenbank-ergebnisse-anzeigen/?lang=de):
Kindergeld (Zasilek rodzinny):
Die monatlichen Beträge pro Kind hängen vom Alter ab:
• unter 5 Jahren: PLN 95
• 5 -18 Jahre: PLN 124
• 18 -24 Jahre: PLN 135
Das Pro-Kopf-Nettoeinkommen der Familie darf PLN 674 (€ 151) pro Monat (PLN 764 (€ 171) im Falle von Familien mit einem behinderten Kind) nicht übersteigen.
Leistungen zur Kindererziehung (Swiadczenie wychowawcze, 500 Plus):
Eine Familie mit Kindern kann Leistungen für jedes Kind unabhängig vom Einkommen erhalten. Der Monatsbetrag pro Kind liegt bei PLN 500 und ist nicht vom Alter des Kindes abhängig. Der Leistungsbetrag verändert sich nicht mit dem Familieneinkommen.
Rechtswidrig vorgenommene Indexierung
Bei der Berechnung der Rückforderung ist allerdings zu beachten, dass durch die in der Zwischenzeit ergangene EuGH-Rechtsprechung festgestellt wurde, dass die Indexierung gem. § 8a FLAG 1967 und § 33 Abs 3 EStG 1988 rechtswidrig war:
Gemäß § 8a FLAG 1967 galt bis BGBl. I Nr. 135/22, kundgemacht am , Folgendes:
"(1) Die Beträge an Familienbeihilfe (§ 8) für Kinder, die sich ständig in einem anderen Mitgliedstaat der EU oder Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz aufhalten, sind auf Basis der vom Statistischen Amt der Europäischen Union veröffentlichten vergleichenden Preisniveaus für jeden einzelnen Mitgliedstaat der EU, jede Vertragspartei des Europäischen Wirtschaftsraumes und die Schweiz im Verhältnis zu Österreich zu bestimmen.
(2) Die Beträge an Familienbeihilfe nach Abs. 1 gelten erstmals ab auf Basis der zum Stichtag zuletzt veröffentlichten Werte nach Abs. 1. Die Beträge sind in der Folge jedes zweite Jahr auf Basis der zum Stichtag 1. Juni des Vorjahres zuletzt veröffentlichten Werte anzupassen.
(3) Die Bundesministerin für Frauen, Familien und Jugend oder der Bundesminister für Frauen, Familien und Jugend hat gemeinsam mit der Bundesministerin für Finanzen oder dem Bundesminister für Finanzen die Berechnungsgrundlagen und die Beträge nach Abs. 1 und 2 sowie die Beträge nach § 33 Abs. 3 Z 2 EStG 1988 mit Verordnung kundzumachen."
Gemäß § 33 Abs 3 EStG 1988 galt bis BGBl. I Nr. 135/22, kundgemacht am , Folgendes:
"Steuerpflichtigen, denen auf Grund des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 Familienbeihilfe gewährt wird, steht im Wege der gemeinsamen Auszahlung mit der Familienbeihilfe ein Kinderabsetzbetrag von monatlich 58,40 Euro für jedes Kind zu.
Abweichend davon gilt:
1. Für Kinder, die sich ständig außerhalb eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines Staates des Europäischen Wirtschaftsraumes oder der Schweiz aufhalten, steht kein Kinderabsetzbetrag zu.
2. Für Kinder, die sich ständig in einem anderen Mitgliedstaat der EU oder Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz aufhalten, ist die Höhe des Kinderabsetzbetrages auf Basis der vom Statistischen Amt der Europäischen Union veröffentlichten vergleichenden Preisniveaus für jeden einzelnen Mitgliedstaat der EU, jede Vertragspartei des Europäischen Wirtschaftsraumes und die Schweiz im Verhältnis zu Österreich zu bestimmen:
a) Die Höhe der Kinderabsetzbeträge ist erstmals ab auf Basis der zum Stichtag zuletzt veröffentlichten Werte anzupassen. Die Höhe der Kinderabsetzbeträge ist in der Folge jedes zweite Jahr auf Basis der zum Stichtag 1. Juni des Vorjahres zuletzt veröffentlichten Werte anzupassen.
b) Die Höhe der Kinderabsetzbeträge ist gemäß § 8a Abs. 3 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 kundzumachen.
Wurden Kinderabsetzbeträge zu Unrecht bezogen, ist § 26 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 anzuwenden."
Die Europäische Kommission brachte beim Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) eine Vertragsverletzungsklage gegen die Republik Österreich ein und beantragte, festzustellen, dass
"- die Republik Österreich durch die Einführung eines Anpassungsmechanismus in Bezug auf die Familienbeihilfe und den Kinderabsetzbetrag für Erwerbstätige, deren Kinder ständig in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 4, 7 und 67 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl. 2004, L 166, S. 1) sowie aus Art. 7 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union (ABl. 2011, L 141, S. 1) verstoßen hat und
- die Republik Österreich durch die Einführung eines Anpassungsmechanismus in Bezug auf den Familienbonus Plus, den Alleinverdienerabsetzbetrag, den Alleinerzieherabsetzbetrag und den Unterhaltsabsetzbetrag für Wanderarbeitnehmer, deren Kinder ständig in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 492/2011 verstoßen hat."
Mit , stellte dieser eindeutig fest, dass die Indexierung der Familienbeihilfe und des Kinderabsetzbetrages den unionsrechtlichen Bestimmungen widerspricht.
Sodann wurde am im Bundesgesetzblatt das BGBl. I Nr. 135/2022 verlautbart. Demnach entfällt sowohl die Bestimmung des § 8a FLAG 1967 rückwirkend ab als auch die Indexierungsklausel des § 33 Abs 3 EStG 1988.
Der unionsrechtskonforme Zustand wurde vom Gesetzgeber auf Grund des EuGH-Urteils hergestellt. Die (rechtswidrigen) Indexierungsbestimmungen des § 8a FLAG 1967 und des § 33 Abs 3 Z 2 EStG 1988 sind daher auf die verfahrensgegenständlichen Ansprüche der Familienbeihilfe und des Kinderabsetzbetrages nicht anzuwenden.
Kinderabsetzbetrag
Der in Österreich zur Familienbeihilfe zusätzlich nach § 33 Abs. 3 EStG (Einkommensteuergesetz) gewährte Kinderabsetzbetrag in Höhe von monatlich € 58,40 (ab dem Jahr 2009) pro Kind zählt der nach der ständigen Rechtsprechung des BFG (vgl. z.B. ; ; ; UFS, RV/0130-L/11 vom ; ) unstrittig zum Begriff "Familienleistung" nach der genannten VO. Dies entspricht auch den Ausführungen im Kommentar zum österreichischen Familienlastenausgleichsgesetz (vgl. Herwig Aigner in Csaszar/Lenneis/Wanke, FLAG, § 4, Rz 11). Beim Kinderabsetzbetrag handelt es sich im wirtschaftlichen Sinne um einen Zuschlag zur Familienbeihilfe. Jener Umstand, dass der KAB im EStG und die Familienbeihilfe in Österreich in unterschiedlichen gesetzlichen Bestimmungen geregelt sind, vermag an der Eigenschaft des Absetzbetrages als Familienleistung iS der VO nichts zu ändern. Der Grund der unterschiedlichen gesetzlichen Regelungen in Österreich liegt im Wesentlichen darin, dass die Familienbeihilfe zu Lasten des Familienlastenausgleichsfonds, der aus Dienstgeberbeiträgen nach § 39 FLAG gespeist wird, hingegen der KAB aus dem Einkommensteueraufkommen finanziert wird (vgl. auch Doralt, EStG § 33 Tz 36; ).
Rückforderung
§ 26 FLAG 1967 normiert:
(1) Wer Familienbeihilfe zu Unrecht bezogen hat, hat die entsprechenden Beträge zurückzuzahlen.
(2) Zurückzuzahlende Beträge nach Abs. 1 können auf fällige oder fällig werdende Familienbeihilfen angerechnet werden.
3) Für die Rückzahlung eines zu Unrecht bezogenen Betrages an Familienbeihilfe haftet auch derjenige Elternteil des Kindes, der mit dem Rückzahlungspflichtigen in der Zeit, in der die Familienbeihilfe für das Kind zu Unrecht bezogen worden ist, im gemeinsamen Haushalt gelebt hat.
(4) Die Oberbehörde ist ermächtigt, in Ausübung des Aufsichtsrechtes das zuständige Finanzamt anzuweisen, von der Rückforderung des unrechtmäßigen Bezuges abzusehen, wenn die Rückforderung unbillig wäre.
Aus § 26 Abs. 1 FLAG 1967 und § 33 Abs. 3 EStG 1988 ergibt sich eine objektive Rückzahlungspflicht desjenigen, der Familienbeihilfe (allenfalls in Form einer Ausgleichszahlung / Differenzzahlung) und Kinderabsetzbetrag zu Unrecht bezogen hat. Es kommt nur auf die objektive Rechtswidrigkeit des Bezugs der Familienleistungen an), also auf das Fehlen der Anspruchsvoraussetzungen für den Leistungsbezug. Subjektive Momente, wie Verschulden an der (ursprünglichen oder weiteren) Auszahlung der Familienleistungen, Gutgläubigkeit des Empfangs der Familienbeihilfe und des Kinderabsetzbetrags oder die Verwendung der Familienbeihilfe und des Kinderabsetzbetrags, sind nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für die Verpflichtung zur Rückerstattung unrechtmäßiger Beihilfenbezüge unerheblich. Gleiches gilt für den gutgläubigen Verbrauch der Beträge ().
Diese objektive Erstattungspflicht hat zur Folge, dass der Behörde, sobald die Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug von Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag nicht mehr gegeben sind, hinsichtlich der Rückforderung von bereits bezogener Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag kein Ermessensspielraum bleibt (vgl. ).
Zur Rückzahlung eines unrechtmäßigen Bezuges an Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag ist nach § 26 Abs. 1 FLAG 1967 derjenige verpflichtet, der Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag zu Unrecht bezogen hat (vgl. ). Die Familienbeihilfe und der Kinderabsetzbetrag müssen demjenigen, von dem sie zurückgefordert wird, tatsächlich ausbezahlt worden sein.
Höhe der Rückforderung
In Österreich beträgt die Familienbeihilfe im Jahr 2018:
Ab der Geburt bis zum 3. Lebensjahr: EUR 114,00
Der monatliche Gesamtbetrag an Familienbeihilfe erhöht sich durch die Geschwisterstaffelung für jedes Kind, wenn sie:
Für zwei Kinder gewährt wird, um EUR 7,10 für jedes Kind.
Der Rückforderungsbetrag errechnet sich daher wie folgt:
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Juli | August | September | ||
Familienbeihilfe AT | 114,00 | 114,00 | 114,00 | |
Kinderabsetzbetrag | 58,40 | 58,40 | 58,40 | |
Geschwisterstaffelung | 7,10 | 7,10 | 7,10 | |
gesamt | 179,50 | 179,50 | 179,50 | |
abzügl. Leistung aus Polen | - 116,70 | - 128,84 | - 116,52 | |
Anspruch Differenzzahlung | 62,80 | 50,66 | 62,98 | |
bisher ausbezahlt FB index. | 57,57 | 57,57 | 57,57 | |
Kinderabsetzbetrag index. | 29,49 | 29,49 | 29,49 | |
Gesamt ausbezahlt bisher | 87,06 | 87,06 | 87,06 | |
Rückforderungsbetrag | 24,26 | 36,40 | 24,08 | 84,74 |
Explizit wird an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass hinsichtlich der weiteren Abwicklung/Gebarung zwischen der belangten Behörde und dem BF folgende, zwischenzeitig erfolgte Buchungen, zu berücksichtigen sind:
1. die erfolgte Entrichtung des gesamten Rückforderungsbetrages von EUR 216,18 vom durch den BF
2. automatische Nachzahlung (ohne rechtswidrige Indexierung) vom von gesamt € 176,43 durch die belangte Behörde
Daraus ergibt sich, dass durch die mittlerweile erfolgten Belastungen und Gutschriften der rechtmäßige Zustand am Abgabenkonto bereits verwirklicht wurde. In weiterer Folge erfolgen daher keine weiteren Gutschriften respektive Belastungen.
Abstandnahme von der Rückforderung (§ 26 Abs 4 FLAG 1967)
§ 26 Abs 4 FLAG 1967 normiert: Die Oberbehörde ist ermächtigt, in Ausübung des Aufsichtsrechtes das zuständige Finanzamt anzuweisen, von der Rückforderung des unrechtmäßigen Bezuges abzusehen, wenn die Rückforderung unbillig wäre.
Seit ist der für die Vollziehung des FLAG zuständige Bundesminister Oberbehörde.
Gemäß § 26 Abs. 4 FLAG 1967 kann die Oberbehörde, das ist derzeit die zur Vollziehung des FLAG 1967 gemäß Anlage zu § 2 Bundesministeriengesetz 1986, Teil 2, A. Bundeskanzleramt, Punkt 19 i. V. m. Abs. 1 Z 12 Entschließung des Bundespräsidenten, mit der die sachliche Leitung bestimmter, zum Wirkungsbereich des Bundeskanzleramtes gehörender Angelegenheiten einer eigenen Bundesministerin übertragen wird, BGBl. II Nr. 3/2022, zuständige Bundesministerin im Bundeskanzleramt MMag. Dr. Susanne Raab, in Ausübung des Aufsichtsrechtes das zuständige Finanzamt anweisen, von der Rückforderung des unrechtmäßigen Bezuges abzusehen, wenn die Rückforderung unbillig wäre. Hierbei handelt es sich nach den Durchführungsrichtlinien (Wanke in Lenneis/Wanke, FLAG 2. A. § 26 Rz 73) um eine Maßnahme der Dienstaufsicht.
Das BFG ist ein Verwaltungsgericht und keine Oberbehörde (vgl ).
Nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH besteht auf die Ausübung des Aufsichtsrechtes kein Rechtsanspruch (vgl etwa ; , 90/13/0241; , 98/13/0067 oder , 97/15/0196; , 2005/15/0080). Das Unterlassen von auf die Ausübung des Aufsichtsrechtes gerichteten Maßnahmen begründet daher auch keinen im Rahmen einer Bescheidbeschwerde vor dem VwG oder einer Revision vor dem VwGH erfolgreich geltend zu machenden Verfahrensmangel (vgl ; , 2008/15/0323; , 2006/15/0080; , 2006/15/0076; , 2006/13/0174).
Die Abstandnahme von der Rückforderung nach § 26 Abs. 4 FLAG 1967 erfolgt daher nicht durch einen verfahrensrechtlichen Bescheid, sondern dadurch, dass es die Behörde über Weisung der Oberbehörde unterlässt, einen Rückzahlungsbescheid zu erlassen (Wanke in Lenneis/Wanke, FLAG 2. A. § 26 Rz 74).
Es handelt sich diesbezüglich um ein völlig eigenständiges Verfahren. Die Geltendmachung einer allfälligen Unbilligkeit oder Billigkeitsmaßnahme in diesem Sinne ist nicht Gegenstand des Verfahrens vor dem BFG betreffend Rückforderung von zu Unrecht bezogener Familienbeihilfe.
Eine derartige Weisung wäre grundsätzlich auch in einem Beschwerdeverfahren gegen einen Rückforderungsbescheid möglich und gegebenenfalls in einem Verfahren nach § 300 BAO umzusetzen (vgl. ).
Laut Aktenlage und Angaben in der mündlichen Verhandlung ist eine Anweisung auf Abstandnahme von der Rückforderung durch die Oberbehörde nicht erfolgt.
Es muss aber beachtet werden, dass es sich dabei um eine Maßnahme des Aufsichtsrechtes handelt, wobei es strittig ist, ob ein solcher Antrag auch noch nach Ergehen des Rückforderungsbescheides gestellt werden kann (vgl. ). Die Beurteilung dieser Rechtsfrage fällt jedoch nicht in den Kompetenzbereich des BFG.
Ansuchen um Nachsicht (§ 236 BAO)
§ 236 BAO idF ab lautet:
(1) Fällige Abgabenschuldigkeiten können auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach der Lage des Falles un-billig wäre.
(2) Abs. 1 findet auf bereits entrichtete Abgabenschuldigkeiten sinngemäß Anwendung.
(3) Die Bestimmungen des § 235 Abs. 2 und 3 gelten auch für die Nachsicht von Abgaben-schuldigkeiten.
Eine Nachsicht gemäß § 236 BAO (Abschreibung von Abgabenschuldigkeiten) ist ein von der Rückforderung getrenntes Verfahren. Die Gewährung einer Nachsichtliegt im Ermessen der Finanzämter und kann bei Versagung der beantragten Nachsicht in einem Rechtsmittelverfahren angefochten werden. Die Nachsicht setzt keine Weisung der Oberbehörde nach § 26 Abs 4 FLAG voraus.
Der vom Finanzamt erlassene Bescheid, in dem über den Antrag entschieden wird, ist mit Beschwerde anfechtbar (Wanke in Lenneis/Wanke (Hrsg), FLAG, 2. Aufl. 2020, § 26, IX. Ansuchen um Nachsicht (§ 236 BAO) [Rz 78f].
Wird der entscheidungsrelevante Sachverhalt dem Finanzamt offengelegt, aber dennoch Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag ausbezahlt, kann grundsätzlich eine sachliche Unbilligkeit nach § 236 BAO vorliegen (vgl. ). Nach der Rechtsprechung kann eine sachliche Unbilligkeit vorliegen, wenn durch die Beihilfenbehörde der Grundsatz von Treu und Glauben (vgl. ) dadurch verletzt wurde, dass der Nachsichtswerber auf ein unrichtiges Verhalten der Behörde, das eindeutig und unzweifelhaft für ihn zum Ausdruck kam, vertraut und danach disponiert hat (vgl. ). Ein derartiges Verhalten der Behörde kann sich nicht nur aus telefonischen Rechtsauskünften, die in der Praxis schwer nachweisbar sind, sondern grundsätzlich auch aus Mitteilungen über den Familienbeihilfebezug bei zuvor durch den Beihilfebezieher vollständig offengelegtem Sachverhalt ergeben.
Ob dies hier der Fall war, ist im gegenständlichen Verfahren nicht zu beurteilen. Über eine Nachsicht ist nicht im gegenständlichen Beschwerdeverfahren gegen den Rückforderungsbescheid zu befinden, das Nachsichtsverfahren ist ein eigenes Verwaltungsverfahren.
Im gegenständlichen Fall liegt kein solcher Bescheid vor, weswegen darüber nicht abgesprochen werden konnte/musste. Soweit sich der Bf. auf die Unbilligkeit der Rückforderung beruft, ist er daher darauf hinzuweisen, dass eine Billigkeitsmaßnahme iSd § 236 BAO nicht Gegenstand dieses Verfahrens ist.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Zuständigkeitsänderung
Durch den Beschluss des Geschäftsverteilungsausschusses vom wurde der gegenständliche Fall der unbesetzten Gerichtsabteilung 1064 abgenommen und zum Stichtag der Gerichtsabteilung 1078 neu zugeteilt.
Finanzamt Österreich
§ 323b Abs. 1 bis 3 BAO lautet i. d. F. BGBl. I Nr. 99/2020 (2. FORG)
§ 323b. (1) Das Finanzamt Österreich und das Finanzamt für Großbetriebe treten für ihren jeweiligen Zuständigkeitsbereich am an die Stelle des jeweils am zuständig gewesenen Finanzamtes. Das Zollamt Österreich tritt am an die Stelle der am zuständig gewesenen Zollämter.
(2) Die am bei einem Finanzamt oder Zollamt anhängigen Verfahren werden von der jeweils am zuständigen Abgabenbehörde in dem zu diesem Zeitpunkt befindlichen Verfahrensstand fortgeführt.
(3) Eine vor dem von der zuständigen Abgabenbehörde des Bundes genehmigte Erledigung, die erst nach dem wirksam wird, gilt als Erledigung der im Zeitpunkt des Wirksamwerdens für die jeweilige Angelegenheit zuständigen Abgabenbehörde.
Die gegenständliche Entscheidung ergeht daher an das Finanzamt Österreich.
Zulässigkeit der Revision
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis bzw. der Beschluss von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Die hier zu lösende Rechtsfrage ergibt sich unmittelbar aus dem Gesetz und entspricht der höchstgerichtlichen Judikatur, sodass keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung iSd Art 133 Abs 4 B-VG vorliegt. Die Voraussetzungen, unter denen Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträge gewährt werden bzw. bei zu Unrecht erfolgtem Bezug zurückzufordern sind, waren ebenso wie die Indexierung bereits Gegenstand der höchstgerichtlichen Rechtsprechung und lassen sich zudem in klarer Weise aus dem Gesetz ableiten. Es liegt daher keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vor.
Wien, am
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