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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 30.01.2023, RV/5100876/2020

Aufhebung von Festsetzungsbescheiden nach § 201 BAO aufgrund fehlender Nennung des Tatbestands

Rechtssätze


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Stammrechtssätze
RV/5100876/2020-RS1
Bei einer Festsetzung nach § 201 BAO muss aus dem Spruch oder zumindest aus der Begründung hervorgehen, auf welchen Tatbestand der Bescheid gestützt wird (). Kann weder dem Spruch noch der Begründung der Tatbestand entnommen werden, so ist der Bescheid aufzuheben. Die erstmalige Benennung des Tatbestandes durch das Bundesfinanzgericht überschreitet die Änderungsbefugnis nach § 279 BAO und ist folglich unzulässig.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht erkennt durch den Richter Mag. Patrick Brandstetter in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Schwaiger Steuerberatung GmbH, Sparkassenplatz 2, 4690 Schwanenstadt, über die Beschwerde vom gegen die Haftungsbescheide des Finanzamtes Grieskirchen Wels (nunmehr Finanzamt Österreich) vom betreffend Kapitalertragsteuer 2015, Kapitalertragsteuer 2016 sowie Kapitalertragsteuer 2017 zu Recht:

I. Die angefochtenen Bescheide werden gem. § 279 Abs. 1 BAO aufgehoben.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Das Finanzamt Grieskirchen Wels nahm bei der beschwerdeführenden Partei eine Außenprüfung betreffend die Jahre 2015 bis 2017 vor. Als Folge dieser Außenprüfung zog das Finanzamt Grieskirchen Wels die beschwerdeführende Partei mit Bescheiden vom zur Haftung betreffend Kapitalertragsteuer für das Jahr 2015 in Höhe von EUR 49.337,07, Kapitalertragsteuer für das Jahr 2016 in Höhe von EUR 7.596,00 bzw. EUR 49.337,07 sowie Kapitalertragsteuer für das Jahr 2017 in Höhe von EUR 3.131,88 bzw. EUR 49.337,07 heran. In den Begründungen dieser Bescheide wurde zum einen lediglich die Textierung der angewendeten Paragraphen wiedergegeben sowie zum anderen die Ermessensentscheidung begründet.

Die beschwerdeführende Partei erhob mit Schriftsatz vom gegen diese Bescheide Beschwerde und führte sie darin zusammengefasst aus, dass mangels Abhaltung einer Schlussbesprechung eine Verletzung des Parteiengehörs vorliege, die Bescheide betreffend die Jahre 2016 und 2017 im Spruch unterschiedliche Haftungsbeträge nennen würden sowie das Verrechnungskonto des Gesellschafter-Geschäftsführers bei der beschwerdeführenden Partei keine verdeckte Ausschüttung darstelle.

Mit Beschwerdevorentscheidungen vom wies das Finanzamt Grieskirchen Wels die Beschwerden ab. Begründet wurde dies damit, dass zum einen das Recht auf Parteiengehör gewahrt worden sei bzw. eine Verletzung des Parteiengehörs im Beschwerdeverfahren geheilt werde. Zum anderen liege in Bezug auf das Verrechnungskonto eine verdeckte Ausschüttung vor, da diesbezüglich weder fremdübliche Vereinbarungen vorliegen würden, noch Vereinbarungen in fremdüblicher Art und Weise vollzogen worden seien. Zudem sei weder die Bonität des Gesellschafter-Geschäftsführers ausreichend, noch seien taugliche Sicherheiten vorhanden. Aus diesem Grund sei die Uneinbringlichkeit der Forderung der beschwerdeführenden Partei gegenüber dem Gesellschafter absehbar gewesen.

In weiterer Folge begehrte die beschwerdeführende Partei mit Antrag vom die Vorlage der Beschwerden an das Bundesfinanzgericht und wiederholte sie, dass mangels Abhaltung einer Schlussbesprechung das Parteiengehör verletzt worden sei. In Bezug auf das Verrechnungskonto führte die beschwerdeführende Partei zusätzlich aus, dass das Verrechnungskonto um jene Beträge verringert werden müsse, die der Gesellschafter im Rahmen von Umgründungsvorgängen bereits in seinen Steuererklärungen betreffend die Jahre 2011 und 2012 bereits versteuert habe. Ausgehend vom verringerten Stand des Verrechnungskontos sei die Bonität des Gesellschafters mehr als ausreichend.

Sachverhalt

Der Spruch des Haftungsbescheids vom für den Zeitraum 2015 gestaltet sich wie folgt:

Der Spruch des Haftungsbescheids vom für den Zeitraum 2016 gestaltet sich wie folgt:

Der Spruch des Haftungsbescheids vom für den Zeitraum 2017 gestaltet sich wie folgt:

Die Begründung ist bei sämtlichen Bescheiden ident und lautet sie folgendermaßen:

"Gemäß § 95 Abs. 1 EStG 1988 haftet der Abzugsverpflichtete dem Bund für die Einbehaltung und Abfuhr der Kapitalertragsteuer.

Gemäß § 202 Abs. 1 BAO sind Nachforderungen, wenn die Selbstberechnung einer Abgabe einem abgabenrechtlich Haftungsverpflichteten obliegt, mittels Haftungsbescheides (§ 224 Abs. 1 BAO) geltend zu machen.

Gemäß § 201 Abs. 2 Z 3 BAO kann die Festsetzung einer Selbstberechnungsabgabe erfolgen, wenn kein selbstberechneter Betrag bekannt gegeben wird oder wenn bei sinngemäßer Anwendung des § 303 BAO die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens vorliegen würden.

Die Geltendmachung der Haftung ist eine Ermessensentscheidung (§ 20 BAO). Sie erfolgt im Hinblick auf die Pflichtverletzung bei Einbehaltung und Abfuhr der gegenständlichen Kapitalertragsteuer(n). Der Ermessensausübung entgegen stehende Umstände oder überwiegende Billigkeitsgründe liegen nicht vor."

Die bekämpften Bescheide enthalten keinen Verweis auf einen Betriebsprüfungsbericht oder auf eine Niederschrift über eine Schlussbesprechung.

Beweiswürdigung

Die Sachverhaltsfeststellungen gründen sich unmittelbar auf den vorgelegten Bescheiden vom .

Rechtliche Beurteilung

Zu Spruchpunkt I. (Aufhebung)

Nach § 202 Abs. 1 BAO gelten die §§ 201 und 201a sinngemäß, wenn nach den Abgabenvorschriften die Selbstberechnung einer Abgabe einem abgabenrechtlich Haftungsverpflichteten obliegt. Hierbei sind Nachforderungen mittels Haftungsbescheides (§ 224 Abs. 1) geltend zu machen.

Gem. § 201 Abs. 1 BAO kann nach Maßgabe des Abs. 2 und muss nach Maßgabe des Abs. 3 auf Antrag des Abgabepflichtigen oder von Amts wegen eine erstmalige Festsetzung der Abgabe mit Abgabenbescheid erfolgen, wenn die Abgabenvorschriften die Selbstberechnung einer Abgabe durch den Abgabepflichtigen anordnen oder dies gestatten und der Abgabepflichtige, obwohl er dazu verpflichtet ist, keinen selbst berechneten Betrag der Abgabenbehörde bekannt gibt oder wenn sich die bekanntgegebene Selbstberechnung als nicht richtig erweist.

Laut § 201 Abs. 2 Z 3 BAO kann die Festsetzung erfolgen, wenn kein selbstberechneter Betrag bekannt gegeben wird oder wenn bei sinngemäßer Anwendung des § 303 die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens vorliegen würden.

§ 201 Abs. 2 Z 3 erster Fall BAO ermöglicht eine Festsetzung, wenn kein selbstberechneter Betrag bekannt gegeben wird.

§ 201 Abs. 2 Z 3 zweiter Fall BAO ermöglicht bei einer der Abgabenbehörde bereits bekanntgegebenen Selbstberechnung eine Festsetzung, wenn bei sinngemäßer Anwendung des § 303 die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens vorliegen.

Sache einer Festsetzung nach § 201 BAO ist nicht nur die Festsetzung der konkreten Abgabe gem. § 198 BAO, sondern auch der jeweils konkret herangezogene Tatbestand des § 201 BAO (Ellinger/Sutter/Urtz, BAO3, § 201 (Stand , rdb.at), Rz. 21).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs erfordert § 201 BAO nicht, dass im Spruch angeführt wird, auf welchen Tatbestand des § 201 BAO der Bescheid gestützt wird. Der Tatbestand muss aber (zumindest) aus der Begründung des Bescheids hervorgehen. Eine allenfalls mangelhafte Begründung kann vom Bundesfinanzgericht ergänzt werden ().

Gem. § 279 Abs. 1 BAO hat das Verwaltungsgericht außer in den Fällen des § 278 immer in der Sache selbst zu entscheiden. Es ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung seine Anschauung an die Stelle jener der Abgabenbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern, aufzuheben oder die Bescheidbeschwerde als unbegründet abzuweisen.

Die Änderungsbefugnis des Bundesfinanzgerichts im Sinne des. § 279 Abs. 1 zweiter Satz BAO ist allerdings durch die Sache nach § 279 Abs. 1 erster Satz BAO begrenzt (). Unter der Sache des Beschwerdeverfahrens vor dem Bundesfinanzgericht ist jene Angelegenheit zu verstehen, die den Inhalt des Spruchs des Bescheids der Abgabenbehörde erster Instanz bildet (; , Ra 2020/16/0137).

Das Bundesfinanzgericht darf aber in einer Angelegenheit, die überhaupt noch nicht oder in der vom Bundesfinanzgericht in Aussicht genommenen rechtlichen Art nicht Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens gewesen war, kein Erkenntnis erlassen, das im Ergebnis einer erstmaligen Erlassung eines Sachbescheides gleichkommt. Ein solches Vorgehen ist als unzulässig anzusehen ().

Im vorliegenden Fall wird in den beschwerdegegenständlichen Bescheiden vom im Gegensatz zu den Sachverhalten, die den Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofs vom zu Ra 2016/15/0047 sowie vom zu Ro 2015/15/0030 zugrunde lagen, nicht auf einen Betriebsprüfungsbericht verwiesen, sondern lediglich der Gesetzestext des § 201 Abs. 2 Z 3 BAO wiedergegeben. Folglich kann den Bescheiden nicht entnommen werden, ob diese auf § 201 Abs. 2 Z 3 erster Fall BAO oder auf § 201 Abs. 2 Z 3 zweiter Fall BAO gestützt werden, und liegt insofern auch keine allenfalls mangelhafte Begründung vor, die das Bundesfinanzgericht präzisieren bzw. ergänzen hätte können. Die Bescheide vom waren daher gem. § 279 BAO aufzuheben, da es dem Bundesfinanzgericht verwehrt ist, in einem Erkenntnis erstmalig den konkreten Tatbestand des § 201 BAO zu benennen, auf den die Festsetzung gestützt wird. Ein solches Vorgehen des Bundesfinanzgerichts würde nämlich im Ergebnis einer erstmaligen Erlassung eines Festsetzungsbescheides gleichkommen und wäre dies als unzulässig anzusehen, da es nach der obig angeführten Rechtsprechung die Änderungsbefugnis des Bundesfinanzgerichts im Beschwerdeverfahren überschreiten würde.

Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die im gegenständlichen Fall entscheidungsrelevanten Rechtsfragen sind durch die zitierte einheitliche Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs geklärt und ist das Bundesfinanzgericht im vorliegenden Erkenntnis von dieser Rechtsprechung nicht abgewichen. Eine Revision ist somit nicht zulässig.

Salzburg, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 279 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 201 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise




ECLI
ECLI:AT:BFG:2023:RV.5100876.2020

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at