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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 13.01.2023, RV/7101079/2022

Nachsicht von Abgabenschuldigkeiten

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Mag. Markus Knechtl LL.M. in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Dr. Hugo M. Mlejnek Wirtschaftstreuhandges.m.b.H., Herrengasse 6-8/3/18, 1010 Wien, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Nachsicht § 236 BAO 2021 zur Steuernummer ***BF1StNr1*** zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Antrag

Am langte über FinanzOnline beim Finanzamt Österreich (belangte Behörde) folgender Antrag auf Nachsicht ein:
"Betrifft: ST Nr: ***BF1StNr1*** -***BF1*** -Nachsicht von Abgabenschuldigkeiten

Sehr geehrte Damen und Herren!

Namens und im Auftrag meiner Mandantin, Frau ***BF1*** stelle ich gemäß § 236 BAO den Antrag die Abgabenschuld in Höhe von € 14.717,58 nachzusehen.

Meine Mandantin betrieb für kurze Zeit2014 und 2015 als Franchisepartnerin ein Sonnenstudio in der Form, dass die Franchisegeberin, die das bewegliche und unbewegliche Inventar zur Verfügung stellte, die gesamten Einnahmen einkassiert hat und meiner Mandantin 20% davon überwiesen hat. Von dieser Summe musste meine Mandantin die gesamten laufenden Kosten, einschließlich Aushilfspersonal, und Ihren Lebensunterhalt decken. Meiner Mandantin blieb daher nichts! Die Abgabenschuld einstand in Wesentlichen durch Schätzung mangels Unterlagen, da diese zum Großteil bei der Franchisgeberin und einem nicht mehr auffindbaren gewerbliche Buchhalter in Verstoß geraten sind.

Meine Mandantin übt derzeit einen Teilzeitjob als Verkäuferin in einer Trafik aus. Der Lohn deckt gerade Ihren Lebensunterhalt. Es ist daher unmöglich die Abgabenschuldigkeiten abzutragen."

Bescheid

Mit Bescheid vom hat die belangte Behörde den Antrag auf Nachsicht als unbegründet abgewiesen. Die Begründung lautet:
"Gemäß § 236 Bundesabgabenordnung können auf Antrag des Abgabenpflichtigen fällige Abgabenschuldigkeiten ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre.

Die Unbilligkeit der Einhebung einer Abgabe kann nach geltender Judikatur eine persönliche oder sachliche sein. Gemäß Verwaltungsgerichtshof muss Unbilligkeit im Einzelfall vorliegen.

Gemäß Verwaltungsgerichtshof trifft den Antragssteller eine erhöhte Mitwirkungspflicht (VWGH ,90/14/0089;,96/14/0059; 97/14/0091). Der Nachsichtswerber trägt ausschließlich die volle Behauptungs- und Beweislast.

Das Ansuchen entbehrt einer stichhaltigen Argumentation und Beweisführung in Hinblick auf die rudimetäre Behauptung der Unbilligkeit. Da d. Ansuchen durch einen berufsmäßigen Parteienvertreter eingereicht wurde, geht das Finanzamt davon aus, dass diesem d. ständige Judikatur d. Verwaltungsgerichtshofes bekannt ist.

Da die Unbilligkeit der Abgabeneinhebung nach der Lage des Falles tatbestandsmäßige Voraussetzung für die im § 236 BAO vorgesehene Ermessensentscheidung ist, so ist für eine Ermessensentscheidung kein Raum mehr, wenn die Abgabenbehörde die Unbilligkeit der Abgabeneinhebung verneint (VWGH vom , 92/13/0256)

Nachdem das Finanzamt keine Unbilligkeit der Abgabeneinhebung festellen konnte, ist der Antrag auf Nachsicht abzuweisen."

Beschwerde

Am langte über FInanzOnline folgende Beschwerde bei der belangten Behörde ein:
"Sehr geehrte Damen und Herren!

Namens und im Auftrag meiner Mandantin, Frau ***BF1*** erhebe ich gegen den Bescheid über die Abweisung einer Nachsicht von Abgabenschuldigkeiten vom innerhalb offener Frist das Rechtsmittel der Beschwerde.

Der Bescheid begründet die Abweisung dieser Antrages damit, dass keine ausreichende Begründung für den Antrag beigelegt wurde, was einerseits den Schluss nahelegt, dass die Behörde den Antrag nicht gelesen hat, oder andererseits sich auch nicht mit der Aktenlage ausreichend auseinandergesetzt hat.

Es reicht nicht, obwohl es der Behörde eine schnelle Erledigung ermöglicht, mit standardisieren Floskeln eine Entscheidung zu begründen. Abgesehen davon wurde auf die tatsächlichen finanziellen Möglichkeiten nicht eingegangen, sondern wird versucht meine Mandantin in die Privatinsolvenz zu treiben.

Darüberhinaus stelle ich den Antrag gem. § 202a BAO die Einbringung des Rückstandes in Höhe von € 14.717,58 bis zur Rechtskraft der Entscheidung über diese Berufung auszusetzen."

Beschwerdevorentscheidung

Mit Beschwerdevorentscheidung vom hat die belangte Behörde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen und dies wie folgt begründet:
"Am brachte die Beschwerdeführerin einen Antrag auf Nachsicht von Abgabenschuldigkeiten iHv € 14.717,58 ein. In der Zeit von 2014 bis 2015 sei sie Franchisepartnerin eines Sonnenstudios gewesen. Die Franchisegeberin habe alles bewegliche und unbewegliche Inventar zur Verfügung gestellt und die gesamten Einnahmen einkassiert. Der Beschwerdeführerin seien 20% der Einnahmen überwiesen werden. Die Abgabenschuld resultiere größtenteils auf Schätzungen, da die Unterlagen in bei einem nicht mehr auffindbaren gewerblichen Buchhalter in Verstoß geraten seien. Derzeit arbeite die Beschwerdeführerin als Teilzeitkraft in einer Trafik. Der Lohn decke gerade ihren Lebensunterhalt.

Mit Bescheid vom wurde der Antrag abgewiesen. Gemäß der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes treffe den Antragssteller eine erhöhte Mitwirkungspflicht (VWGH ,90/14/0089;,96/14/0059; 97/14/0091). Der Nachsichtswerber trage ausschließlich die volle Behauptungs- und Beweislast. Das Ansuchen entbehre einer stichhaltigen Argumentation und Beweisführung in Hinblick auf die rudimentäre Behauptung der Unbilligkeit. Nachdem das Finanzamt keine Unbilligkeit der Abgabeneinhebung feststellen konnte, sei der Antrag auf Nachsicht abzuweisen.

Gegen diesen Bescheid wurde am das Rechtsmittel der Beschwerde eingebracht. Die Beschwerde enthält weder nähere Ausführungen zur finanziellen Situation der Beschwerdeführerin noch substanzielles materiell rechtliches Vorbingen.

Rechtlich folgt:
Gemäß § 236 Abs 1 BAO können fällige Abgabenschuldigkeiten auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre. Eine Unbilligkeit iSd § 236 BAO kann persönlicher oder sachlicher Natur sein.

Eine sachliche Unbilligkeit der Abgabeneinhebung liegt vor, wenn im Einzelfall bei Anwendung des Gesetzes ein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis eintritt (VWGH , 99/16/0086; , 98/15/0176; , 98/13/0091; , 2001/14/0022; , 2005/17/0245, AW 2005/17/0061), sodass es zu einer anormalen Belastungswirkung und, verglichen mit ähnlichen Fällen, zu einem atypischen Vermögenseingriff kommt. Sachliche Unbilligkeit einer Abgabeneinhebung ist grundsätzlich in Fällen anzunehmen, in denen das ungewöhnliche Entstehen einer Abgabenschuld zu einem unproportionalen Vermögenseingriff beim Steuerpflichtigen führt. Der in der anormalen Belastungswirkung und verglichen mit ähnlichen Fällen, im atypischen Vermögenseingriff gelegene offenbare Widerspruch der Rechtsanwendung zu den vom Gesetzgeber beabsichtigten Ergebnissen muss seine Wurzel in einem außergewöhnlichen Geschehensablauf haben, der eine vom Steuerpflichtigen nach dem gewöhnlichen Lauf nicht zu erwartende Abgabenschuld ausgelöst hat, die zudem auch ihrer Höhe nach unproportional zum auslösenden Sachverhalt ist (VWGH , 2008/17/0138). (Ritz, BAO6, § 236 Rz 11)

Aus dem Nachsichtsantrag und der Beschwerde ergründet sich der Behörde nicht worin eine sachliche Unbilligkeit zu erblicken sei. Die Tatsache, dass die Bescheide - aus denen sich die Abgabennachforderungen ergeben - auf Schätzungen gegründet sind, ist unschädlich. Die Unbilligkeit der Abgabeneinhebung kann grds nicht damit begründet werden, dass die Abgabenfestsetzung zu Unrecht erfolgt ist. Vielmehr muss die behauptete Unbilligkeit in Umständen liegen, die die Entrichtung der Abgabe selbst betreffen. Im Nachsichtsverfahren können daher nicht Einwände nachgeholt werden, die im Festsetzungsverfahren geltend zu machen gewesen wären (VWGH , Ra 2019/15/0117). Durch die Franchise Konstruktion die im Antrag dargestellt wurde, entsteht per se keine vom Gesetz ungewollte atypische steuerliche Belastung. Dass die Erträge in der wünschenswerten Höhe ausgeblieben sind und die Ausgaben die Erträge überstiegen, stellt ein allgemeines Unternehmerwagnis dar. Es liegt daher kein außergewöhnlicher Geschehensablauf der Abgabenschuld zugrunde.

Eine Persönliche Unbilligkeit kann sich aus den wirtschaftlichen Verhältnissen des Abgabenschuldners ergeben insbesondere, wenn sich daraus die Existenzgefährdung des Abgabenpflichtigen ergeben würde oder zur Entrichtung der Abgabenschuld Vermögenswerte verschleudert werden müssten, um dieser Existenzgefährdung zu entgehen.

Den Antragsteller trifft eine erhöhte Mitwirkungspflicht (zB VWGH , 96/14/0059, 97/14/0091; , Ra 2018/15/0014). Er hat somit "einwandfrei und unter Ausschluss jeglichen Zweifels das Vorliegen jener Umstände darzutun, auf die die Nachsicht gestützt werden kann" (zB VWGH , 2013/15/0173; , 2010/16/0219; , 2013/16/0114; , Ra 2018/15/0014). Das Schwergewicht der Behauptungs- und Beweislast liegt beim Nachsichtswerber (zB VWGH , 95/13/0243; , 95/15/0090; , 2002/15/0155; , 2009/15/0008). Daher hat nach der Rechtsprechung (VWGH , 97/14/0013; , 2006/16/0007; , 2010/15/0077) die Abgabenbehörde im Rahmen ihrer amtswegigen Ermittlungspflicht nur die vom Nachsichtswerber geltend gemachten Gründe zu prüfen.

Im gegenständlichen Fall ist dem vorgebrachten Sachverhalt jedoch nicht einwandfrei und unter Ausschluss jeglichen Zweifels zu entnehmen, dass eine persönliche Unbilligkeit in der Einhebung der Abgaben liegt. Neben den bloßen Behauptungen sind keine stichhaltigen Beweise vorgelegt worden. Auf diesen Umstand wurde schon in der Begründung des angefochtenen Bescheides hingewiesen. Allein die Tatsache, dass aus der derzeitige Teilzeitbeschäftigung niedrige Einkünfte bezogen werden, ist nicht tauglich die finanzielle Situation der Beschwerdeführerin vollständig darzulegen und nachzuweisen. Weder Antrag noch Beschwerde enthalten Nachweise, die geeignet sind, die finanzielle Situation zu beurteilen um den Eintritt oder das Bestehen einer Existenzgefährdung festzustellen.

Die Beschwerdeführerin konnte keine Unbilligkeit der Einbringung der Abgaben darlegen. Im Falle eines Ansuchens um Nachsicht, hat die Abgabenbehörde zuerst zu prüfen ob ein Sachverhalt vorliegt, der dem unbestimmten Gesetzesbegriff "Einhebung nach der Lage des Falles unbillig entspricht. Da diese Frage verneint werden konnte, ist für eine Ermessensentscheidung kein Raum mehr.

Die Beschwerde war daher abzuweisen."

Vorlageantrag

Am langte bei der belangten Behörde folgender Vorlageantrag ein:
"Namens und im Auftrag meiner Mandantin, Frau ***BF1*** stelle ich den Antrag die Beschwerde von betreffend den Bescheid über die Abweisung einer Nachsicht von Abgabenschuldigkeiten vom , zur Entscheidung dem Bundesfinanzgericht vorzulegen.

In Ergänzung zur ursprünglich eingebrachten Beschwerde, legen wir die Lohn-und Gehaltsabrechnung für 2/2022 vor, der zu entnehmen ist, dass das Netto-Einkommen € 1.039,00 ausmacht. Falls erforderlich können wir auch die monatlichen Kosten für Miete € 360,00, Energie € 120,00, Jahreskarte € 33,00 und Ratenzahlung € 100,00 vorlegen.

Es ist offensichtlich, dass das verbleibende Einkommen nur den grundlegenden Lebensbedarf abdecken kann und eine Einhebung der offenen Steuerverbindlichkeiten durch die Abgabenbehörden somit unbillig ist."

Beigelegt war eine Lohn/Gehaltsabrechung für Februar 2022 mit einem Bruttomonatsbezug von € 1.256,75.

Vorlagebericht

Im Vorlagebericht vom beantragte die belangte Behörde die Abweisung der Beschwerde und führte aus, dass anderer Gläubiger bereits aus einer Lohnpfändung befriedigt werden und darüber hinaus noch monatliche Ratenzahlungen möglich seien. Dies führe insgesamt zu einer einseitigen Benachteiligung der öffentlichen Hand. Daher beantragte die belangte Behörde die Abweisung der Beschwerde.

Beschluss

Mit Beschluss vom wandte sich das Bundesfinanzgericht an die Beschwerdeführerin und ersuchte um Bekanntgabe der aktuellen wirtschaftlichen Verhältnisse. Hingewiesen wurde auch auf das Vorbingen des Finanzamtes, dass Zahlungen an andere Gläubiger geleistet wurden.

Eine Beantwortung erfolgte nicht.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Sachverhalt

In den Jahren 2014 und 2015 betrieb die Beschwerdeführerin ein Sonnenstudio als Franchisepartnerin. Die rückständigen Abgaben stammen aus der unternehmerischen Tätigkeit, wobei die Abgabenschuld im Wesentlichen auf Grund von Schätzungen mangels Unterlagen entstand.

Im Juni 2018 und im Oktober 2020 führte die belangte Behörde eine Erhebung der wirtschaftlichen Verhältnisse durch und stellte fest, dass die Beschwerdeführerin kein Vermögen besitzt, aber offene Verbindlichkeiten bei Kreditinstituten in Höhe von € 45.000 bzw € 60.000 hat.

Die Beschwerdeführerin steht in einem Dienstverhältnis als Teilzeitverkäuferin. Der Bruttobezug für den Monat Februar 2022 betrug € 1.256,85; nach Abzug von Sozialversicherung und Forderungspfändung betrug der Auszahlungsbetrag € 1.039. Neben der Abgabenbehörde gibt es auch noch andere Gläubiger der Beschwerdeführerin.

Strittig ist die Nachsicht von Abgaben in Höhe von € 14.717,58. Derzeit besteht ein offener Abgabensaldo in Höhe von € 13.592,98. Die Reduktion gegenüber dem ursprünglichen Nachsichtsbetrag ergab sich durch die Veranlagung der Jahre 2019-2021, die jeweils zu Gutschriften führte.

Beweiswürdigung

Die Feststellungen zur ehemaligen unternehmerischen Tätigkeit der Beschwerdeführerin gründen sich auf die Angaben im Nachsichtsantrag vom , in dem auch angeführt wird, dass die Schätzung durch die belangte Behörde vorgenommen wurde, die Beschwerdeführerin keine Unterlagen für eine ordnungsgemäße Ermittlung der Einkünfte vorlegen konnte, da diese Unterlagen in Verstoß geraten sind.

Die Feststellung zur derzeitigen Tätigkeit der Beschwerdeführerin gründen sich auf die Angaben im Vorlageantrag. Dem Vorlageantrag war auch die Gehaltsabrechnung für Februar 2022 beigelegt, aus der ersichtlich ist, dass eine Lohnpfändung aufrecht ist. Zu den weiteren Angaben im Vorlageantrag, insbesondere zu den monatlichen Ausgaben, wurden keine Nachweise beigelegt, sondern lediglich darauf verwiesen, dass dieses vorgelegt werden können.

Darüber hinaus gab die Personalverrechnung des Arbeitgebers der Beschwerdeführerin gegenüber der belangten Behörde bekannt, dass andere Gläubiger vorrangige Lohnpfändungen begehren.

Die Feststellung zu den Verbindlichkeiten gegenüber zwei Kreditinstituten ergibt sich aus den Angaben über die wirtschaftliche Lage, die im Juni 2018 und im Oktober 2020 aufgenommen wurde. Auch im Vorlagebericht hat die belangte Behörde darauf hingewiesen, dass andere Gläubiger ihre Forderungen mittels Pfändung bereits einbringlich machen. Diesem Vorbringen, das Vorhaltscharakter hat () wurde nichts entgegnet. Auch der Beschluss des Bundesfinanzgerichts vom blieb unbeantwortet.

Die Feststellung zur Reduktion der Abgabenverbindlichkeit ergibt sich aus dem Abgabenkonto, in das Einsicht genommen wurde.

Rechtslage

§ 236 BAO lautet:

§ 236. (1) Fällige Abgabenschuldigkeiten können auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre.

(2) Abs. 1 findet auf bereits entrichtete Abgabenschuldigkeiten sinngemäß Anwendung.
(3) Die Bestimmungen des § 235 Abs. 2 und 3 gelten auch für die Nachsicht von Abgabenschuldigkeiten.

Die Verordnung BGBl II 2005/435 idF BGBl II 2019/236 lautet (auszugsweise)

§ 1. Die Unbilligkeit im Sinn des § 236 BAO kann persönlicher oder sachlicher Natur sein.

§ 2. Eine persönliche Unbilligkeit liegt insbesondere vor, wenn die Einhebung
1.
die Existenz des Abgabepflichtigen oder seiner ihm gegenüber unterhaltsberechtigten Angehörigen gefährden würde;

2.mit außergewöhnlichen wirtschaftlichen Auswirkungen verbunden wäre, etwa wenn die Entrichtung der Abgabenschuldigkeit trotz zumutbarer Sorgfalt nur durch Vermögensveräußerung möglich wäre und dies einer Verschleuderung gleichkäme.

§ 3. Eine sachliche Unbilligkeit liegt bei der Einhebung von Abgaben insbesondere vor, soweit die Geltendmachung des Abgabenanspruches
1. von Rechtsauslegungen des Verfassungsgerichtshofes oder des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn im Vertrauen auf die betreffende Rechtsprechung für die Verwirklichung des die Abgabepflicht auslösenden Sachverhaltes bedeutsame Maßnahmen gesetzt wurden;

2. in Widerspruch zu nicht offensichtlich unrichtigen Rechtsauslegungen steht, die
a) dem Abgabepflichtigen gegenüber von der für ihn zuständigen Abgabenbehörde geäußert oder

b) vom Bundesministerium für Finanzen im Amtsblatt der österreichischen Finanzverwaltung oder im Internet als Amtliche Veröffentlichung in der Findok veröffentlicht wurden, wenn im Vertrauen auf die betreffende Äußerung bzw. Veröffentlichung für die Verwirklichung des die Abgabepflicht auslösenden Sachverhaltes bedeutsame Maßnahmen gesetzt wurden.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 236 Abs 1 und 2 BAO können fällige, aber auch bereits entrichtete Abgabenschuldigkeiten auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre. Dabei ist zuerst zu prüfen, ob ein Sachverhalt vorliegt, wonach die "Einhebung nach der Lage des Falles unbillig" wäre. Wird diese Frage bejaht, so ist im Bereich des Ermessens nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit zu entscheiden. Wird diese Frage verneint, so ist für eine Ermessensentscheidung kein Raum mehr, demnach ist der Antrag abzuweisen ().
Es liegt keine willkürliche Handhabung des Ermessens vor, wenn die Versagung der beantragten Nachsicht auf die Erwägung stützt, dass die die Abgabepflichtige belastende Zusammenballung von Steuern eindeutig auf eine Vernachlässigung der abgabenrechtlichen Pflichten durch die Abgabepflichtige zurückzuführen sei ().

Die Abschreibung von Abgabenschuldigkeiten durch Nachsicht setzt einen hierauf gerichteten Antrag voraus, wobei die Antragstellerin eine erhöhte Mitwirkungspflicht trifft. Sie hat einwandfrei und unter Ausschluss jeglichen Zweifels das Vorliegen jener Umstände darzutun, auf die die Nachsicht gestützt werden kann (). Die Abgabenbehörde hat im Rahmen ihrer amtswegigen Ermittlungspflicht nur die von der Nachsichtswerberin geltend gemachten Gründe zu prüfen.

Es ist nicht Zweck eines Nachsichtsverfahrens gemäß § 236 BAO, Abgabenbescheide nachträglich auf deren Rechtmäßigkeit zu überprüfen. Eine Nachsicht dient nämlich nicht dazu, Unrichtigkeiten der Abgabenfestsetzung zu beseitigen und unterlassene Rechtsbehelfe (insb. Beschwerden) nachzuholen ().

Eine persönliche Unbilligkeit liegt insbesondere vor, wenn die Einhebung die Existenz der Abgabepflichtigen oder ihrer ihr gegenüber unterhaltsberechtigten Angehörigen gefährden würde oder mit außergewöhnlichen wirtschaftlichen Auswirkungen verbunden wäre, etwa wenn die Entrichtung der Abgabenschuldigkeit trotz zumutbarer Sorgfalt nur durch Vermögensveräußerung möglich wäre und dies einer Verschleuderung gleichkäme. Die deutlichste Form der persönlichen Unbilligkeit liegt in der Existenzgefährdung. Diese müsste gerade durch die Einhebung der Abgabe verursacht oder entscheidend ("auch") mitverursacht sein ().

Käme die Nachsicht nur anderen Gläubigern zugute, so ist die persönliche Unbilligkeit der Einhebung zu verneinen (vgl. dazu - mit weiteren Nachweisen - das Erkenntnis vom , Ra 2015/13/0044 sowie ).

Eine Unbilligkeit ist nach der Judikatur jedoch dann nicht gegeben, wenn die finanzielle Situation des Abgabenschuldners so schlecht ist, dass auch die Gewährung der beantragten Nachsicht nicht den geringsten Sanierungseffekt hätte und an der Existenzgefährdung nichts änderte (). Eine solche Unbilligkeit ist also dann nicht anzunehmen, wenn sich an der Existenzgefährdung des Abgabenschuldners nichts ändert, gleichgültig, ob die fraglichen Abgabenschuldigkeiten eingehoben würden oder nicht.

Ist die Abgabenschuld tatsächlich nicht einbringlich, ist im Sinne der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes keine persönliche Unbilligkeit (Existenzgefährdung durch eine drohende Abgabeneinhebung) im Sinne des § 236 BAO gegeben ().

Bei Prüfung eines Nachsichtsansuchens sind alle Umstände des Einzelfalles, und zwar im Zeitpunkt der Entscheidung (Rechtsmittelentscheidung), zu berücksichtigen, um zur Erkenntnis zu gelangen, ob Unbilligkeit vorliegt (; ). Im Zeitpunkt der Rechtsmittelentscheidung war von jenen wirtschaftlichen Gegebenheiten auszugehen, welche die belangte Behörde zuletzt festgestellt hatte, zumal eine diesbezügliche Anfrage des Bundesfinanzgerichts in Beschlussform unbeantwortet blieb.

Zutreffend verweist die belangte Behörde darauf, dass eine Nachsicht der Abgabennachforderungen in erster Linie anderen Gläubigern zugute käme. Darüber hinaus ergibt sich aus den Erhebungen der wirtschaftlichen Lagen in den Jahren 2018 und 2020, dass sich durch eine Nachsicht von Abgabenschuldigkeiten kein Sanierungseffekt bei der Beschwerdeführerin einstellt. Schließlich ist eine persönliche Unbilligkeit auch deshalb zu verneinen, weil auf Grund von Exekutionsbeschränkungen (Pfändungsgrenzen) die Abgabeschulden - derzeit - gar nicht einbringlich sind.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Revisionszulassung

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Das Bundesfinanzgericht folgt der dargestellten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, es liegt daher kein Grund für eine Revisionszulassung vor.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 236 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2023:RV.7101079.2022

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at