Zurückweisung eines Wiederaufnahmeantrages, da der Bescheid im abgeschlossenen Verfahren mangels Zustellung keine Rechtswirksamkeit erlangt hat
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Mag. Klaudia Obmascher in der Beschwerdesache MV_Bf, MV_Bf_Adr, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Abweisung eines Wiederaufnahmeantrages gem. § 303 BAO zu Steuernummer Bf_StNr zu Recht erkannt:
I. Der angefochtene Bescheid wird abgeändert. Der Wiederaufnahmeantrag vom wird als unzulässig zurückgewiesen.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
I. Verfahrensgang
1. Am stellte der Beschwerdeführer (Bf) den Antrag auf Wiederaufnahme der Verfahren zu Steuernummer GmbH_StNr und zu Steuernummer Bf_StNr.
Im Zuge des Verlassenschaftsverfahrens nach der am verstorbenen Mutter des Bf sei die Wiederaufnahme der Einbringung von Forderungen zu den og. Steuernummern, jeweils betreffend den Bf, zum Vorschein gekommen. Aufgrund dieser Wiederaufnahme der Einbringung sei Akteneinsicht genommen worden. Dabei sei hervorgekommen, dass der Haftungsbescheid zu Steuernummer GmbH_StNr vom durch Bekanntmachung einer Zustellung gem. § 25 ZustG an den Bf zugestellt worden sei.
Da dem Bf der Bescheid nicht bekannt geworden sei, sei es ihm nicht möglich gewesen, diesen innerhalb der Rechtsmittelfrist zu bekämpfen.
Im Weiteren wurde im Antrag die Zulässigkeit einer Zustellung gem. § 25 ZustG betreffend den Bf in Abrede gestellt. Daraus wurde der Schluss gezogen, dass dem Bf durch die Zustellung gem. § 25 ZustG die Möglichkeit der Erhebung eines Rechtsmittels widerrechtlich genommen worden sei. Aufgrund dieser Tatsachen und Beweismittel, welche im Zuge des Verlassenschaftsverfahrens nach der Mutter des Bf neu hervorgekommen seien, werde der Wiederaufnahmeantrag gestellt, um das rechtliche Gehör des Bf zu wahren.
2. Mit Bescheid vom wurde der Wiederaufnahmeantrag abgewiesen, zumal der behauptete Zustellmangel keinen Wiederaufnahmetatbestand begründe. Im Weiteren wird im Bescheid auf den Umstand verwiesen, dass die Zustellung des Haftungsbescheides vom bereits am durch Hinterlegung gem. § 17 ZustG erfolgt sei. Dem Bescheid beigelegt waren Kopien des Rückscheines sowie des Kuverts mit dem Vermerk "retour - nicht behoben".
3. Die Beschwerde vom wurde wiederum mit der Mangelhaftigkeit der Bescheidzustellung begründet.
Die Verständigung über den ersten Zustellversuch sei laut Vermerk auf dem Rückschein an der Eingangstür angebracht worden. Die Anbringung an der Eingangstür sei jedoch nur mangels Alternativen vorgesehen, was den Zustellvorgang rechtswidrig mache.
Beim zweiten Zustellversuch sei die Benachrichtigung über die Hinterlegung laut Vermerk auf dem Rückschein in den Briefkasten eingelegt worden. Da es sich bei der Abgabestelle des Bf um ein Mehrparteienhaus handle, für welches dem § 14 PostG entsprechend eine Hausbrieffachanlage vorliege, sei der Zustellmangel durch Heranziehung eines Briefkastens eindeutig.
Sodann wird in der Beschwerde die Einbringungsverjährung gem. § 238 BAO ins Treffen geführt.
4. Am erging die abweisende Beschwerdevorentscheidung; der Vorlageantrag wurde fristgerecht am eingebracht.
II. Sachverhalt
1. Am führte die Abgabenbehörde betreffend den Bf eine Behördenanfrage aus dem Zentralen Melderegister durch. Diese ergab, dass der Bf seit durchgehend mit Hauptwohnsitz an der Adresse Bf_Adr gemeldet war.
Mit selbem Datum fertigte die Abgabenbehörde an den Bf einen sog. Haftungsvorhalt über die Heranziehung des Bf zur Haftung gem. § 9 BAO Abgabenschuldigkeiten der E_GmbH, Steuernummer GmbH_StNr, aus. Der Vorhalt wurde mit RSa-Brief an die og. Meldeadresse des Bf gesendet. Nach dem ersten erfolglosen Zustellversuch wurde die Ankündigung des zweiten Zustellversuchs an der Eingangstür der Wohnung des Bf angebracht. Die Verständigung über die Hinterlegung der Sendung beim Postamt wurde, nachdem auch der zweite Zustellversuch scheiterte, in den Briefkasten bzw. das Hausbrieffach eingelegt. Die Sendung wurde sodann beim Postamt hinterlegt, in weiterer Folge nicht behoben und an die Abgabenbehörde retourniert.
Am erließ die Abgabenbehörde den Haftungsbescheid gem. § 9 BAO. Auch dieses Schriftstück wurde mit RSa-Brief an die Adresse Bf_Adr, versendet. Nachdem wiederum beide Zustellversuche scheiterten, wurde der Haftungsbescheid zunächst beim Postamt hinterlegt und nach Ablauf der zweiwöchigen Hinterlegungsfrist an die Abgabenbehörde retourniert. Auch diesmal wurde die Ankündigung des zweiten Zustellversuchs an der Eingangstür angebracht und die Verständigung über die Hinterlegung in den Briefkasten bzw. das Hausbrieffach eingelegt.
Am nahm die Abgabenbehörde eine weitere "Zustellung" gem. § 25 ZustG durch öffentliche Bekanntmachung vor. Auch betreffend die Zustellung der Mahnung gem. § 227 BAO ging die Abgabenbehörde im Weiteren gem. § 25 ZustG vor.
2. Der Bf hat seinen Wohnsitz seit an der Adresse Bf_Adr. Zum erfolgte - fälschlicherweise - die Abmeldung im Zentralen Melderegister, welche ausschließlich der damaligen Vorgehensweise der Meldebehörde bei der Korrektur von Meldedaten geschuldet war.
3. Am nahm der bevollmächtigte Vertreter des Bf, Rechtsanwalt RA, Akteneinsicht zu den Steuernummern GmbH_StNr sowie Bf_StNr. Im Rahmen dieser Akteneinsicht wurde dem Rechtsanwalt eine Ablichtung des Haftungsbescheides vom ausgehändigt; das Originaldokument liegt nach wie vor im Papierakt.
4. Der dargestellte Sachverhalt ist unstrittig; er ergibt sich aus dem Vorbringen des Bf und von ihm vorgelegten Unterlagen, insbesondere Bestätigungen der Meldebehörde über seinen durchgehenden Wohnsitz an der Adresse Bf_Adr, sowie dem vorgelegten Akteninhalt. Insbesondere ist aus den Rückscheinen zum Haftungsvorhalt und zum Haftungsbescheid ersichtlich, wo das Zustellorgan jeweils die Ankündigung bzw. Verständigung an der Abgabestelle zurückgelassen hat.
III. Rechtslage und Erwägungen
1. Gemäß § 97 Abs. 1 BAO werden Erledigungen dadurch wirksam, dass sie demjenigen bekanntgegeben werden, für den sie ihrem Inhalt nach bestimmt sind. Die Bekanntgabe erfolgt bei schriftlichen Erledigungen, wenn nicht in besonderen Vorschriften die öffentliche Bekanntmachung oder die Auflegung von Listen vorgesehen ist, durch Zustellung.
Die Abgabenbehörde ging gegenständlich bei der Zustellung des Haftungsbescheides gem. § 21 ZustellG idF vor BGBl. I 5/2008 vor. Die Bestimmung lautet wie folgt:
§ 21 (1) Dem Empfänger zu eigenen Handen zuzustellende Sendungen dürfen nicht an einen Ersatzempfänger zugestellt werden.
(2) Kann die Sendung beim ersten Zustellversuch nicht zugestellt werden, so ist der Empfänger schriftlich unter Hinweis auf die sonstige Hinterlegung zu ersuchen, zu einer gleichzeitig zu bestimmenden Zeit an der Abgabestelle zur Annahme des Schriftstückes anwesend zu sein. Dieses Ersuchen ist in den für die Abgabestelle bestimmten Briefkasten (Briefeinwurf, Hausbrieffach) einzulegen, an der Abgabestelle zurückzulassen oder, wenn dies nicht möglich ist, an der Eingangstüre (Wohnungs-, Haus-, Gartentüre) anzubringen. Zur angegebenen Zeit ist ein zweiter Zustellversuch durchzuführen. Ist auch dieser erfolglos, ist nach § 17 zu hinterlegen.
Werden die Verständigungen nach § 17 Abs. 2 ZustG, § 21 Abs. 2 ZustG vom Zusteller an der Eingangstür angebracht, obwohl ihre Einlegung in den Briefkasten möglich ist, so liegt keine rechtswirksame Zustellung vor. Gemäß § 7 ZustG gilt die Zustellung dann erst mit dem Zeitpunkt vollzogen, zu dem das Schriftstück dem Empfänger tatsächlich zugekommen ist (; ebenso : Eine Hinterlegung ohne dem Gesetz entsprechende schriftliche Verständigung im Sinne des § 17 Abs. 2 ZustG entfaltet keine Rechtswirkungen und erlaubt eine Sanierung des damit unterlaufenen Zustellmangels nur nach Maßgabe des § 7 ZustG).
Laut Vermerk auf dem Rückschein wurde die Ankündigung des zweiten Zustellversuchs an der Eingangstür angebracht, obwohl offenbar ein Briefkasten bzw. ein Hausbrieffach vorhanden war. Die Zustellung des Haftungsbescheides ist somit mängelbehaftet. Eine Heilung des Zustellmangels würde voraussetzen, dass der Bescheid dem Bf tatsächlich zugekommen wäre (Ritz/Koran, BAO7, § 7 mwN). Tatsächlich wurde der Bescheid nach Ablauf der Hinterlegungsfrist an die Abgabenbehörde retourniert. Die grundsätzlich anzunehmende Kenntnis des Bf von der Hinterlegung infolge der in seinem Briefkasten bzw. Hausbrieffach hinterlassenen Verständigung über die Hinterlegung ersetzt das tatsächliche Zukommen nicht (aaO).
2. Mangels eines wirksamen Zustellvorganges hat der Haftungsbescheid vom keine Rechtswirksamkeit erlangt. Daran ändert auch der im Weiteren infolge der (fälschlichen) Abmeldung des Bf im Zentralen Melderegister vorgenommene Zustellversuch durch öffentliche Bekanntmachung gem. § 25 ZustG nichts, da der Bf seit 1967 durchgehend an der Adresse Bf_Adr, wohnhaft war. Eine Zustellung gem. § 25 ZustG war schon aus dem Grund nicht vorzunehmen. Zudem ist dem vorgelegten Akteninhalt nicht zu entnehmen, dass die Abgabenbehörde, bevor sie diese Art der Zustellung wählte, Ermittlungen über den tatsächlichen Aufenthalt bzw. eine allfällige neue Abgabestelle durchgeführt hätte (Ritz/Koran, BAO7, § 25 ZustG Tz 6 mwN).
Eine rechtswirksame Zustellung des Haftungsbescheides ist auch nicht durch die Aushändigung einer Bescheidkopie an RA, den Rechtsanwalt des Bf, im Zuge der Akteneinsicht am erfolgt. Die Abgabenbehörde brachte dazu in ihrer Stellungnahme vom vor, RA verfüge (seit November 2021 - Anm.) über eine Zustellvollmacht; im Zuge der Akteneinsicht sei ihm der Haftungsakt mitsamt dem Haftungsbescheid übergeben worden. Dass bei diesem Vorgang lediglich eine Bescheidkopie übergeben wurde, schadet nach Ansicht der Abgabenbehörde nicht, da die Kopie als neues Original in einem gänzlich neuen Zustellvorgang anzusehen sei. Ebenso wenig schade es, dass der Zustellbevollmächtigte als Empfänger des Bescheides aufscheine, da ihm dieser im Wege der Akteneinsicht tatsächlich zugekommen sei.
Dem kann aus folgenden Gründen nicht zugestimmt werden: Gemäß § 9 Abs. 3 ZustellG hat die Behörde, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, für den Fall dass ein Zustellbevollmächtigter bestellt ist, diesen als Empfänger zu bezeichnen. Die Adressierung an die Partei zu Handen des Zustellbevollmächtigten reicht (Ritz/Koran, BAO7, § 9 ZustG Tz 23).
Die Abgabenbehörde räumt hier selber ein, dass der Zustellbevollmächtigte nicht als Empfänger des Haftungsbescheides bezeichnet ist. Für diesen Fall sieht § 9 Abs. 3 2. Satz ZustG vor, dass die Zustellung als in dem Zeitpunkt bewirkt ist, in dem das Dokument dem Zustellungsbevollmächtigten tatsächlich zugekommen ist. Die Heilung tritt somit, vergleichbar, der Heilung von Zustellmängeln gem. § 7 ZustG, zu jenem Zeitpunkt ein, zu dem dem Zustellbevollmächtigten das Dokument tatsächlich, mithin im Original zukommt. Weder die bloße Kenntnisnahme (etwa im Wege einer Akteneinsicht - vgl. , 0112), noch etwa die private Anfertigung einer Fotokopie bewirken das geforderte Zukommen. (Raschauer/Riesz in Frauenberger-Pfeiler/Raschauer/Sander/Wessely [Hrsg], Österreichisches Zustellrecht2 [2011] zu § 9 ZustG Rz 8a mwN)
3. Gemäß § 279 Abs. 1 BAO ist das Verwaltungsgericht berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung seine Anschauung an die Stelle jener der Abgabenbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern, aufzuheben oder die Bescheidbeschwerde als unbegründet abzuweisen.
Die Abänderungsbefugnis des Verwaltungsgerichtes umfasst auch die Abänderung eines Abweisungs- in einen Zurückweisungsbescheid (Ritz/Koran, BAO7, § 279 Tz 14 mwN).
Damit eine Wiederaufnahme nach § 303 BAO dem Grunde nach überhaupt in Betracht gezogen werden kann, muss "ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren" vorliegen. Dem Gesetzeswortlaut entsprechend, setzt daher der Anwendungsbereich des § 303 BAO voraus, dass jedenfalls ein "Bescheid" vorliegt, der außerdem ein Verfahren "abgeschlossen" hat. (Predota/Rzeszut in Rzeszut/Tanzer/Unger [Hrsg], Bundesabgabenordnung2.04 [2022] zu § 303 BAO Rz 9)
Schon mangels Bescheidqualität des Haftungsbescheides vom kommt eine Wiederaufnahme des Haftungsverfahrens, wie beantragt, nicht infrage. Der Antrag war somit als unzulässig zurückzuweisen.
Unzulässigkeit der Revision
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Eine solche Rechtsfrage war im Beschwerdefall nicht zu lösen, weshalb die Revision nicht zuzulassen war.
Innsbruck, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 9 ZustG, Zustellgesetz, BGBl. Nr. 200/1982 § 7 ZustG, Zustellgesetz, BGBl. Nr. 200/1982 § 97 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 303 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2023:RV.3100029.2023 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at