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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 02.12.2022, RV/3100535/2021

Rückforderung von Familienbeihilfe - beihilfenvermittelnde vorgelagerte Berufsorientierungsphase

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Rückforderung von Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträgen für den Zeitraum September 2019 bis Mai 2021

zu Recht erkannt:

I.

Der Beschwerde wird teilweise Folge gegeben.

Der angefochtene Bescheid wird, soweit er die Zeiträume September 2019 bis Feber 2020 und Juni 2020 bis Mai 2021 betrifft, ersatzlos aufgehoben.

Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Die Höhe der Rückforderungsbeträge sind dem Ende der Entscheidungsgründe zu entnehmen und bilden einen Bestandteil des Spruches dieses Erkenntnisses.

II.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art 133 Abs 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Anlässlich einer Überprüfung des Anspruches auf Familienbeihilfe teilte die beihilfenbeziehende Mutter dem Finanzamt im August 2018 mit, dass sich die Tochter [Name], geb am [GebDat], seit dem Jahr 2017 in einem aufrechten Lehrverhältnis zur Köchin befinde und legte den Bezug habenden Lehrvertrag vor. Die Lehrzeit würde voraussichtlich im August 2020 enden.
Das Finanzamt bezahlte die Familienbeihilfe samt Kinderabsetzbeträgen für die Tochter und ihre Schwester weiter.

Im Juni 2020 verständigte die Beihilfenbezieherin das Finanzamt, dass der näher bezeichnete Betrieb ihrer Tochter auf Grund des "Lockdowns und Shutdowns durch COVID 19"vorübergehend geschlossen worden sei und sich daher der Lehrbeginn der Tochter von März 2020 auf Juni 2020 verschoben habe. Sie ersuche um Verlängerung der Gewährung der Familienbeihilfe für die Tochter [Name]. In der Beilage zu diesem Schreiben übermittelte sie eine Urkunde über die vorzeitige Auflösung des im Jahr 2017 begonnen Lehrverhältnisses im April 2019 und einen Ausbildungsvertrag zur Einzelhandelskauffrau beginnend mit Juni 2020.

Mit Bescheid vom forderte das Finanzamt die für die Tochter [Name] im Zeitraum September 2019 bis Mai 2021 ausbezahlte Familienbeihilfe samt Kinderabsetzbetrag ebenso zurück, wie den für ihre Schwester auf Grund der sogenannten "Geschwisterstaffel" (§ 8 Abs 3 FLAG 1967) in diesem Zeitraum ausbezahlten Erhöhungsbetrag zum Grundbetrag an Familienbeihilfe.
Begründet wurde dieser Bescheid wie folgt:
"Für ein volljähriges Kind steht die Familienbeihilfe während einer Berufsausbildung bzw. -fortbildung zu.
Bei Ihrem Kind trifft diese Voraussetzung nicht zu (§ 2 Abs. 1 lit. b Familienlasten-ausgleichsgesetz 1967).
"

Gegen diesen Bescheid wurde innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben. Die Tochter befinde sich seit Juni 2020 in Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau. Von September 2019 bis Juni 2020 wäre sie im "[Programm]" gewesen. Beigelegt wurde neuerlich der Lehrvertrag ab Juni 2020 und ein Schreiben aus dem Juni 2021, mit welchem die Beschäftigung als "Lehrling im Einzelhandel" ab Juni 2020 bestätigt wurde.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom wurde der angefochtene Bescheid teilweise stattgebend abgeändert. Das Finanzamt zitierte unter Verweis auf § 2 Abs 1 lit b FLAG 1967 Judikaturstellen zum Begriff "Berufsausbildung". Der Besuch des "[Programm]" stelle keine Berufsausbildung iSd FLAG 1967 dar. Ab Beginn der Lehre im Juni 2020 werde die Familienbeihilfe jedoch wieder zuerkannt.

Am langte ein neuerliches Schreiben der Beschwerdeführerin beim Finanzamt ein. Unter Bezugnahme auf die Beschwerde gegen den Rückforderungsbescheid teilte die Beschwerdeführerin mit, dass sie ihre Angaben in der Beschwerde korrigieren müsse, da sie erst in einem längeren Gespräch mit [Einrichtung] herausgefunden habe, dass ihre Tochter [Name] schon ab Anfang September 2019 bei dieser Einrichtung "übernommen" worden sei. Die Tochter wäre somit nicht mehr im [Programm] gewesen. Auch wäre sie ab September 2019 als außerordentliche Schülerin in der Tiroler Fachberufsschule aufgenommen worden. Beigelegt wurde ein Schreiben des Amtes der Tiroler Landesregierung vom betreffend "[Schulbesuch]", mit welchem die Aufnahme als außerordentliche Schülerin unter dem Vorbehalt, dass sich dadurch die Schulerhaltungskosten nicht unvertretbar vermehren, bestätigt wurde.

Das Finanzamt wertete diese Eingabe als Vorlageantrag, die Beschwerde wurde daher dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung übermittelt. In der Stellungnahme wurde ausgeführt, dass das [Programm] nach der Beschreibung auf der Homepage nicht als Berufsausbildung iSd FLAG und der VwGH-Judikatur angesehen werden könne (vgl bspw ). Ebenfalls stelle die Aufnahme als außerordentliche Hörerin keine Berufsausbildung dar (vgl bspw ).
Das Finanzamt beantragte der Beschwerde wie in der Beschwerdevorentscheidung teilweise Folge zu geben.

Das Bundesfinanzgericht ersuchte das Finanzamt mit Schreiben vom um weitere Sachverhaltsermittlungen. Nach zweimaliger Fristverlängerung wurden vom Finanzamt diese Ermittlungen abgeschlossen. Nachdem die Ermittlungen neue Sachverhaltselemente ergeben haben, wurde mit Mail vom neuerlich Kontakt mit dem Finanzamt aufgenommen und stellte dieses nunmehr den Familienbeihilfenanspruch für den Zeitraum September 2019 bis inklusive Feber 2020 außer Streit.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Sachverhalt

Die Tochter der Beschwerdeführerin, [Name], wurde am [GebDat] geboren und vollendete das 18. Lebensjahr somit am [GebDat+18].

Die Beschwerdeführerin bezog im streitgegenständlichen Zeitraum für zwei Kinder Familienbeihilfe, damit auch die Erhöhungsbeträge nach § 8 Abs 3 Z 3 FLAG 1967 bei Bezug von Familienbeihilfe für zwei Kinder, und Kinderabsetzbeträge.

Ein mit August 2017 von [Name] begonnenes Lehrverhältnis wurde mit April 2019 einvernehmlich und vorzeitig aufgelöst.

Mit Juni 2019 wurde die in Rede stehende Tochter in ein Jugendcoachingprogramm aufgenommen. Ab September 2019 durchlief diese Tochter der Beschwerdeführerin eine vorgelagerte Berufsorientierungsphase. Während dieser Zeit besuchte sie die Berufsschule als außerordentliche Schülerin. Die von ihr erbrachten Leistungen wurden beurteilt (und in der Folge zur Gänze für ein neu begonnenes Lehrverhältnis angerechnet).

Mit Juni 2020 wurde ein Lehrverhältnis (in einem anderen Beruf als bei der ersten Lehre) in Form einer verlängerten Lehre gem § 8b Abs 1 BAG bei der [Einrichtungsname] Bildungs GmbH begonnen. Die prognostizierte (verlängerte) Lehrzeit erstreckte sich auf den Zeitraum Juni 2020 bis Juni 2024.
Mit wechselte die Tochter die Lehrstelle und wurde in Fortsetzung und unter Anrechnung der bei [Einrichtungsname] begonnen Lehre bei einem privaten Arbeitgeber tätig. Das prognostizierte Ende der Lehrzeit blieb mit Juni 2024 gleich.

Mit Beschwerdevorentscheidung wurde die ursprüngliche Rückforderung teilweise, nämlich für die Monate Juni 2020 bis Mai 2021, zurückgenommen.

Beweiswürdigung

Der oben festgestellte Sachverhalt ergibt sich unstrittig aus dem über Aufforderung durch das Bundesfinanzgericht ergänzten Verwaltungsakt.

Rechtliche Beurteilung

Zu Spruchpunkt I.

Gegenstand des bekämpften Bescheides ist, ob die Beschwerdeführerin für ihre Tochter [Name], welche am [GebDat+18] volljährig wurde, im Zeitraum September 2019 bis Mai 2021 Anspruch auf Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträge hatte.

Nach § 2 Abs 1 lit b FLAG 1967 haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, Anspruch auf Familienbeihilfe für volljährige Kinder, die das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und die für einen Beruf ausgebildet oder in einem erlernten Beruf in einer Fachschule fortgebildet werden, wenn ihnen durch den Schulbesuch die Ausübung ihres Berufes nicht möglich ist.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fallen unter den Begriff der "Berufsausbildung" alle Arten schulischer oder kursmäßiger Ausbildung, in deren Rahmen noch nicht berufstätigen Personen ohne Bezugnahme auf die spezifischen Tätigkeiten an einem konkreten Arbeitsplatz für das künftige Berufsleben erforderliches Wissen vermittelt wird (, , oder ). Für die Qualifikation als "Berufsausbildung" ist nicht allein der Lehrinhalt bestimmend, sondern auch die Art der Ausbildung und deren Rahmen. Ziel einer "Berufsausbildung" in diesem Sinn ist es, die fachliche Qualifikation für die Ausübung des angestrebten Berufes zu erlangen. Das Ablegen von Prüfungen, die in einer Ausbildungsvorschrift vorgesehen sind, ist essentieller Bestandteil der "Berufsausbildung" ().
Dass im Zuge einer "Berufsausbildung" praktische und nicht nur theoretische Kenntnisse vermittelt werden können und etwa im Praktikum zu vermittelnde praktische Grundkenntnisse unter die "Berufsausbildung" fallen, hat der Verwaltungsgerichtshof etwa im Erkenntnis , ausgesprochen. Wie sich auch aus § 5 Abs 1 lit b FLAG 1967 ergibt, fällt unter eine "Berufsausbildung" auch ein "duales System" der Ausbildung zu einem anerkannten Lehrberuf (; zur Berufsausbildung im Rahmen einer Lehre ).

Lehrlinge stehen demnach regelmäßig in "Berufsausbildung" iSd FLAG 1967 und vermitteln einen Anspruch auf Familienbeihilfe.

Diesen Anspruch hat das Finanzamt für den Zeitraum Juni 2020 bis Mai 2021 nunmehr mit Beschwerdevorentscheidung auch anerkannt und schließt sich das Bundesfinanzgericht dieser Beurteilung an. Die Absolvierung einer verlängerten Lehre stellt eine Berufsausbildung iSd FLAG 1967 dar. Dies ist in § 8b Abs 13 Berufsausbildungsgesetz (BAG) auch so normiert und gelten Personen, die eine Berufsausbildung gemäß § 8b BAG absolvieren, demnach als Lehrlinge iSd Familienlastenausgleichsgesetzes.

Für den - noch strittigen - Zeitraum September 2019 bis Mai 2020 ergeben sich folgende Überlegungen:

a) September 2019 bis Feber 2020:

Auf Grund der zusätzlichen Sachverhaltsermittlungen steht fest, dass das in Rede stehende Kind nach Vollendung des 18. Lebensjahres, sohin ab September 2019 nicht mehr an einem Jugendcoachingprogramm teilgenommen hat, sondern eine vorgelagerte berufliche Orientierungsphase absolvierte. In deren Rahmen wurde auch die Berufsschule als außerordentliche Schülerin besucht.
Nach § 8b Abs 9 BAG kann vor Beginn einer Berufsausbildung vom Arbeitsmarktservice der Besuch einer beruflichen Orientierungsmaßnahme empfohlen werden. Die berufliche Orientierungsmaßnahme gründet weder auf einem Ausbildungsvertrag noch auf einem Lehrvertrag.
Gemäß § 8b Abs 13 BAG gelten Personen, die eine Berufsausbildung gemäß § 8b BAG absolvieren, als Lehrlinge im Sinne des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes, im Sinne des Familienlastenausgleichsgesetzes, BGBl Nr 376/1967, im Sinne des Arbeitslosenversicherungsgesetzes 1977, im Sinne des Insolvenz-Entgeltsicherungsgesetzes (IESG), BGBl Nr 324/1977 und im Sinne des Einkommensteuergesetzes. Dies gilt weiters für Personen, die sich in einer diesen Ausbildungen vorgelagerten Berufsorientierungsmaßnahme befinden, bis zum Ausmaß von sechs Monaten einer solchen Berufsorientierungsmaßnahme.

Die Tochter der Beschwerdeführerin hat ab eine dem Lehrbeginn vorgelagerte Berufsorientierungsphase im Ausbildungszentrum der [Einrichtungsname] Bildungsgesellschaft besucht.
Damit kam der Tochter nach § 8b Abs 13 zweiter Satz BAG auch im Sinne des Familienlastenausgleichsgesetzes Lehrlingseigenschaft zu. Indem die genannte Bestimmung des BAG nicht auf konkrete Paragrafen oder Abschnitte des FLAG 1967 eingeschränkt wurde, ist davon auszugehen, dass Personen, die sich in einer, einer Ausbildung nach § 8b BAG vorgelagerten Berufsorientierungsphase befinden, Anspruch auf sämtliche Leistungen des FLAG 1967 haben, die auch Lehrlingen zustehen.
Dies, obwohl die Berufsorientierungsmaßnahme keine Berufsausbildung im Sinne der familienbeihilfenrechtlichen Definition dieses Begriffes im eigentlichen Sinn darstellt (arg: "… gründet weder auf einem Ausbildungsvertrag noch auf einem Lehrvertrag" noch besteht inhaltlich eine von der Rechtsprechung geforderte "Struktur", welche auf die Erlernung eines konkreten Berufes abzielt) und auch der in diesem Rahmen erfolgte Besuch der Berufsschule hinsichtlich der (zeitlichen) Intensität für sich alleine nicht ausreicht, um die volle Zeit des Kindes in Anspruch zu nehmen.
Die Berufsausbildung in Form der verlängerten Lehre wurde tatsächlich erst im Juni 2020 begonnen.
Der Gesetzgeber hat diese Gleichstellung und die darauf basierenden Ansprüche allerdings ausdrücklich nur für einen Zeitraum von sechs Monate vorgesehen. Sachverhaltsmäßig bestand im gegenständlichen Fall somit auch im Zeitraum September 2019 bis Feber 2020 ein Familienbeihilfenanspruch. Dieser Umstand wurde vom Finanzamt nach Kontaktaufnahme durch das Bundesfinanzgericht letztlich auch ausdrücklich anerkannt (vgl Mail vom ).
b) März bis Mai 2020:

In diesem Zeitraum befand sich die Tochter weiterhin in der vorgelagerten Berufsorientierungsphase, weil der mit März 2020 geplante Beginn des Lehrverhältnisses auf Grund der coronabedingten Einschränkungen nicht möglich war.

Wie bereits oben ausgeführt, erfolgte die - auch hinsichtlich des FLAG 1967 anzuwendende - gesetzliche Gleichstellung von Berufsorientierungsphase mit Lehrverhältnis nur für sechs Monate. Für darüber hinausgehende Zeiträume gilt diese Gleichstellung nicht mehr.

Somit ist festzustellen, dass sich die Tochter der Beschwerdeführerin im Zeitraum März bis Mai 2020 weder in Berufsausbildung, noch in einer mit Lehrlingen gleichgestellten Situation befunden hat. Ab Juni 2020 bestand jedoch durch den Beginn einer Lehrausbildung unstrittig wieder ein Anspruch auf Familienbeihilfe.
Der Gesetzgeber hat im Zuge der Corona-Krise gesetzliche Maßnahmen verabschiedet, die auf die Einschränkungen durch diese Krise auch hinsichtlich des Anspruches auf Familienbeihilfe Bedacht nehmen.
§ 2 Abs 9 lit a und c FLAG 1967 verlängert einen Familienbeihilfenanspruch für sechs Monate über die Altersgrenze hinaus. Lit c nennt dabei explizit auch den verzögerten Beginn einer Berufsausbildung. Diese Bestimmung ist erst mit in Kraft getreten (vgl § 55 Abs 45 FLAG 1967).
Im März 2020 war der Sechs-Monats-Zeitraum ab Vollendung des 18. Lebensjahres aber bereits abgelaufen. Im Übrigen wird mit dieser Entscheidung ein Familienbeihilfenanspruch für sechs Monate nach Vollendung des 18. Lebensjahres (im August 2019) aus den oben dargestellten Gründen ohnehin wegen der Absolvierung der vorgelagerten Berufsorientierungsphase bestätigt. Ein darüber hinausgehender Anspruch kann aus § 2 Abs 9 lit a und c FLAG 1967 für Zeiträume ab März 2020 nicht abgeleitet werden.

Gemäß dem ab gültigen § 15 Abs 1 FLAG 1967 finden für Personen, die im Zeitraum von einschließlich März 2020 bis einschließlich Februar 2021 für zumindest einen Monat Anspruch auf Familienbeihilfe für ein Kind haben, die während dieses Zeitraumes vorliegenden Anspruchsvoraussetzungen im unmittelbaren Anschluss an den Anspruchszeitraum bis März 2021 in Bezug auf dieses Kind weiter Anwendung, solange während dieses Zeitraumes keine andere Person anspruchsberechtigt wird.
Diese Bestimmung regelt für den angeführten Zeitraum nach dem insoweit klaren Gesetzestext, dass vorliegende Anspruchsvoraussetzungen (nach deren Wegfall) fiktiv weiter als gegeben anzusehen sind (arg: "… im unmittelbaren Anschluss an den Anspruchszeitraum …"). Nicht jedoch kann dem Gesetzestext entnommen werden, dass diese Bestimmung bei erst im Laufe des angeführten Zeitraumes neu entstandenen Ansprüchen dazu führt, dass auch für Zeiträume vor der Entstehung des Anspruches ein fiktiver Beihilfenanspruch normiert wird.
Im vorliegenden Fall bestand nach den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens im März 2020 und den darauf folgenden Monaten April und Mai kein Anspruch auf Familienbeihilfe. Wenn also gegenständlich in den Monaten März bis Mai 2020 kein Beihilfenanspruch bestanden hat, kann das Erfüllen der Anspruchsvoraussetzungen ab Juni 2020 nicht zu einem rückwirkenden fiktiven Beihilfenanspruch nach § 15 FLAG 1967 führen.

Andere potentielle Anspruchsgründe wurden weder behauptet, noch sind diese im vorliegenden Fall erkennbar. Daraus folgt, dass für diese drei Monate keine Anspruchsvoraussetzungen vorgelegen sind. Wird Familienbeihilfe trotz fehlender Anspruchsvoraussetzungen vereinnahmt, wurde diese zu Unrecht bezogen. Nach § 26 Abs 1 FLAG 1967 hat, wer Familienbeihilfe zu Unrecht bezogen hat, die entsprechenden Beträge zurückzuzahlen (vgl Wanke in Lenneis/Wanke (Hrsg), FLAG², § 26 Rz 20f).

Aus § 26 Abs 1 FLAG 1967 ergibt sich eine rein objektive Rückzahlungspflicht desjenigen, der die Familienbeihilfe zu Unrecht bezogen hat, es kommt somit auf das Fehlen der Anspruchsvoraussetzungen für den Leistungsbezug an und sind subjektive Elemente unbeachtlich und unerheblich. Dies unabhängig davon, ob die Beträge an das Kind weitergegeben wurden (vgl ) oder ob diese gutgläubig verbraucht worden sind (vgl ). Auch eine unrichtige Auszahlung, die ausschließlich auf einer Fehlleistung der Abgabenbehörde beruht, steht einer Rückforderung nicht entgegen. Die Rückforderung ist auch keine Ermessensentscheidung der Abgabenbehörde (vgl Wanke in Lenneis/Wanke (Hrsg), FLAG², § 26 Rz 12ff mwN).

Steuerpflichtigen, denen Familienbeihilfe für ein Kind nach dem Familienlastenausgleichsgesetz gewährt wird, steht nach § 33 Abs 3 EStG 1988 auch ein Kinderabsetzbetrag von € 58,40 monatlich zu. Dieser wird gemeinsam mit der Familienbeihilfe ausbezahlt (vgl Herzog in Doralt/Kirchmayr/Mayr/Zorn, EStG²², § 33 Rz 51).

Wurden, wie gegenständlich mangels Familienbeihilfenanspruch, auch Kinderabsetzbeträge zu Unrecht bezogen, ist § 26 FLAG 1967 anzuwenden. Die obigen Ausführungen zur Familienbeihilfe gelten somit auch für den Kinderabsetzbetrag (vgl Herzog in Doralt/Kirchmayr/Mayr/Zorn, EStG²², § 33 Rz 55).

Die Rückforderung für die Monate März bis Mai 2020 beträgt € 642,30 und errechnet sich wie folgt:
Familienbeihilfe für [Name] € 445,80
Erhöhungsbetrag Familienbeihilfe für [Name2] € 21,30
Kinderabsetzbetrag für [Name] € 175,20

Es war daher wie im Spruch ausgeführt zu entscheiden.

Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Zur Rückforderung von Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträgen besteht eine einheitliche Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, von welcher das Bundesfinanzgericht mit diesem Erkenntnis nicht abgewichen ist. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung war gegenständlich nicht zu lösen.

Innsbruck, am

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