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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 08.03.2022, RV/7103915/2019

Auslegung einer Anregung auf amtswegige Wiederaufnahme als Antrag auf Wiederaufnahme

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerden vom (eingebracht am ) gegen die Bescheide des ***Finanzamtes A*** (nunmehr Finanzamt Österreich) vom betreffend Abweisung der Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 BAO betreffend die Einkommensteuer 2012 und 2013 und über die Beschwerden vom (eingebracht am ) gegen die Bescheide des ***Finanzamtes A*** (nunmehr Finanzamt Österreich) vom betreffend Abweisung der Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 BAO betreffend die Einkommensteuer 2014 und 2015, Steuernummer ***BF1StNr1***

zu Recht erkannt:

  1. Die angefochtenen Bescheide vom und vom werden gemäß § 279 BAO aufgehoben.

  2. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Der Beschwerdeführer (in weiterer Folge Bf) machte im Rahmen seines Antrages auf Arbeitnehmerveranlagung für die Jahre 2012 bis 2015 weder Pendlerpauschale noch Pendlereuro geltend.

Am erging der Einkommensteuerbescheid 2012, am der Einkommensteuerbescheid 2013, am der Einkommensteuerbescheid 2014 und am der Einkommensteuerbescheid 2015.

Mit Schriftsatz vom regte der Bf die Wiederaufnahme von Amts wegen an und ersuchte um Zuerkennung von Pedlerpauschale und Pendlereuro.

Die belangte Behörde wies Anträge auf Wiederaufnahme der Einkommensteuerverfahren 2012 und 2013 mit Bescheiden vom und Anträge auf Wiederaufnahme der Einkommensteuerverfahren 2014 und 2015 mit Bescheiden vom ab. Begründend führte sie jeweils aus, dass dem Bf die in den Anträgen angeführten neuen Tatsachen bereits im Zeitpunkt der Bescheiderlassung bekannt gewesen seien und daher für ihn nicht neu hervorgekommen seien.

Der Bf erhob gegen die abweisenden Bescheide betreffend Wiederaufnahme der Einkommensteuerverfahren 2012 und 2013 mit Schriftsatz vom und gegen die abweisenden Bescheide betreffend Wiederaufnahme der Einkommensteuerverfahren 2014 und 2015 mit Schriftsatz vom Beschwerde. Begründend führte er im Wesentlichen aus, dass ihm die in seinen Anträgen angeführten neuen Tatsachen (Pendlerpauschale und Pendlereuro) im Zeitpunkt der Bescheiderlassung nicht bekannt gewesen seien, weil er damals seitens seines Dienstgebers überhaupt keine diesbezüglichen Informationen erhalten habe. Erst kurz vor seinen Anträgen habe ihm ein Arbeitskollege dessen Lohnzettel gezeigt, in denen die Pendlerpauschale und der Pendlereuro berücksichtigt worden seien. Er beantrage daher die Einkommensteuerbescheide aufzuheben und neue zu erlassen, in denen die Pendlerpauschale und der Pendlereuro berücksichtigt werden.

Mit Beschwerdevorentscheidungen vom und wies die belangte Behörde die Beschwerden ab und führte im Wesentlichen aus, dass der Umstand, dass der Bf zwischen Wohnung und Arbeitsstätte eine Strecke von 40 km zurückzulegen habe und dass er Ausgaben in der beantragten Höhe gehabt habe, sei dem Bf im Zeitpunkt des Ergehens der Einkommensteuerbescheide bekannt gewesen. Diesbezüglich lägen keine neuhervorgekommenen Tatsachen für den Wiederaufnahmeantragsteller vor.

Mit Schriftsatz vom beantragte der Bf die Entscheidung durch das Bundesfinanzgericht.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Sachverhalt

Der Bf war in den streitgegenständlichen Jahren beim ***Ag***, ***Adr Ag*** tätig.

2012 wohnte der Bf in ***Adr1***, 2013 bis 2015 in ***Adr3***. Die schnellste Strecke zwischen Wohnung und Arbeitsstätte betrug 2012 rund 50km und 2013 bis 2015 rund 40km.

Der Einkommensteuerbescheid 2012 wurde am erlassen.

Der Einkommensteuerbescheid 2013 wurde am erlassen.

Der Einkommensteuerbescheid 2014 wurde am erlassen.

Der Einkommensteuerbescheid 2015 wurde am erlassen.

Am brachte der Bf für jedes Jahr gesondert folgenden (bis auf die Höhe der Pendlerpauschale und des Pendlereuro und die Wohnadresse gleichlautenden) Schriftsatz vom ein:

"Anregung auf amtswegige Wiederaufnahme des Verfahrens gem. § 303 BAO
Für das Veranlagungsjahr 2012 ist der Bescheid am ergangen.
Ich rege eine amtswegige Wiederaufnahme des oben genannten Verfahrens gem. § 303 BAO an. Es sind Tatsachen oder Beweismittel neu hervorgekommen, die im Verfahren nicht geltend gemacht worden sind. Die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens hätte einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt. Mir ist bewusst, dass kein Rechtsanspruch auf amtswegige Wiederaufnahme besteht.
Ich begründe meine Anregung wie folgt (Anführung der neuen Tatsache oder Beweismittel-Kopien):
In meiner Erklärung zur Arbeitnehmerveranlagung 2012 das Pendlerpauschale von mir nicht geltend gemacht wurde, weil ich erst jetzt darüber erfahren habe. Zwischen der Wohnadresse (
***Adr1***) und Arbeitsstätte (***Adr2***) bin ich bei mehr als 10 Tagen im Monat ohne Firmen-Kfz gefahren und die Benützung der Öffis aufgrund der Fahrzeit unzumutbar war. Ersuche daher das Pendlerpauschale in Höhe von € 2.568,00 für o.a. Jahr zu berücksichtigen."

Beweiswürdigung

Der entscheidungswesentliche Sachverhalt ergibt sich aus dem dem Bundesfinanzgericht elektronisch vorgelegten Akt, insbesondere aus den vom Bf eingebrachten Schriftsätzen und den erlassenen Bescheiden, und ist unstrittig.

Rechtliche Beurteilung

Zu Spruchpunkt I. (Aufhebung)

Gemäß § 303 Abs. 1 BAO kann ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen wiederaufgenommen werden, wenn der Bescheid durch eine gerichtlich strafbare Tat herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist (lit. a), oder Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind (lit. b), oder der Bescheid von Vorfragen (§ 116) abhängig war und nachträglich über die Vorfrage von der Verwaltungsbehörde bzw. dem Gericht in wesentlichen Punkten anders entschieden worden ist (lit. c), und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

Für die Wirksamkeit einer Prozesserklärung ist das Erklärte maßgebend, nicht das Gewollte (vgl zB ). Das Erklärte ist allerdings der Auslegung zugänglich (vgl. zB ).

Parteienerklärungen sind nach ihrem objektiven Erklärungswert auszulegen; hierbei kommt es darauf an, wie die Erklärung unter Berücksichtigung der konkreten gesetzlichen Regelung, des Verfahrenszweckes und der der Behörde vorliegenden Aktenlage objektiv verstanden werden muss (zB , )

Ist der Inhalt eines Anbringens eindeutig, ist eine davon abweichende, nach außen auch andeutungsweise nicht zum Ausdruck kommende Absicht des Einschreiters nicht maßgeblich (vgl. zB )

Den Schriftsätzen des Bf vom ist im Betreff als auch im weiteren Text eindeutig jeweils eine Anregung auf Wiederaufnahme des Verfahrens zu entnehmen. Eine Auslegung der Anregung der Wiederaufnahme als Antrag auf Wiederaufnahme ist daher nicht zulässig.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes besteht keine Entscheidungspflicht betreffend Anregung einer Wiederaufnahme des Verfahrens (, ).

Mangels Vorliegens von Anträgen auf Wiederaufnahme der Einkommensteuerverfahren 2012 bis 2015 lagen keine entscheidungspflichtigen Anträge vor. Ein Abspruch über die Anregungen auf Wiederaufnahme des Verfahrens erfolgte daher zu Unrecht und waren die angefochtenen Bescheide aufzuheben.

Selbst wenn die Anregungen auf Wiederaufnahme der Einkommensteuerverfahren 2012 bis 2014 als Anträge auf Wiederaufnahme des Verfahrens zu deuten gewesen wären, wäre für den Bf nichts gewonnen, da diese aus folgenden Gründen abzuweisen gewesen wären:

Tatsachen sind ausschließlich mit dem Sachverhalt des abgeschlossenen Verfahrens zusammenhängende tatsächliche Umstände (zB ; , 95/14/0094); also Sachverhaltselemente, die bei einer entsprechenden Berücksichtigung zu einem anderen Ergebnis (als vom Bescheid zum Ausdruck gebracht) geführt hätten, etwa Zustände, Vorgänge, Beziehungen, Eigenschaften (zB ; , 95/14/0094; , 2006/13/0107; , 2010/15/0064).

Keine Wiederaufnahmsgründe (keine Tatsachen) sind neue Erkenntnisse in Bezug auf die rechtliche Beurteilung von Sachverhaltselementen, gleichgültig, ob die späteren rechtlichen Erkenntnisse durch die Änderung der Verwaltungspraxis oder Rechtsprechung oder nach vorhergehender Fehlbeurteilung oder Unkenntnis der Gesetzeslage eigenständig gewonnen werden (vgl. ; , 96/15/0148; , 2008/15/0215), Entscheidungen von Gerichten oder Verwaltungsbehörden (vgl. ; , 96/17/0373; , 2002/16/0286-0289) oder eine unterschiedliche Beweiswürdigung durch eine Verwaltungsbehörde einerseits und durch eine Verwaltungsstrafbehörde oder ein Gericht andererseits (vgl. ; , 97/13/0269, 0270; , 96/15/0108). Die nachteiligen Folgen einer früheren unzutreffenden Würdigung oder Wertung des offengelegt gewesenen Sachverhaltes oder einer fehlerhaften rechtlichen Beurteilung - gleichgültig durch welche Umstände veranlasst - lassen sich bei unveränderter Tatsachenlage nicht nachträglich im Wege der Wiederaufnahme des Verfahrens beseitigen ().

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. ) ist bei einem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens das Neuhervorkommen von Tatsachen aus Sicht des Antragstellers zu beurteilen.

Die Tatsachen, dass die schnellste Strecke zwischen der Wohnung und der Arbeitsstätte 40km bzw. 50km betrug und die Benützung der öffentlichen Verkehrsmittel aufgrund der Fahrzeit unzumutbar war, waren dem Bf im Zeitpunkt der Erlassung des jeweiligen Einkommensteuerbescheides bereits bekannt. Dass ihm die Pendlerpauschale und der Pendlereuro zustehe, stellt hingegen eine rechtliche Würdigung des gleichen Sachverhaltes - und somit keine (neuen) Tatsachen - und damit keinen zulässigen Wiederaufnahmsgrund dar.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Das Erkenntnis folgt der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes und liegt damit keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung vor.

Wien, am

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Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at