Schätzung nach Bekanntgabe der Bemessungsgrundlagen
Rechtssätze
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Stammrechtssätze | |
RV/2100405/2022-RS1 | Sind sowohl ein Umsatzsteuer-Festsetzungsbescheid als auch der folgende Umsatzsteuer-Jahresbescheid angefochten, ist inhaltlich nur über den Jahresbescheid abzusprechen, wobei die in der Beschwerde gegen den Festsetzungsbescheid gemachten Einwendungen auch zu berücksichtigen sind.
Die Beschwerde gegen den Festsetzungsbescheid gilt als miterledigt und bedarf keines gesonderten Spruches. |
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin***Ri*** in der Beschwerdesache
***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Ernst & Young Steuerberatungsgesellschaft m.b.H., Wagramer Straße 19, 1220 Wien,
über die Beschwerde vom gegen die Bescheide des Finanzamtes Graz-Stadt vom über die Festsetzung von Umsatzsteuer für die Zeiträume 1-12/2011, 1- 12/2012, 1- 12/2013, 1- 12/2014, 1-12/2015 und 1-12/2016
und
über die Beschwerde vom gegen die Bescheide des Finanzamtes Graz-Stadt vom , betreffend Umsatzsteuer 2012 - 2018 und Verspätungszuschlag Umsatzsteuer 2017 und 2018
zu Recht erkannt:
Die Bescheide vom betreffend Umsatzsteuer 2012 - 2018 werden wie folgt abgeändert:
[...]
Damit ist gleichzeitig die Beschwerde gegen die Umsatzsteuer-Festsetzungsbescheide 1- 12/2012, 1- 12/2013, 1- 12/2014, 1-12/2015 und 1- 12/2016 erledigt.
Die Bescheide betreffend Verspätungszuschlag 2017 und 2018 werden aufgehoben.
Die Bemessungsgrundlagen und die Höhe der festgesetzten Abgaben sind auch dem Ende der Entscheidungsgründe zu entnehmen und bilden einen Bestandteil des Spruches dieses Erkenntnisses.
beschlossen:
Der Vorlageantrag betreffend die Festsetzung von Umsatzsteuer für den Zeitraum 1- 12/2011 wird als gegenstandslos erklärt.
Gegen dieses Erkenntnis bzw. gegen diesen Beschluss ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
Bisheriger Verfahrensgang
Die Beschwerdeführerin, die ***Bf1*** (im Folgenden Bf.) ist ein Telekomunternehmen aus Hong Kong.
In den Streitjahren 2012 - 2016 hat die Bf. ursprünglich mehrere Vorsteuer-Erstattungsanträge eingereicht und das Finanzamt hat die Vorsteuern erstattet.
Diese Erstattungsbescheide wurden vom Finanzamt wieder aufgenommen und die Erstattungsanträge abgewiesen. Das BFG hat dazu mit Erkenntnis vom , RV/2100382/20 im Ergebnis entschieden:
Die Abweisung der Erstattungsanträge 1-12/2012, 01-03/2013, 04-06/2013, 07-09/2013, 10- 12/2013, 01-12/2013, 01-03/2014, 10-12/2014, 1- 3/2016, 4- 6/2016 und 7-9/2016 erfolgte zu Recht. Die Abweisung der Erstattungsanträge betr. das Jahr 2015 war nicht angefochten.
Die Erstattung für die Zeiträume 04-06/2014 und 07-09/2014 wurde mangels Wiederaufnahmegrundes rechtskräftig. Es wurden folgende Beträge erstattet: ***x***.
In weiterer Folge setzte das Finanzamt mit Bescheiden vom die Umsatzsteuer für die Zeiträume 1-12/2011, 1-12/2012, 1-12/2013, 1- 12/2014, 1- 12/2015 und 1-12/2016 fest, indem es ausschließlich Vorsteuer-Berichtigungen festsetzte. Mit Bescheiden vom selben Tag verhängte das Finanzamt für die genannten Zeiträume Verspätungszuschläge, weil die Bf. keine Umsatzsteuer-Erklärungen eingereicht hatte.
Diese Bescheide sind mit Beschwerden vom bzw. vom angefochten. Mit Beschwerdevorentscheidung vom hob das Finanzamt die Feststetzungsbescheide Umsatzsteuer 1-12/2011 und 1-12/2012 auf und wies die Beschwerde im Übrigen ab. Mit Beschwerdevorentscheidung vom selben Tag wurde der Beschwerde gegen die Bescheide betreffend Verhängung eines Verspätungszuschlages teilweise stattgegeben und der VZ in neuer Höhe verhängt. Aufgrund des Vorlageantrages vom wurden die Beschwerden dem BFG zur Entscheidung vorgelegt.
Am erließ das Finanzamt schließlich die hier strittigen Bescheide betreffend Umsatzsteuer 2012 - 2018. In diesen Bescheiden wurden Umsätze geschätzt, Vorsteuern in Abzug gebracht und berichtigt. Begründend heißt es dazu auszugsweise:
"Die Firma ***Bf1***. hat - Rechtslage ab - in Österreich steuerbare und steuerpflichtige Leistungen, die das Erstattungsverfahren ausschließen, dh. ihre Umsätze im allgemeinen Umsatzsteuerveranlagungsverfahren zu erklären (§ 21 Abs. 4 UStG 1994) und bekommt auch (nur) dort die Vorsteuern aus der Rechnung des österr. Netzbetreibers. Eine Umsatzsteuervoranmeldung/ -erklärung unter Berücksichtigung des Gewinnaufschlags bzw. erhaltener Rabatte wäre abzugeben gewesen. (…)
Das Unternehmen hat es unterlassen, dem Finanzamt Umsätze in Österreich durch die Abgabe von Umsatzsteuerveranlagungserklärungen (U1) zu erklären. Gemäß § 184 Abs. 1 BAO hat die Abgabenbehörde die Grundlagen für die Abgabenerhebung zu schätzen, soweit sie diese nicht ermitteln oder berechnen kann. (…)
Als Grundlage für die Schätzung der in Österreich ausgeführten Umsätze werden die Eingangsrechnungen von den österreichischen Telekomanbietern ohne Berücksichtigung nachträglich gewährter Gutschriften bzw. Rabatte herangezogen. Dadurch erhält man die Umsätze auf der "Vorleistungsebene", also die Preise, die sich die Netzbetreiber untereinander in Rechnung stellen. Den Grundsätzen eines ökonomisch denkenden Kaufmanns folgend, ist darüber hinaus noch ein Gewinnaufschlag zu berücksichtigen, der den Mobilfunknetz-Teilnehmern (weiter)verrechnet wird. Dies auch deswegen, da jeder Unternehmer bzw. jeder gesellschaftsrechtliche Vertreter einer Kapitalgesellschaft nach Gewinnen streben muss, um das "Überleben" des Betriebes zu gewährleisten. Nach den Erfahrungen des täglichen Lebens wurden Roaminggebühren wiederholt als weitaus überhöht kritisiert (Konsumentenschutzorganisationen). Ab dürfen Netzanbieter aus der EU bzw. dem EWR ihren Kunden für die Mobilfunknutzung im EU/EWR-Raum keine Roamingzuschläge mehr in Rechnung stellen. Dies betrifft jedoch nicht die Telekommunikationsfirmen in den Drittstaaten und werden dort die hohen Telefongebühren/ Roamingaufschläge weiterhin an (deren) Kunden verrechnet.
Nach Ansicht des ho. Finanzamtes erscheint daher unter Berücksichtigung aller Umstände ein Gewinnzuschlag von 30% - im unteren Bereich - als angemessen. Der auf diese Art ermittelte Inlandsumsatz ist mit 20 % zu versteuern. (…)
Im Übrigen wurden erhaltene Rabatte in der Beschwerde vom gegen die Bescheide über die Erstattung von Vorsteuern für 1-12/2016 und für 1-12/2017 anher bekannt gegeben.
Weiters wird auf die tw. stattgebende/händische BVE betreffend Festsetzung von Umsatzsteuer für 01-12/2011, 01-12/2012, 01-12/2013, 01-12/2014, 01-12/2015 und 01-12/2016 vom wird verwiesen."
In der Beschwerde vom erklärte die Bf., dass sie nach rechtlich richtiger Beurteilung gar keine Umsätze in Österreich erzielt hätte. Die Schätzung selbst sei grob unsachlich und unrichtig.
Nach einer abweisenden Beschwerdevorentscheidung vom beantragte die Bf. mit Schreiben vom die Behandlung der Beschwerde durch das BFG.
Im Vorlageantrag räumte die Bf. ein, dass die Rechtslage nunmehr insoweit geklärt sei, als dass feststehe, dass sie Umsätze in Österreich erzielt hätte. Die Schätzung sei allerdings der Höhe nach falsch.
Die Umsätze der Bf. mit Bezug zu Österreich würden sich in "Postpaid" und "Prepaid"-Umsätze sowie "wholesale" Umsätze aufteilen. Beim "Postpaid" Modell handle es sich um Telefonverträge mit nachträglicher Rechnungslegung an die Kunden, beim "Preaid" Modell würden die Kunden SIM-Karten kaufen wobei sie mit dem jeweiligen Guthaben in verschiedenen Ländern ihre Mobiltelefone benutzen könnten. Als Wholesale-Umsätze werden Umsätze an andere Tekelom-Unternehmen bezeichnet. Wörtlich erläuterte die Bf auszugsweise:
"Seit dem Jahr 2017 wurden zusätzlich die Produkte "Global Roam in Command" und "Europe Pass" eingeführt, mit dem die Kunden in diversen Ländern Roamingleistungen in Anspruch nehmen können. Von diesen Produkten haben die Kunden ebenso in Österreich Gebrauch gemacht.
Bei den "Postpaid" Umsätzen können die von ***Bf1*** generierten Umsätze Österreich entweder direkt oder hinsichtlich der Produkte "Global Roam in Command" und "Europe Pass" auf Basis der Gesamtnutzung in Österreich gegenüber der Gesamtnutzung in allen relevanten Ländern zugeordnet werden.
"Prepaid" Produkte werden erst seit dem Jahr 2014 angeboten. ln den Jahren 2014 bis 2018 konnten die Kunden über die "Europe Roaming Card" in rund 20 europäischen Ländern, einschließlich Österreich, Roamingleistungen in Anspruch nehmen. Die prozentuelle Zuordnung der Umsätze aus der "Europe Roaming Card" zu Österreich ist nicht direkt aus dem Rechnungswesen von ***Bf1*** ermittelbar, weshalb diese hilfsweise mittels einer Schätzung vorgenommen wird.
***Bf1*** hat in den Jahren 2012 bis 2018 auch Telekommunikationsdienstleistungen an sogenannte "Wholesale"-Partner (vor allem an ein japanisches Unternehmen) angeboten. Es handelt sich dabei um Telekommunikationsunternehmen, die über keine Wireless-Netzwerk-lnfrastruktur, welche die Telekommunikationsdienstleistungen unterstützen können, verfügen und diese von ***Bf1*** zukaufen. Die Kunden der "Wholesale"-Partner verwenden ihre Mobiltelefone wiederum zum Teil in Österreich.
Bei den "Wholesale" Umsätzen handelt es sich daher ausschließlich um B2B-Geschäfte. Das Geschäft ist über die Jahre sukzessive zurückgegangen."
Daraus ermittelte die Bf. den Betrag an steuerpflichtigen Umsätzen (wobei die "wholesale-Umsätze zu einem Übergang der Steuerschuld führten) und brachte die beantragten, um die gewährten Rabatte verminderten Vorsteuerbeträge in Abzug.
Das Finanzamt führte in seiner Stellungnahme dazu aus:
"Bezugnehmend auf die Umsatzhöhe und die dargestellte Bereichsaufteilung der Umsätze auf Seite 6 ff (P.2 und P.4) mit geschätzten (!) 5%igen "Prepaid-Umsätzen" ab 2014 bzw. "Wholesale-Umsätzen an B2B-Kunden (Zsfg S. 10) wird ausgeführt, dass ein solches Vorbringen - erstmals (!) und trotz Behauptung eines Rechnungswesens ohne Nachweis - wohl als bloße Schutzbehauptung fungiert, es insbesondere auch völlig unglaubwürdig ist, dass (angebliche) B2B-Umsätze seit 2012 sukzessive zurückgegangen seien.
Zur mangels Mitwirkung erfolgten Umsatzschätzung bzw. betreffend nunmehr zum ersten Mal erwähnter ausgangsseitiger § 19 UStG/ Reverse-Charge-Umsätze an ein namentlich nicht genanntes japanisches Unternehmen (nunmehr seitens der Bf. berechnet mit ca 80% - fallend) wird ho. vorgebracht, dass die/der jew. Leistungsempfänger weder namentlich genannt, noch nachgewiesen wurde(n) und sohin eine ho. Überprüfung der USt-Abfuhr, insbesondere und möglicherweise im Falle nicht vorsteuerabzugsberechtigter Unternehmer, nicht möglich ist.
Mangels Nachweis konkreter Gewinnaufschläge/ Vorlage der strittigen Ausgangsrechnungen/ namentlicher Nennung und Bekanntgabe der ho. STRNR oa. Geschäftskunden/Unternehmer in Listenform ist das Vorbringen der Bf. nach Ansicht der ho. Finanzverwaltung als wenig/nicht glaubwürdige unbewiesene bloße/ nachträgliche Schutzbehauptung zwecks Steuervermeidung bzw. dem Ziel einer weiteren Verfahrensverzögerung, ggfs. in Anbetracht eines zukünftig erwartbaren Finanzstrafverfahrens bzw. bis zur Uneinbringlichkeit der Abgaben, zu werten.
Die Berechnung auf S. 10 steht in völligem Missklang/Widerspruch mit den Eingangsrechnungen/ den beantragten Vorsteuern im U5-Verfahren, zB sind die seitens der Bf. nunmehr bekannt gegebenen Gesamtumsätze 2015 iHv EUR 205.026,30 bei zuvor mit U5 beantragten Vorsteuern aus Eingangsrechnungen iHv EUR 2.244.694,20 auch keinesfalls durch nachträglich gewährte (Brutto)Rabatte im Jahr 2016 iHv (berechnet) netto EUR 41.382,57 erklärbar.
Die bei der Verrechnung der "Roaminggebühren" gewählte Vorgangsweise lässt vielmehr den Schluss zu, dass die Ausgangsrechnungen bewusst überhöht vereinbart/ausgestellt wurden, um die den Kunden in den verschiedenen Auslandszonen verrechneten Tarife, die die Inlandstarife dramatisch übersteigen, zu argumentieren.
Es gab bisher keine Hinweise, dass die zuvor vertraglich vereinbarten/ nachträglichen Roaming-Rabatte an Kunden weitergegeben worden wären und wurde dies auch bisher in keinem Fall vorgebracht oder nachgewiesen.
Für die Preisgestaltung und die Schätzung des äußerst geringen (s.u.) 30%igen Gewinnaufschlags hinsichtlich der Auslandstarife sind nach Ansicht der ho. Finanzverwaltung daher die ungekürzten Eingangsrechnungen die der Realität entsprechende, richtige Basis und war in eventu sogar diese missbräuchliche Preisgestaltung der Anlass für die EU, die Preise im EU-Binnenmarktgebiet (Fair Use, danach ua. Gebühren) zu regulieren; nach den Erfahrungen des täglichen Lebens waren Roaminggebühren wiederholt als zu hoch kritisiert worden, bis schließlich ab Netzanbieter aus der EU bzw. dem EWR ihren Kunden für die Mobilfunknutzung im EU/EWR-Raum keine Roamingzuschläge mehr in Rechnung stellen durften.
vgl. aber Gebühreninfo, zB als Drittlandsvergleich im Magenta-Netz, wonach in der EU nach Fair Use bzw. im Drittland (Zone 3) im Land und nach Österreich folgende Preise gelten:
Abgehende Gespräche 3,84 Ct/Min EUR 1,69/Min
Ankommende Gespräche 0,948 Ct/Min Ct 69,996/Min
SMS-Versand 1,2 Ct/SMS Ct 35,004/SMS
Daten 0,41 Ct/MB EUR 15,36/MB"
Mit Eingabe vom zog die Bf. ihre Beschwerde betr. Festsetzung Umsatzsteuer 1- 12/2011 zurück.
Auf einen Vorhalt des BFG hin (zur Überprüfung der Angaben) übermittelte die Bf. genaue Abrechnungen mit "Postpaid-Kunden" und eine Auflistung aller unternehmerischer Kunden (reverse charge). Diese Unterlagen entsprechen den Zahlen in der Erklärung und sind schlüssig. Dabei wiederholte der Vertreter der Bf. aus Hong Kong nochmals, dass die ex post betrachtet falsche umsatzsteuerliche Behandlung auf einem anderen Wissensstand (durch andere steuerliche Beratung in der EU) zurückzuführen gewesen sei.
Zu den Verspätungszuschlägen erklärte die Bf., dass sie Erklärungen abgegeben hätte, weshalb die Verhängung eines Verspätungszuschlages rechtswidrig sei.
Aktenkundig ist dabei: Am hat die Bf. einen Erstattungsantrag betr. das Jahr 2017 eingereicht, der abgewiesen wurde. Am hat die Bf. einen Erstattungsantrag betreffend 7-9/2019, am einen Erstattungsantrag betr. 1-3/2018 und 4-6/2018 sowie am einen Erstattungsantrag betr. 12-12/2018 eingereicht. Sämtliche Anträge wurden abgewiesen.
Über die Beschwerde wurde erwogen:
1. Sachverhalt und Beweiswürdigung
Die Bf. (ein Telekomunternehmen aus Hong Kong) hat in den Jahren 2012 - 2016 Vorsteuer-Erstattungsanträge eingereicht. Die Erstattungsanträge wurden nach Wiederaufnahme des Verfahrens laut BFG Erkenntnis vom im Ergebnis hinsichtlich der Zeiträume 1- 12/2012, 01-03/2013, 04-06/2013, 07-09/2013, 10- 12/2013, 01-12/2013, 01-03/2014, 10- 12/2014, 2015, 1- 3/2016, 4- 6/2016 und 7-9/2016 rechtskräftig abgewiesen, weil die Bf. Umsätze in Österreich tätigte. Hinsichtlich der Zeiträume 04-06/2014 und 07-09/2014 wurden die Vorsteuern zwar rechtsunrichtigerweise, aber rechtskräftig erstattet.
In weiterer Folge setzte das Finanzamt mit Bescheiden vom die Umsatzsteuer für die Zeiträume 1-12/2011, 1-12/2012, 1-12/2013, 1- 12/2014, 1- 12/2015 und 1-12/2016 fest, indem es ausschließlich Vorsteuer-Berichtigungen festsetzte.
Am erließ das Finanzamt schließlich die hier streitgegenständlichen Bescheide betreffend Umsatzsteuer 2012 - 2018. In diesen Bescheiden wurden Umsätze geschätzt, Vorsteuern in Abzug gebracht und berichtigt.
Am setzte das Finanzamt Verspätungszuschlage für die Jahre 2017 und 2018 fest, weil die Bf. ihre Abgabenerklärungen verspätet eingereicht hat.
Im Zuge des Beschwerdeverfahrens vor dem BFG legte die Bf. Abgabenerklärungen für sämtliche Streitjahre vor. Darin erklärte sie steuerpflichtige Umsätze (zT mit "Reverse charge") laut ihrem Rechenwerk und brachte Vorsteuern (reduziert um Berichtigungen wegen Rabatten) in Abzug.
Die Beschwerde betr. Festsetzung Umsatzsteuer 1- 12/2011 zog die Bf. zurück.
3. Rechtliche Beurteilung
3.1. Rechtslage
§ 184 BAO: (1) Soweit die Abgabenbehörde die Grundlagen für die Abgabenerhebung nicht ermitteln oder berechnen kann, hat sie diese zu schätzen. Dabei sind alle Umstände zu berücksichtigen, die für die Schätzung von Bedeutung sind.
(2) Zu schätzen ist insbesondere dann, wenn der Abgabepflichtige über seine Angaben keine ausreichenden Aufklärungen zu geben vermag oder weitere Auskunft über Umstände verweigert, die für die Ermittlung der Grundlagen (Abs. 1) wesentlich sind.
(3) Zu schätzen ist ferner, wenn der Abgabepflichtige Bücher oder Aufzeichnungen, die er nach den Abgabenvorschriften zu führen hat, nicht vorlegt oder wenn die Bücher oder Aufzeichnungen sachlich unrichtig sind oder solche formelle Mängel aufweisen, die geeignet sind, die sachliche Richtigkeit der Bücher oder Aufzeichnungen in Zweifel zu ziehen.
§ 253 BAO. Tritt ein Bescheid an die Stelle eines mit Bescheidbeschwerde angefochtenen Bescheides, so gilt die Bescheidbeschwerde auch als gegen den späteren Bescheid gerichtet. Dies gilt auch dann, wenn der frühere Bescheid einen kürzeren Zeitraum als der ihn ersetzende Bescheid umfasst.
§ 21 UStG 1994: (4) Der Unternehmer wird nach Ablauf des Kalenderjahres zur Steuer veranlagt. Enden mehrere Veranlagungszeiträume in einem Kalenderjahr (§ 20 Abs. 1 und 3), so sind diese zusammenzufassen. Der Unternehmer hat für das abgelaufene Kalenderjahr eine Steuererklärung abzugeben, die alle in diesem Kalenderjahr endenden Veranlagungszeiträume zu umfassen hat.
(9) Der Bundesminister für Finanzen kann bei nicht im Inland ansässigen Unternehmern, das sind solche, die im Inland weder ihren Sitz noch eine Betriebsstätte haben, durch Verordnung die Erstattung der Vorsteuern abweichend von den Abs. 1 bis 5 sowie den §§ 12 und 20 regeln. Bei nicht im Gemeinschaftsgebiet ansässigen Unternehmern kann weiters bestimmt werden, dass bestimmte Vorsteuerbeträge von der Erstattung ausgeschlossen sind. In der Verordnung kann festgelegt werden:
- ein besonderes Verfahren für die Vorsteuererstattung,
- ein Mindestbetrag, ab dem eine Vorsteuererstattung erfolgt,
- innerhalb welcher Frist der Erstattungsantrag zu stellen ist,
- dass der Bescheid über die Erstattung der Vorsteuerbeträge elektronisch zugestellt wird,
- wie und in welchem Umfang der zu erstattende Betrag zu verzinsen oder zu vergebühren ist.
Vorsteuern im Zusammenhang mit Umsätzen eines im übrigen Gemeinschaftsgebiet ansässigen Unternehmers sind nur erstattungsfähig, wenn die Umsätze in dem Mitgliedstaat, in dem der Unternehmer ansässig ist, ein Recht auf Vorsteuerabzug begründen. Einem Unternehmer, der im Gemeinschaftsgebiet ansässig ist und Umsätze ausführt, die zum Teil den Vorsteuerabzug ausschließen, wird die Vorsteuer höchstens in der Höhe erstattet, in der er in dem Mitgliedstaat, in dem er ansässig ist, zum Vorsteuerabzug berechtigt wäre.
3.2. Verfahrensrechtliches
Rechtskräftige Erstattung 4-9/2014 und Jahresveranlagung 2014
Im Jahr 2014 wurden die Bescheide betreffend Vorsteuererstattung 04-06/2014 und 07-09/2014 rechtskräftig, weil kein Grund für eine Wiederaufnahme des Verfahrens bestand. Die Erstattungsanträge 1-3/2014 und 10-12/2014 wurden rechtskräftig abgewiesen, weil aufgrund von Umsätzen die Anwendung des Erstattungsverfahrens nicht zulässig war.
Gemäß § 21 Abs 4 UStG 1994 wird der Unternehmer nach Ablauf des Kalenderjahres zur Steuer veranlagt. Gemäß Absatz 9 kann der Bundesminister für Finanzen die Erstattung der Vorsteuern abweichend von den Abs. 1 bis 5 sowie den §§ 12 und 20 regeln.
Aufgrund der gesetzlich vorgesehenen Systematik des Erstattungsverfahrens kann es dazu kommen, dass ein ausländischer Unternehmer in einem Kalenderjahr sowohl dem Erstattungsverfahren, als auch dem Veranlagungsverfahren unterliegt. Typischerweise wird das der Fall sein, wenn er zunächst noch keine Umsätze erzielt und daher dem Erstattungsverfahren, und danach - sobald er Umsätze erzielt - dem Veranlagungsverfahren unterliegt. Kommt es neben einer Erstattung zu einer Veranlagung, so muss sichergestellt werden, dass Vorsteuern nicht doppelt berücksichtigt werden (vgl Ruppe/Achatz, UStG 19945, § 21 Tz 60).
Soweit im Beschwerdefall daher Vorsteuern für die Zeiträume 04-06/2014 und 07-09/2014 in Höhe von insgesamt 57.898,20 Euro erstattet wurden, müssen diese bei der Berechnung der Vorsteuern insofern berücksichtigt werden, als sie nicht nochmals zum Abzug zugelassen werden dürfen.
Einer Veranlagung für das gesamte Jahr 2014 steht die Erstattung in einzelnen Monaten nicht entgegen.
Beschwerde gegen Festsetzungsbescheide und gegen Jahresbescheide
Im Beschwerdefall sind sowohl die Beschwerden gegen die Festsetzungsbescheide Umsatzsteuer für die Zeiträume 1-12/2011, 1-12/2012, 1-12/2013, 1- 12/2014, 1- 12/2015 und 1-12/2016 als auch die Beschwerden gegen die Umsatzsteuer-Jahresbescheide 2012 - 2018 anhängig.
Kommt es nach zu einer Festsetzung von Umsatzsteuer zu einer Jahresveranlagung zur Umsatzsteuer, so wird der Festsetzungsbescheid mit der Veranlagung außer Kraft gesetzt (vgl die in Ruppe/Achatz, UStG 19945, § 21 Tz 22 dargestellte Judikatur des VwGH).
Für Zwecke der Einbringung von Beschwerden gilt gemäß § 253 BAO, dass in so einem Fall die Bescheidbeschwerde gegen den Festsetzungsbescheid auch als gegen den Umsatzsteuer-Jahresbescheid gerichtet gilt.
Für Zwecke der Erledigung der Beschwerden ergibt sich daraus, dass inhaltlich nur über die Beschwerde gegen die Jahresbescheide abzusprechen ist, wobei die in der Beschwerde gegen die Festsetzungsbescheide gemachen Einwendungen auch bei den Erwägungen über die Jahresbescheide zu berücksichtigen sind.
Die Beschwerde gegen die Festsetzungsbescheide gilt damit als miterledigt und es bedarf keines gesonderten Spruches.
3.3. Schätzung der Umsatzsteuer
Soweit die Abgabenbehörde die Grundlagen für die Abgabenerhebung nicht ermitteln oder berechnen kann, hat sie diese gemäß § 184 BAO zu schätzen. Dabei sind alle Umstände zu berücksichtigen, die für die Schätzung von Bedeutung sind.
Im Beschwerdefall hat die Bf. ursprünglich die Ansicht vertreten, dass sie keine Umsätze im Inland erzielt hat. Daher hat die Bf. keine Umsätze erklärt, sondern Vorsteuer- Erstattungsanträge eingereicht.
Nach Ergehen des in der Rs "SK Telekom" und den anschließenden Erkenntnissen des , und ist die Bf. (erstmals) der Ansicht des Finanzamtes gefolgt und hat dem Vorlageantrag vorausgeschickt, dass sie nunmehr auch von Umsätzen im Inland ausgehe.
Als Konsequenz dieser Rechtsauffassung hat die Bf. die auf Österreich entfallenden, bisher nicht versteuerten Umsätze aus ihrem Rechenwerk ermittelt und die Vorsteuern in Abzug gebracht sowie die Berichtigungen aufgrund von Rabatten vorgenommen.
Damit können die Grundlagen für die Steuererhebung nunmehr ermittelt werden. Die Angaben der Bf. sind schlüssig und die steuerliche Vertretung konnte auf stichprobenartige Rückfragen des BFG erschöpfend Auskunft geben.
Das Finanzamt hat sich in seiner Stellungnahme demgegenüber damit begnügt, die Richtigkeit der Angaben pauschal anzuzweifeln bzw. die Glaubhaftigkeit in Frage zu stellen.
Da die Schätzung des Finanzamtes (Aufschlag von 30% auf die nicht reduzierten Roaminggebühren) im Vergleich zu den Ausführungen der Bf. äußerst rudimentär geblieben ist, ist davon auszugehen, dass die Zahlen der Bf. der Wahrheit am Nächsten kommen. Jedenfalls sind die bekannt gegebenen Daten als für die Schätzung bedeutsame Umstände zu berücksichtigen und führen im Beschwerdefall dazu, dass eine "Schätzung" anhand dieser Beträge zu erfolgen hat.
Daraus ergeben sich folgende Berechnungen:
[...]
[...]
[...]
* Für den Zeitraum 4-6/2014 wurden bereits ***1*** Euro, für den Zeitraum 7-9/2014 ***2*** Euro erstattet.
[...]
[...]
[...]
[...]
Verspätungszuschlag
Der gesetzliche Zweck der Festsetzung von Verspätungszuschlägen besteht darin, den rechtzeitigen Eingang der Abgabenerklärungen und damit die zeitgerechte Festsetzung und die Entrichtung der Abgabe sicherzustellen. Mit Verspätungszuschlägen wird die Säumnis bei Erfüllung der Abgabenerklärungspflicht und die daraus für die Finanzverwaltung/den Fiskus entstehenden Folgen und Risken geahndet ().
Im Beschwerdefall hat die Bf. rechtzeitig Erstattungsanträge für die Jahre 2017 und 2018 eingebracht. Damit hat die Bf. ihre Abgabenerklärungspflicht erfüllt, auch wenn die Abgabenerklärungen der Höhe nach unrichtig waren, weil die Bf. die Minderung der Bemessungsgrundlage und die Umsätze nicht in die Erklärungen aufgenommen hat.
Mit dem Verspätungszuschlag wird jedoch nur die Nichtabgabe der Steuererklärung und nicht die inhaltliche Unrichtigkeit der Erklärung geahndet. Damit besteht bereits dem Grunde nach keine Grundlage für die Verhängung des Verspätungszuschlages.
In weiterer Folge hat das Finanzamt bei Überprüfung des Sachverhaltes festgestellt, dass die Bf. Umsätze im Inland erzielt hat und daher nicht dem Erstattungsverfahren unterliegt. Das Finanzamt verhängte nunmehr offenbar Verspätungszuschläge für die Nichtabgabe von Umsatzsteuer-(Jahres)erklärungen. Diese hat die Bf. jedoch deshalb nicht eingebracht, weil sie die Rechtsauffassung vertrat, keine Umsätze im Inland zu erzielen.
Diese (Rechts)frage ist vor dem BFG in einem anderen Verfahren strittig, wurde jedoch - zumindest dem Grunde nach - zwischenzeitig vom bzw. , "SK Telecom Co. Ltd" zu Lasten der Rechtsauffassung der Bf. entschieden.
Obwohl die Bf. keine Umsatzsteuer-Jahreserklärungen oder Umsatzsteuer-Voranmeldungen eingereicht hat, hat sie durch die Einreichung von Erstattungsanträgen den Normzweck erfüllt: Durch die in den Erstattungsanträgen gemachten Angaben war es dem Finanzamt möglich, die Umsatzsteuer festzusetzen.
Im Übrigen liegt die Festsetzung von Verspätungszuschlägen dem Grunde und der Höhe nach im Ermessen (), wobei ein Rechtsirrtum bzw. das Handeln auf Grund einer vertretbaren Rechtsansicht die Annahme eines für das Ermessen wesentlichen Verschuldens ausschließen kann ().
Die Bf. hat nur Erstattungsanträge eingereicht, weil sie die Auffassung vertreten hat, dass die VO 383/2003 idF 221/2009 unionsrechtswidrig sei. Dass es sich dabei um eine vertretbare Rechtsansicht handelt, ergibt sich bereits aus der Tatsache, dass das BFG in der Rechtssache "SK Telekom" deshalb ein Vorabentscheidungsersuchen eingebracht hat.
Mit einem Verspätungszuschlag soll nur das Fehlverhalten, Abgabenerklärungen nicht fristgerecht einzubringen, sanktioniert werden. Keinesfalls soll ein drohender Verspätungszuschlag Abgabepflichtige daran hindern, eine andere Rechtsauffassung als das Finanzamt zu vertreten.
Die Bescheide betr. Verspätungszuschläge waren daher wie im Spruch ersichtlich aufzuheben, weil die Bf. fristgereicht Erklärungen eingereicht hat. Die Erklärungen waren zwar im Nachhinein gesehen unrichtig, jedoch beruhte die Unrichtigkeit auf einer vertretbaren Rechtsauffassung, weshalb die Bf. auch kein für die Verhängung eines Verspätungszuschlages wesentliches Verschulden trifft.
Zurücknahme Vorlageantrag USt-Festsetzung 1-12/2011
Gemäß § 256 Abs. 3 BAO ist eine Beschwerde mit Beschluss (§ 278) als gegenstandslos zu erklären, wenn sie zurückgenommen wird. Dies gilt gemäß § 264 Abs. 4 lit. d BAO sinngemäß auch für Vorlageanträge.
Gemäß § 264 Abs. 3 dritter Satz BAO gilt bei Zurücknahme eines Vorlageantrages die Bescheidbeschwerde wieder als durch die Beschwerdevorentscheidung erledigt.
Da die Bf. mit Anbringen vom den Vorlageantrag betreffend Festsetzung Umsatzsteuer 01-12/2011 zurückgezogen hat, war dieser gemäß § 264 Abs. 4 lit. d BAO iVm § 256 Abs. 3 BAO als gegenstandslos zu erklären.
Revision
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Im Beschwerdefall war die Höhe der geschätzten Abgaben zu ermitteln. Das ist einen Tatsachenfrage, die keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung aufwirft weshalb die Revision nicht zuzulassen war.
Graz, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 253 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Verweise | |
Zitiert/besprochen in | Kuderer in SWK 35/2022, 1350 |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2022:RV.2100405.2022 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at