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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 15.09.2022, RV/1100352/2020

Kosten für Visualtraining eines Kindes bei einem Optometristen als außergewöhnliche Belastung.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin***Ri***

in der Beschwerdesache der ***Bf1***, ***Bf1-Adr***,

betreffend den Bescheid des ***FA*** vom

hinsichtlich Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) 2019, Steuernummer ***BF1StNr1***,

zu Recht erkannt:

I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.

Die Bemessungsgrundlagen und die Höhe der festgesetzten Abgabe sind am dem Ende der Entscheidungsgründe als Beilage angeschlossenen Berechnungsblatt zu entnehmen, das einen Bestandteil des Spruches dieses Erkenntnisses bildet.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Der angefochtene Bescheid enthielt u. a. die Begründung, die Kosten für das optometrische Visualtraining und die Kinesiologie hätten nicht berücksichtigt werden können, weil sie nicht ärztlich verordnet worden wären.

Dagegen wandte sich die Beschwerdeführerin und brachte in ihrer Beschwerde vor: Die in Streit stehenden Therapien seien ihr sehr wohl von einem Arzt verordnet worden. Sie habe die Verordnung eingeholt und lege sie als Beilage vor. Sie bitte um Berücksichtigung der eingereichten Rechnungen als außergewöhnlichen Belastungen.

Das beigelegte Schreiben des Kinderarztes Dr. ***1*** vom lautet:

"Ich berichte über ***2***, geboren am ***3***.

Diagnose: Visuelle Wahrnehmungsstörung mit Leseschwäche

Im Alter von 7 Jahren fiel bei ***4*** erstmals in der Schule eine ausgeprägte Leseschwäche auf, weshalb ich der Kindesmutter als Ergotherapie optisches Visualtraining empfohlen habe. Dieses Training wurde im Jahr 2017 auch durchgeführt und am erfolgte eine abschließende Kontrolle. Nach Angaben der Kindesmutter war das Training erfolgreich, die vorher ausgeprägte Leseschwäche hat sich deutlich gebessert."

In der Folge erging eine abweisende Beschwerdevorentscheidung, in der ausgeführt wurde: Therapien, die durch nichtärztliches Personal durchgeführt würden, seien grundsätzlich nur dann steuerlich absetzbar, wenn die Therapie vor der Durchführung ärztlich verordnet worden sei, oder die Krankenkasse die Kosten (teilweise) ersetzt habe. Eine im Nachhinein ausgestellte Empfehlung eines Arztes entspreche nicht diesen Voraussetzungen, die Beschwerde sei daher als unbegründet abzuweisen gewesen.

Daraufhin brachte die Beschwerdeführerin einen Antrag auf Vorlage ihrer Beschwerde an das Bundesfinanzgericht ein und erläuterte: Es sei ihr von ihrem Kinderarzt schon im Jahr 2017 dringend als medizinisch notwendig empfohlen worden, die in Streit stehende Behandlung für ihren Sohn ***4*** bei Optometrist ***5*** durchführen zu lassen, da andernfalls bleibende zukünftige Schäden nicht auszuschließen seien. Sie habe diese Behandlungen, die teuer gewesen seien, nicht unüberlegt in Anspruch genommen.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Sachverhalt

  1. Bei ***4***, dem Sohn der Beschwerdeführerin, trat in der Schule eine visuelle Wahrnehmungsstörung mit ausgeprägter Leseschwäche auf.

  2. Der Kinderarzt empfahl als Ergotherapie ein optisches Visualtraining.

  3. Die Beschwerdeführerin suchte daraufhin mit ihrem Sohn den Funktionaloptometristen und Augenoptikermeister ***5***, MSc in klinischer Optometrie, auf.

  4. ***4*** absolvierte im Jahr 2017 nach Voruntersuchungen 27 Trainingseinheiten für optometrisches Visualtraining.

  5. Am wurde eine Kontrolle durchgeführt.

  6. Der Optometrist stellte mit Rechnung vom € 3.200,00, mit Rechnung vom € 105,00, jeweils zahlbar binnen 7 Tagen, in Rechnung.

Die Feststellungen zum Sachverhalt gründen sich auf unstrittigen Akteninhalt.

Gesetzliche Grundlagen und rechtliche Beurteilung

Zu Spruchpunkt I. (Stattgabe)

Strittig ist: Sind die Kosten i.H.v. € 3.305,00, welche die Beschwerdeführerin für ein optometrisches Visualtraining ihres Sohnes ***4*** aufgewendet hat, als außergewöhnliche Belastung abzugsfähig?

Als nicht weiter strittig werden die ursprünglich i.H.v. € 70,00 für Kinesiologie geltend gemachten Kosten erachtet, zu denen sich keine näheren Ausführungen im Akt befinden und die auch im Vorlageantrag nicht thematisiert wurden.

Nach § 34 Abs. 1 EStG 1988 sind bei der Ermittlung des Einkommens (§ 2 Abs. 2 EStG 1988) nach Abzug der Sonderausgaben (§ 18 EStG 1988) außergewöhnliche Belastungen abzuziehen. Die Belastung muss außergewöhnlich sein (Abs. 2 leg. cit.), zwangsläufig erwachsen (Abs. 3 leg. cit.) und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wesentlich beeinträchtigen (Abs. 4 leg. cit.).

Nach § 34 Abs. 3 EStG 1988 erwächst dem Steuerpflichtigen eine Belastung zwangsläufig, wenn er sich Ihr aus tatsächlichen rechtlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann.

Gemäß § 34 Abs. 4 EStG 1988 ist ein Selbstbehalt zu berücksichtigen.

Durch Krankheit verursachte Aufwendungen sind außergewöhnlich, sie erwachsen aus tatsächlichen bzw. bei Unterhaltsberechtigten aus rechtlichen (§ 34 Abs. 7 Z 4 EStG 1988) Gründen zwangsläufig.

Zu den als außergewöhnliche Belastung abzugsfähigen Krankheitskosten zählen nur Aufwendungen für solche Maßnahmen, die zur Heilung oder Linderung einer Krankheit nachweislich notwendig sind.

Entscheidend für die Annahme einer Krankheit ist, ob es sich um einen anormalen Zustand handelt, der Störungen oder Behinderungen in der Ausübung normaler psychischer oder körperlicher Funktionen von solchem Gewicht hat, dass er nach herrschender Meinung einer medizinischen Behandlung bedarf vgl. (BFH , III R 84/96; Wanke in Wiesner/Grabner/Knechtl/Wanke, EStG § 34).

Nun entspricht auch nach laienhaftem Verständnis eine visuelle Wahrnehmungsstörung, die sich weiter verschlechtern kann und ein Kind u. a. daran hindert, uneingeschränkt lesen zu lernen, einem Krankheitsbild, das eine Heilbehandlung erfordert.

Ein Optometrist ist geeignet, bei diesem Krankheitsbild eine schulmedizinisch anerkannte Heilbehandlung durchzuführen. Gemäß Definition des World Council of Optometry ist der Beruf des Optometristen dem nichtärztlichen medizinischen Personal zuzurechnen: "Die Optometrie ist ein unabhängiger, ausgebildeter und geregelter Gesundheitsberuf. Optometristen sind die primären Dienstleister für den Gesundheitsstatus des Auges und des visuellen Systems. Dies beinhaltet die Refraktion, die Sehhilfenanpassung, die Abgrenzung von Augenkrankheiten und die Wiederherstellung normaler Zustände des visuellen Systems" (www.optometristen.at).

Soweit laut Abgabenbehörde (siehe Beschwerdevorentscheidung) die medizinische Notwendigkeit einer Heilbehandlung bei Leistungen durch nichtärztliches medizinisches Personal nur dann als gegeben erachtet wird, wenn diese ärztlich verschrieben wird oder die Kosten zumindest teilweise von der Sozialversicherung ersetzt werden, erachtet das BFG diese Sichtweise als zu eng gefasst.

In der Entscheidung BFG, , RV/1100626/2014, wird ausgeführt:

"Sinn der Forderung nach einer Notwendigkeit von Krankheitskosten ist es, diese Kosten von Kosten für die Lebensführung abzugrenzen. Dabei ist eine typisierende Betrachtung anzustellen. Denn natürlich sind auch Krankheitskosten insofern freiwillig, als sie durch eine Entscheidung des Erkrankten erfolgen und aufgrund dessen Entscheidung auch unterbleiben könnten. Es geht daher vielmehr darum, ob eine Behandlung und die dadurch entstehenden Kosten aus Sicht der Allgemeinheit als notwendig erscheint. Ein solcher Nachweis kann durch eine ärztliche Bestätigung erbracht werden. Eine Einschränkung dieses Nachweises auf eine "ärztliche Verordnung der Behandlung im Rahmen eines ärztlichen Behandlungsplanes" oder die (teilweise) Übernahme der Kosten durch die Sozialversicherung erscheint in dieser pauschalen Form aber als zu eng. Entscheidend kann vielmehr nur sein, ob eine Behandlung medizinisch indiziert ist und die damit verbundenen Kosten sich damit von Kosten der privaten Lebensführung abgrenzen. Ob eine solche medizinische Indikation vorliegt, ist im Einzelfall zu untersuchen."

Umgelegt auf den Streitfall ergibt sich daher: Vor der Konsultation des Optometristen erfolgte eine entsprechende Behandlungsempfehlung seitens des Kinderarztes wegen medizinischer Indikation und Notwendigkeit, nach Absolvierung der visuellen Trainingseinheiten ein Arztbericht, in dem auch der Behandlungserfolg bestätigt wird.

Auch in einer typisierenden, allgemeinen Betrachtungsweise muss die Analyse zu dem Ergebnis führen, dass die aufgewendeten Kosten notwendig waren: Sie ermöglichten es einem Kind, seine visuellen Wahrnehmungsstörungen zu lindern und ungestört lesen zu lernen - wohl eine wesentliche Voraussetzung für ein späteres chancengleiches und selbstbestimmtes Leben.

Eine strikte Anlehnung an einen Kostenersatz durch den Sozialversicherungsträger hätte übrigens zur Folge, dass für die Berücksichtigung von Krankheitskosten im Rahmen des § 34 praktisch kaum ein Anwendungsbereich bliebe, da im Ausmaß des Kostenersatzes durch den Versicherungsträger beim Steuerpflichtigen ohnehin keine Einkommensbelastung eintritt. Soweit daher die medizinische Notwendigkeit hinreichend erwiesen ist, sind Aufwendungen von einer Berücksichtigung als außergewöhnliche Belastung noch nicht deshalb ausgeschlossen, weil die Sozialversicherung eine Kostenübernahme ablehnt (vgl. hiezu auch BFH , VI R 17/09 sowie Wanke aaO).

Siehe auch , mit weiteren Hinweisen auf die höchstgerichtliche Rechtsprechung und die Fachliteratur: "Auch Aufwendungen, die nicht von der gesetzlichen Krankenversicherung getragen werden, können dem Steuerpflichtigen zwangsläufig erwachsen, wenn sie aus triftigen Gründen medizinisch geboten sind".

In zusammenfassender Würdigung ist festzuhalten, dass die Behandlung des Sohnes der Beschwerdeführerin bei dem Optometristen ***5*** medizinisch indiziert und notwendig war, was durch ärztliche Empfehlung und Bestätigung nachgewiesen ist. Es sind daher laut eingereichten Rechnungen € 3.305,00 als außergewöhnliche Belastung anzuerkennen.

Insgesamt war wie im Spruch zu entscheiden.

Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die Lösung der in Streit stehenden Rechtsfrage findet Deckung in der höchstgerichtlichen Rechtsprechung ( mit Hinweisen auf weitere höchstgerichtlich Judikate).

Feldkirch, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
Verweise
BFH , III R 84/96
BFH , VI R 17/09

ECLI
ECLI:AT:BFG:2022:RV.1100352.2020

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at