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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 29.06.2022, RV/7102083/2009

Offenkundigkeit einer verdeckten Ausschüttung (Mutter-Tochter-Richtlinie)

Rechtssätze


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Stammrechtssätze
RV/7102083/2009-RS1
Wird - noch vor Durchführung einer Sorgfaltsprüfung nach § 3 VO anhand der Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts und der allgemein zugänglichen Verwaltungspraxis - das Vorliegen einer gesellschaftsrechtlichen Vorteilsgewährungsabsicht zwar festgestellt, kann auf diese jedoch aus den Umständen des Einzelfalles nicht zweifelsfrei geschlossen werden, insbesondere, weil nicht unerhebliche Sachverhaltselemente gegen diese Feststellung sprechen, kann von einer offenkundigen verdeckten Ausschüttung nicht gesprochen werden.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen die Haftungs- und Abgabenbescheide (Kapitalertragsteuer) 2002, 2003 und 2004 des Finanzamtes Wien 1/23 - nunmehr ***FA*** - vom zu Recht erkannt:

I. Der Beschwerde wird stattgegeben.
Die angefochtenen Bescheide werden ersatzlos aufgehoben.

II. Eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist zulässig.

Entscheidungsgründe

Das bisherige Verfahren stellt sich wie folgt dar:

Festsetzung der Kapitalertragsteuer im Haftungsweg

Auf der Grundlage der Feststellungen einer Außenprüfung wurden die Verfahren betreffend Körperschaftsteuer 2002 bis 2004 wiederaufgenommen und neue Sachbescheide am abgefertigt.

Die Außenprüfung stellte ua eine verdeckte Ausschüttung im Ausmaß der fehlenden Verzinsung von aushaftenden Forderungen aus Lieferungen und Leistungen gegenüber der ***Schwester*** Leuchten GmbH (***Schwester***) fest. Durch die Kreditierung der jährlich ansteigenden Debitorenposten ohne Entgelt sei ein fremdüblicher Ertrag entgangen. Im Schätzungsweg wurde in Anwendung von Durchschnittszinssätzen (Zinssätze aus von der Beschwerdeführerin an die ***Schwester*** gewährten Darlehen) ein Zinsertrag einkünfteerhöhend in 2002 bis 2004 berücksichtigt.

In weiterer Folge ergingen die Haftungs- und Abgabenbescheide (Kapitalertragsteuer) vom für die Zeiträume 2002, 2003 und 2004.

Berufung vom

Die Bf beantragte die ersatzlose Aufhebung der Bescheide und begründete dies damit, dass aufgrund der Nichtverzinsung der Lieferforderung gegenüber der Schwestergesellschaft keine verdeckte Ausschüttung vorliege und verwies auf die ausführliche Begründung in der Berufung vom gegen die Körperschaftsteuerbescheide.

Vorlagebericht vom

Die Berufung wurde vom zuständigen Finanzamt dem Unabhängigen Finanzsenat Außenstelle Wien antragslos zur Entscheidung vorgelegt.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Die Berufung wurde vom Unabhängigen Finanzsenat nicht erledigt. Gemäß § 323 Abs 38 BAO sind die am bei dem Unabhängigen Finanzsenat als Abgabenbehörde zweiter Instanz anhängigen Berufungen und Devolutionsanträge vom Bundesfinanzgericht als Beschwerden im Sinn des Art 130 Abs 1 B-VG zu erledigen. Solche Verfahren betreffende Anbringen wirken mit auch gegenüber dem Bundesfinanzgericht.

Die Rechtssache wurde am durch Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom der nunmehr zuständigen Geschäftsabteilung zugeteilt.

Da die Beschwerde zulässig ist, rechtzeitig eingebracht wurde und keine Erledigung in Beschlussform gemäß § 278 BAO zu ergehen hat, entscheidet das Bundesfinanzgericht gemäß § 279 BAO in der Sache selbst.

1. Sachverhalt

Die ***Bf1*** (Bf) mit Sitz in Wien ist Rechtsnachfolgerin der beschwerdeführenden ***Bf1*** GmbH. An der Bf war wie auch an der ***Schwester*** Leuchten GmbH (***Schwester***, Sitz in Deutschland) im Streitzeitraum die ***Mutter*** (***Mutter***) mit Sitz in Deutschland zu 100% beteiligt.

Mit Erkenntnis zur GZ RV/7102082/2009 beurteilte das Bundesfinanzgericht die fehlende Verzinsung der aushaftenden Forderungen der Bf gegenüber ***Schwester*** aus Warenlieferungen als verdeckte Ausschüttung, da ein solcher Vorteil einem gesellschaftsrechtlich nicht verbundenen Unternehmen nicht gewährt worden wäre. Die entgangenen Zinserträge wurden schätzungsweise mit 11.306,69 € in 2002, 31.661,06 € in 2003 und 31.008,04 € in 2004 festgestellt. Hinsichtlich des Sachverhalts, der Beweiswürdigung und der rechtlichen Beurteilung wird auf og Erkenntnis verwiesen.

2. Beweiswürdigung

Der Sachverhalt ergibt sich aus dem Akt der Finanzverwaltung, insbesondere aus dem Arbeitsbogen der die Streitjahre betreffende Außenprüfung und dem Erkenntnis zur GZ RV/7102082/2009 des Bundesfinanzgerichts.

3. Rechtliche Beurteilung (Spruchpunkt I.)

§ 93 EStG 1988 idF BGBl Nr 400/1988 lautet auszugsweise:

"(1) Bei inländischen Kapitalerträgen (Abs. 2) sowie bei im Inland bezogenen Kapitalerträgen aus Forderungswertpapieren (Abs. 3) wird die Einkommensteuer durch Abzug vom Kapitalertrag erhoben (Kapitalertragsteuer).

(2) Inländische Kapitalerträge liegen vor, wenn der Schuldner der Kapitalerträge Wohnsitz, Geschäftsleitung oder Sitz im Inland hat oder Zweigstelle im Inland eines Kreditinstituts ist und es sich um folgende Kapitalerträge handelt:

1. a) Gewinnanteile (Dividenden), Zinsen und sonstige Bezüge aus Aktien, Anteilen an Gesellschaften mit beschränkter Haftung.

[…]"

§ 95 EStG 1988 idF BGBl Nr 201/1996 lautet auszugsweise:

"(1) Die Kapitalertragsteuer beträgt 25%.

(2) Schuldner der Kapitalertragsteuer ist der Empfänger der Kapitalerträge. Die Kapitalertragsteuer ist durch Abzug einzubehalten. Der zum Abzug Verpflichtete (Abs. 3) haftet dem Bund für die Einbehaltung und Abfuhr der Kapitalertragsteuer.

(3) Zum Abzug der Kapitalertragsteuer ist verpflichtet:

1. Bei inländischen Kapitalerträgen (§ 93 Abs. 2) der Schuldner der Kapitalerträge.

[…]"

§ 94a EStG 1988 idF BGBl Nr 797/1996 lautet:

(1) Der zum Abzug Verpflichtete (§ 95 Abs. 3) hat insoweit keine Kapitalertragsteuer abzuziehen, als folgende Voraussetzungen vorliegen:

1. Der zum Abzug Verpflichtete ist eine unbeschränkt steuerpflichtige Kapitalgesellschaft (Tochtergesellschaft), an deren Grund- oder Stammkapital eine unter Z 3 fallende Muttergesellschaft nachweislich in Form von Gesellschaftsanteilen unmittelbar mindestens zu einem Viertel beteiligt ist.

2. Bei den Kapitalerträgen handelt es sich um Gewinnanteile (Dividenden), Zinsen und sonstige Bezüge aus Aktien oder Anteilen an Gesellschaften mit beschränkter Haftung.

3. Die Muttergesellschaft ist eine ausländische Gesellschaft, die die in der Anlage 2 zu diesem Bundesgesetz vorgesehenen Voraussetzungen des Artikels 2 der Richtlinie Nr. 90/435/EWG des Rates vom (ABl. EG Nr. L 225 S. 6) in der Fassung des Vertrages über den Beitritt Österreichs zur Europäischen Union erfüllt.

4. Die in Z 1 genannte Beteiligung muß während eines ununterbrochenen Zeitraumes von mindestens zwei Jahren bestehen.

(2) Abweichend von Abs. 1 hat der zum Abzug Verpflichtete die Kapitalertragsteuer in folgenden Fällen einzubehalten:

1. Im Zeitpunkt der Gewinnausschüttung ist die Frist von zwei Jahren (Abs. 1 Z 4) noch nicht abgelaufen.

2. Es liegen Gründe vor, wegen derer der Bundesminister für Finanzen dies zur Verhinderung von Steuerhinterziehungen und Mißbräuchen (§ 22 der Bundesabgabenordnung) sowie in den Fällen verdeckter Ausschüttungen (§ 8 Abs. 2 des Körperschaftsteuergesetzes 1988 durch Verordnung anordnet.

In diesen Fällen ist eine der Richtlinie (Abs. 1 Z 3) entsprechende Entlastung von der Kapitalertragsteuer auf Antrag der Muttergesellschaft durch ein Steuerrückerstattungsverfahren herbeizuführen."

§ 94a EStG 1988 wurde durch BGBl I Nr 71/2003 mit Wirksamkeit ab folgendermaßen geändert:

a) In Abs 1 Z 1 wurde als letzter Satz angefügt:

"An die Stelle der Beteiligung mindestens zu einem Viertel tritt eine Beteiligung zu mindestens einem Zehntel, soweit Gegenseitigkeit im Sinne des § 48 BAO besteht."

b) Im Abs 1 Z 3 tritt an die Stelle der Wortfolge "in der Fassung des Vertrages über den Beitritt Österreichs zur Europäischen Union" die Wortfolge "in der jeweils geltenden Fassung" .

c) Im Abs 1 Z 4 wie im Abs 2 Z 1 tritt jeweils an die Stelle der Wortfolge "zwei Jahren" die Wortfolge "einem Jahr".

Die Verordnung des Bundesministers für Finanzen zur Einbehaltung von Kapitalertragsteuer und deren Erstattung bei Mutter- und Tochtergesellschaften im Sinne der Mutter-Tochter-Richtlinie idF BGBl Nr 56/1995 (VO) lautet auszugsweise:

"§ 1. Eine Unterlassung des Steuerabzugs im Sinne des § 94a Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes 1988 ist unzulässig, wenn

1. […]

2. eine offenkundige verdeckte Ausschüttung (§ 8 Abs. 2 des Körperschaftsteuergesetzes 1988 vorliegt (§ 3) oder

[…]

§ 3. Eine offenkundige verdeckte Ausschüttung liegt vor, wenn der zum Abzug Verpflichtete die verdeckte Ausschüttung bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmannes insbesondere auf Grund der Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts oder der allgemein zugänglichen Verwaltungspraxis erkannte oder erkennen mußte.

[…]"

Gemäß § 8 Abs 2 KStG 1988 ist es für die Ermittlung des Einkommens ohne Bedeutung, ob das Einkommen im Wege offener oder verdeckter Ausschüttungen verteilt oder entnommen oder in anderer Weise verwendet wird. Durch diese Bestimmung wird dem allgemeinen Trennungsprinzip im Körperschaftsteuerrecht Rechnung getragen.

Verdeckte Ausschüttungen von Gesellschaften mit beschränkter Haftung sind Gewinnanteile aus Anteilen an solchen Gesellschaften. Sie unterliegen als Kapitalerträge grundsätzlich dem verpflichtenden Abzug durch den Schuldner der Kapitalerträge.

Hinsichtlich des Vorliegens einer verdeckten Ausschüttung schließt sich das Bundesfinanzgericht dem Erkenntnis zur GZ RV/7102082/2009 an. Die Kapitalerträge sind demnach der Anteilsinhaberin ***Mutter*** zuzurechnen, obwohl die Schwestergesellschaft ***Schwester*** die konkret Begünstigte ist.

Da die Voraussetzungen des § 94a Abs 1 EStG 1988 zweifellos zutreffen, trifft die Bf als Schuldnerin der Kapitalerträge keine Abzugsverpflichtung, sofern kein Anwendungsfall des § 94a Abs 2 EStG 1988 gegeben ist.

Ein Missbrauchssachverhalt ist nach der Aktenlage auszuschließen.

Gemäß § 94a Abs 2 Z 2 EStG 1988 können Gründe vorliegen, die in Fällen von verdeckten Ausschüttungen eine Abzugspflicht rechtfertigen. Die in dieser Bestimmung erwähnte Verordnung des Bundesministers für Finanzen ist in Kraft. Nach § 1 Z 2 VO ist insbesondere bei offenkundigen verdeckten Ausschüttungen eine Unterlassung des Steuerabzugs unzulässig.

Gemäß § 3 VO liegt die Offenkundigkeit einer verdeckten Ausschüttung vor, wenn der zum Abzug Verpflichtete die verdeckte Ausschüttung bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmannes, insbesondere auf Grund der Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts oder der allgemein zugänglichen Verwaltungspraxis, erkannte oder erkennen musste.

Gegenstand dieses Beschwerdeverfahrens ist die Frage, ob die Kapitalertragsteuer gegenüber der Bf zu Recht im Haftungsweg vorgeschrieben wurde. Die Bf beantragte die Aufhebung der gegenständlichen Bescheide, weil eine verdeckte Ausschüttung nicht vorläge. Diesbezüglich wird auf das og Erkenntnis verwiesen.

Das Bundesfinanzgericht ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung seine Anschauung an die Stelle jener der Abgabenbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern, aufzuheben oder die Bescheidbeschwerde als unbegründet abzuweisen. Keine Grenzen der Änderungsbefugnis ergeben sich aus der Begründung des Beschwerdepunktes, dass die Kapitalertragsteuer nicht festzusetzen sei, weil eine verdeckte Ausschüttung nicht vorliege.

Da das Bundesfinanzgericht der Entscheidung im Körperschaftsteuerverfahren folgt, war nicht in die Thematik des Vorliegens einer verdeckten Ausschüttung an sich, sondern des Bestehens einer Offenkundigkeit der verdeckten Ausschüttung einzugehen.

"Offenkundig" steht nach der allgemeinen Wortbedeutung für "für jeden ersichtlich", "klar erkennbar", "sehr deutlich". Synonyme sind zB "augenscheinlich", "deutlich", "eklatant" (siehe https://www.duden.de/rechtschreibung/offenkundig) .

Nun können Rechtsbegriffe durchaus eine vom allgemeinen Sprachgebrauch abweichende Bedeutung haben. Eine solche rechtliche Erläuterung erhält der Begriff durch die VO.

Unterer Maßstab der Beurteilung, ob eine verdeckte Ausschüttung offenkundig ist, ist das Erkennenmüssen bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmannes/Unternehmers.

Die Missachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmannes/Unternehmers (als Spielart des Fremdvergleichs) wird im Regelfall schon bei einer verdeckten Gewinnausschüttung an sich anzunehmen sein, sodass für die "Offenkundigkeit" ein qualifizierter Sorgfaltsverstoß erforderlich ist (Fuchs in Hofstätter/Reichel, EStG § 94a ALT Rz 4).

Aus der allgemeinen Wortbedeutung und der verordneten Erklärung lässt sich schließen, dass zur Sorgfaltsverletzung, die sich bereits aus der Feststellung einer verdeckten Ausschüttung ergibt, ein zusätzliches Sachverhaltselement in Form einer besonders deutlichen Erkennbarkeit treten, damit § 1 Z 2 VO anwendbar ist.

Dieser klaren Erkennbarkeit einer verdeckten Ausschüttung hat der BM für Finanzen wohl durch die Beifügung der Maßstäbe der Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts und der allgemein zugänglichen Verwaltungspraxis Rechnung getragen. Zweifellos ist die Sorgfalt an der bereits in den Streitjahren bestehenden Rechtsprechung bzw. Verwaltungspraxis zu messen.

Die Aufzählung hat jedoch nur demonstrativen Charakter ("insbesondere"), womit auch andere Qualifikationen der Offenkundigkeit möglich sind. Diese an den verordneten, vorgenannten Maßstäben allein festzumachen, würde zu kurz greifen, insbesondere, wenn schon die Qualifizierung eines Sachverhalts als verdeckte Ausschüttung nicht ohne Schwierigkeiten möglich ist. Das erkennende Gericht vertritt sohin die Ansicht, dass die Sorgfalt des Unternehmers schon im Vorfeld auf Ebene der Feststellung der verdeckten Ausschüttung zu messen ist.

Gemäß § 347 HGB idF dRGBl. S 219/1897 hat derjenige, der aus einem Geschäft, das auf seiner Seite unternehmensbezogen ist, einem anderen zur Sorgfalt verpflichtet ist, für die Sorgfalt eines ordentlichen Unternehmers einzustehen.

Gemäß § 25 Abs 1 GmbHG sind die Geschäftsführer der Gesellschaft gegenüber verpflichtet, bei ihrer Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes anzuwenden. Der Sorgfaltsmaßstab ist dabei nach der Sorgfalt, den Fähigkeiten und den Kenntnissen, die von einem Geschäftsführer in dem betreffenden Geschäftszweig und nach der Größe des Unternehmens üblicherweise erwartet werden können, zu messen (Reich-Rohrwig in Straube/Ratka/Rauter, WK GmbHG § 25 Rz 24 (Stand , rdb.at)).

Die höchstgerichtliche Judikatur zur offenkundigen verdeckten Ausschüttung ist rar. Zudem treffen weder die EStR 2000 noch die KStR 2001 explizite allgemeine Aussagen, unter welchen Voraussetzungen eine offenkundige verdeckte Ausschüttung vorliegt (). Auf die Verrechnungspreisrichtlinien war nicht einzugehen, da diese erst 2010 erlassen wurden, und damit in den Streitzeiträumen faktisch keinen Maßstab darstellen konnten.

Laut VwGH handelt es sich bei Einkommensminderungen ohne ausreichenden geschäftlichen Rechtsgrund um eine der grundlegenden Erscheinungsformen der verdeckten Ausschüttung (vgl Wiesner, Verdeckte Gewinnausschüttungen im Steuerrecht, SWK 1984, A I 167). Es kann nicht als rechtswidrig erkannt werden, dass die belangte Behörde angenommen hat, dass entsprechende verdeckte Ausschüttungen bei Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmannes zu erkennen waren ().

Dem Bundesfinanzgericht nach gibt es bezüglich der nicht fremdüblichen Vereinbarungen im Zusammenhang mit dem Verrechnungskonto eines Geschäftsführers einer Gesellschaft eine umfassende eindeutige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, sodass diese bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns der zum Abzug Verpflichtete die verdeckte Ausschüttung erkennen musste ().

Ist nach dem Stand des Ermittlungsverfahrens als auch unter Heranziehung der einschlägigen Verwaltungspraxis bzw. Judikatur bereits der Grundtatbestand einer verdeckten Ausschüttung nicht klar erkennbar, so kann von einer offenkundigen verdeckten Ausschüttung keine Rede sein ().

Das Bundesfinanzgericht gelangt im gegenständlichen Fall darüber hinaus zur Ansicht, dass, wenn - noch vor Durchführung einer Sorgfaltsprüfung nach § 3 VO anhand der Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts und der allgemein zugänglichen Verwaltungspraxis - aus den Umständen des Einzelfalles nicht zweifelsfrei auf eine gesellschaftsrechtliche Vorteilsgewährungsabsicht geschlossen werden kann, keine Offenkundigkeit einer verdeckten Ausschüttung vorliegen kann.

Eine der Voraussetzungen der verdeckten Ausschüttung ist eine subjektive, auf Vorteilsgewährung gerichtete Willensentscheidung der Körperschaft ().

Die Absicht bzw. auch die fehlende Absicht der Vorteilsgewährung kann sich schlüssig aus den Umständen des Einzelfalles ergeben ().

Grundsätzlich ist die subjektive Komponente aber zusätzlich zu den formalen und (objektiv) materiellen Komponenten der Fremdüblichkeit einer Leistung zu berücksichtigen. Dadurch kommt es zu einer Abgrenzung von jenen Fällen, bei denen es zu einem "unbewussten" Vermögensentzug bei der Körperschaft kommt (Kirchmayr in Achatz/Kirchmayr, EStG § 8 Rz 308f).

Wenngleich im Körperschaftsteuerverfahren der erkennende Senat eine Vorteilsgewährungsabsicht annahm, brachte die Bf glaubhaft stichhaltige wirtschaftliche Gründe vor, die Zweifel am Wissen und Wollen einer Vorteilszuwendung bei der Bf erzeugen. "Andere, nicht verbundene Debitoren haben zum Teil längere Zahlungsziele erhalten. Es seien auch ohne gesellschaftsrechtliche Verflechtungen keine Zinsen verrechnet worden, auch wenn Zahlungsziele in einem vergleichbaren Ausmaß überschritten worden sind. Es habe sich um die Geschäftspolitik der Bf gehandelt, dass keine Zinsen verrechnet worden sind. Im Vordergrund stand, das eigene Geschäft abzusichern und die Geschäftsbeziehung aufrechtzuerhalten, insbesondere, weil ein Abzug der Produktion aus Österreich im Raum gestanden ist." Auf die weiteren Ausführungen in diesem Erkenntnis wird verwiesen.

Wird das Vorliegen einer sozietären Vorteilsgewährungsabsicht zwar festgestellt, kann diese jedoch nicht ohne Weiteres aus den Umständen des Falles geschlossen werden, insbesondere, weil nicht unerhebliche Sachverhaltselemente gegen diese Feststellung sprechen, kann von einer offenkundigen verdeckten Ausschüttung nicht gesprochen werden.

Da eine offenkundige verdeckte Ausschüttung nicht festzustellen ist, hat die Bf von der Einbehaltung der Kapitalertragsteuer Abstand zu nehmen.

Eine Kapitalertragsteuer war daher der Bf gemäß § 94a Abs 1 EStG 1988 idF BGBl Nr 797/1996 bzw. BGBl I Nr 71/2003 nicht im Haftungsweg vorzuschreiben.

Der Beschwerde war daher Folge zu geben und die Bescheide ersatzlos aufzuheben.

4. Unzulässigkeit einer ordentlichen Revision (Spruchpunkt II.)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Einer Rechtsfrage kann jedoch nur dann grundsätzliche Bedeutung zukommen, wenn sie über den konkreten Einzelfall hinaus Bedeutung besitzt ().

Der bloße Umstand, dass eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes zu einem vergleichbaren Sachverhalt (zu einer bestimmten Rechtsnorm) fehlt, begründet noch keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung. Genügte nämlich für die Zulässigkeit einer Revision bereits das Fehlen höchstgerichtlicher Entscheidung zu einem vergleichbaren "Sachverhalt", wäre der Verwaltungsgerichtshof in vielen Fällen zur Entscheidung berufen, obgleich in Wahrheit keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, sondern nur die Einzelfallgerechtigkeit berührende Wertungsfragen aufgeworfen werden ().

Die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Offenkundigkeit einer verdeckten Ausschüttung gegeben ist, insbesondere, wenn aus dem festgestellten Sachverhalt nicht zweifelsfrei eine sozietäre Vorteilsgewährungsabsicht abzuleiten ist, geht über den gegenständlichen Einzelfall hinaus (siehe auch allgemein ).

Eine Revision war daher zuzulassen.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 94a EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
Einbehaltung von Kapitalertragsteuer - Mutter-Tochter-Richtlinie, BGBl. Nr. 56/1995
§ 8 Abs. 2 KStG 1988, Körperschaftsteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 401/1988
§ 94a EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
Verweise
Zitiert/besprochen in
Seiser in BBi 2022, 2
Deutsch in BFGjournal 2023, 125
ECLI
ECLI:AT:BFG:2022:RV.7102083.2009

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at