a) Zeitpunkt der Zustellung bei elektronisch übermittelten Dokumenten, b) Gewinnwirksame Erfassung von seit mehr als 30 Jahren nicht bewegten Sparguthaben durch Ansatz eines Zuschlages gemäß § 4 Abs. 2 Z. 2 EStG 1988
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin***Ri***
in der Beschwerdesache der ***Bf1***, ***Bf1-Adr***,
betreffend die Bescheide des ***FA*** vom und vom
hinsichtlich Körperschaftsteuer 2014, 2017 und 2019, Steuernummer ***BF1StNr1***,
beschlossen:
Die Vorlageanträge betreffend die Beschwerden gegen die Körperschaftsteuerbescheide 2017 und 2019 werden gemäß § 264 Abs. 4 lit. e BAO iVm § 264 Abs. 5 BAO als nicht fristgerecht eingebracht zurückgewiesen.
zu Recht erkannt:
Die Beschwerde gegen den Bescheid betreffend Körperschaftsteuer 2014 wird als unbegründet abgewiesen.
Gegen das vorliegende Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
Verfahrensgang und Sachverhalt:
Im Bankbetrieb der beschwerdeführenden Genossenschaft fand im Jahr 2021 eine Außenprüfung für die Jahre 2015-2019 statt.
In Betriebsprüfungsbericht wird unter Tz 2 (unbewegte Sparguthaben) im Wesentlichen festgehalten:
"Nach ständiger Rechtsprechung des VwGH ergibt sich, dass im Betriebsvermögen, welches für die steuerliche Gewinnermittlung maßgeblich ist, nur solche negativen Wirtschaftsgüter berücksichtigt werden dürfen, die mit einer Belastung des Steuerpflichtigen verbunden sind. Diese zwingende einkommensteuerrechtliche Regelung ergibt sich aus der die Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen berücksichtigenden Auslegung des § 4 Abs. 1 des § 6 Z. 3 EStG …"
Aus , wird zitiert: "Die Bewertung von Forderungen und Verbindlichkeiten sei nach Ansicht des BFG naturgemäß mit gewissen Ungenauigkeiten verbunden. Im Beschwerdefall sei jedoch davon auszugehen, dass nicht legitimierte Sparbücher, bei denen die Inhaber die Bank seit 30 Jahren nicht betreten haben, um Zinsen nachtragen zu lassen, Einzahlungen vorzunehmen oder Auszahlungen zu begehren, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht mehr eingelöst werden würden. … Eine gewinnerhöhende Auflösung erscheine damit grundsätzlich geboten. ….
Sparguthaben, die seit langer Zeit nicht mehr bewegt worden sind, dürfen in der Bankbilanz entsprechend den Erfahrungssätzen nicht mehr als Verbindlichkeit ausgewiesen werden; denn maßgeblich ist nicht, ob die Forderung verjährt ist, sondern ob mit ihrer Geltendmachung noch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu rechnen ist. …
Gemäß § 4 Abs. 2 Z. 2 EStG 1988 können Fehler aus verjährten Veranlagungszeiträumen im ersten zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung noch nicht verjährten Veranlagungszeitraum durch den Ansatz eines Zu-oder Abschlages mit steuerlicher Wirkungperiodenübergreifend berichtigt werden. Die Bestimmung bezweckt, bei periodenübergreifenden Fehlern den richtigen Totalgewinn auch dann der Besteuerung zugrundezulegen, wenn dies sonst wegen des Eintritts der Verjährung nicht möglich wäre. Da die Verbindlichkeiten in voller Höhe bis zuletzt als solche unrichtigerweise ausgewiesen waren und dadurch der unrichtige Bilanzansatz laufend Auswirkungen in noch nicht verjährte Jahre hat, ist eine Bilanzberichtigung gemäß § 4 Abs. 2 Z. 2 EStG 1988 geboten.
Eine Bilanzberichtigung ist vorzunehmen, wenn die Bilanz unrichtig ist. Der VwGH vertritt grundsätzlich den auf den Zeitpunkt der Bilanzerstellung zu beziehenden Grundsatz der subjektiven Richtigkeit der Bilanz. …. Aus diesem Grund ist die Bilanz, in welcher der Fehler erstmals enthalten ist, sowie alle folgenden Bilanzen, in welche die Auswirkungen des Bilanzierungsfehlers reichen, zu berichtigen. Die Bilanzberichtigung im Wurzeljahr führt in der Regel zu einer Änderung des steuerlichen Gewinnes dieses Jahres. Liegt jedoch für dieses Jahr ein rechtskräftiger Steuerbescheid vor und kann dieser, insbesondere wegen unter Umständen eingetretener Bemessungsverjährung, nicht geändert werden, führt der geänderte Gewinn nicht zu einem geänderten Bescheid.
Kann ein Fehler nur aufgrund der bereits eingetretenen Verjährung, wie im vorliegenden Fall, nicht mehr steuerwirksam berichtigt werden, gilt gemäß § 4 Abs. 2 Z. 2 EStG 1988: Zur Erreichung des richtigen Totalgewinnes kann von Amtswegen oder auf Antrag eine Fehlerberichtigung durch Ansatz vonZu- oder Abschlägen vorgenommen werden. Die Fehlerberichtigung ist im ersten zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung noch nicht verjährten Veranlagungszeitraum insoweit vorzunehmen, als der Fehler noch steuerliche Auswirkungen haben kann. Da das Zu-und Abschlagssystem des § 4 Abs. 2 Z. 2 EStG 1988 erstmals auf Fehler anzuwenden ist, die Veranlagungszeiträume ab 2003 betreffen, können dadurch Sparguthaben erfasst werden, die seit 1973 nicht mehr bewegt wurden, dafür diese im Sinne des oben angeführten Erkenntnisses ab 2003 kein Bilanzansatz mehr zulässig war. Es hat eine Korrektur mittels Zuschlägen für sämtliche verjährten Jahre im ersten noch nicht verjährten Jahr (2014) zu erfolgen."
Der Prüfer führte hierzu Beispiele aus der höchstgerichtlichen Rechtsprechung und der Fachliteratur an, z.B.: ; , 88/13/0241; , 20010/14/0091; Nowotny in Straube/Ratka/Rauter, UGB II/RLG3, § 196, Stand ; SWK-Heft 28, i.V.m. BFH , I R 3/95; Doralt/Lochmann, RdW 2008,613. ….
Zur Wiederaufnahme erläuterte der Betriebsprüfer: Wie sich die Verbindlichkeiten und unbewegten Sparguthaben der beschwerdeführenden Bank in den Bilanzen betragsmäßig in den Zeiträumen 2015-2019 zusammensetzten, sei erstmals am aufgrund diesbezüglich vorgelegter Excel-Dateien bekannt geworden.
Die Bescheide über die Wiederaufnahme des Verfahrens zu den Streitjahren 2014 und 2017 verwiesen in ihrer Begründung auf die Feststellungen der abgabenbehördlichen Prüfung, die darüber aufgenommene Niederschrift und den Prüfungsbericht. Das Interesse an der Rechtsrichtigkeit überwiege vorliegendenfalls das Interesse an der Rechtsbeständigkeit. Die steuerlichen Auswirkungen könnten nicht als bloß geringfügig angesehen werden.
Der neue Sachbescheid betreffend das Jahr 2014 als erstem nicht verjährtem Jahr setzte die Abgabenschuld mit einem Zuschlag iSd § 4 Abs. 2 Z. 2 EStG 1988 i.H.v. € 14.031,67 aus seit 1978, 1980 und 1983 nicht mehr bewegten Konten fest (ein Einzelkonto: € 168,34, vier Sammelkonten: € 8.334,15, € 3.500,38, € 722,07, € 1.306,73).
Im neuen Sachbescheid betreffend das Jahr 2017 wurden Spareinlagen, hinsichtlich derer seit mindestens 30 Jahren keine Umsatzbewegungen stattgefunden hatten, in Höhe von € 118,65 hinzugerechnet.
Im als Erstbescheid ergangenen Körperschaftssteuerbescheid betreffend das Jahr 2019 wurden seit 30 Jahren nicht bewegte Spareinlagen i.H.v. € 26.446,55 hinzugerechnet.
In den in der Folge durch ihre steuerliche Vertretung eingebrachten Beschwerden führte die beschwerdeführende Genossenschaft im Wesentlichen aus:
In den Jahren 2014, 2017 und 2019 seien seit mindestens 30 Jahren unbewegte Sparguthaben gewinnerhöhend aufgelöst worden (für 2017 € 118,65, für 2019 € 29.446,55, für 2014 € 14.031,67).
Die Aufnahme von Verbindlichkeiten in die Bilanz sei grundsätzlich nach unternehmensrechtlichen Grundsätzen vorzunehmen, wobei Verbindlichkeiten mit ihrem Rückzahlungsbetrag anzusetzen seien.
Sei eine Verbindlichkeit bereits verjährt, so müsse sie nicht mehr ausgewiesen werden, wenn der Wille bestehe, von der Einrede der Verjährung Gebrauch zu machen. Solle aber, etwa aus Gründen der guten Geschäftsbeziehung, keine Verjährung eingewendet werden, so müsse die Verbindlichkeit weiter mit ihrem vollen Betrag bilanziert werden, obwohl keine rechtlich durchsetzbare Verbindlichkeit bestehe.
Aus Sicht der beschwerdeführenden Genossenschaft sei es faktisch unumgänglich, derartige unbewegte Sparguthaben evident zu halten und auch bereits verjährte Sparguthaben an den Kunden oder dessen Rechtsnachfolger tatsächlich auszuzahlen. Die Einrede der Verjährung, verbunden mit der Weigerung, das verjährte Sparguthaben auszuzahlen, wäre für die Beschwerdeführerin mit gravierenden negativen Folgen verbunden.
Auch aus steuerrechtlicher Sicht wäre eine solche Vorgehensweise geboten. So gehe aus der Fachliteratur und Rechtsprechung hervor, dass eine verjährte Schuld weiterhin bilanziell als solche auszuweisen sei, wenn der Steuerpflichtige aus geschäftlichen Rücksichten von einer möglichen Verjährungseinrede nicht Gebrauch machen wolle. Diese Absicht müsse aus dem Verhalten des Steuerpflichtigen erkennbar sein.
Eine verjährte Schuld sei abzuschreiben, sobald Gewissheit bestehe, dass von der Verjährungseinrede Gebrauch gemacht werde und der Verjährungsgegner keinen Unterbrechungstatbestand geltend gemacht habe.
Die Verbindlichkeiten aus den verjährten Sparguthaben seien daher weiterhin bilanziell als solche auszuweisen, werde doch die Bankgenossenschaft von einer Verjährungseinrede aus geschäftlichen Rücksichten keinen Gebrauch machen und sei diese Absicht aus ihrem Verhalten auch eindeutig erkennbar.
Eine Auflösung bloß für steuerliche Zwecke könne nicht vorgenommen werden. Es müsste die Bilanz berichtigt werden. Eine steuerliche Bilanzberichtigung sei aber nicht möglich, da die erstellte Bilanz den Erfordernissen des § 5 EStG entspreche. Die Bilanzen seien außerdem von den Bankprüfern mit dem uneingeschränkten Bestätigungsvermerk versehen worden.
Zudem sei auch im Bereich der Verbindlichkeiten der Grundsatz der Einzelbewertung zwingend zu beachten. Dieser erfordere die Wertermittlung für jeden einzelnen Bewertungsgegenstand. Eine Einzelbewertung der unbewegten Sparguthaben sei mit vertretbarem Aufwand möglich, jede einzelne Verbindlichkeit aus diesen Sparguthaben sei ausreichend dokumentiert und könne nachgewiesen werden.
Lediglich aus Gründen der Übersichtlichkeit im Rechnungswesen seien diese Sparguthaben auf Sammelkonten übertragen worden. Es sei für jede dieser Verbindlichkeiten zu prüfen ob von der Verjährungseinrede Gebrauch gemacht werde. Seitens der Bank werde für keine derartige Verbindlichkeit jemals eine Verjährungseinrede geltend gemacht, daher sei jede dieser Verbindlichkeiten unverändert in der Bilanz anzusetzen (die beschwerdeführende Genossenschaft verwies auf Fundstellen in der Literatur und Rechtsprechung).
Die Abgabenbehörde erließ abweisende Beschwerdevorentscheidungen, in denen ausgeführt wurde:
Bei seit 30 Jahren unbewegten Sparguthaben sei mit dem Versuch der Durchsetzung der Forderung durch Gläubiger bzw. mit einer tatsächlichen Inanspruchnahme nicht mehr zu rechnen (Hinweise auf Literatur und Rechtsprechung des BFG). Daher dürften Sparguthaben, die seit langer Zeit nicht mehr bewegt worden wären, in der Bankbilanz, entsprechend den Erfahrungssätzen und unabhängig von der Verjährungseinrede, nicht mehr als Verbindlichkeit ausgewiesen werden.
Es könnten darüber hinaus Fehler aus verjährten Veranlagungszeiträumen im ersten zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung noch nicht verjährten Veranlagungszeitraum durch den Ansatz eines Zu- oder Abschlages mit steuerlicher Wirkung periodenübergreifend berichtigt werden. Diese Bestimmung bezwecke, bei periodenübergreifenden Fehlern den richtigen Totalgewinn auch dann der Besteuerung zugrundezulegen, wenn dies sonst wegen des Eintritts der Verjährung nicht mehr möglich wäre.
Da das Zu- und Abschlagssystem des § 4 Abs. 2 Z. 2 EStG 1988 erstmals auf Fehler anzuwenden sei, die Veranlagungszeiträume ab 2003 beträfen, könnten dadurch Sparguthaben erfasst werden, die seit 1973 nicht mehr bewegt worden seien. Dies treffe auf den seitens der Betriebsprüfung wiederaufgenommenen Körperschaftsteuerbescheid 2014 zu.
Die beschwerdeführende Genossenschaft brachte durch ihre steuerliche Vertretung Anträge auf Vorlage ihrer Beschwerden zur Entscheidung durch das Bundesfinanzgericht ein. Die Vorlageanträge beinhalten kein von den Beschwerden abweichendes oder diese ergänzendes Vorbringen.
Ermittlungen durch die Richterin:
Die Richterin wandte sich mit dem Ersuchen an die Abgabenbehörde, darzulegen, warum die Beschwerdevorentscheidungen betreffend die Jahre 2017 und 2019 im Wege einer elektronischen Zustellung am in die Databox eingestellt worden waren, während die Beschwerdevorentscheidung betreffend das Streitjahr 2014 per Post mit RsB versandt und am zugestellt worden war.
Wann - und mit Geltung ab welchem steuerlichem Veranlagungsjahr - habe sich die beschwerdeführende Genossenschaft durch ihre Vertretung gemäß § 3 Abs. 1 FOnV für FinanzOnline angemeldet und die entsprechenden Zugangsdaten erhalten?
Die unterschiedlichen Formen der Zustellung hätten Auswirkung auf den Beginn des einmonatigen Fristenlaufes ab Bekanntgabe für die Einbringung eines Vorlageantrages gemäß § 264 Abs. 1 BAO bzw. für die Stellung eines Antrages auf Fristverlängerung (§ 264 Abs. 1 BAO i.V.m. § 245 Abs. 3 BAO).
Von Seiten der Abgabenbehörde langte ein Antwortschreiben ein, wonach offenbar vom zuständigen Sachbearbeiter einerseits die Zustellung mit Zustellnachweis (RsB) und andererseits die elektronische Zustellung (Databox) als Zustellart im System erfasst worden sei. Die beschwerdeführende Genossenschaft habe sich am durch den Innenrevisor, der sich ordnungsgemäß ausgewiesen habe, für FinanzOnline angemeldet und die entsprechenden Zugangsdaten erhalten.
Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
Gesetzliche Grundlagen
§ 196 Abs. 1 UGB lautet: Der Jahresabschluss hat sämtliche Vermögensgegenstände, Rückstellungen, Verbindlichkeiten, Rechnungsabgrenzungsposten, Aufwendungen und Erträge zu enthalten, soweit gesetzlich nichts Anderes bestimmt ist.
Gemäß § 6 EStG 1988 gilt für die Bewertung der einzelnen Wirtschaftsgüter des Betriebsvermögens Folgendes:
….
a) nicht abnutzbares Anlagevermögen und Umlaufvermögen sind mit den Anschaffungs- oder Herstellungskosten anzusetzen. Ist der Teilwert niedriger, so kann dieser angesetzt werden. Bei Wirtschaftsgütern, die bereits am Schluss des vorangegangenen Wirtschaftsjahres zum Betriebsvermögen gehört haben, kann der Steuerpflichtige in den folgenden Wirtschaftsjahren den Teilwert auch dann ansetzen, wenn er höher ist als der letzte Bilanzansatz; es dürfen jedoch höchstens die Anschaffung- oder Herstellungskosten angesetzt werden. Eine pauschale Wertberichtigung für Forderungen ist nicht zulässig. Zu den Herstellungskosten gehören auch angemessene Teile der Materialgemeinkosten und der Fertigungsgemeinkosten.
….
Verbindlichkeiten sind gemäß Z. 2 lit. a zu bewerten. …
Gemäß § 4 Abs. 2 Z. 2 EStG 1988 gilt: Entspricht die Vermögensübersicht nicht den allgemeinen Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung oder den zwingenden Vorschriften dieses Bundesgesetzes, ist sie zu berichtigen (Bilanzberichtigung). Kann ein Fehler aufgrund der bereits eingetretenen Verjährung nicht mehr steuerwirksam berichtigt werden, gilt Folgendes:
Zur Erreichung des richtigen Totalgewinnes kann von Amts wegen oder auf Antrag eine Fehlerberichtigung durch Ansatz von Zu- oder Abschlägen vorgenommen werden.
Die Fehlerberichtigung ist im ersten zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung noch nicht verjährten Veranlagungszeitraum insoweit vorzunehmen, als der Fehler noch steuerliche Auswirkungen haben kann.
Die Nichtberücksichtigung von Zu- oder Abschlägen gilt als offensichtliche Unrichtigkeit im Sinne des § 293b der Bundesabgabenordnung.
Gemäß § 264 Abs. 1 BAO kann gegen eine Beschwerdevorentscheidung innerhalb eines Monats ab Bekanntgabe (§ 97) der Antrag auf Entscheidung über die Bescheidbeschwerde durch das Verwaltungsgericht gestellt werden (Vorlageantrag).
Gemäß § 264 Abs. 4 lit. a BAO sind für Vorlageanträge sinngemäß anzuwenden die Abs. 1, zweiter Satz, und Abs. 2 bis 5 (Frist) des § 245.
Gemäß § 245 Abs. 3 BAO ist die Beschwerdefrist auf Antrag von der Abgabenbehörde aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erforderlichenfalls auch wiederholt, zu verlängern. Durch einen Antrag auf Fristverlängerung wird der Lauf der Beschwerdefrist gehemmt.
Gemäß § 3 Abs. 1 FOnV 2006 ist die Anmeldung zu FinanzOnline persönlich beim Finanzamt Österreich sowie elektronisch oder schriftlich (per Fax) zulässig. Ist der anzumeldende Teilnehmer keine natürliche Person, so ist ausschließlich die persönliche Anmeldung zulässig. …. Soll die Anmeldung durch einen Bevollmächtigten erfolgen, so hat sich dieser durch eine beglaubigte Spezialvollmacht auszuweisen.
Gemäß § 98 Abs. 2 BAO gelten elektronisch zugestellte Dokumente als zugestellt, sobald sie in den elektronischen Verfügungsbereich des Empfängers gelangt sind. Im Zweifel hat die Behörde die Tatsache und den Zeitpunkt des Einlangens von Amts wegen festzustellen. Die Zustellung gilt das nicht bewirkt, wenn sich ergibt, dass der Empfänger wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, doch wird die Zustellung mit dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag wirksam.
Rechtliche Würdigung
Zu Spruchpunkt (Abweisung/Zurückweisung)
Strittig ist:
a) Erfolgte die gewinnerhöhende Auflösung von seit mehr als 30 Jahren unbewegten Sparguthaben für die Streitjahre 2017 und 2019 zu Recht?
b) Erfolgte die gewinnwirksame Erfassung von seit mehr als 30 Jahren nicht bewegten Sparguthaben im Streitjahr 2014 durch Ansatz eines Zuschlages gemäß § 4 Abs. 2 Z. 2 EStG 1988 zu Recht?
a) Zu diesem Punkt ist vorab die Rechtzeitigkeit der Vorlageanträge zu überprüfen. Die Beschwerdevorentscheidungen für die Streitjahre 2017 und 2019 wurden - entsprechend der ordnungsgemäß erfolgten Anmeldung zu FinanzOnline einschließlich Aushändigung der erforderlichen Zugangsdaten im Jahr 2003 (siehe oben, Antwortschreiben FA) - am elektronisch zugestellt.
Dass die Dokumente am nicht in den elektronischen Verfügungsbereich der beschwerdeführenden Genossenschaft als Empfängerin gelangt wären, wurde nicht behauptet. Eine fehlende Kenntnisnahme wegen Abwesenheit von der Abgabestelle im Sinne des § 98 Abs. 2 BAO kommt bei einer juristischen Person als Beschwerdeführerin nicht in Betracht. Die Beschwerdevorentscheidungen 2017 und 2019 gelten daher gesetzesgemäß am als zugestellt.
Soweit seitens der Vertretung der beschwerdeführenden Genossenschaft in ihrem Antrag auf Verlängerung der Frist zur Einbringung eines Vorlageantrages vom die Formulierung enthalten ist "die ergangenen Beschwerdevorentscheidungen vom für die Jahre 2014, 2017 und 2019 sind am bei uns eingegangen" bezieht sie sich offenbar auf die Beschwerdevorentscheidung betreffend das Streitjahr 2014, welche per Post mit Rückschein versendet und am zugestellt wurde (ungeachtet dessen, dass entsprechend den Ermittlungen der Richterin auch dieser Bescheid prinzipiell elektronisch zuzustellen gewesen wäre).
Der Antrag auf Fristverlängerung betreffend die Beschwerdevorentscheidungen 2017 und 2019 hätte daher binnen Monatsfrist spätestens am eingebracht werden müssen (§ 264 BAO iVm § 245 Abs. 3 BAO). Da er erst (elektronisch) am einlangte, war er verspätet. Die schließlich am eingegangenen Vorlageanträge betreffend die Streitjahre 2017 und 2019 waren somit als nicht fristgerecht eingebracht zurückzuweisen (§ 264 Abs. 4 lit. e und Abs. 5. BAO).
b) Im Hinblick auf die am per Post zugestellte Beschwerdevorentscheidung betreffend 2014 langte das Fristverlängerungsansuchen vom rechtzeitig ein. Auch ein zweites Fristverlängerungsansuchen vom war rechtzeitig, sodass schließlich auch der Vorlageantrag vom betreffend das Streitjahr 2014 binnen erstreckter Frist fristgerecht eingebracht wurde.
Es ist also betreffend 2014 - anders als für 2017 und 2019 - auch materiellrechtlich auf das Beschwerdevorbringen einzugehen.
In einem Vergleichsfall, der ebenfalls unbewegte Sparguthaben betraf, hat das BFG mit Erkenntnis vom , RV/2100053/2017, ausgeführt:
"Nach ständiger Rechtsprechung des VwGH ergibt sich aus der die Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen berücksichtigenden Auslegung des § 4 Abs. 1 und des § 6 Z. 3 EStG 1988 die zwingende einkommensteuerrechtliche Regelung, dass im Betriebsvermögen, welches für die steuerliche Gewinnermittlung maßgeblich ist, nur solche negativen Wirtschaftsgüter berücksichtigt werden dürfen, die mit einer Belastung des Steuerpflichtigen verbunden sind ( 2009/13/0175; 2010/15/0146; 2002/13/0108, 99/15/0219; 95/14/0098; 96/14/0141).
Es entspricht ja bereits den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung, dass Verbindlichkeiten nicht bilanziert werden dürfen, wenn mit dem Versuch der Durchsetzung der Forderung durch den Gläubiger praktisch nicht mehr zu rechnen ist (VwGH wie oben unter Hinweis auf Nowotny in Straube, HGB II2, § 196 Rz 16)".
Wie in der zitierten Entscheidung hat auch im vorliegenden Fall die Abgabenbehörde die gewinnerhöhende Ausbuchung der Verbindlichkeiten - anders als seitens der beschwerdeführenden Genossenschaft in Beschwerde und Vorlageantrag offenbar angenommen (siehe Pkte. 1 und 2 der Beschwerde) - nicht auf den Umstand der Verjährung gestützt.
Nach dieser Sichtweise wäre nämlich eine verjährte Schuld erst dann abzuschreiben, wenn Gewissheit besteht, dass von der Verjährungseinrede Gebrauch gemacht wird und der Verjährungsgegner keinen Unterbrechungstatbestand geltend machen kann ( oder ).
Hat sich ein Steuerpflichtiger entschlossen, von der Einrede der Verjährung nicht Gebrauch zu machen, dann ist die Verbindlichkeit weiterhin mit dem geschuldeten Betrag auszuweisen (), es sei denn, es steht fest, dass der Gläubiger die Schuld nicht mehr einfordern wird ().
Maßgeblich ist also nicht, ob eine Forderung etwa verjährt ist, sondern, ob mit ihrer Geltendmachung noch zu rechnen ist (vgl. hiezu etwa auch Doralt/Lochmann RdW 2008, 613, mit Hinweisen auf Fundstellen in der Fachliteratur: "Verbindlichkeiten dürfen dann ausgebucht werden, wenn mit einer Inanspruchnahme mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht mehr zu rechnen ist").
Auch der BFH teilt die Sichtweise, wonach eine Verbindlichkeit nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung nicht mehr zu passivieren ist, wenn sie keine wirtschaftliche Belastung darstellt, was beispielsweise dann der Fall ist, wenn mit einer Geltendmachung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht mehr zu rechnen ist (BFH , BStBL II 1996, 470 sowie BFH , BStBl II 1989, 359).
Schon nach allgemeiner Erfahrung lässt sich die Annahme einer so gut wie sicheren Nicht-Mehr-Einlösung auf das Verstreichen eines mindestens 30 Jahre umfassenden Zeitraumes - das ist eine ganze Generation - stützen, ohne dass es dazu eines Rückgriffs auf das rechtliche Institut der Verjährung gemäß § 1479 ABGB, wonach das Erlöschen von Rechten gegen einen Dritten durch 30-jährigen Nichtgebrauch festgeschrieben ist, bedürfte.
Im Erkenntnis des BFG RV/2100053/2017 vom , in welchem die Beschwerdeführerin ebenfalls eine Bank betreibt, wird als konkretes Beispiel für tatsächliche Einlösungen angeführt:
Die Einlösungsquote im Folgejahr der Betriebsprüfung für Konten, die 15-30 Jahre nicht bewegt wurden, liegt bei 1 %; die Einlösungsquote bei mindestens 30 Jahre unbewegten Konten liegt bei 0 %.
Im Erkenntnis RV/4100588/2016 vom , welches ebenfalls eine Bank betrifft, wird dokumentiert, dass innerhalb eines Zeitraumes von 10 Jahren verjährte Spareinlagen in Höhe von € 360,00 ausbezahlt wurden, während der Durchschnittsstand des Sammelkontos € 57.960,00 betrug. Es liegt daher diesfalls ein Verhältnis von 0,62 % als Basis für die Bemessung der Wahrscheinlichkeit einer Einlösung von mehr als 30 Jahre nicht bewegten Spareinlagen vor.
Soweit also in der Fachliteratur (Pavel Knesl, Rechtsnews 29027, ) ein "Erfahrungswert" für nachträglich geltend gemachte, bereits verjährten Einlagen angesprochen wird, kann das BFG in gesamthafter Abwägung der Annahme, dass eine Geltendmachung bei mindestens 30 Jahre nicht mehr bewegten Spareinlagen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht mehr zu erwarten ist, nicht entgegentreten.
Gegenständlich wurden im speziellen Fall des Streitjahres 2014 als erstem nicht verjährtem Jahr im Zuge einer Bilanzberichtigung gemäß § 4 Abs. 2 Z. 2 EStG 1988 Beträge von einem Einzelkonto und vier Sammelkonten hinzugerechnet, die seit 1978, 1980 und 1983 nicht mehr bewegt worden waren (€ 14.031,67, siehe oben, S 3).
Der Gesetzgeber hat das System der grundsätzlich gebotenen Periodenbesteuerung mit Abgabenänderungsgesetz 2012, welches mit in Kraft gesetzt wurde, in § 4 Abs. 2 EStG 1988 im Sinne einer richtigen Totalgewinnbesteuerung durchbrochen. Durch die Gesetzesänderung können unrichtige Bilanzansätze bis ins Jahr 2003 zurück korrigiert werden (vgl. dazu ).
Mittels § 4 Abs. 2 Z. 2 EStG 1988 werden Fehler berichtigt, die ihre Wurzeln in verjährten Zeiträumen haben und deren Folgewirkungen in noch in nicht verjährte Veranlagungszeiträume hineinreichen (vgl. Marschner in Jakom/Kanduth-Kristen EStG 2020, § 4 Tz 222).
Wie in der Fachliteratur weiters dargelegt, sind Zu- und Abschläge nach § 4 Abs. 2 Z. 2 EStG 1988 nur dann möglich, wenn der Steuerwirksamkeit der Bilanzkorrektur im Wurzeljahr ausschließlich der Eintritt der Verjährung entgegensteht. Zu- und Abschläge haben somit zur Voraussetzung, dass für das Wurzeljahr an sich ein Verfahrenstitel vorliegt, der es ermöglichen würde, den fehlerhaften Bescheid für das Wurzeljahr in Durchbrechung der Rechtskraft zu korrigieren, und der Einsatz dieses Verfahrenstitels nur deswegen nicht möglich ist, weil dem der Eintritt der Bemessungsverjährung für das betreffende Abgabenjahr entgegensteht (Zorn/Varro in Doralt/Kirchmayr/Mayr/Zorn, EStG17, § 4 Tz 154).
Im Regelfall wird es dabei um die Voraussetzungen der Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 303 BAO gehen (neu hervorgekommene Tatsachen oder Beweismittel).
Der gegenständlich in Streit gezogene Körperschaftsteuerbescheide 2014 ist nach einem Bescheid über die Wiederaufnahme des Verfahrens, der begründend auf die Feststellungen der abgabenbehördlichen Prüfung sowie die darüber aufgenommene Niederschrift und den Prüfungsbericht verweist, ergangen. Als erst im Zuge der Betriebsprüfung im November 2020 neu hervorgekommene Tatsachen werden darin Dateien betreffend unbewegte Sparguthaben genannt (siehe oben, S 3). Dieser Wiederaufnahmebescheid wurde nicht mit Beschwerde angefochten, sondern ist in Rechtskraft erwachsen.
Der Verfahrenstitel, der für die Anwendbarkeit des § 4 Abs. 2 Z. 2 EStG 1988 erforderlich ist, liegt daher in Form von unbestrittenen Wiederaufnahmegründen vor.
Dass es sich bei 2014 um den ersten nicht verjährten Veranlagungszeitraum handelt, steht gegenständlich nicht in Streit.
In der Beschwerdevorentscheidung betreffend 2014 hat die Abgabenbehörde einerseits grundsätzlich auf seit 30 Jahren nicht mehr bewegte Sparguthaben Bezug genommen, andererseits aber auch Ausführungen zum Zu- und Abschlagsystem des § 4 Abs. 2 Z. 2 EStG 1988 getroffen, mittels dessen Fehler aus verjährten Veranlagungszeiträumen im ersten nicht verjährten Veranlagungsjahr periodenübergreifend berichtigt werden können (siehe oben, S 5). Sie hat zudem auf die Feststellungen der Betriebsprüfung hingewiesen.
Die beschwerdeführende Genossenschaft hat sich zu den Ausführungen in der Beschwerdevorentscheidung - denen gemäß höchstgerichtlicher Rechtsprechung Vorhaltscharakter zukommt - nicht geäußert, sondern lediglich den Beschwerdetext unverändert in den Vorlageantrag übernommen.
Soweit die beschwerdeführende Genossenschaft durch ihre steuerliche Vertretung im Zuge ihrer Beschwerde (bzw. ihres Vorlageantrages) auch auf den Grundsatz der Einzelbewertung hingewiesen hat, kann mangels substantiierten Vorbringens nicht erkannt werden, ob sie sich damit auf die (hier nicht materiellrechtlich zu beurteilenden, siehe oben a)) Streitjahre 2017 und 2019 mit ihrer gewinnerhöhenden Auflösung von unbewegten Sparguthaben, oder auf das Jahr 2014 mit dem Zuschlag gemäß § 4 Abs. 2 Z. 2 EStG 1988 bezieht.
Grundsätzlich ist dazu auszuführen: Das Prinzip der Einzelbewertung schließt nicht aus, dass Gruppen gleichartiger Gegenstände zusammengefasst werden und ihr Wert gemeinsam festgestellt wird. Auf Sammelkonten werden in der Regel Sparbücher zusammengezogen, die einen Einlagenstand von unter € 100,00 aufweisen und die schon insofern, zusätzlich durch die Unwahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme aufgrund mehr als 30-jähriger Unbewegtheit (siehe 2014), vergleichbar sind (vgl. auch hier und , RV/4100588/2016).
Im Sinne der obenstehenden Ausführungen kann einem gewinnwirksamen Zuschlag gemäß § 4 Abs. 2 Z 2 EStG 1988 für als Verbindlichkeiten aufscheinende, seit 1978, 1980 und 1983 nicht mehr bewegte Spareinlagen nicht entgegengetreten werden. Auf die Ausführungen im Betriebsprüfungsbericht und in der Beschwerdevorentscheidung wird verwiesen.
Insgesamt war wie im Spruch zu entscheiden.
Zu Spruchpunkt (Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Wenn auch - soweit bekannt - in der bisherigen höchstgerichtlichen Rechtsprechung nicht in concreto über die steuerliche Behandlung von seit (mehr als) 30 Jahren nicht bewegten Spareinlagen abgesprochen wurde, lässt sich die vorliegende Beurteilung aus bestehenden Judikaten zu ordnungsgemäßer Buchführung herleiten, vgl. etwa VwGH 27.9.200, 96/14/0141 und .
Feldkirch, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 264 Abs. 4 lit. e BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 264 Abs. 5 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 4 Abs. 2 Z 2 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988 § 3 Abs. 1 FOnV, FinanzOnline-Verordnung, BGBl. II Nr. 71/1998 § 98 Abs. 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2022:RV.1100091.2022 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at