Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 31.03.2022, RV/2100446/2020

1. Festsetzung des Dienstgeberbeitrages bei sinngemäßer Anwendung des § 303 BAO (§ 201 Abs. 2 Z 3 BAO) 2. Förderung der Neugründung gemäß § 1 Z 7 NeuFöG

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch PKF Corti & Partner GmbH Wirtschaftsprüfer und Steuerberater, Neubaugasse 55, 8020 Graz, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes ***3***, nunmehr Finanzamt Österreich, vom betreffend Dienstgeberbeitrag 2013, Steuernummer ***BF1StNr1***, zu Recht erkannt:

Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Im Zuge einer Lohnabgabenprüfung wurde laut Bericht über das Ergebnis der Außenprüfung, unter Hinweis auf § 202 BAO iVm § 201 Abs. 2 Z 3 BAO festgestellt, dass die Tatsachen oder Beweismittel, die neu hervorgekommen sind, den unten angeführten Sachverhaltsdarstellungen und der Niederschrift zu entnehmen seien. 2013 sei der Dienstgeberbeitrag nachversteuert worden, da keine Neugründung laut § 2 Abs. 1 NeuFÖG vorgelegen sei. Die Neugründung eines Betriebes liege unter der Voraussetzung vor, dass durch Schaffung einer bisher nicht vorhandenen betrieblichen Struktur ein Betrieb neu eröffnet werde, der der Erzielung von Einkünften im Sinne des § 2 Abs. 3 Z 1 bis 3 EStG 1988 dienen würde. Da bereits vor Inbetriebnahme ein Pflegeheim betrieben worden sei, sei dies abzuerkennen gewesen. Die Nachforderung sei anhand der ausbezahlten Löhne It. Jahreslohnkonten und Buchhaltung erfolgt.

Das Finanzamt folgte dieser Feststellung und erließ den angefochtenen Bescheid.

In der dagegen fristgerecht erhobenen Beschwerde wurde ausgeführt, dass sich die Beschwerde gegen die Wiederaufnahme des Verfahrens in Bezug auf den Dienstgeberbeitrag richten würde, da keine Wiederaufnahmegründe vorliegen würden.

Aus der Sicht der Bf liege eine vertretbare Rechtsansicht vor, auf Basis derer die Möglichkeit der Begünstigung des NeuFöG in Anspruch genommen worden sei. Vor der Übernahme sei das ***1*** als unselbstständiger, nicht alleinstehend überlebensfähiger Teilbetrieb eines Unternehmens geführt worden. Der im Hintergrund stehende Verbund mehrerer Heime sei für das Pflegezentrum unabdingbar gewesen. Sowohl die Verwaltung als auch die Pflegedienstleitung sei vor der Übernahme von der Zentrale des Verbunds gesteuert worden. Nach dem Erwerb des Pflegeheims durch die ***Bf1*** (Bf) seien sämtliche Tätigkeiten direkt in ***2*** zentralisiert worden, die Pflegedienstleitung sowie die Verwaltung (mit eigenem Sekretariat) seien dafür völlig neu aufgebaut worden. Der größte Unterschied in der täglichen Praxis sei nach dem Kauf jener gewesen, dass sich nach dem Kauf die Geschäftsführung der Bf um sämtliche Belange des Pflegeheims (Softwarebelange, Dienstplanerstellung, Einkauf, Werbung etc.) selbstständig und ohne auf die Ressourcen des ehemaligen Verbunds zugreifen zu können kümmern hätte müssen. Aufgrund dieser Änderungen liege ihrer Ansicht nach eine maßgebliche Veränderung der betrieblichen Struktur vor.

Gemäß § 201 Abs. 2 BAO könne bei Selbstberechnungsabgaben die Festsetzung erfolgen, wenn kein selbstberechneter Betrag bekannt gegeben werde oder wenn bei sinngemäßer Anwendung des § 303 BAO die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme gegeben seien. Es sei ein selbstberechneter Betrag in Höhe von EUR 91,77 bekannt gegeben worden, daher müssten die Voraussetzungen gem. § 303 BAO gegeben sein.

Am 27. und sei versucht worden, das Antragsformular für die Inanspruchnahme des NeuFöG an das Finanzamt mit der Bitte um Kenntnisnahme und unter Angabe der Steuernummer der Bf zu faxen. Da dies aufgrund von technischen Problemen nicht möglich gewesen sei, sei am auch ein Brief mit dem NeuFög Antrag versandt worden. Am (wohl gemeint ) sei vom Finanzamt die Rückmeldung gekommen, dass am ein Fax ohne die erwähnte Beilage eingegangen sei. Aufgrund dieser Aufforderung sei das Formular am selben Tag nochmals per E-Mail an das Finanzamt gesendet worden. Der NeuFöG Antrag sei also spätestens seit Teil des Steueraktes beim Finanzamt ***3***. Auf dem Formular sei vermerkt, dass laut Ansicht der Wirtschaftskammer ***4*** das NeuFöG nicht zustehen würde. Am seien dem Finanzamt Belege im Zuge eines Ergänzungsersuchens zur UVA 12/2012 per E-Mail übermittelt worden, worunter sich unter anderem der Vertrag über den Kauf des Pflegeheimes befunden habe. Durch die Übermittlung des Kaufvertrages sei dem Finanzamt offengelegt worden, dass es sich um keine Neugründung und keine Neuschaffung betrieblicher Strukturen handeln würde, sondern um einen Kauf des Pflegeheims. Auch diese Information sei seither Teil des Steueraktes beim Finanzamt.

Das Finanzamt sei demnach seit bzw. in Kenntnis über die relevanten Umstände gewesen. Es gebe daher keine Beweismittel oder Tatsachen, die im Zuge der GPLA neu hervorgekommen seien und dem Finanzamt nicht bekannt gewesen seien. Das Hervorkommen neuer Tatsachen sei jedoch der einzige Wiederaufnahmegrund gem. § 303 BAO, der in diesem Fall für die Festsetzung der Selbstberechnungsabgaben nach § 201 Abs. 2 BAO in Frage kommen würde. Es werde daher beantragt, den oben angeführten Bescheid aufzuheben und einen neuen Bescheid zu erlassen, der keine Vorschreibung des Dienstgeberbeitrags mehr vorsehen würde, da keine Gründe für eine Wiederaufnahme des Verfahrens vorliegen würden.

In der abweisenden Beschwerdevorentscheidung verwies das Finanzamt bezüglich der Einwendungen zur Wiederaufnahme des Verfahrens darauf, dass die Festsetzung einer Selbstberechnungsabgabe nach § 201 Abs. 1 BAO stets voraussetzen würde, dass sich die bekannt gegebene Selbstberechnung als nicht richtig erweisen würde oder, dass der Abgabepflichtige, obwohl er hiezu verpflichtet ist, keinen selbstberechneten Betrag der Abgabenbehörde bekannt gegeben habe.

Eine Selbstberechnung sei "nicht richtig", wenn sie objektiv rechtswidrig sei. Eine solche Rechtswidrigkeit könne etwa Folge einer unrichtigen Rechtsauffassung oder der (teilweisen) Nichtoffenlegung abgabenrechtlich relevanter Umstände (zB Bemessungsgrundlagen) sein (Ritz, BAO5 § 201 Rz 8).

Nach § 201 Abs. 2 Z 3 BAO könne eine Festsetzung ua erfolgen, wenn kein selbstberechneter Betrag bekannt gegeben worden sei oder, wenn bei sinngemäßer Anwendung des § 303 BAO die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens vorliegen würden. Die Bf übersehe in ihrer Argumentation zur Wiederaufnahme, dass die Wiederaufnahmsgründe des § 303 BAO für eine erstmalige Festsetzung nicht zwingend vorliegen müssten, wenn kein selbstberechneter Betrag bekannt gegeben werde ("oder-Bestimmung"). Eine bescheidmäßige Festsetzung sei somit bereits aufgrund der Nicht-Bekanntgabe der selbst zu berechnenden Abgabe möglich. Die am mit der Verrechnungsweisung DB 1-12/13 iHv EUR 7,95 sowie am mit der Verrechnungsweisung DB 1-12/13 iHv EUR 83,82 pauschal überwiesenen, äußerst geringen Beträge würden nichts an der Tatsache ändern, dass für sämtliche Monate des Jahres 2013 keine laufenden Beträge selbstberechnet, abgeführt oder bekannt gegeben worden seien.

Nichtsdestoweniger würden im konkreten Fall die Gründe des § 303 BAO vorliegen. Wie die Bf in ihrer Beschwerde ausführe, habe sie die Erklärung der Neugründung am an das Finanzamt mit der Bitte um Kenntnisnahme übermittelt. Auf der Erklärung sei unten folgender Text angemerkt: "Unseres Erachtens liegen die Voraussetzungen für die Befreiungen nach dem NEUFÖG nicht vor. Ungeachtet dieses Umstandes wurden die Erklärungen jedoch auf ausdrücklichen Wunsch des Förderungswerbers erstellt und ausgehändigt."

Das Schreiben, auf dem das Nicht-Vorliegen der Voraussetzungen bestätigt werde, sei am an das Finanzamt zur Kenntnisnahme übermittelt worden. Aus dem vorliegenden Schreiben könne jedoch nicht geschlossen werden, dass die Bf beabsichtigen würde, trotz selbst auf der Erklärung eingestandener Nichterfüllung der Voraussetzungen des NeuFöG, die Begünstigungen in Anspruch zu nehmen und dahingehend eine Entscheidung bzw. Handlung des Finanzamtes erwarten würde. Vielmehr hätte das Finanzamt annehmen können, dass die Bf, die die Voraussetzungen nicht erfüllen würde und diese Rechtsansicht durch ein Schreiben selbst bekanntgeben würde, diese Begünstigungen auch nicht in Anspruch nehmen werde. Dass die Bf die Begünstigungen nunmehr rechtswidrig doch in Anspruch genommen habe, seien in jedem Fall für die Abgabenbehörde neu hervorgekommene entscheidungsrelevante Tatsachen. Es seien somit auch die Gründe für eine Wiederaufnahme vorgelegen.

Zu den Voraussetzungen des NeuFöG wird ausgeführt, dass die Neugründung eines Betriebes gemäß § 2 NeuFöG unter folgenden kumulativen Voraussetzungen begünstigt sei:

"• Es wird durch Schaffung einer bisher nicht vorhandenen betrieblichen Struktur ein Betrieb neu eröffnet, der der Erzielung von betrieblichen Einkünften (§ 2 Abs. 3 Z 1 bis 3 EStG 1988) dient.
• Die die Betriebsführung innerhalb von 2 Jahren nach der Neugründung beherrschende Person (Betriebsinhaber) hat sich bisher nicht in vergleichbarer Art beherrschend betrieblich betätigt.
• Es liegt keine bloße Änderung der Rechtsform in Bezug auf einen bereits vorhandenen Betrieb vor.
• Es liegt kein bloßer Wechsel in der Person des Betriebsinhabers in Bezug auf einen bereits vorhandenen Betrieb durch eine entgeltliche oder unentgeltliche Übertragung des Betriebes vor.
• Es wird im Kalendermonat der Neugründung und in den folgenden 11 Kalendermonaten die geschaffene betriebliche Struktur nicht durch Erweiterung um bereits bestehende andere Betriebe oder Teilbetriebe verändert."

Wie die Bf in ihrer Beschwerde selbst ausführen würde, handle es sich im gegenständlichen Fall um keine Neugründung und keine Neuschaffung betrieblicher Strukturen (durch die Übermittlung des Kaufvertrages sei erkenntlich gewesen, "dass es sich um keine Neugründung und keine Neuschaffung betrieblicher Strukturen handelt..."). Diese Rechtsansicht sei seitens der Wirtschaftskammer ***4*** mittels einer Anmerkung auf der Erklärung der Neugründung (NeuFö 1 Formular) der Bf bestätigt worden.

Auch das Finanzamt sei der Ansicht, dass mit der bloßen Lösung eines bestehenden (Teil-) Betriebes aus einem Unternehmensverbund keine Neugründung im Sinne des § 2 NeuFöG vorliegen könne, da kein neuer Betrieb durch Schaffung einer bisher nicht vorhandenen betrieblichen Struktur eröffnet worden sei. Vielmehr sei ein bestehender Betrieb veräußert und unter eine neue Verwaltung gestellt worden. Es liege somit ein bloßer Wechsel in der Person des Betriebsinhabers in Bezug auf einen bereits vorhandenen Betrieb vor. Eine übertragungsbedingte Änderung der inneren Verwaltungsabläufe stelle für sich alleine keine neu geschaffene betriebliche Struktur dar. Die Begünstigungen des NeuFöG seien somit dem Grunde nach zu Unrecht in Anspruch genommen worden.

In dem fristgerecht erhobenen Vorlageantrag wird zur Wiederaufnahme des Verfahrens entgegnet, dass die Festsetzung des DB gem. § 201 Abs. 2 Z 3 BAO nur erfolgen könne, wenn keine selbstberechneten Beiträge bekannt gegeben wurden oder wenn die Voraussetzungen gem. § 303 BAO vorliegen würden.

Im Jahr 2013 sei monatlich ein selbstberechneter DB in Höhe von EUR 0,- über eine Verrechnungsanweisung ausdrücklich an das Finanzamt gemeldet worden. Weiters sei dem Finanzamt aufgrund der Übermittlung des NeuFöG-Antrages bekannt gegeben worden, dass im ersten Jahr kein DB abzuführen sei. Somit sei ein laufender monatlicher Betrag in Höhe von EUR 0,- dem Finanzamt bekanntgegeben worden.

Weiters scheitere die Festsetzung gem. § 201 Abs. 2 Z 3 BAO 1. Teilsatz daran, dass laut dem Gesetzeswortlaut die Festsetzung nur möglich ist, wenn "kein selbstberechneter Betrag bekannt gegeben wird". Im vorliegenden Fall seien, neben den laufenden Beitragsmeldungen, zwei Beträge in Höhe von EUR 7,95 und EUR 83,82 für die Monate 1-12/13 durch eine Verrechnungsanweisung gemeldet worden. Dass die Höhe oder der Zeitraum der Meldung dafür ausschlaggebend sein soll, ob eine Festsetzung gem. § 201 Abs. 2 Z 3 BAO 1. Teilsatz erfolgen könne, sei dem Gesetz nicht zu entnehmen. Durch die Bekanntgabe eines selbstberechneten Betrages scheide die Festsetzung des DB gem. § 201 Abs. 2 Z 3. 1. Fall BAO aus, wodurch für die Festsetzung eines DB im Jahr 2013 ein Wiederaufnahmegrund gem. § 303 BAO vorliegen müsse.

Bezüglich des Vorliegens der Voraussetzungen für die Begünstigung des NeuFöG wird auf die vertretbare Rechtsansicht verwiesen, wonach die Voraussetzungen des NeuFöG sehr wohl zutreffen würden, da eine neue Verwaltung und Struktur geschaffen worden sei, die die alleinige Überlebensfähigkeit des Pflegeheims hergestellt habe und somit eine nicht vorhandene betriebliche Struktur laut dem NeuFöG erschaffen worden sei.

Die Behauptung des Finanzamtes, dass in der Beschwerde geschrieben werde, "dass es sich um keine Neugründung und keine Neuschaffung betrieblicher Strukturen handelt", sei in der Beschwerdevorentscheidung aus dem Zusammenhang gerissen worden. Diese Aussage sei im Hinblick auf die Wiederaufnahmegründe getätigt worden und besage lediglich, dass selbst wenn es sich um keine Neugründung und keine Neuschaffung betrieblicher Strukturen handeln sollte, keine Wiederaufnahmegründe vorliegen würden, da das Finanzamt die Kaufverträge des Pflegeheims erhalten habe. Der NeuFöG-Antrag enthalte zwar den Vermerk der Wirtschaftskammer, dass die Voraussetzungen nach deren Ansicht nicht zutreffen würden, dadurch werde aber nicht wie behauptet das Nicht-Vorliegen der Voraussetzungen bestätigt. Es handle sich hierbei lediglich um die Ansicht der Wirtschaftskammer. Von der Bf sei das Vorliegen der Voraussetzungen nach dieser Rechtsansicht bestätigt worden. Hätte die Bf auf die Begünstigungen des NeuFöG verzichten wollen, hätte sie diesen Antrag nicht unterschrieben und auch nicht an das Finanzamt gesendet. Es entspreche wohl nicht der allgemeinen Lebenserfahrung, dass man Anträge, die man nicht geltend machen will, abgibt.

Zusammenfassend sei zu sagen, dass dem Finanzamt sämtliche relevanten Umstände bekannt gewesen wären. Das NeuFöG Formular sei dem Finanzamt spätestes mit zugegangen. Aufgrund des Vermerks der Wirtschaftskammer sei dem Finanzamt bekannt, dass die Wirtschaftskammer die Ansicht der Bf über die Voraussetzungen nicht teilen würde. Aufgrund der laufenden Meldungen eines DB in Höhe von EUR 0,- sei dem Finanzamt ersichtlich gewesen, dass die Begünstigungen des NeuFöG trotz des Vermerks der Wirtschaftskammer in Anspruch genommen werden würden. Dass es sich um keine gänzliche Neugründung, sondern nur um die Schaffung neuer betrieblicher Strukturen handeln könne, sei dem Finanzamt spätestens am bekannt geworden. An diesem Tag seien Belege im Zuge eines Ergänzungsersuchens zur UVA 12/2012 an das Finanzamt übermittelt worden, worunter sich auch der Kaufvertrag befunden habe. Somit waren dem Finanzamt spätestens am sämtliche relevanten Informationen bekannt. Eine Festsetzung des DB gem. § 201 Abs. 2 Z 3 BAO 2. Teilsatz komme somit ebenfalls nicht in Betracht.

Das Finanzamt legte die Beschwerde an das Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor und verwies ergänzend darauf, dass die Bf mit E-Mail vom , 13:02 Uhr, zwar zu den gemeldeten Vorsteuerbeträgen Unterlagen übermittelt habe, dabei handle es sich jedoch nur um Honorarnoten bzw. Rechnungen sowie das Vorsteuerkonto für Dezember 2012. Der Kaufvertrag hätte sich jedoch, anders als von der Bf ausgeführt, nicht in diesem E-Mail befunden. Diesbezüglich wird weiters vorgebracht, dass eine Übermittlung per E-Mail im Abgabeverfahren iSd § 86a BAO iVm der Verordnung des BMF BGBl 1991/494 (Telekopierer) bzw. FinanzOnline-Verordnung 2006 grundsätzlich nicht vorgesehen ist bzw. Anbringen per E-Mail nicht zulässig sind (). Es werde die Abweisung der Beschwerde beantragt.

Die Bf übermittelte am in Beantwortung eines Ergänzungsersuchens des Bundesfinanzgerichtes vom den Unternehmenskaufvertrag vom samt der im Kaufvertrag genannten Anlagen (Betriebsbewilligung, Unternehmenswertberechnung, Auflistung noch nicht abgerechneter Leistungen, Aufstellung Dienstnehmer, Inventar, zu übernehmende Versorgungsverträge, zu übernehmende Versicherungsverträge).

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Sachverhalt

Die beschwerdeführende GmbH (Bf) ist laut Firmenbuch im Geschäftszweig "Betrieb von Pflegeheimen" tätig. Nach Punkt 2. (Vertragsgegenstand) des Unternehmenskaufvertrages vom kaufte die Bf das Pflegeheim "***5***". Der Kauf beinhaltete neben sämtlichen Rechten und Pflichten der Verkäuferin im Zusammenhang mit dem Betrieb des Pflegeheimes auch Personal, Inventar/Verbrauchsmaterialien, Goodwill, diverse Versorgungsverträge, Versicherungsverträge und Haftungen.

Aus dem vorgelegten Formular NeuFö 1 vom , das spätestens seit Teil des Steueraktes des Finanzamtes ist, geht hervor, dass nach Ansicht der Wirtschaftskammer die Voraussetzungen für die Befreiungen nach dem NeuFöG nicht vorliegen würden. Ungeachtet dieses Umstandes seien die Erklärungen jedoch auf ausdrücklichen Wunsch des Förderwerbers erstellt und ausgehändigt worden.

Am wurden dem Finanzamt Belege (Rechnungen über den Kauf, Honorarnoten sowie Vorsteuerkonto für 12/2012) im Zuge eins Ergänzungsersuchens zur UVA 12/2012 per E-Mail übermittelt. Der Unternehmenskaufvertrag war entgegen der ursprünglichen Ansicht der Bf nicht darunter, sondern wurde erst über Ersuchen des Bundesfinanzgerichtes m übermittelt.

Die Bf ging im Zusammenhang mit dem Kauf des Pflegeheims von der Neugründung eines Betriebes im Sinne des NeuFöG aus und nahm die Förderung der Neugründung gemäß § 1 Z 7 NeuFöG für den Dienstgeberbeitrag im Jahr 2013 in Anspruch.

Beweiswürdigung

Die Feststellungen beruhen auf den Ausführungen im Bericht über das Ergebnis der Lohnabgabenprüfung, dem Vorbringen der Bf und den vorgelegten Unterlagen (Unternehmenskaufvertrag, Rechnungen, Honorarnoten, Formular NeuFö 1, Firmenbuch-Auszug) und sind im Wesentlichen nicht strittig.

Rechtliche Beurteilung

Zum Streitpunkt der Festsetzung des Dienstgeberbeitrages gemäß § 201 Abs. 2 Z 3 BAO bei sinngemäßer Anwendung des § 303 BAO:

§ 201 BAO lautet auszugsweise:

"(1) Ordnen die Abgabenvorschriften die Selbstberechnung einer Abgabe durch den Abgabepflichtigen an oder gestatten sie dies, so kann nach Maßgabe des Abs. 2 und muss nach Maßgabe des Abs. 3 auf Antrag des Abgabepflichtigen oder von Amts wegen eine erstmalige Festsetzung der Abgabe mit Abgabenbescheid erfolgen, wenn der Abgabepflichtige, obwohl er dazu verpflichtet ist, keinen selbst berechneten Betrag der Abgabenbehörde bekannt gibt oder wenn sich die bekanntgegebene Selbstberechnung als nicht richtig erweist.

(2) Die Festsetzung kann erfolgen,

1. von Amts wegen innerhalb eines Jahres ab Bekanntgabe des selbstberechneten Betrages
2. wenn der Antrag auf Festsetzung spätestens ein Jahr ab Bekanntgabe des selbstberechneten Betrages eingebracht ist
3. wenn kein selbstberechneter Betrag bekannt gegeben wird oder wenn bei sinngemäßer Anwendung des § 303 die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens vorliegen würden
."

Gemäß § 303 Abs. 1 lit. b BAO kann ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen wiederaufgenommen werden, wenn Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorkommen sind.

Die Bf vertritt in der Beschwerdeschrift die Ansicht, dass Wiederaufnahmegründe nicht vorliegen würden. Der NeuFöG Antrag sei spätestens seit Teil des Steueraktes beim Finanzamt. Auf dem Formular sei vermerkt, dass laut Ansicht der Wirtschaftskammer ***4*** die Begünstigung des NeuFöG nicht zustehen würde. Durch die Übermittlung des Kaufvertrages am sei dem Finanzamt offengelegt worden, dass es sich um keine Neugründung und keine Neuschaffung betrieblicher Strukturen handeln würde, sondern um einen Kauf des Pflegeheims. Auch diese Information sei seither Teil des Steueraktes beim Finanzamt

Das Finanzamt sei demnach seit bzw. in Kenntnis über die relevanten Umstände gewesen. Es gebe daher keine Beweismittel oder Tatsachen, die im Zuge der GPLA neu hervorgekommen seien und dem Finanzamt nicht bekannt gewesen wären. Das Hervorkommen neuer Tatsachen sei jedoch der einzige Wiederaufnahmegrund gemäß § 303 BAO, der in diesem Fall für die Festsetzung der Selbstberechnungsabgaben nach § 201 Abs. 2 BAO in Frage kommen würde.

Im Vorlageantrag vom gibt die Bf weiters an, dass im Jahr 2013 monatlich ein selbstberechneter DB in Höhe von EUR 0,- über eine Verrechnungsweisung ausdrücklich an das Finanzamt gemeldet wurde. Weiters sei dem Finanzamt aufgrund der Übermittlung des NeuFöG-Antrages bekannt gegeben worden, dass im ersten Jahr kein DB abzuführen sei. Somit sei ein laufender monatlicher Betrag in Höhe von EUR 0,- dem Finanzamt bekanntgegeben worden.

Weiters scheitere die Festsetzung gem. § 201 Abs. 2 Z 3 BAO 1. Teilsatz daran, dass laut dem Gesetzeswortlaut die Festsetzung nur möglich ist, wenn "kein selbstberechneter Betrag bekannt gegeben wird". Im vorliegenden Fall seien, neben den laufenden Beitragsmeldungen, zwei Beträge in Höhe von EUR 7,95 und EUR 83,82 für die Monate 1-12/13 durch eine Verrechnungsanweisung gemeldet worden. Dass die Höhe oder der Zeitraum der Meldung dafür ausschlaggebend sein soll, ob eine Festsetzung gem. § 201 Abs. 2 Z 3 BAO 1. Teilsatz erfolgen könne, sei dem Gesetz nicht zu entnehmen. Durch die Bekanntgabe eines selbstberechneten Betrages scheide die Festsetzung des DB gem. § 201 Abs. 2 Z 3. 1. Fall BAO aus, wodurch für die Festsetzung eines DB im Jahr 2013 ein Wiederaufnahmegrund gem. § 303 BAO vorliegen müsse.

Dieser von der Bf vertretenen Ansicht kann sich das BFG nicht anschließen. Die Vorschrift des § 201 BAO hat den Zweck, einen Gleichklang mit der bei einem durch Bescheid abgeschlossenen Verfahren geltenden Rechtslage herbeizuführen (, mwN). Wie in Ritz, BAO Kommentar, 6. Auflage, TZ 3 zu § 201, dargestellt, entspricht die erstmalige Festsetzung des § 201 Abs. 2 Z 3 BAO der Wiederaufnahme nach § 303 BAO bei Veranlagungsbescheiden.

Das bedeutet, dass gerade dann, wenn bereits ein selbstzuberechnender Betrag bekannt gegeben wurde, eine Abgabe gemäß § 201 Abs. 2 Z 3 zweiter Fall BAO festgesetzt werden kann, wenn bei sinngemäßer Anwendung des § 303 BAO die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens vorliegen.

Sinngemäße Anwendung des § 303 BAO bedeutet, den Akt der Selbstbemessung mit einem Bescheid gleichzustellen und sodann das Gefüge des § 303 BAO auf diesen Vorgang prüfend einwirken zu lassen (Tanzer in Althuber/Tanzer/Unger (Hrsg), BAO Handbuch (2015) zu § 201 BAO, Seite 544). Die Bekanntgabe des selbst zu berechnenden Betrages kommt somit der Erlassung eines Bescheides durch das Finanzamt gleich. Wird kein selbstberechneter Betrag bekanntgegeben, obzwar dies hätte erfolgen können oder müssen, so kann die zuständige Abgabenbehörde innerhalb der allgemeinen Verjährungsfrist der §§ 207 ff die Festsetzung selbst vornehmen (Tanzer in Althuber/Tanzer/Unger (Hrsg), BAO Handbuch (2015) zu § 201 BAO, Seite 544).

Nachdem die Bf den selbst zu berechnenden Dienstgeberbeitrag im strittigen Zeitraum mit null bzw. mit zwei geringfügigen Beträgen für die Monate 1-12/13 bekannt gegeben hat, hat die bescheidmäßige Festsetzung des Dienstgeberbeitrages durch das Finanzamt im Zuge des Prüfungsverfahrens gemäß § 201 Abs. 2 Z 3 zweiter Fall BAO bei sinngemäßer Anwendung des § 303 BAO zu erfolgen, wenn sich die bekannt gegebene Selbstberechnung als nicht richtig erweist.

Zur Wortfolge der sinngemäßen Anwendung des § 303 BAO in § 201 Abs. 2 Z 3 BAO ist Folgendes auszuführen:

Laut Ritz, BAO Kommentar, 6. Auflage, Rz 37 zu § 201, kann nach § 201 Abs 2 Z 3 BAO eine Festsetzung ua erfolgen, wenn in sinngemäßer Anwendung des § 303 BAO die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens vorliegen würden. Bezogen auf den "Neuerungstatbestand" ist somit erforderlich, dass für die Abgabenbehörde im Verfahren nicht geltend gemachte Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen, wenn die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte. Voraussetzung für die Festsetzung ist daher, dass entscheidungserhebliche Tatsachen oder Beweismittel der Abgabenbehörde im Zeitpunkt der Bekanntgabe des selbstberechneten Betrages noch nicht bekannt waren und dass diese Umstände nachträglich neu hervorkommen (etwa im Zuge einer Außenprüfung). Eine solche Festsetzung kann, ebenso wie bei der Wiederaufnahme, entweder von Amts wegen oder auf Antrag des Abgabenschuldners erfolgen. Maßgeblich soll demnach nur der Wissensstand der Abgabenbehörde sein, nicht jedoch jener des Pflichtigen (Tanzer in Althuber/Tanzer/Unger, BAO-Handbuch, § 201, Seite 544). Die Festsetzung hat mit Abgabenbescheid zu erfolgen. Die Begründung (§ 93 Abs. 3 lit a BAO) des Festsetzungsbescheides hat das Vorliegen der Voraussetzungen für seine Erlassung darzulegen. Stützt sich die Behörde auf neu hervorgekommene Tatsachen oder Beweismittel (iSd § 303 BAO), so hat sie diese Tatsachen (Beweismittel) und ihr "Neuhervorkommen" in der Bescheidbegründung darzulegen (zB BMF, AÖF 2009/278, Abschn 1.5.5).

Bei Wiederaufnahmsbescheiden ist die Nichtdarlegung der maßgeblichen Tatsachen oder Beweismittel in der Bescheidbegründung nicht im Rechtsmittelverfahren sanierbar (vgl zB ; , 93/14/0187, 0188). Liegt der vom Finanzamt angenommene Wiederaufnahmsgrund nicht vor oder hat das Finanzamt die Wiederaufnahme tatsächlich auf keinen Wiederaufnahmsantrag gestützt, so muss das Bundesfinanzgericht den angefochtenen Wiederaufnahmsbescheid ersatzlos aufheben. Gleiches gilt für Bescheide iSd § 201 Abs 2 Z 3 (zB ) und entsprechende Bescheide nach § 202 ().

Bezüglich der Darlegung der maßgeblichen Tatsachen für die Wiederaufnahme wird auf den Punkt "Sachverhaltsdarstellung" des Berichts über das Ergebnis der Außenprüfung vom verwiesen. Darin wird ausgeführt:

"2013 wurde der Dienstgeberbeitrag nachversteuert, da keine Neugründung laut NeuFÖG §2 Absatz 1 vorlag.
§ 2. Die Neugründung eines Betriebes liegt unter folgenden Voraussetzungen vor:
1)Es wird durch Schaffung einer bisher nicht vorhandenen betrieblichen Struktur ein Betrieb neu eröffnet, der der Erzielung von Einkünften im Sinne des
§ 2 Abs. 3 Z 1 bis 3 des Einkommensteuergesetzes 1988 dient.
Da bereits vor Inbetriebnahme ein Pflegeheim betrieben wurde , war dies abzuerkennen.
Die Nachforderung erfolgte anhand der ausbezahlten Löhne It. Jahreslohnkonten und Buchhaltung.
Hinweis gem. § 201 Abs. 2 Z3 BAO
."

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. ) hat die Berufungsbehörde, sofern die Bescheidausführungen des wiederaufnehmenden Finanzamtes mangelhaft sind, ausgehend von dem genannten Wiederaufnahmegrund, diesen zu prüfen und zu würdigen und gegebenenfalls erforderliche Ergänzungen vorzunehmen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 90/16/0003).

Abgesehen davon, dass der Wiederaufnahmegrund eindeutig und der neue Tatsachenkomplex mit ausreichender Bestimmtheit in dem als Begründung für den angefochtenen Bescheid dienenden Bericht genannt wurde, kann das Bundesfinanzgericht den Wiederaufnahmegrund auch ergänzen. Denn, wenn das Finanzamt bei der amtswegigen Festsetzung gemäß ​§ 201 Abs. 2 Z 3 BAO den Wiederaufnahmegrund nicht ausreichend bekannt gibt, hat das BFG die mangelhafte Begründung in Richtung der tatsächlich vom Finanzamt herangezogenen Wiederaufnahmegrundlagen zu ergänzen. Dies stellt kein unzulässiges Auswechseln von Wiederaufnahmegründen dar ( ​Ro 2015/15/0030).

Die Bf wendet weiters ein, dass der NeuFöG-Antrag spätestens seit Teil des Steueraktes beim Finanzamt gewesen sei. Am sei dem Finanzamt unter anderem der Vertrag über den Kauf des Pflegeheims per E-Mail übermittelt worden.

Dadurch soll offensichtlich zum Ausdruck kommen, dass es sich bei dem aus dem Bericht genannten Wiederaufnahmesachverhalt um keine neuen Tatsachen im Sinne des § 303 BAO handeln würde.

Zur Darstellung der Bf, der Kaufvertrag sei am per Mail an das Finanzamt übermittelt worden, ist zu berücksichtigen, dass das Finanzamt diesen Umstand im Vorlagebericht vom bestreitet. Zur Klärung dieser Frage wurde die Bf mittels Ergänzungsersuchens vom auf diesen Umstand hingewiesen und ersucht, den Kaufvertrag zu übermitteln. Der Feststellung, dass das Finanzamt bestreitet, den Kaufvertrag erhalten zu haben, hat die Bf in ihrem Schreiben vom nicht widersprochen, sondern den Kaufvertrag samt Anlagen übermittelt. Es ist daher davon auszugehen, dass der Unternehmenskaufvertrag nicht am im Zuge des Ergänzungsersuchens zur UVA 12/2012 per E-Mail an das Finanzamt übermittelt wurde.

Für eine neue Tatsache im Sinne des § 303 BAO ist maßgebend, ob der Abgabenbehörde in dem wiederaufzunehmenden Verfahren der Sachverhalt so vollständig bekannt gewesen ist, dass sie schon in diesem Verfahren bei richtiger rechtlicher Subsumtion zu der nunmehr im wiederaufgenommenen Verfahren erlassenen Entscheidung gelangen hätte können (zB ; , 2006/15/0006; , 2009/15/0135; , 2011/15/0157).

Wie bereits festgestellt hat die Bf per E-Mail vom zwar für das UVA-Verfahren für 12/2012 relevante Unterlagen über den Kauf des Pflegeheims an das Finanzamt übermittelt, nicht jedoch den Unternehmenskaufvertrag vom13.12.2012.

Die an das Finanzamt übermittelte Rechnung über den Unternehmenskauf mag zwar für die Geltendmachung der Vorsteuer, nicht jedoch für die Beurteilung des Sachverhalts für die Inanspruchnahme der Begünstigungen gemäß § 1 Z 7 NeuFöG ausreichend sein. Dem Finanzamt war mit dem übermittelten Kaufvertrag der Sachverhalt nicht so vollständig bekannt, dass es schon in im Jahr 2013 bei richtiger rechtlicher Subsumtion zu der nunmehr im wiederaufgenommenen Verfahren erlassenen Entscheidung gelangen hätte können. Diese Feststellung wird unter dem nachfolgenden Punkt "Vorliegen der Voraussetzungen für die Begünstigungen des NeuFöG" näher ausgeführt.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. ) ist das Neuhervorkommen von Tatsachen und Beweismitteln nur aus der Sicht des jeweiligen Verfahrens derart zu beurteilen, dass es darauf ankommt, ob der Abgabenbehörde im wiederaufzunehmenden Verfahren der Sachverhalt so vollständig bekannt gewesen ist, dass sie schon in diesem Verfahren bei richtiger rechtlicher Subsumtion zu der nunmehr im wiederaufgenommenen Verfahren erlassenen Entscheidung hätte gelangen können. Dabei ist das Hervorkommen neuer Tatsachen oder Beweismittel aus der Sicht des jeweiligen Verfahrens und nicht aus anderen Verfahren, bei denen diese Tatsachen möglicherweise erkennbar waren, zu beurteilen.

Die am an das Finanzamt per E-Mail übermittelten Rechnungen vom betreffend den Verkauf des Pflegeheimes haben das Umsatzsteuerverfahren zur Geltendmachung der Vorsteuern für 12/2012 betroffen. Dieses Umsatzsteuerverfahren stellt bezüglich der gegenständlich strittigen im Jahr 2017 durchgeführten Lohnabgabenprüfung ein anderes Verfahren dar. In diesem Zusammenhang ist entscheidend, ob der abgabenfestsetzenden Stelle alle rechtserheblichen Sachverhaltselemente bekannt waren. Dass die Veranlagungsabteilung des Finanzamtes betreffend die Gewährung der Vorsteuer von der Rechnung für den Unternehmenskauf Kenntnis hatte, steht der Festsetzung der gegenständlich strittigen Dienstgeberbeiträge durch ein Organ der Prüfungsabteilung für Lohnabgaben und damit der Wiederaufnahme des Verfahrens im Lohnabgabenprüfungsverfahren (GPLA) nicht entgegen.

Zum weiteren Vorbringen der Bf, das am per Brief an das Finanzamt übermittelte Formular NeuFö 1, in dem die Wirtschaftskammer mit Datum vom bestätigt, dass nach Erachten der Wirtschaftskammer die Voraussetzungen für die Befreiung nach dem NeuFöG nicht vorliegen würden, ungeachtet dieses Umstandes die Erklärungen jedoch auf ausdrücklichen Wunsch des Förderwerbers erstellt und ausgehändigt worden seien, ist darauf hinzuweisen, dass nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes allfälliges Verschulden der Behörde an der Nichtausforschung von Sachverhaltselementen die amtswegige Wiederaufnahme nicht ausschließt (zB ; , 2001/14/0007; , 2002/13/0029; , 2006/13/0114; , 2008/13/0090). Dem Finanzamt kann somit nicht angelastet werden, bereits zum Zeitpunkt der Vorlage des von der Wirtschaftskammer bestätigten Formulars NeuFö 1 die näheren Hintergründe nicht ermittelt zu haben.

Das Bundesfinanzgericht kommt auf Grund dieser Ausführungen zu dem Ergebnis, dass das Finanzamt die strittigen Abgaben rechtskonform gemäß § 201 Abs. 2 Z 3 BAO festgesetzt hat.

Zum Vorliegen der Voraussetzungen für die Begünstigungen des NeuFöG:

Gemäß § 1 Z 7 NeuFöG werden zur Förderung der Neugründung von Betrieben u.a. die für beschäftigte Arbeitnehmer (Dienstnehmer) anfallenden Dienstgeberbeiträge zum Familienlastenausgleichsfonds samt Kammerumlage nach § 122 Abs. 7 und 8 Wirtschaftskammergesetz 1988 ("Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag") für einen Zeitraum von 12 Monaten nicht erhoben.

Nach § 2 Z 1 NeuFöG liegt die Neugründung eines Betriebes (u.a.) unter folgender Voraussetzung vor: Es wird durch Schaffung einer bisher nicht vorhandenen betrieblichen Struktur ein Betrieb neu eröffnet, der der Erzielung von Einkünften im Sinne des § 2 Abs. 3 Z 1 bis 3 EStG 1988 dient.

§ 2 Abs. 1 der Neugründungs-Förderungsverordnung, BGBl. II Nr. 278/1999, bestimmt hiezu Folgendes ("Begriff der Neugründung"):

Unter einem Betrieb im Sinne des § 2 Z 1 NeuFöG ist die Zusammenfassung menschlicher Arbeitskraft und sachlicher Betriebsmittel in einer organisatorischen Einheit zu verstehen. Ein Betrieb wird neu eröffnet, wenn die für den konkreten Betrieb wesentlichen Betriebsgrundlagen neu geschaffen werden. Der Betrieb muß der Erzielung von Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft, Einkünften aus selbständiger Arbeit (einschließlich Einkünften aus sonstiger selbständiger Arbeit) oder von Einkünften aus Gewerbebetrieb dienen. Keine Neugründung eines Betriebes liegt bei Aufnahme einer Betätigung im Sinne des § 1 Abs. 2 der Liebhabereiverordnung, BGBl. Nr. 33/1993, vor.

Die Erläuterungen zur Regierungsvorlage des SteuerreformG 2000, mit dem das NeuFöG eingeführt worden ist, führen zu § 2 aus (1766 BlgNR 20. GP 77 f):

"Die Schaffung einer bisher nicht vorhandenen betrieblichen Struktur wird anzunehmen sein, wenn die wesentlichen Grundlagen des neu zu gründenden Betriebes zu einem bisher nicht vorhandenen Betrieb verdichtet werden.
...
Eine Neugründung liegt nicht vor, wenn ein bereits existierender Betrieb bloß unter einer neuen Rechtsform geführt wird. So wäre zB keine Neugründung anzunehmen, wenn ein bereits vorhandener Betrieb in eine - wenn auch neu gegründete - Kapitalgesellschaft eingebracht wird. Ob die Änderung der Rechtsform dabei unter Anwendung der Bestimmungen des Umgründungssteuergesetzes erfolgt, ist dabei unmaßgeblich.

Der bloße Erwerb eines Betriebes - sei es entgeltlich oder unentgeltlich bzw. durch einen Umgründungsvorgang - stellt keine Neugründung dar."

Die Bf führt aus, dass vor der Übernahme das ***1*** als unselbständiger, nicht alleinstehend überlebensfähiger Teilbetrieb eines Unternehmens geführt worden sei. Der im Hintergrund stehende Verbund mehrerer Heime sei für das Pflegezentrum unabdingbar gewesen. Sowohl die Verwaltung als auch die Pflegedienstleistung sei vor der Übernahme von der Zentrale des Verbundes gesteuert worden. Nach dem Erwerb des Pflegezentrums durch die Bf seien sämtliche Tätigkeiten direkt in ***2*** zentralisiert worden, die Pflegedienstleistung sowie die Verwaltung mit eigenem Sekretariat seien dafür völlig neu aufgebaut worden. Der größte Unterschied in der täglichen Praxis sei nach dem Kauf jener, dass sich nach dem Kauf die Geschäftsführung der Bf um sämtliche Belange des Pflegeheims (Softwarebelange, Dienstplanerstellung, Einkauf, Werbung, etc.) selbständig und ohne auf die Ressourcen des ehemaligen Verbunds zugreifen zu können, kümmern hätte müssen. Auf Grund dieser Änderungen liege nach Ansicht der Bf eine maßgebliche Veränderung der betrieblichen Struktur vor.

Wie in § 2 NeuFöG iVm der Neugründungs-Förderungsverordnung bestimmt wird, ist Voraussetzung einer Befreiung, ob "durch Schaffung einer bisher nicht vorhandenen betrieblichen Struktur ein Betrieb", der "die Zusammenfassung menschlicher Arbeitskraft und sachlicher Betriebsmittel in einer organisatorischen Einheit" darstellt, in dem Sinne "neu eröffnet" wird, dass "die für den konkreten Betrieb wesentlichen Betriebsgrundlagen neu geschaffen werden".

Für die Beurteilung, ob der beschwerdegegenständliche Betrieb im Sinne des NeuFöG neu gegründet wurde, sind die für den konkreten Betrieb gegebenenfalls neu geschaffenen wesentlichen Betriebsgrundlagen zu beurteilen. Die Neugründereigenschaft muss nicht nur subjektiv aus dem Blickwinkel des Neugründers nach der Regel des § 2 Z 2 NeuFöG vorliegen, sondern darüber hinaus muss objektiv ein neuer Betrieb entstehen (vgl. Erkenntnis des ).

Nach Literatur und Rechtsprechung zu § 24 EStG (zB Quantschnigg/Schuch, Einkommensteuer-Handbuch EStG 1988, Tz 21ff zu § 24, Doralt, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, Tz 12ff zu § 24) sind grundsätzlich solche Betriebsgrundlagen als wesentlich zu qualifizieren, die geeignet sind, dem Erwerber die Fortführung des Betriebes zu ermöglichen (Gaggl/Sander, NeuFöG (2008) Rz 15).

Welche Betriebsmittel zu den wesentlichen Grundlagen des Betriebes gehören, ist in funktionaler Betrachtungsweise nach dem jeweiligen Betriebstypus zu bestimmen (Hofstätter in Hofstätter/Reichel, Die Einkommensteuer Kommentar, § 24 Rz 13). Die wesentliche Betriebsgrundlage richtet sich nach der Art des Betriebes und nach der Funktion des Wirtschaftsgutes.

Über Ersuchen des BFG hat die Bf mit Schreiben vom den Unternehmenskaufvertrag vom samt Anlagen übermittelt. Daraus ist zu ersehen, dass die Verkäuferin an verschiedenen Standorten in der ***4***, ***6*** und ***7*** Pflegeheime betrieben hat. Als Vertragsgegenstand wird der im Unternehmenskaufvertrag und dessen Anlagen angeführte Teilbetrieb "***5***" genannt. Der Verkauf beinhaltet sämtliche Rechte und Pflichten der Verkäuferin im Zusammenhang mit dem Betrieb des kaufgegenständlichen ***8***.

Unter dem Punkt "Vertragsgegenstand" werden weiters der Betriebsbewillligungsbescheid des Landes ***4*** vom und der Goodwill genannt. Der Goodwill besteht aus den aktuellen Bewohnern, dem im Eigentum der Verkäuferin stehenden Inventar, dem Personal sowie dem Lagerbestand (Verbrauchsmaterialien für Pflegedienstleistungen und Ähnliches). Laut Punkt 11.5. des Unternehmenskaufvertrages verpflichtet sich die Verkäuferin mit Stichtag 00:00 Uhr ihren Betrieb im Kaufgegenstand einzustellen und diesen der Käuferin zu übergeben. Die Bf als Käuferin ihrerseits verpflichtet sich zur nahtlosen Fortführung des Betriebs und zur Pflege der im Heim zum Stichtag betreuten Personen.

Die Voraussetzungen für die Befreiung für die Abfuhr des DB gemäß § 1 Z 7 NeuFöG liegen im gegenständlichen Fall aus nachfolgenden Gründen nicht vor:

Für eine Pflegeeinrichtung stellen die Liegenschaft, das für die Pflege erforderliche und geeignete Inventar, Verbrauchsmaterialien für Pflegeleistung, eine behördliche Betriebsbewilligung und nicht zuletzt das geeignete und ausgebildete Personal spezifische wesentliche Betriebsgrundlagen dar. Der Aufbau einer Verwaltung mit eigenem Sekretariat und das Kümmern der Geschäftsführung der Bf um sämtliche Belange des Pflegeheims (Softwarebelange, Dienstplanerstellung, Einkauf, Werbung, etc.) mag zwar subjektiv eine maßgebliche Veränderung der übernommenen betrieblichen Struktur darstellen, eine spezifische für ein Pflegeheim wesentliche Betriebsgrundlage kann darin jedoch nicht gesehen werden, da derartige Belange in jedem Betrieb als erforderlich betrachtet werden müssen.

Die wesentlichen Betriebsgrundlagen wie die Liegenschaft, das Inventar, das Personal sowie der Lagerbestand (Verbrauchsmaterialen für Pflegedienstleistungen und Ähnliches) wurden von der Bf als Käuferin vom Verkäufer übernommen. Auch der vorliegende Betriebsbewilligungsbescheid des Landes ***4*** ist Vertragsgegenstand des Unternehmenskaufvertrages. Schließlich wird im Unternehmenskaufvertrag die nahtlose Weiterführung des Betriebs des Pflegeheimes durch die Bf vereinbart. Dadurch kommt die fehlende Neueröffnung eines Betriebs klar und deutlich zum Ausdruck.

Dass im gegenständlichen Fall objektiv gesehen keine wesentlichen Betriebsgrundlagen geschaffen werden mussten, um den Betrieb fortzuführen, zeigt die Meinung der Wirtschaftskammer, die ebenfalls davon ausgegangen ist, dass die Neugründungsförderung nicht zusteht. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Wirtschaftskammer auf Grund der Vielzahl an vorgelegten Neugründungsanträgen wohl ein gewisses Maß an objektiver Beurteilungsfähigkeit zugesprochen werden kann.

Hinsichtlich der Bemessungsgrundlagen und der Höhe der vorgeschriebenen Abgaben wurden keine Einwendungen erhoben. Das Finanzamt hat zu Recht die Begünstigung des § 1 Z 7 NeuFög verweigert und die strittigen Dienstgeberbeiträge nachgefordert.

Zusammenfassend war die Beschwerde aus den vorgenannten Gründen spruchgemäß abzuweisen.

Unzulässigkeit der ordentlichen Revision

Gemäß § 25a VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist.

Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere, weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Nachdem die Beschwerde insoweit keine für die Entscheidung maßgeblichen Rechtsfragen aufwirft, denen im Sinne der zitierten Bestimmungen grundsätzliche Bedeutung zukäme, war unter Hinweis auf die zitierte eindeutige und einheitliche Rechtsprechung die Unzulässigkeit einer ordentlichen Revision auszusprechen.

Graz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 201 Abs. 2 Z 3 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 303 Abs. 1 lit. b BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 1 Z 7 NeuFöG, Neugründungs-Förderungsgesetz, BGBl. I Nr. 106/1999
§ 2 Z 1 NeuFöG, Neugründungs-Förderungsgesetz, BGBl. I Nr. 106/1999
Verweise



Ritz BAO 6.Auflage Tz 3 zu § 201
Althuber/Tanzer/unger BAO § 201 Seite 544


Doralt EStG Tz 12ff zu § 24
Hofstätter/Reichel EStG Rz 13 zu § 24
Ritz BAO 6. Auflage Tz 37 zu § 201










ECLI
ECLI:AT:BFG:2022:RV.2100446.2020

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at