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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 21.02.2022, RV/7100948/2018

Stattgabe nach Einigung im Verständigungsverfahren gem. § 25 Doppelbesteuerungsabkommen Österreich-Schweiz

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Mag. Regina Vogt in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch HLB Prüf-Treuhand GmbH & Co KG, Berggasse 16, 1090 Wien, über die Beschwerde vom gegen die Bescheide des Finanzamtes Baden Mödling (jetzt Finanzamt Österreich) vom betreffend Einkommensteuer 2011 bis 2015, Steuernummer ***StrNr***, zu Recht erkannt:

I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.

Die angefochtenen Bescheide werden aufgehoben.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Mit Bescheiden vom erfolgte die Besteuerung der vom Beschwerdeführer (Bf.) in der Schweiz bezogenen Einkünfte nach österreichischem Steuerrecht. Als Begründung wurde auf diverse explizit angeführte Umstände, insbesondere, dass seine Ehefrau und die Kinder in Österreich lebten, verwiesen, aus denen sich ein Mittelpunkt der Lebensinteressen in Österreich ergäbe, sodass nach dem Doppelbesteuerungsabkommen Österreich-Schweiz das Besteuerungsrecht Österreich zustehe.

Am stellte der Bf. in der Schweiz den Antrag auf Einleitung eines Verständigungsverfahrens gem. Art. 25 des Doppelbesteuerungsabkommens mit der Schweiz.

Am wurde gegen die verfahrensgegenständlichen Einkommensteuerbescheide mit der Begründung Beschwerde erhoben, dass sich der Bf. als nicht in Österreich ansässig betrachte. Gleichzeitig beantragte er die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem gesamten Senat.

Nachdem die Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung vom als unbegründet abgewiesen worden war, stellte der Bf. am einen Vorlageantrag.

Mit Schreiben vom zog der Bf. seinen Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem gesamten Senat zurück.

Mit Bescheid gem. § 48 Abs. 2 BAO des Finanzamtes für Großbetriebe vom wurde die Einigung gemäß Art. 25 des Doppelbesteuerungsabkommens zwischen Österreich und der Schweiz betreffend die Steuerjahre 2004 bis 2016 wie folgt festgestellt:

"Die steuerliche Ansässigkeit liegt für die verfahrensbetreffenden Jahre in der Schweiz."

Als Begründung wurde auf die spruchgemäße Einigung im Verständigungsverfahren zwischen Österreich und der Schweiz verwiesen, wodurch die Streitfrage gelöst und die übereinkommens/abkommenswidrige Besteuerung vollständig beseitigt worden sei.

Der Bescheid wurde dem Bf. zu Handen seiner steuerlichen Vertreterin am zugestellt.

Im Vorfeld der Bescheiderlassung gab der Bf. gegenüber dem FA Großbetriebe einen Rechtsmittelverzicht gegen den zu erlassenden Bescheid ab.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Sachverhalt

Der Bf. ist Staatsbürger der Schweiz und bezog in den Jahren 2011 bis 2015 ausschließlich Einkünfte in der Schweiz.

Das vom Bf. beantragte Verständigungsverfahren gem. Art. 25 des Doppelbesteuerungsabkommens zwischen Österreich und der Schweiz hinsichtlich der Frage, in welchem Staat der Bf. steuerlich ansässig sei, endete mit der Einigung bzw. bescheidmäßigen Feststellung dahingehend, dass die steuerliche Ansässigkeit des Bf. in den Jahren 2004 bis 2016 in der Schweiz liegt.

Beweiswürdigung

Beweis wurde aufgenommen durch Einsicht in den von der belangten Behörde vorgelegten Verwaltungsakt, insbesondere den Bescheid des Finanzamtes für Großbetriebe vom .

Rechtliche Beurteilung

Zu Spruchpunkt I.

Strittig ist im gegenständlichen Fall, ob der Bf. in Österreich steuerpflichtig ist.

Die belangte Behörde vertrat dazu im Gegensatz zum Bf. die Auffassung, dass der Bf. seinen Wohnsitz bzw. seinen Mittelpunkt der Lebensinteressen in Österreich habe.

§ 1 EStG 1988 lautet u.a.:

"Einkommensteuerpflichtig sind nur natürliche Personen.

Unbeschränkt steuerpflichtig sind jene natürlichen Personen, die im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben. Die unbeschränkte Steuerpflicht erstreckt sich auf alle in- und ausländischen Einkünfte."

Nach Lehre und Rechtsprechung ist darunter der Ort zu verstehen, zu dem der Steuerpflichtige nach dem Gesamtbild der Verhältnisse die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen hat, wobei das Überwiegen der Beziehungen zum einen oder anderen Staat den Ausschlag gibt und wirtschaftlichen Beziehungen in der Regel eine geringere Bedeutung zukommt als persönlichen Beziehungen (vgl. Hofstätter - Reichel, Die Einkommensteuer - Kommentar, § 1 Tz 9; Loukota/Jirousek, Internationales Steuerrecht I/1 Z 4 Rz 10, Stand , rdb.at, mwN; ; ; ; ).

Die strittige Frage ist durch den Feststellungsbescheid gem. § 48 Abs. 2 BAO vom als entschieden zu betrachten.

Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

§ 279 Abs. 1 BAO autet:

Außer in den Fällen des § 278 hat das Verwaltungsgericht immer in der Sache selbst mit Erkenntnis zu entscheiden. Es ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung seine Anschauung an die Stelle jener der Abgabenbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern, aufzuheben oder die Bescheidbeschwerde als unbegründet abzuweisen.

In Rz 15 zu § 279 wird im Kommentar zur BAO von Ritz/Koran, 7. Aufl., 2021 folgendes ausgeführt:

"Grenzen (Einschränkungen) der Änderungsbefugnis können sich ergeben aus

…………der Bindung an Grundlagenbescheide oder an "grundlagenbescheidähnliche" Bescheide (vgl § 192)………….

§ 192 BAO lautet:

"In einem Feststellungsbescheid enthaltene Feststellungen, die für andere Feststellungsbescheide, für Meßbescheide oder für Abgabenbescheide von Bedeutung sind, werden diesen Bescheiden zugrunde gelegt, auch wenn der Feststellungsbescheid noch nicht rechtskräftig geworden ist."

In Rz 2 des Kommentares zur BAO von Ritz/Koran, 7. Aufl., 2021 wird dazu ausgeführt:

"Feststellungsbescheide (Grundlagenbescheide für abgeleitete Bescheide) sind insbesondere

…………. Bescheide des Finanzamts für Großbetriebe gem § 48 Abs 2 BAO über die Einigung (zB in einem Verständigungs­erfahren gem § 26 EU-BStbG)."

§ 48 Abs. 2 BAO lautet:

"Das Finanzamt für Großbetriebe hat, sofern ein Verwaltungsgericht noch nicht mit Erkenntnis über die Streitfrage oder über eine Maßnahme, die Gegenstand des relevanten Verständigungs­verfahrens war, entschieden hat, von Amts wegen mit Bescheid festzustellen:

1.

Die Einigung

a)

in einem Verständigungs­verfahren gemäß § 26 EU-BStbG oder

b)

in einem Verständigungsverfahren nach einer anderen Rechtsgrundlage als dem EU-BStbG, sofern sich dieses auf einen im Zeitpunkt der Antrag­stellung bereits verwirklichten Sachverhalt bezieht;

2.

Die abschließende Entscheidung gemäß § 58 EU-BStbG oder

3.

das Ergebnis eines Schieds­verfahrens zur Verhinderung einer Doppel­besteuerung nach einer anderen Rechtsgrundlage als dem EU-BStbG.

Fest steht, dass es sich bei dem Bescheid vom des Finanzamtes für Großbetriebe um einen Feststellungsbescheid gem. § 48 Abs. 2 BAO handelt.

§ 295 Abs. 2a BAO lautet:

"Ist ein Bescheid von einem Bescheid gemäß § 48 Abs 2 oder 4 abzuleiten, ist er ungeachtet des Eintritts der Rechtskraft oder der Verjährung im Fall der nachträglichen Erlassung oder Aufhebung des Bescheides von Amts wegen aufzuheben oder insoweit abzuändern, als der Bescheid sich auf den Spruch des abgeleiteten Bescheides auswirkt."

Fest steht daher weiters, dass das Ergebnis des Einigungsverfahrens, nämlich, dass die Ansässigkeit des Bf. in den Jahren 2004 bis 2016 in der Schweiz liegt, dazu führt, dass Österreich für die verfahrensgegenständlichen Jahre 2011 bis 2015 kein Besteuerungsrecht zukommt.

Im Kommentar zur BAO, Ritz/Koran, BAO, 7.Aufl., 2021 wird dazu folgendes ausgeführt:

"Die teilweise Abänderung oder Aufhebung eines Bescheides gem § 295 Abs 2a hat durch die Abgabenbehörde zu erfolgen; dies ergibt sich aus § 295 Abs 5 erster Satz, der für Aufhebungen und Änderungen "nach den Abs 1 bis 4" gilt.

Die Zuständigkeit der Abgabenbehörde besteht nach AB 644 BlgNR 26. GP, 39, jedoch nicht, wenn eine Bescheidbeschwerde beim BFG anhängig ist, die auch den Inhalt des Bescheides gem § 48 Abs 2 umfasst. In diesen Fällen habe das BFG die teilweise Abänderung oder Aufhebung der bzw des abgeleiteten Bescheide(s) gem Abs 2a vorzunehmen. Diese Ansicht der Gesetzesmaterialien ist aus der BAO nicht abzuleiten; aus der BAO ergibt sich vielmehr, dass das BFG in seinem Erkenntnis (§ 279) den Inhalt des vom Finanzamt für Großbetriebe erlassenen Bescheides zu berücksichtigen hat."

Aus der Zusammenschau der angeführten gesetzlichen Bestimmungen und Kommentarstellen ergibt sich daher für das Verfahren beim Bundesfinanzgericht im gegenständlichen Fall folgendes:

Trotz der in § 279 BAO geregelten Entscheidungs-und Änderungsbefugnis des Bundesfinanzgerichtes reicht diese nur soweit, als nicht mit Erkenntnis über eine Beschwerde gegen einen Bescheid zu entscheiden ist, dem ein Feststellungsbescheid gem. § 48 Abs. 2 BAO zu Grunde liegt.

Das Bundesfinanzgericht legt daher seiner Entscheidung das mit Bescheid gem. § 48 Abs. 2 BAO vom festgestellte Ergebnis des Einigungsverfahrens gem. Art. 25 des Doppelbesteuerungsabkommens zwischen Österreich und der Schweiz zu Grunde und geht von einer Ansässigkeit des Bf. in den Jahren 2011 bis 2015 in der Schweiz aus.

Da Österreich somit in diesen Jahren keine Besteuerungsrecht zukommt, war spruchgemäß zu entscheiden.

Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung lag im gegenständlichen Fall nicht vor.

Bei der Frage, ob der Bf. in den Jahren 2011 bis 2015 in Österreich oder der Schweiz ansässig war, handelt es sich um eine Sachverhaltsfrage. Das Ergebnis der Einigung über diese Sachverhaltsfrage zwischen den österreichischen und den schweizer Behörden wurde in einem Bescheid gem. § 48 Abs. 2 BAO festgestellt. Dass dieser Bescheid dem Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes zu Grunde zu legen ist, ergibt sich aus den verfahrensrechtlichen Bestimmungen Bundesabgabenordnung.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 48 Abs. 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 295 Abs. 2a BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
ECLI
ECLI:AT:BFG:2022:RV.7100948.2018

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at