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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 21.02.2022, RV/7100926/2021

Eigenantrag auf erhöhte Familienbeihilfe wegen festgestelltem Aspergersyndrom. Schlüssige, sich nicht widersprechende Gutachten des Sozialministeriumservice betr. Unfähigkeit, sich den Lebensunterhalt zu verschaffen, als einzig zulässiger Beweis, daher keine Einholung eines weiteren Gutachtens eines berufskundigen Sachverständigen bzw. Einvernahme des Bruders.

Rechtssätze


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Stammrechtssätze
RV/7100926/2021-RS1
Die Formulierung „Eine erneute Überprüfung mit persönlicher Vorsprache“ stellt keinen Antrag nach § 274 Abs 1 Z 1 BAO dar.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK


Das Bundesfinanzgericht erkennt durch die Richterin Mag. Heidemarie Winkler über die Beschwerde des ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vom , gegen den Bescheid des Finanzamtes Waldviertel, nunmehr Finanzamtes Österreich vom betreffend rückwirkende Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe ab Februar 2015, zu Recht:

Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Der Beschwerdeführer (in Folge kurz Bf.), geb. 1978, stellte am einen Eigenantrag auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung ab dem Zeitpunkt des Eintritts der erheblichen Behinderung, den die/der Sachverständige feststellt, im Höchstausmaß von rückwirkend fünf Jahren ab Antragstellung.

Im Rahmen eines Vorhalteverfahrens (Schreiben vom ) wurde der Bf. zur Vorlage des Formulars "Beih100" (Antrag auf Familienbeihilfe) aufgefordert und darauf hingewiesen, dass die erhöhte Familienbeihilfe nur im Zusammenhang mit der normalen Familienbeihilfe gewährt werden könne. Für die normale Familienbeihilfe werde das Formular Beih100 benötigt.

Der Bf. brachte am als Beantwortung des Ergänzungsersuchens abermals einen Antrag auf erhöhte Familienbeihilfe (Beih3) ein und wurde dies vom FA als Antrag auf Familienbeihilfe gewertet.

Der Bf. wurde im Zuge des Antragverfahrens am in der Landesstelle des Sozialministeriumservice (in Folge kurz: SMS) von Dr. C., Fachärztin für Psychiatrie, untersucht und folgendes Gutachten erstellt:

Anamnese:

Antragstellung: er habe in den letzten Jahren immer wieder versucht in Arbeitsleben Fuß zu fassen, was nicht geklappt habe. Man habe vermutet, dass da was dahinterstecken müsse und 2018 suchte er erstmalig eine Psychiaterin auf und es wurde ein psychologischer Test gemacht. Hier seien Hinweise für ein Asperger gefunden.

TE

Derzeitige Beschwerden: Es gehe gut.

Behandlung(en) / Medikamente / Hilfsmittel: keine, keine psychiatrische/psychologische Behandlung

Sozialanamnese:
VS, Gymnasium Unterstufe, 1992- 1996 Oberstufe mit Matura.
1997 Zivildienst
1998 Beginn Psychologiestudium - wurde nach 6 Jahren- 2004- abgebrochen (Statistik/Mathematik sei für ihn ein "Pferdefuß")
2005 auf Arbeitssuche
2006 9 Monate in Krankenpflegeschule
10/2007 Institut für empirische Sozialforschung - bis 2014 (Telefoninterviews in Call Center in Wien) -10-15 Stunden/Woche (freier Dienstnehmer)
dann Bewerbungen geschrieben
10/ 2018 bei Wifi Grundmodul für Koch Kellner Ausbildung bis 12/2018
10/2019 Arbeitstrainung im Zentrum Schiltern bis 2/2020. Es sei gesagt worden, dass er für den ersten Arbeitsmarkt nicht fit sei, es sei nur ein geschützter Arbeitsbereich möglich (Anm.: keine Unterlagen)
Seit 2020 sei er in einem Museum freiwillig engagiert - es gäbe ein kleines Taschengeld
Erwachsenenvertreter: keiner
Einkünfte: Mieteinkünfte aus einer ererbten Wohnung, ansonsten keine Einkünfte, keine Waisenrente
es sei jetzt ein Verfahren bei der PV im Laufen wo seine Arbeitsfähigkeit festgestellt werden solle.
Bundesheer: Zivildienst
Führerschein: seit 1996 A, B
ledig, lebt mit Bruder in einer Eigentumswohnung, LG mit 2 Wohnsitzen
Hobby: Er bezeichne sich als "Kulturjunkie", regelmäßig Chor (dzt. nicht wegen Corona)

Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):
zur Untersuchung mitgebrachte Befunde:

Psychologische Untersuchung Mag. St. : Verbal IQ 112, HandlungslQ75

vorliegende Untersuchungsergebnisse von Hrn. *** (Bf.) liefern kein vollständiges Bild eines Aspergersyndroms, wohl aber Verhaltensmerkmale, die durchaus typisch für eine Störung aus dem Autismusspektrum sind.

Von einer Persönlichkeitsstörung ist nicht auszugehen, optimistisch - histrionische Persönlichkeitsakzentuierung sind als Ressource zu interpretieren. An weiteren Tessourcen sind überdurchschnittlich gutes Sprachverständnis, langjähriges Interesse für das Verständnis von Menschen und deren Eigenarten, soziales Engagement, Liebe zur Musik und Religion hervorzuheben.

Beruflich sind Routinetätigkeiten und regelmäßiger Kontakt mit Menschen kein Problem, wohl aber zeitlicher Druck, Ansprüche an praktische Fertigkeiten und Flexibilität

Befund Psychiaterin Dr. K. :

Dg.: Aspergersyndrom

Untersuchungsbefund:

Allgemeinzustand:

41 jähriger in gutem AZ
Ernährungszustand: gut
Größe: 190,00 cm Gewicht: 80,00 kg Blutdruck:
Status (Kopf / Fußschema) - Fachstatus: voll mobil, Brille
Gesamtmobilität-Gangbild: kommt freigehend alleine zur Untersuchung, wurde vom Bruder hergebracht

Psycho(patho)logischer Status:
Kooperativ und freundlich, gut auskunftsfähig, Blickkontakt gelingt mühelos, bewußtseinsklar, voll orientiert, kein kognitiv- mnestisches Defizit, Gedankenductus: geordnet, kohärent; Konzentration und Antrieb unauffällig; Stimmungslage ausgeglichen, stabil, gut affizierbar; Affekte: angepasst, keine produktive Symptomatik

Herr ***Bf1*** ist voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen: NEIN

Anmerkung bzw. Begründung betreffend die Fähigkeit bzw. voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen:

Selbsterhaltung im Rahmen von Routinetätigkeiten ohne relevantem zeitlichen Druck möglich. Es liegen keine Befunde vor und es lässt sich auch aus den anamnestischen Angaben keine schwerwiegende Funktionseinschränkung in einem solchen Ausmaß bestätigen, dass eine daraus resultierende anhaltende Selbsterhaltungsunfähigkeit vor dem 18./21. LJ eingetreten ist.

X Dauerzustand

Unter Zugrundelegung der in dem Sachverständigengutachten getroffenen Feststellungen wies das FA den Antrag des Bf. mit Bescheid vom ab Februar 2015 unter Hinweis auf die Bestimmungen des § 6 Abs. 2 lit. d Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) in der ab gültigen Fassung mit der Begründung ab, dass in der vom SMS vorgelegten ärztlichen Bescheinigung vom der Grad der Behinderung mit 40 vH. festgestellt worden sei. Der Antrag auf den Grundbetrag der Familienbeihilfe, den Erhöhungsbetrag der erhöhten Familienbeihilfe und den Kinderabsetzbetrag, sei daher abzuweisen gewesen. Weiters wies das FA darauf hin, dass für eine Gewährung, sowohl eine dauernde Erwerbsunfähigkeit als auch der Eintritt derselben vor dem 21. Lebensjahr bzw. 25. Lebensjahr im Zuge einer Berufsausbildung voraussetzend wäre. Das diesbezüglich vom Bf. nachgereichte Formular Beih vom sei als Beih 100 hinsichtlich des Grundbetrages der Familienbeihilfe gewertet worden.

Gegen den Abweisungsbescheid am wurde vom Bf. binnen der Rechtsmittelfrist Beschwerde erhoben und vorgebracht, dass das Gutachten auf wesentliche Aspekte nicht eingegangen sei. Das bei ihm erst im Jahre 2019 diagnostizierte Aspergersyndrom sei eine Störung, die von Geburt an bestehe. In seiner Kindheit sei zwar von Verwandten ungewöhnliches Verhalten festgestellt worden, von seinen Eltern aber nie etwas unternommen, aus einem Schutzbedürftnis heraus gegenüber dem Außen, begründet aus der Biographie seines Vaters. Tatsache sei, dass er aus diesem Grund nie spezielle Förderung erhalten habe. Herr Martin S., MSc, von der Sigmund-Freud-Privatuniversität habe, von ihm privat finanziert, ein Gutachten zu seiner Aspergerausprägung verfasst und habe in einer E-Mail vom auf Nachfrage auf folgendes Faktum hingewiesen:

Das Autismus-Spektrum sei eine tiefgreifende Entwicklungsstörung, die seit der Geburt bestehe. Es gebe keine Verhaltensweise, woran man einen Menschen, der sich im Spektrum befinde, direkt erkenne. Erst die Summe an beobachteten Verhaltensweisen würden das Bild einer Autismus-Spektrum-Störung ergeben. Jeder Mensch habe einzelne Verhaltensweisen, die auch im Spektrum zu beobachten seien, jedoch seien diese in Summe deutlich weniger als bei Menschen mit ASS ausgeprägt. Der Übergang zu einer "Störung" sei fließend. Daher sei es bei einer Diagnose wichtig zu beachten, ob eine Leidensdruck bestehe und/oder wesentliche Lebensbereiche wie Arbeit, Partnerschaft oder andere Beziehungen beeinträchtigt seien. Nach Abschluss der Matura und nach Absolvierung seines Zivildienstes in einem Altersheim habe er ein Studium der Psychologie begonnen, bei dem er gescheitert sei, dies aber erst nach sechs Jahren Studium realisiert habe, im Alter von 25 Jahren; in der Begründung der Ablehnung werde genannt, dass die Feststellung einer dauernden Erwerbsunfähigkeit bis zum 25. Lebensjahr hätte erfolgen müssen - diese sei aber eben mit seiner Autismusausprägung zusammengehängt, die erst letztes Jahr festgestellt worden sei und erst an der "Arbeitsdiagnostischen Analyse" (ADA) in Schiltern teilnehmen konnte und die ihm nach der Hälfte der Zeit die Arbeitsunfähigkeit attestiert habe.

Auch 2006, als er eine Pflegeausbildung begonnen habe, sei er gescheitert, weil seine praktischen Fertigkeiten, wie aus dem Bericht der ADA ersichtlich, unterdurchschnittlich seien. Von diesem Scheitern habe er aber seinen Eltern nie erzählt und erst 2014, als seine Mutter durch eine Erkrankung in Heimpflege habe müssen, habe sein Bruder, MMag. B., davon erfahren; bis dahin seien alle der Meinung gewesen, er hätte seine Ausbildung beendet. In der Zwischenzeit habe er sich mit geringfügigem Telefondienst beim Meinungsforschungsinstitut IFES, später auch kurzzeitig auch bei MAKAM, auf Honorarbasis bzw. geringfügig einen Zuverdienst erworben. Er habe immer bei seinen Eltern gewohnt, die für ihn aufgekommen seien und seit 2014 sei es sein Bruder, der die Wohnung erhalte. Dass er, wie im Sachverständigengutachten angegeben, selbständig vor Ort erschienen sei, hänge mit dem Erlernen des Aufsuchens von Orten in seiner Studienzeit zusammen - bei Asperger seien lange Einlernphasen notwendig. Sein Ernährungszustand sei so weit gut, wie im Gutachten festgestellt, weil sein Bruder ihm mitbekoche und weil er auch von der Nachbarin immer wieder etwas zu essen erhalte. Ohne sie wisse er nicht, wie es ihm heute gehen würde.

Laut Frau Mag. D. von der ADA bestehe ein Anspruch auf erhöhte Familienbeihilfe für den Zeitraum von Geburt an bis zum Ende der Zeit des Erhalts der Familienbeihilfe, entsprechend der Vorgabe des Familienlastenausgleichsgesetz von 1967 (FLAG), § 2/1 c.

Tatsache sei: Er sei noch nie, zu keinem Zeitpunkt seines Lebens, in der Lage gewesen, sich seinen eigenen Unterhalt zu verschaffen und für sich selbständig zu sorgen - in finanzieller Hinsicht (max. 300 € in einem Monat bei IFES, das sei maximal ein Zuverdienst) ebenso wenig, wie es das Erhalten einer Wohnstatt erfordern würde; umso weniger, was die praktischen Belange und Erledigungen seines Lebens betreffe.

Tatsache sei, dass die Psychologin als auch die Sozialarbeiterin ihm schriftlich bescheinigt hätten, dass er nicht in der Lage sei, am primären Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Die Damen hätten hingewiesen auf eine Schulung, bei der ihnen vermittelt worden sei, dass bei Vorliegen einer Erkrankung bzw. Störung wie Asperger, die zu Arbeitsunfähigkeit führe, man Anspruch habe auf erhöhte Familienbeihilfe habe, auch im Nachhinein, von Geburt an bis zum Ende der Fristen und dass dieser Anspruch zeitlich nicht verfalle. Sein Ansuchen beziehe sich also auf diesen Zeitraum.

Die oben genannten Einspruchsgründe seien die nie gegebene Selbsterhaltungsfähigkeit, mithin eine Arbeit, die das finanzielle Auskommen sichere und eine Autismus-Störung, die von Geburt an vorhanden gewesen sei und die in ihrer Ausprägung seine Arbeitsfähigkeit in einem normalen Setting mit ausreichendem Einkommen und beruflicher Absicherung nicht gewährleiste.

Als weitere Beweismittel könnten das Gutachten der Sigmund-Freud-Privatuniversität als auch das Gutachten von Frau Mag. D. von der ADA vorgelegt werden bzw. als Auskunftsperson könne sein Bruder MMag. B. gelten, da seine Eltern verstorben seien.

Aus diesen Gründen, Bezug nehmend auf die Erkenntnisse des Gutachtens von Herrn S., MSc, und aufgrund dieser speziellen biographischen Umstände, die nicht berücksichtigt worden seien, den seitens der Gutachter und die erheblichen Einfluss hätten bei jeder psychischen Störung, wolle er Beschwerde gegen den Abweisungsbescheid erheben.

Er stelle sohin den Antrag, den Bescheid vom aufzuheben und die erhöhte Familienbeihilfe rückwirkend für die Zeit von Geburt bis zum Abschluss des 18. Lebensjahres zuzuerkennen.

Das Finanzamt ersuchte das SMS auf Grund der eingebrachten Beschwerde um Erstellung eines weiteren Sachverständigengutachtens.

Dr.in N., Fachärztin für Psychiatrie, erstellte am auf Grund der Aktenlage folgendes Gutachten:

Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):

Befunde seit VGA:

Mag. S. kaum lesbar

Diagnose: Asperger Syndrom

Ausgangspunkt der Untersuchung war der Verdacht dass Herr W. unter einer Autismusspektrumstörung leiden könnte.

In der Anamnese nannte Herr W. als Grund für seine Arbeitslosigkeit sein langsames Arbeitstempo... Hier zeigten sich Beeinträchtigungen im Bereich der exekutiven Funktionen, welche bei einer Autismus-Störung auftreten können. Hier zeigte der Test an, dass Herr W. sich im Autismus-Spektrum befindet bei einer mittelschweren Beeinträchtigung.

Psychosoziales Zentrum Schiltern

1. Schul- und Berufsausbildung
Volksschule
Gymnasium Unter- und Oberstufe (Maturaabschluss)
Zivildienst
Psychologiestudium (nach 12 Semestern abgebrochen u.a. wegen Statistik)
Krankenpflegeschule (nach ca. 9 Monaten abgebrochen)
Grundmodul Tourismus (WIFI)

In gemeinsamen Gesprächen konnten keine nachvollziehbaren bzw. konkreten Gründe für sein auffälliges Verhalten benannt werden, wodurch sich der bereits in einer vorpsychologischen Untersuchung bestehende Verdacht einer Autismusspektrumstörung (Aspergersyndrom) verhärtete. Erschwert wurde eine umfassende Spezialdiagnostik in der Vergangenheit durch eine fehlende Krankenversicherung und Anbindung an geeignete Stellen. Diesbezüglich wurde Herr Wi. an die psychologische Ambulanz der Sigmund Freud Privatuniversität in Wien angebunden, wo derzeit eine genaue Abklärung der Diagnose erfolgt.

Es werden daher folgende Maßnahmen empfohlen:
Spezialdiagnostik in der Psychologischen Ambulanz der Sigmund Freud Privatuniversität in Wien zur umfassenden Abklärung und Befundung der Verdachtsdiagnose Aspergersyndrom wurde in die Wege geleitet (erster von mehreren wöchentlich stattfindenden Diagnostikterminen ist am ) sowie Facharzt für Psychiatrie

Beschäftigung in der Psychosozialen Tagesstätte (PTS) der Caritas in Paudorf: Schnuppertag wurde während ADA absolviert; Einstieg ist geplant, sobald ein entsprechender Facharztbefund vorhanden bzw. die Diagnostik in Wien abgeschlossen ist; SH-Antrag beim Magistrat notwendig

PSD Krems:

Bis zum Einstieg in die PTS Paudorf wird Herr Wi. seitens des Psychosozialen Dienstes Krems von Frau E. betreut und unterstützt (u.a. bei Behördenwegen)

Kontakt: DSA Frau A., Mail

Existenzielle Absicherung:
Antrag auf erhöhte Familienbeihilfe wurde gestellt
Antrag auf Berufsunfähigkeitspension ist geplant (über AMS)
Derzeit kein Anspruch auf Mindestsicherung
Krankenversicherung über Mitversicherung beim Bruder geplant
Beratung und Informationseinholung über Möglichkeiten der Erwachsenenvertretung beim Verein für Erwachsenenschutz
FLAG-VGA 06/2020: GdB 40 vH wegen Verhaltensmerkmale im Rahmen einer Störung aus dem Autismusspektrum

GdB seit 01/2019 Dauerzustand

Selbsterhaltung im Rahmen von Routinetätigkeiten ohne relevantem zeitlichen Druck möglich. Es liegen keine Befunde vor und es lässt sich auch aus den anamnestischen Angaben keine schwerwiegende Funktionseinschränkung in einem solchen Ausmaß bestätigen, dass eine daraus resultierende anhaltende Selbsterhaltungsunfähigkeit vor dem 18./21. LJ eingetreten ist.

Behandlung/en / Medikamente / Hilfsmittel: kein

Herr ***Bf1*** ist voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen: NEIN

Anmerkung bzw. Begründung betreffend die Fähigkeit bzw. voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen:

Der AS hat das Gymnasium mit Matura abgeschlossen (soweit aus dem Vorgutachten erhoben werden konnte ohne sonderpädagogischem Förderbedarf), anschließend war er tauglich für den Heeresdienst und hat 1997 den Zivildienst absolviert. Seit 1996 besetzt er den Führerschein der Gruppe A und B. Von 1998-2004 hat er ein Psychologiestudium absolviert jedoch nicht beendet. Dies zeigt, dass eine Selbsterhaltungsfähigkeit trotzt der 2019 gestellten Diagnose eines Aspergersyndroms erreicht wurde, auch wenn er anschließend bis auf eine Anstellung als freier Dienstnehmer (10-15 Wochenstunden) am Arbeitsmarkt keine Vollzeitanstellung erreichen konnte.

X Dauerzustand"


Das FA wies die Beschwerde des Bf. unter Zugrundelegung der in dem vorstehend angeführten Gutachten getroffenen Feststellungen mit Beschwerdevorentscheidung vom mit folgender Begründung ab:

Gemäß § 6 Abs. 2 lit. d FLAG 1967 in der ab gültigen Fassung, hätten volljährige Vollwaisen und ihnen gleichgestellte Kinder, die wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst Unterhalt zu verschaffen, Anspruch auf Familienbeihilfe.

Gemäß § 8 Abs. 4 FLAG 1967 erhöhe sich die Familienbeihilfe für jedes erheblich behinderte Kind. Voraussetzung für den Erhöhungsbetrag sei, dass der Grundbetrag an Familienbeihilfe zustehe.

Gemäß § 8 Abs. 5 FLAG 1967 gelte ein Kind als erheblich behindert, bei dem nicht nur eine vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung bestehe. Als nicht nur vorübergehend gelte ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren.

Der Grad der Behinderung müsse mindestens 50 % betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handle, das voraussichtlich dauernd außerstande sei, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Nach § 8 Abs. 6 FLAG 1967 sei der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine Bescheinigung des Sozialministeriumservice auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen.

Die ärztliche Bescheinigung bilde jedenfalls die Grundlage für die Entscheidung, ob die erhöhte Familienbeihilfe zustehe, sofern das Leiden und der Grad der Behinderung einwandfrei daraus hervorgehen würden. Eine andere Form der Beweisführung sei nicht zugelassen.

Was ein ärztliches Zeugnis betreffend das Vorliegen einer Behinderung im Sinne des FLAG anlange, so habe ein solches Feststellungen über die Art und das Ausmaß des Leidens sowie auch der konkreten Auswirkungen der Behinderung auf die Erwerbsfähigkeit in schlüssiger und damit nachvollziehbarer Weise zu enthalten (Verweis auf das Erkenntnis des ). Die Abgabenbehörde habe gemäß § 167 Abs. 2 BAO unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Abgabenverfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen sei oder nicht.

Im vorliegenden Fall habe der Bf. einen Eigenantrag auf Familienbeihilfe und erhöhte Familienbeihilfe rückwirkend ab Februar 2015 gestellt. Bei der am durchgeführten ärztlichen Untersuchung durch das Sozialministeriumservice sei der Gesamtgrad der Behinderung mit 40 v.H. diagnostiziert worden. Der Bf. sei laut It. ärztlichen Sachverständigengutachten nicht dauernd außerstande sich den Unterhalt selbst zu verschaffen.

Es sei eine Abweisung ab Februar 2015 ergangen. Im Zuge des Beschwerdeverfahrens sei ein weiteres Gutachten abverlangt worden und bei der neuerlichen Untersuchung am der Gesamtgrad der Behinderung mit 50 % v.H. und wiederum nicht dauernd außerstande festgestellt worden. Somit liege keine dauernde Behinderung vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, vor.

Der Bf. stellte fristgerecht einen Vorlageantrag an das Bundesfinanzgericht (BFG) (Schreiben vom , eingelangt beim Finanzamt am ) und ersuchte um nochmalige Untersuchung, da die seitens des SMS durchgeführte Untersuchung nicht ordentlich durchgeführt worden sei. Das Gutachten seitens der Amtsärztin des SMS sei auf wesentliche Aspekte nicht eingegangen, und das neuerlich.

1. sei NICHT auf das im Jahre 2019 diagnostizierte Aspergersyndrom Bezug genommen worden, das nur von Geburt an vorliegen könne und allein damit schon einen Anspruchsgrund für die erhöhte Familienbeihilfe darstelle.

2. sei das Gutachten seitens der "Arbeitsdiagnostischen Analyse" (ADA) in Schiltern NICHT berücksichtigt worden, das ihm Arbeitsunfähigkeit attestiere.

3. sei keine Untersuchung vorgenommen worden, wie sie in der Beschwerdevorentscheidung mit angegeben worden sei; zumal ein ursprünglicher Termin am vorgesehen gewesen sei, bei dem sein Bruder MMag. B. zur Unterstützung mitgekommen wäre, und der Termin dann zwei Stunden (!) vor Stattfinden abgesagt worden sei. Zu diesem Termin hätten nur die Gutachten der ADA und der Sigmund-Freud-Privatuniversität abgegeben werden können. Interessant sei in diesem Zusammenhang, dass dieser persönliche Termin nicht zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt worden sei und drei Monate später auf einmal eine Entscheidung OHNE Termin möglich war.

4. müssten bei einer solchen Begutachtung sämtliche Beweise berücksichtigt werden, um zu einer Einschätzung des Gesamtgrades der Behinderung zu kommen; dies sei offensichtlich NICHT der Fall gewesen, denn es stelle sich die Frage, worauf sich die Festlegung denn sonst stütze als auf die dargebrachten Beweise und die in der Beschwerde niedergeschriebene Anamnese. Als Grund für die Abweisung der Beschwerde bzw. die zweimalige Ablehnung des Antrags dann alleine diesen am festgesetzten Grad anzuführen, erscheine als reine Willkür.

Es sei noch erwähnt, dass mittlerweile sieben oder acht Sozialarbeiter von diesem Fall Kenntnis genommen hätten und ausnahmslos alle bescheinigen würden, dass dem Antrag auf erhöhte Familienbeihilfe, rückwirkend für die Zeit von Geburt bis zum Abschluss des 18. Lebensjahres, stattzugeben sei und darum fünf Jahre rückwirkend zuzuerkennen sei. Es sei zusätzlich geplant, ein psychiatrisches Gutachten beizugeben, da auch schon eine F-Diagnose seitens Frau Dr. K. aus Krems vorliege.

Er könne nichts dafür, dass er mit seiner Veranlagung zur Welt gekommen sei, dass diese nicht früher festgestellt worden sei und er im Sinne der gesellschaftlichen Konventionen nicht imstande sei, sich selbst zu erhalten. Diese Tatsachen außer Acht zu lassen und nicht zu erkennen, dass er Hilfe benötige und dass er Recht auf das habe, was ihm zustehe, sei ein Akt der Ignoranz.

Er stelle sohin den Vorlageantrag, die Beschwerdevorentscheidung vom aufzuheben, eine erneute Überprüfung mit persönlicher Vorsprache anzusetzen und die maßgeblichen Beweise zu berücksichtigen.

Am wurde der Akt dem Bundesfinanzgericht (in Folge kurz: BFG) zur Entscheidung vorgelegt.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Feststellungen:

Der Bf. ist am 1978 geboren und vollendete am 1999 das 21. Lebensjahr.

Aus der Anamnese der Sachverständigengutachten (vom und ) ergibt sich Folgendes:

Der Bf. besuchte nach der Volksschule die Unter- und Oberstufe eines Gymnasiums und schloss dieses mit Matura ab. Nach Absolvierung des Zivildienstes (1997) begann der Bf. im Jahr 1998 ein Psychologiestudium, welches er nach sechs Jahren (im Jahr 2004) abbrach. Ab 2005 war der Bf. arbeitsuchend und im Jahr 2006 neun Monate in einer Krankenpflegeschule. Von Oktober 2007 bis 2014 war der Bf. als freier Dienstnehmer für 10 bis 15 Stunden am Institut für empirische Sozialforschung (Telefoninterviews im Call Center in Wien) tätig. Von Oktober 2018 bis Dezember 2018 besuchte der Bf. beim Wifi das Grundmodul für Koch/Kellner. Von Oktober 2019 bis Februar 2020 absolvierte der Bf. ein Arbeitstraining im Zentrum Schiltern. Seit 2020 engagiert sich der Bf. freiwillig in einem Museum und erhält dafür ein kleines Taschengeld. Der Bf. hat keinen Erwachsenenvertreter und bezieht neben Mieteinkünften aus einer ererbten Wohnung keine weiteren Einkünfte und keine Waisenrente. Der Bf. besitzt seit 1996 den Führerschein (A, B), ist ledig und lebt mit seinem jüngeren Bruder in einer Eigentumswohnung.

Die mit dem Gutachten vom befasste Fachärztin für Psychiatrie reihte die Erkrankung des Bf. nach Anamneseerhebung und durchgeführter Untersuchung sowie unter Einbeziehung der vorgelegten Befunde unter die Pos.Nr. der Einschätzungsverordnung und setzte den Gesamtgrad der Behinderung mit 40 vH rückwirkend ab Jänner 2019 fest. Eine voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit wurde dem Bf. mit der Begründung nicht bescheinigt, dass Selbsterhaltung im Rahmen von Routinetätigkeiten ohne relevantem zeitlichen Druck möglich ist. Es lagen keine Befunde vor und es ließ sich auch aus den anamnestischen Angaben keine schwerwiegende Funktionseinschränkung in einem solchen Ausmaß bestätigen, dass eine daraus resultierende anhaltende Selbsterhaltungsunfähigkeit vor dem 18./21. Lebensjahr eingetreten ist.

Im Aktengutachten vom reihte Dr.in N., Fachärztin für Psychiatrie, die Erkrankung des Bf. unter die Richtsatzposition der Einschätzungsverordnung und setzte den Gesamtgrad der Behinderung mit 50 vH rückwirkend ab Jänner 2019 fest. Die Er-höhung des Grades der Behinderung wurde mit der Vorlage antragsrelevanter Befunde (***2***, Msc und ***1***, BA) begründet.

Eine Erwerbsunfähigkeit wurde mit der Begründung nicht bescheinigt, dass der Bf. das Gymnasium mit Matura abgeschlossen hat. Soweit aus dem Vorgutachten erhoben werden konnte, ist dies ohne sonderpädagogischem Förderbedarf erfolgt. Anschließend war der Bf. für den Heeresdienst tauglich und hat 1997 den Zivildienst absolviert. Seit 1996 besitzt er den Führerschein der Gruppe A und B. Von 1998 bis 2004 hat er ein Psychologiestudium absolviert, jedoch nicht beendet. Dies zeigt, dass eine Selbsterhaltungsfähigkeit trotz der 2019 gestellten Diagnose eines Aspergersyndroms erreicht wurde, auch wenn er anschließend bis auf eine Anstellung als freier Dienstnehmer (10-15 Wochenstunden) am Arbeitsmarkt keine Vollzeitanstellung erreichen konnte.

Die rückwirkende Feststellung des Gesamtgrades der Behinderung ab Jänner 2019 wurde unter Heranziehung des auf Grund einer psychologischen Untersuchung erstellten Befundes von Dr. St. vom vorgenommen.

Es ist somit nicht feststellbar, dass die voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit vor Vollendung des 21. bzw. 25. Lebensjahres eingetreten ist.

Beweiswürdigung:

Der festgestellte Sachverhalt beruht auf den durchgeführten Anamnesen, den vom Bf. vorgelegten Befunden und Unterlagen (Mag. St. vom , Psychiaterin Dr. K. vom , Befund S., MSc vom März 2020, Begleitschreiben D., BA) sowie den Sachverständigengutachten vom und vom (Aktengutachten).

Das BFG gelangt aus den nachstehend angeführten Gründen zum Ergebnis, dass die in den Gutachten getroffenen Feststellungen, wonach vor dem 21. bzw. 25. Lebensjahr kein Gesamtgrad der Behinderung von 50 % und keine voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit vorgelegen ist, mit größter Wahrscheinlichkeit den Tatsachen entspricht.

Die Gutachten sind schlüssig, nachvollziehbar und widerspruchsfrei.

Auf die Art der Leiden und deren Ausmaß wurde ausreichend eingegangen.

Die durch den Bf. vorgelegten Befunde und Angaben sind allesamt in die Beurteilung eingeflossen und stehen nicht im Widerspruch zu den gutachterlichen Beurteilungen.

Die Divergenz bezüglich des Ausmaßes des Gesamtgrades der Behinderung wurde nachvollziehbar begründet.

Gesetzliche Grundlagen:

Nach § 6 Abs. 2 lit. d FLAG 1967 haben volljährige Vollwaisen Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn auf sie die Voraussetzungen des Abs. 1 lit. a bis c zutreffen und wenn sie wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außer Stande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen und sich in keiner Anstaltspflege befinden.

§ 8 Abs. 4 FLAG 1967 legt fest, in welchem Ausmaß sich die Familienbeihilfe bei einem erheblich behinderten Kind erhöht.

Nach § 8 Abs. 5 erster Satz FLAG 1967 gilt als erheblich behindert ein Kind, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht.

Gemäß § 8 Abs. 6 FLAG 1967 ist der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen (nunmehr: Sozialministeriumservice) auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen.

Gemäß § 8 Abs. 7 FLAG 1967 gelten die Abs. 4 bis 6 sinngemäß für Vollwaisen, die gemäß § 6 Anspruch auf Familienbeihilfe haben.

Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 8 Abs. 5 FLAG 1967 gilt ein Kind als erheblich behindert, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung muss mindestens 50 vH betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Voraussetzung für den Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe

Voraussetzung für den Erhöhungsbetrag ist, dass der Grundbetrag an Familienbeihilfe zusteht (vgl. FLAG-Kommentar, Csaszar/Lenneis/Wanke, Rz 5 zu § 8). Das bedeutet, dass bei volljährigen Kindern, denen nicht schon aus anderen Gründen als aus dem Titel der Behinderung der Grundbetrag an Familienbeihilfe zusteht, der Grad der Behinderung ohne jede Bedeutung ist, und würde er auch 100 % betragen. Besteht also keine vor dem 21. (25.) Lebensjahr eingetretene voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, steht weder Grund- noch Erhöhungsbetrag zu. Besteht eine derartige Unterhaltsunfähigkeit, stehen sowohl Grund- als auch Erhöhungsbetrag zu (Lenneis in Csaszar/Lenneis/Wanke, FLAG, § 8 Rz 21).

Einschätzungsverordnung

Für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind § 14 Abs. 3 des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, in der jeweils geltenden Fassung, und die Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung) vom , BGBl. II Nr. 261/2010, in der jeweils geltenden Fassung anzuwenden. Die erhebliche Behinderung ist spätestens nach fünf Jahren neu festzustellen, soweit nicht Art und Umfang eine Änderung ausschließen.

In der Einschätzungsverordnung, BGBl. II Nr. 261/2010, geändert durch BGBl. II Nr. 251/2012, ist Folgendes normiert:

§ 2. (1) Die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen sind als Grad der Behinderung zu beurteilen. Der Grad der Behinderung wird nach Art und Schwere der Funktionsbeeinträchtigung in festen Sätzen oder Rahmensätzen in der Anlage dieser Verordnung festgelegt. Die Anlage bildet einen Bestandteil dieser Verordnung.

(2) Bei Auswirkungen von Funktionsbeeinträchtigungen, die nicht in der Anlage angeführt sind, ist der Grad der Behinderung in Analogie zu vergleichbaren Funktionsbeeinträchtigungen festzulegen.

(3) Der Grad der Behinderung ist nach durch zehn teilbaren Hundertsätzen festzustellen. Ein um fünf geringerer Grad der Behinderung wird von ihnen mit umfasst. Das Ergebnis der Einschätzung innerhalb eines Rahmensatzes ist zu begründen.

Bescheinigung des Sozialministeriumservice

Nach § 8 Abs. 6 FLAG 1967 ist der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine Bescheinigung des Sozialministeriumservice (früher: Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens) nachzuweisen.

Damit hat der Gesetzgeber die Frage des Grades der Behinderung der eigenständigen Beurteilung der Familienbeihilfenbehörden entzogen und dafür ein qualifiziertes Nachweisverfahren eingeführt, bei dem eine für diese Aufgabenstellung besonders geeignete Institution (nämlich das SMS) eingeschaltet wird und der ärztliche Sachverstand die ausschlaggebende Rolle spielt (Erkenntnis des ).

Das nach dieser Bestimmung abzuführende qualifizierte Nachweisverfahren durch ein ärztliches Gutachten (vgl. dazu , und , sowie ) hat sich im Fall, dass ein volljähriger Antragsteller die erhöhte Familienbeihilfe beantragt, darauf zu erstrecken, ob die 50%ige Behinderung oder die Erwerbsunfähigkeit bereits vor Vollendung des 21. Lebensjahres (oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres) eingetreten ist (vgl. etwa ).

Das Gesetz geht somit klar davon aus, dass die Behinderung kausal sein muss für das geforderte "außer Stande Sein" und dieser Umstand bereits vor Vollendung des - gegenständlich - 25. Lebensjahres gegeben sein muss (vgl. Lenneis in Csaszar/Lenneis/Wanke, FLAG, § 8 Tz 21). Andere als behinderungskausale Gründe (wie z.B. mangelnde oder nicht spezifische Ausbildung, die Arbeitsplatzsituation, Arbeitsunwilligkeit, oÄ) dürfen für die Beurteilung ebenso wenig herangezogen werden wie eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes (etwa auch durch Folgeschäden) nach Vollendung des 21./25. Lebensjahres.

Ein Gutachten zu einer solchen Sachfrage ist die begründete Darstellung von Erfahrungssätzen und die Ableitung von Schlussfolgerungen für die tatsächliche Beurteilung eines Geschehens oder Zustands auf der Basis des objektiv feststellbaren Sachverhaltes durch einen oder mehrere Sachverständige. Sachverständige haben dabei fundierte und wissenschaftlich belegbare konkrete Aussagen zu treffen und dürfen ihre Beurteilungen und Feststellungen nicht auf Spekulationen, sondern ausschließlich auf die festgestellten Tatsachen, verbunden mit ihrem fachspezifischen Wissen, stützen. Alleine die Möglichkeit, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt ein bestimmter Sachverhalt vorgelegen sein könnte, reicht dabei keinesfalls aus, diesen Sachverhalt gutachterlich als gegeben anzusehen und zu bestätigen (vgl. zB ).

Die sachverständigen Ärzte des SMS ziehen bei ihrer Diagnoseerstellung bzw. bei der Feststellung, wann die Erwerbsunfähigkeit eingetreten ist, neben den Untersuchungsergebnissen und ihrem Fachwissen regelmäßig die von den Antragstellern vorgelegten Befunde heran. Hilfreich sind dabei vor allem "alte" Befunde, Arztbriefe etc., die darauf schließen lassen, dass die dauernde Erwerbsunfähigkeit auf Grund einer Erkrankung bereits vor dem 21. Lebensjahr (bzw. wenn sich der Antragsteller noch in schulischer Ausbildung befand, das 25. Lebensjahr) eintrat (vgl. , vgl. auch das Erkenntnis des ).

Das ärztliche Zeugnis betreffend das Vorliegen einer Behinderung iSd FLAG hat Feststellungen über die Art und das Ausmaß des Leidens sowie auch der konkreten Auswirkungen der Behin-derung auf die Erwerbsfähigkeit in schlüssiger und damit nachvollziehbarer Weise zu enthalten (vgl. , ) und bildet die Grundlage für die Entscheidung, ob die erhöhte Familienbeihilfe zusteht, sofern das Leiden und der Grad der Behinderung einwandfrei daraus hervorgehen und das/die Gutachten nicht unschlüssig sind.

Zu verweisen ist in diesem Zusammenhang auch ausdrücklich auf das Erkenntnis des , in dem der Verfassungsgerichthof keine Bedenken äußerte, dass der Gesetzgeber die Frage der Unfähigkeit sich selbst den Lebensunterhalt zu verschaffen durch die Änderung des § 8 Abs. 6 FLAG durch BGBl 2002/105 ab den medizinischen Sachverständigen übertrug:

"Aus Wortlaut und Entstehungsgeschichte der in Rede stehenden Norm (Anm: § 8 Abs. 6) ergibt sich somit, dass der Gesetzgeber nicht nur die Frage des Grades der Behinderung, sondern (seit 1994) auch die (damit ja in der Regel unmittelbar zusammenhängende) Frage der voraussichtlich dauernden Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, der eigenständigen Beurteilung der Familienbeihilfenbehörden entzogen und dafür ein qualifiziertes Nachweisverfahren eingeführt hat, bei dem eine für diese Aufgabenstellung besonders geeignete Institution eingeschaltet wird und der ärztliche Sachverstand die ausschlaggebende Rolle spielt. Dem dürfte die Überlegung zugrunde liegen, dass die Frage, ob eine behinderte Person voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, nicht schematisch an Hand eines in einem bestimmten Zeitraum erzielten Einkommens, sondern nur unter Berücksichtigung von Art und Grad der Behinderung bzw der medizinischen Gesamtsituation der betroffenen Person beurteilt werden kann. Damit kann auch berücksichtigt werden, dass gerade von behinderten Personen immer wieder - oft mehrmals - Versuche unternommen werden, sich in das Erwerbsleben einzugliedern, bei denen jedoch die hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass sie aus medizinischen Gründen auf längere Sicht zum Scheitern verurteilt sein werden. Der Gesetzgeber hat daher mit gutem Grund die Beurteilung der Selbsterhaltungsfähigkeit jener Institution übertragen, die auch zur Beurteilung des Behinderungsgrades berufen ist. Die Beihilfenbehörden haben bei ihrer Entscheidung jedenfalls von dieser durch ärztliche Gutachten untermauerten Bescheinigung auszugehen und können von ihr nur nach entsprechend qualifizierter Auseinandersetzung abgehen."

Bindung der Abgabenbehörde und des Bundesfinanzgerichtes an die Sachverständigengutachten des Sozialministeriumservice

Auf zahlreichen Rechtsgebieten ist die medizinische Expertise zur Vorbereitung rechtlicher Entscheidungen essentiell. Die vom SMS erstellten Gutachten sind Grundlage der rechtlichen Entscheidung durch das Finanzamt (die belangte Behörde) und das BFG.

Das Finanzamt und das BFG sind an die Gutachten des SMS gebunden und dürfen diese nur insoweit prüfen, ob diese schlüssig und vollständig sind und im Fall mehrerer Gutachten oder einer Gutachtensergänzung nicht einander widersprechen (vgl. , Erkenntnisse VwGH jeweils vom , 2009/16/0307 und 2009/16/0310). Erforderlichenfalls ist für deren Ergänzung zu sorgen (; ; ). Eine andere Form der Beweisführung ist nicht zugelassen (vgl. ua.).

Der Antragsteller hat die Möglichkeit, Unvollständigkeiten und Unschlüssigkeiten eines Gutachtens im Rahmen des Verfahrens der Behörde aufzuzeigen oder einem Gutachten (etwa durch Beibringung eines eigenen Gutachtens) auf gleicher fachlicher Ebene entgegenzutreten (vgl. ).

Derartige Befunde stehen den Sachverständigen erfahrungsgemäß selten zur Verfügung. Die Feststellung, ob die voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit bereits vor dem 21. Lebensjahr (bzw. bei Berufsausbildung vor dem 25. Lebensjahr) gegeben war, kann daher naturgemäß nicht mit Sicherheit, sondern nur mit hoher Wahrscheinlichkeit festgestellt werden. Dies vor allem, wenn Erkrankungen im psychischen Bereich angesiedelt sind, da diese oft einen schleichenden Verlauf nehmen oder unterschiedlich stark ausgeprägt sind.

Auch im vorliegenden Fall wurden vom Bf. keine Befunde vorgelegt, die für die Sachverständigen den Schluss zugelassen hätten, dass beim Bf. bereits vor dem 21. bzw. 25. Lebensjahr eine 50%ige Behinderung oder eine voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit vorlag, da die Befunde erst aus den Jahren 2019, 2020 und 2021 stammen.

Zum Vorbringen des Bf., wonach in den Gutachten nicht auf das im Jahre 2019 diagnostizierte Aspergersyndrom Bezug genommen worden sei, diese Erkrankung nur von Geburt an vorliegen könne und allein schon damit einen Anspruchsgrund für die erhöhte Familienbeihilfe darstelle und dass die "Arbeitsdiagnostische Analyse" (ADA) in Schiltern nicht berücksichtigt worden sei, welche ihm Arbeitsunfähigkeit attestiere, wird Folgendes ausgeführt:

Beim Aspergersyndrom handelt es sich um eine Autismus-Spektrum-Störung (Entwicklungsstörung), die durch ein charakteristisches Muster von sozialen, kommunikativen und stereotypen, repetitiven Verhaltensweisen gekennzeichnet ist, von Kindheit an besteht, sich bis ins hohe Erwachsenenalter persistiert. Erhebliche psychosoziale Beeinträchtigungen erstrecken sich über berufliche, soziale und partnerschaftliche Lebensbereiche. Aus dem Umstand der Kurzfristigkeit von Beschäftigungen oder einer Teilzeitbeschäftigung kann nicht zwingend der Schluss gezogen werden, dass zu einer bestimmten Zeit eine Erwerbsunfähigkeit auf Grund einer gesundheitlichen Beeinträchtigung bestanden hat. Alleine das Bestehen einer Möglichkeit bzw einer (wenn auch überwiegenden) Wahrscheinlichkeit ist in Anbetracht der bestehenden Unsicherheiten für die gutachterliche Feststellung des Vorliegens einer dauernden Erwerbsunfähigkeit zu einem lange zurückliegenden Zeitraum als Faktum nicht ausreichend (, vgl. hierzu auch das Erkenntnis des ).

Werden vom Bf. weitere Beweismittel vorgelegt, ist es Sache des Sachverständigen, die Tauglichkeit dieser vom Beschwerdeführer angebotenen weiteren Beweismittel an Hand seiner Sachkunde zu beurteilen (). Dies ist im vorliegenden Fall auch so geschehen: die zweite Fachärztin (Dr. N.) hat ihr Gutachten sowohl auf Basis der vom Bf. vorgelegten Befunde (ADA, D. und ***2***), als auch dem Beschwerdevorbringen erstellt. Dies wird auch im Vorlageantrag nicht bestritten (s. Vorlageantrag S. 2: "Zu diesem Termin konnten nur die Gutachten der ADA und der Sigmund-Freud-Privatuniversität abgegeben werden"). Entgegen dem Beschwerdevorbringen geht die Ärztin in ihrem Gutachten auch darauf ein, dass das Aspergersyndrom diagnostiziert wurde (s. S. 3: "Dies zeigt, dass eine Selbsterhaltungsfähigkeit trotzt der 2019 gestellten Diagnose eines Aspergersyndroms erreicht wurde, …"). Nicht zuletzt hat der Befund des Hrn. S. und das Schreiben der ADA, D. im Gutachten der Dr. N. zur Erhöhung des Grades der Behinderung von 40% auf 50% geführt. Von einer Nichtberücksichtigung dieser Unterlagen kann daher keine Rede sein.

Zum Befund des ***2***, Msc, Psychologe, Klinischer Psychologe in Ausbildung, erlaubt sich das Gericht festzuhalten, dass auch dieser in seinem psychologischen Befund vom März 2020 keinen Hinweis auf den Zeitpunkt der Erwerbsunfähigkeit liefert. Auch aus dem Auszug des angeführten E-Mails im Vorlageantrag (Anm: das Mail selbst wurde nicht vorgelegt) kann kein (konkreter) Zeitpunkt geschlossen werden. Aus dem Hinweis, dass das Autismus-Spektrum seit der Geburt besteht, lässt sich der gesetzlich geforderte Zeitpunkt der Erwerbsunfähigkeiten ebenso nicht ableiten. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist für die Erfüllung des Tatbestandes des § 6 Abs. 2 lit. d FLAG aber bei geistiger oder körperlicher Behinderung der Zeitpunkt maßgeblich, zu dem die Behinderung (als Folge der allenfalls schon länger bestehenden Krankheit) eine Erwerbsunfähigkeit bewirkt. Es kommt weder auf den Zeitpunkt an, zu dem sich eine Krankheit als solche äußert, noch auf den Zeitpunkt, zu welchem diese Krankheit zu (irgend)einer Behinderung führt (vgl. , , ).

Zusammenfassend wird festgestellt, dass das Vorbringen des Bf. nicht geeignet war, den in den Gutachten getroffenen Feststellungen die Schlüssigkeit abzusprechen. Vielmehr wäre es in einem Fall wie dem vorliegenden, bei dem Jahrzehnte zurückliegende Sachverhaltselemente entscheidungsrelevant sind, am Bf. gelegen gewesen, Befunde vorzulegen, die seitens der Sachverständigen den Schluss zugelassen hätten, dass seine Erkrankung schon vor dem 21. bzw. vor dem 25. Lebensjahr ein Ausmaß von 50 vH bzw. eine voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit erreicht hat (vgl. , vgl. weiters Lenneis in Csaszar/Lenneis/Wanke, FLAG, § 8 Rz 32).

Mit dem Einwand, dass im Zuge der Erstellung des zweiten Gutachtens keine Untersuchung stattgefunden habe und sein Bruder MMag. B. zur Unterstützung mitgekommen wäre, kann der Bf. ebenfalls nichts für sich gewinnen, da es dem Sachverständigen überlassen bleibt, ob er bei der Gutachtenserstellung eine bereits durchgeführte Untersuchung und die dabei vorgelegten Unterlagen als für eine Beurteilung ausreichend erachtet. Auch "ein reines Aktengutachten" kann ausreichend sein. Der Sachverständige hat sich bei der Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes jener Hilfsmittel zu bedienen, die seine Wissenschaft entwickelt hat, um ein verlässliches Gutachten abzugeben. Die vom Sachverständigen bei der Aufnahme des Befundes anzuwendende Methode hängt ausschließlich von objektiven fachlichen Gesichtspunkten ab (). Weshalb bei einer Beurteilung eines Zustandsbildes, das annähernd 40 Jahre zurückliegt, eine persönliche Untersuchung des Bf. geeignet gewesen wäre, über die von der Gutachterin herangezogenen ärztlichen Befunde früherer Jahre hinaus den Sachverhalt näher aufzuklären, hat der Bf. weder mit seinem im Verwaltungsverfahren gestellten Antrag noch in der Beschwerde (bwz. Im Vorlageantrag) dargetan (s. ; Lenneis in Lenneis/Wanke (Hrsg), FLAG, 2. Aufl. 2020, § 8, II. Erhebliche Behinderung [Rz 31].

Auch dem Antrag auf Befragung des Bruders des Bf. als Auskunftsperson konnte der Beschwerde nicht zum Erfolg verhelfen, da weder Bekundungen der Eltern über den Gesundheitszustand ihres Kindes noch anderer Personen, mögen sie auch über fachärztliche Kenntnisse verfügen, der Entscheidungsfindung zu Grunde zu legen sind, vgl. : "Die Feststellung des Behinderungsgrades eines Kindes, für welches erhöhte Familienbeihilfe nach § 8 Abs. 4 FamLAG beantragt wurde, hat nach den Bestimmungen des § 8 Abs. 6 FamLAG auf dem Wege der Würdigung ärztlicher Sachverständigengutachten zu erfolgen, ohne dass den Bekundungen des anspruchswerbenden Elternteils (bzw. hier: des Bruders) dabei entscheidende Bedeutsamkeit zukäme." Liegen schlüssige Sachverständigengutachten vor, kommen Bekundungen des Bruders und der Sozialarbeiter, an welchen Krankheiten der Bf. leide, keine Bedeutung zu (vgl. ). Aus demselben Grund war auch kein neues Gutachten zu beauftragen.

Eine Unschlüssigkeit oder Unvollständigkeit der beiden Gutachten liegt gegenständlichen ebenso wenig vor wie ein Widerspruch derselben. In beiden Gutachten wurde zutreffend und unwidersprochen darauf hingewiesen, dass ärztliche Befundnachweise für die Erkrankung des Bf. erst ab 01/2019, somit erst ab dem 40. Lebensjahr vorliegen; frühere Befunde wurden auch im Beschwerdeverfahren nicht vorgelegt. Ein medizinischer Sachverständiger kann in derartigen Fällen lediglich auf Grund von Indizien in Verbindung mit seinem spezifischen Fachwissen Rückschlüsse ziehen, zu welchem Zeitpunkt nun tatsächlich eine erhebliche Behinderung oder die Unfähigkeit sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, eingetreten ist. Persönlichkeitsstörungen können erfahrungsgemäß unterschiedlich schwer ausgebildet sein, je nach Ursache unterschiedlichste Defizite und Symptome zeigen. Das Ausmaß der Defizite (Symptome) hängt nicht nur von der Ursache der Erkrankung ab, sondern auch von anderen Faktoren (therapeutische Interventionen, soziales Lebensumfeld, Fördermaßnahmen). Angesichts dessen ist es für das BFG nicht unschlüssig, wenn eine rückwirkende Feststellung des Zeitpunktes des Eintrittes einer dauernden Erwerbsunfähigkeit für den medizinischen Sachverständigen erst ab dem Vorliegen entsprechender ärztlicher Befunde (hier: ab 01/2019) möglich ist.

Daran vermögen auch die Ausführungen in der Beschwerde und im Vorlageantrag, wonach der Bf. leide seit seiner Geburt daran leide nichts zu ändern, da die Gutachten auf das Krankheitsbild konkret eingegangen sind und es schlüssig bewertet haben.

Insgesamt gesehen erweisen sich die vorliegenden ärztlichen Gutachten, in denen der Eintritt der dauernden Erwerbsfähigkeit vor Vollendung des 21. bzw. 25. Lebensjahres verneint wurde, als schlüssig und waren daher der rechtlichen Beurteilung zugrunde zu legen. Da somit im gegenständlichen Fall die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 lit. d FLAG für die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe nicht erfüllt sind, war spruchgemäß zu entscheiden.

Kein Antrag auf mündliche Verhandlung nach § 274 Abs 1 Z 1 BAO:

Ein Rechtsanspruch auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung setzt einen rechtzeitigen Antrag des Bf. voraus.

Der Bf. formulierte im Vorlageantrag: "[…] Es wird sohin der Vorlagsantrag gestellt: die Beschwerdevorentscheidung vom aufzuheben, eine erneute Überprüfung mit persönlicher Vorsprache anzusetzen und die maßgeblichen Beweise zu berücksichtigen."

Die Formulierung "Eine erneute Überprüfung mit persönlicher Vorsprache" stellt keinen Antrag nach § 274 Abs. 1 Z. 1 BAO dar (s. Ellinger/Sutter/Urtz, BAO3 § 274, E15ff; Ritz/Koran, BAO, 7. Aufl. (2021), § 274, II. Mündliche Verhandlung auf Antrag, Rz 5; vgl. auch 101/56: die Bitte, vor Erlassung der Berufungsentscheidung mit dem Bevollmächtigten Rücksprache zu halten; : das Ersuchen, zur Minimierung des verwaltungsökonomischen Zeiteinsatzes, falls erforderlich, um Einladung zu einer mündlichen Verhandlung über das gegenständliche Berufungsthema; : Antrag auf mündliche Darlegung des Sachverhaltes beim Vorstand des Finanzamtes; : Ersuchen um eine ausführliche mündliche Sachverhaltsdarstellung, um seine Glaubhaftigkeit zu untermauern, gleich direkt in der FLD; , ÖStZB 1997, 7; vgl auch , 94/15/0039, ÖStZB 1997, 302: ein Antrag auf "ausführliche mündliche Sachverhaltsdarstellung" kann nicht mit einem solchen auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung gleichgesetzt werden).

Der Vollständigkeit halber wird angemerkt, dass selbst wenn § 274 Abs. 1 Z. 1 BAO im Fall eines Antrages auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung im Vorlageantrag (der hier jedoch nicht vorliegt; siehe oben) diesbezüglich einen Rechtsanspruch vorsieht, wird im gegenständlichen Fall aus folgenden Gründen davon abgesehen:

Art. 6 Abs. 1 EMRK garantiert das Recht auf ein faires Verfahren als Grundrecht. Nach der Rechtsprechung des EGMR (vgl. die Entscheidung vom , Fall SPEIL v. Austria, Appl. 42057/98) kann das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung zwar dann ausnahmsweise als mit der EMRK vereinbar angesehen werden, wenn besondere Umstände ein Absehen von einer solchen Verhandlung rechtfertigen (vgl. hiezu etwa ). Solche besonderen Umstände nimmt der EGMR an, wenn das Vorbringen des Bf. nicht geeignet ist, irgendeine Tatsachen- oder Rechtsfrage aufzuwerfen, die eine mündliche Verhandlung erforderlich machen könnte (vgl. ). Es ist vor dem Hintergrund des Art. 6 Abs. 1 EMRK maßgeblich, welcher Natur die Fragen sind, die für die Beurteilung der gegen den angefochtenen Bescheid relevierten Bedenken zu beantworten sind. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß Art. 6 Abs. 1 EMRK kann dabei im Hinblick auf die Mitwirkungsmöglichkeiten im Verwaltungsverfahren regelmäßig unterbleiben, wenn das Vorbringen erkennen lässt, dass die Durchführung einer Verhandlung eine weitere Klärung der Entscheidungsgrundlagen nicht erwarten lässt (vgl. ua). Nach der Rechtsprechung des EGMR und - ihm folgend - des VfGH kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn die Tatfrage unumstritten und nur eine Rechtsfrage zu entscheiden ist oder wenn die Sache keine besondere Komplexität aufweist (vgl. VfSlg 18.994/2010, VfSlg 19.632/2012, ). Das Gericht kann unter Berücksichtigung der Anforderungen an Verfahrensökonomie und Effektivität von einer mündlichen Verhandlung absehen, wenn der Fall auf der Grundlage der Akten und der schriftlichen Stellungnahmen der Parteien angemessen entschieden werden kann (EGMR , Fall Döry, Appl. 28.394/95, Z37 ff.; EGMR , Fall Miller, Appl. 55.853/00, Z29).

Streitgegenständlich ist der Zeitpunkt des Auftretens des Aspergersyndroms und die damit einhergehende Frage der voraussichtlich dauernden Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Die maßgebliche Sachlage ist durch die vorliegenden schlüssigen Gutachten vollständig geklärt. Die Rechtsfragen in Zusammenhang mit dem Anspruch auf Familienbeihilfe sind durch die zitierte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ebenso geklärt.

Der Gesetzgeber hat durch die Bestimmung des § 8 Abs. 6 FLAG die Frage der voraussichtlich dauernden Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, der eigenständigen Beurteilung der Familienbeihilfenbehörden entzogen und dafür ein qualifiziertes Nachweisverfahren eingeführt, bei dem eine für diese Aufgabenstellung besonders geeignete Institution eingeschaltet wird und der ärztliche Sachverstand die ausschlaggebende Rolle spielt. Es ist daher vom BFG kein eigenständiges Beweisverfahren zur Frage, wann die dauernde Erwerbsunfähigkeit des Beschwerdeführers eingetreten ist, durchzuführen. In diese Richtung zielende Beweisanträge sind für das Beschwerdeverfahren weder geeignet noch zweckdienlich iSd § 166 BAO ().

Finanzamt Österreich

§ 323b Abs. 1 bis 3 BAO lautet i. d. F. BGBl. I Nr. 99/2020 (2. FORG)

§ 323b. (1) Das Finanzamt Österreich und das Finanzamt für Großbetriebe treten für ihren jeweiligen Zuständigkeitsbereich am an die Stelle des jeweils am zuständig gewesenen Finanzamtes. Das Zollamt Österreich tritt am an die Stelle der am zuständig gewesenen Zollämter.

(2) Die am bei einem Finanzamt oder Zollamt anhängigen Verfahren werden von der jeweils am zuständigen Abgabenbehörde in dem zu diesem Zeitpunkt befindlichen Verfahrensstand fortgeführt.

(3) Eine vor dem von der zuständigen Abgabenbehörde des Bundes genehmigte Erledigung, die erst nach dem wirksam wird, gilt als Erledigung der im Zeitpunkt des Wirksamwerdens für die jeweilige Angelegenheit zuständigen Abgabenbehörde.

Die gegenständliche Entscheidung ergeht daher an das Finanzamt Österreich.

Zulässigkeit einer Revision:

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die Lösung der Frage, unter welcher Voraussetzung die erhöhte Familienbeihilfe (Grundbetrag und Erhöhungsbetrag) zusteht, ergibt sich aus den bezughabenden Gesetzesbestimmungen. Bei der Frage, ob und ab wann eine "dauernde Erwerbsunfähigkeit" gegeben ist, handelt es sich um eine Tatfrage und ist das BFG an die vom Sozialministeriumservice erstellten Gutachten gebunden sofern diese schlüssig sind. Da sohin keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zu beurteilen war, ist eine Revision nicht zulässig.

Wien, am

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