Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 08.03.2022, RV/7105517/2016

Kein Wiederaufnahmsgrund bei nachträglich ausgestellten Lohnzetteln und fehlenden neu hervorgekommenen Tatsachen

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht erkennt durch die Richterin Mag. Heidemarie Winkler über die Beschwerde des ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vom gegen die Bescheide des Finanzamtes Wien 2/20/21/22, nunmehr Finanzamt Österreich, vom betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens (Einkommensteuer) 2007 sowie Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) 2007, zu Steuernummer ***BF1StNr1***

I. zu Recht:

Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.

Der angefochtene Wiederaufnahmebescheid betreffend Einkommensteuer 2007 wird - ersatzlos - aufgehoben.

II. fasst folgenden Beschluss:

Die Beschwerde betreffend Einkommensteuer 2007 wird gemäß § 261 Abs. 2 BAO als gegenstandslos erklärt.

Gegen dieses Erkenntnis und diesen Beschluss ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Der Beschwerdeführer, Herr ***Bf1***, in Folge kurz: BF, bringt am seine Einkommensteuererklärung (Arbeitnehmerveranlagung) für das Jahr 2007 beim Finanzamt ein; darin zugrunde gelegt wurden 3 Lohnzettel (***AG_Eur***, ***AG_UB*** und ***AG_X***), Arbeitslosengeld und Notstandshilfe. Am wird er antragsgemäß veranlagt und es kommt zu einer Gutschrift in Höhe von EUR 321,05.

Im Zuge einer abgabenbehördlichen Überprüfung (GPLA; gemeinsame Prüfung lohnabhängiger Abgaben) bei ***AG*** sei festgestellt worden, dass Lohnzahlungen an den BF erfolgt seien und dieser als Arbeitnehmer nichtselbstständige Einkünfte erzielt habe.

Der Lohnzettel des BF für das Jahr 2007 wurde entsprechend dieser Ergebnisse amtswegig korrigiert. Das Finanzamt nahm die Verfahren betreffend Einkommensteuer 2007 wieder auf und veranlagte den BF mit den 4 in den korrigierten Lohnzetteln ausgewiesenen Beträgen. Es kam zu einer Nachzahlung von EUR 926,05,-.

Die Wiederaufnahme vom selbst begründete das Finanzamt wie folgt:

Im neuen Einkommensteuerbescheid vom wurden nun folgende Einkünfte erfasst:

[...]

Unter Hinweise/Begründung wurde angeführt:

In der gegen den Wiederaufnahme- und Einkommensteuerbescheid 2007 eingebrachten Beschwerde vom , eingelangt am , bringt der BF vor, er habe niemals für Hrn. ***AG1*** angemeldet gearbeitet, er habe nie etwas unterschrieben. Herr ***AG1*** habe ihn einfach ohne sein Wissen acht Jahre später angemeldet.

Am brachte der BF ergänzend vor:

Am selben Tag erging folgender Vorhalt an den BF:

"Laut eines aktuell erstellten Datenauszuges aus der österreichischen Sozialversicherung waren Sie im Kalenderjahr 2007 zu den in Frage gestellten Zeitpunkten bei der Firma ***AG1******A*** als Arbeiter angemeldet (- als Vollzeitbeschäftigter und von -, von - sowie von - als geringfügig beschäftigter Arbeiter). Das Finanzamt ist an die derart gemeldeten und elektronisch übermittelten Lohnzettel inhaltlich gebunden. Sollte dies jedoch nicht den Tatsachen entsprechen werden Sie zwecks Verifizierung Ihrer Angaben ersucht/ eine diesbezügliche Überprüfung bei der Sozialversicherung zu veranlassen."

Am erstattete der BF folgendes Schreiben (Anm.: offenbar gerichtet an die Sozialversicherung):

"Möchte Sie bitten, den beigefügten Brief vom Finanzamt zu berücksichtigen und mir die vom Finanzamt benötigten Daten zu übermitteln. Wie Sie den Versicherungszeiten von mir entnehmen können, bin ich nachträglich (8 Jahre später) rückwirkend angemeldet worden, obwohl ich eigentlich für diesen Zeitraum auf Vertragsbasis, sprich Honorarnote (Werkvertrag) gearbeitet habe."

Am wurde die Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung (BVE) als unbegründet abgewiesen und dazu ausgeführt:

"Der in Frage gestellte auf Ihre Person lautende Lohnzettel der Firma ***AG1******A*** wurde auf Grund einer erfolgten Prüfung der lohnabhängigen Abgaben behördlich erstellt. Das Ersuchen um Ergänzung vom mittels dessen Sie ersucht wurden, eine diesbezügliche Überprüfung bei der Sozialversicherung zu veranlassen wurde unzureichend beantwortet und erbrachte somit keine neue Bewertung des vorliegenden Sachverhaltes. Die erhaltenen Bezüge wurden im Zuge der erfolgten Prüfung als unselbständige Einkünfte klassifiziert und daraufhin ein Lohnzettel erstellt, der zu der gemäß § 303 des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1988 ergangenen Wiederaufnahme des Verfahrens der Arbeitnehmerveranlagung 2007 führte.

Entgegen den Angaben in Ihrem Beschwerdeschreiben geben Sie im Zuge des Ergänzungsverfahrens an, für Herrn ***AG1*** auf Werkvertragsbasis gearbeitet zu haben.

In diesem Fall hätten Sie von sich aus eine Einkommensteuererklärung stellen müssen. Die Beschwerde war daher abzuweisen."

Im fristgerecht eingebrachten Vorlageantrag vom führte der BF aus:

"Mit Berufungsvorentscheidung vom zum Einkommensteuerbescheid 2007 vom wurde meine Beschwerde vom abgewiesen. Ich verweise auf die Ausführungen in meiner Ergänzung vom in der ich darauf hingewiesen habe, dass erstens bereits die Verjährung Hinsichtlich der Festsetzung der Abgaben für das Jahr 2007 eingetreten ist und darüberhinaus Kilometergeld iHv 3.113,72 (8.194 km) nicht von der Bemessungsgrundlage abgezogen wurde und beantrage meine Beschwerde samt Ergänzung, der Abgabenbehörde II. Instanz zur Entscheidung vorzulegen.

Mit der Erlassung eines abgeänderten Bescheides erkläre ich mich einverstanden, wenn mein Vorbringen zur Gänze berücksichtigt wird. Weiters beantrage die Aussetzung des strittigen Betrages iHv 926,05 € (3.113,72 € mal Grenzsteuersatz)."

Die Beschwerde wurde dem Bundesfinanzgericht am zur Entscheidung vorgelegt. Darin wird hingewiesen, dass der BF, wenn er selbstständig für Hrn. ***AG1*** gearbeitet habe, verpflichtet gewesen wäre, eine Einkommensteuererklärung abzugeben.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Sachverhalt

Der BF reichte am seine Einkommensteuererklärung (Arbeitnehmerveranlagung) für das Jahr 2007 ein; darin zugrunde gelegt wurden 3 Lohnzettel (***AG_Eur***, ***AG_UB*** und ***AG_X***), Arbeitslosengeld und Notstandshilfe. Am wird er antragsgemäß veranlagt und es kommt zu einer Gutschrift in Höhe von EUR 321,05.

Aufgrund einer bei ***AG*** durchgeführten abgabenbehördlichen Überprüfung, kam es zu einer Wiederaufnahme des Verfahrens gem. § 303 Abs 1 BAO und wurden dem BF am für das Jahr 2007 Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit aufgrund vier weiterer Lohnzettel vorgeschrieben, wodurch es zu einer Nachzahlung von EUR 926,05 kam.

Die Begründung des Wiederaufnahmebescheides lautet wie folgt:

"Das Verfahren hinsichtlich der Einkommensteuer für das Jahr 2007 (Bescheid vom ) wird gem. § 303 Abs. 1 BAO wieder aufgenommen.

Begründung: Das Verfahren war gemäß § 303 (1) BAO wiederaufzunehmen, weil dem Finanzamt auf Grund eine berichtigten oder neuen Lohnzettels oder einer (geänderten) Mitteilung über progressionswirksame Transferleistungen (Arbeitslosengeld, Notstandshilfe, etc.) erst nachträglich Umstände bekannt wurden, die im betreffenden Veranlagungszeitraum bereits existent waren und aus denen sich eine geänderte Einkommensteuerfestsetzung ergibt. Zur näheren Begründung wird auf die Begründung des im wiederaufgenommenen Verfahren neu erlassenen Einkommensteuerbescheides verwiesen".

Im Einkommensteuerbescheid vom finden sich die - im Erstbescheid nicht berücksichtigten - Lohnzetteldaten des ***AG1*** ***A***:

[...]

Unter Hinweise/Begründung ist angeführt:

"Hinweise:
Sie haben während des Jahres gleichzeitig von mehreren auszahlenden Stellen Bezüge erhalten. Die Lohnsteuer wurde von jedem Arbeitgeber getrennt ermittelt. Bei der Veranlagung werden Ihre Bezüge zusammengerechnet und so besteuert, als wären sie von einer Stelle ausbezahlt worden. Sie zahlen damit genau so viel Steuer wie jeder andere Steuerpflichtige, der dasselbe Einkommen nur von einer auszahlenden Stelle bezogen hat.

Begründung:
Bei der Ermittlung des Steuersatzes (Progressionsvorbehalt) - siehe Hinweise zur Berechnung - wurden zuerst Ihre steuerpflichtigen Einkünfte auf den Jahresbetrag umgerechnet, Sonderausgaben und andere Einkommensabzüge berücksichtigt und anhand der sich für das umgerechnete Einkommen ergebenden Tarifsteuer ein Durchschnittssteuersatz ermittelt und auf Ihr Einkommen angewendet (Umrechnungsvariante). Danach ist anhand einer Kontrollrechnung festzustellen, ob sich bei der Hinzurechnung der Bezüge gemäß
§ 3 Abs. 2 EStG 1988 gegenüber der Umrechnungsvariante eine niedrigere Steuer ergibt. Da dies in Ihrem Fall zutrifft, wurde der Tarif auf ein Einkommen von 12.804,11 € angewendet."

Die den gegenständlichen Lohnzetteln zugrundeliegenden Tatsachen (welche Einkünfte, wie berechnet) werden in den vorliegenden Bescheiden nicht angeführt. Ebenso wird nicht angeführt, wann diese in welcher Form bekannt geworden sind.

Die neuen Lohnzettel wurden der belangten Behörde am übermittelt.

Beweiswürdigung

Dem Sachverhalt liegen die im Zuge der Aktenvorlage übermittelten Bescheide (Wiederaufnahme-, Einkommensteuerbescheid 2007, Beschwerdevorentscheidung) und Veranlagungsdaten der Finanzverwaltung zu Grunde und dieser ist unstrittig.

Das Datum der Lohnzettelübermittlung konnte durch eine Abfrage in der Systemdatenbank der belangten Behörde ermittelt werden.

Rechtliche Beurteilung

Zu Spruchpunkt I. (Stattgabe)

Rechtsgrundlagen

§ 303 Abs. 1 BAO lautet:

"Ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren kann auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen wiederaufgenommen werden, wenn

der Bescheid durch eine gerichtlich strafbare Tat herbeigeführt oder sonst wie erschlichen worden ist, oder
Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind, oder
der Bescheid von Vorfragen (§ 116) abhängig war und nachträglich über die Vorfrage von der Verwaltungsbehörde bzw. dem Gericht in wesentlichen Punkten anders entschieden worden ist, und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte."

§ 93 BAO regelt den Inhalt von Bescheiden. In § 93 Abs. 3 lit a BAO ist normiert, dass der Bescheid, wenn ihm ein Anbringen (§ 85 Abs. 1 oder 3) zugrunde liegt, dem nicht vollinhaltlich Rechnung getragen wird, oder wenn er von Amts wegen erlassen wird, eine Begründung zu enthalten hat.

Rechtliche Ausführungen

Die eine Wiederaufnahme rechtfertigenden neu hervorgekommenen Tatsachen oder Beweismittel müssen schon im Zeitpunkt der ursprünglichen Bescheiderlassung existent gewesen, jedoch später hervorgekommen gekommen sein (nova reperta). Erst später entstandene Umstände (nova producta) stellen keine Wiederaufnahmegründe dar. Weiteres Wiederaufnahmeerfordernis ist, dass die erst nachträglich bekannt gewordenen Tatsachen und Beweismittel, wären sie bereits im Zeitpunkt der Bescheiderlassung bekannt gewesen, zu einem im Spruch anders lautenden Bescheid führen hätten müssen.

Nach herrschender Rechtsprechung und Lehre sind Verweisungen in der Begründung eines Bescheides auf jene eines anderen, der Partei bekannten Bescheides grundsätzlich zulässig (Ritz, BAO6 § 93 Tz 15 und Ellinger/Iro/Kramer/Sutter/Urtz, BAO3 § 93, E. 127 und 128 mit Verweis auf die VwGH-Judikatur). Ein solcher Verweis vermag aber den verweisenden Bescheid nur dann zu tragen, wenn seinerseits der verwiesene Bescheid den Anforderungen an eine ausreichende Bescheidbegründung genügt und auch aus dem Verweis eindeutig hervorgeht, welche Begründungspassagen des seinerzeitigen Bescheides für die Stützung des nunmehrigen Bescheides konkret herangezogen werden (Ellinger/Iro/Kramer/Sutter/Urtz, BAO3 § 93 mit Verweis auf , in diesem Sinne auch Ritz, BAO6 § 93 Tz 15 mit Verweis auf , wonach die Begründung in diesem anderen Bescheid seinerseits die Anforderungen an eine Bescheidbegründung erfüllen muss).

Die Anforderungen für die Begründung einer Wiederaufnahme sind laut Rechtsprechung restriktiv. Es ist nicht Sache des Abgabepflichtigen, das Nichtvorliegen eines Wiederaufnahmsgrundes nachzuweisen, sondern Aufgabe der Abgabenbehörde, die von ihr verfügte Wiederaufnahme durch unmissverständliche Hinweise darauf zu begründen, welche Tatsachen oder Beweismittel auf welche Weise neu hervorgekommen sind ().

Nach ständiger Rechtsprechung des VwGH ist die Darlegung der Wiederaufnahmegründe zuletzt deshalb notwendig, weil sich die Rechtsmittelinstanz bei der Erledigung der gegen die Verfügung der Wiederaufnahme gerichteten Beschwerde auf keine neuen Wiederaufnahmegründe stützen darf, sondern lediglich zu beurteilen hat, ob die von der Abgabenbehörde erster Instanz angeführten Gründe eine Wiederaufnahme rechtfertigen (Ritz, BAO6 § 307, Tz 3 mit den dort angeführten Judikaturnachweisen).

Da die Wiederaufnahme iSd § 303 BAO im Ermessen der Abgabenbehörde liegt, das unter Abwägung der ermessensrelevanten Umstände (Billigkeit und Zweckmäßigkeit) zu üben ist, hat die Begründung des Wiederaufnahmebescheides auch diese Abwägung darzulegen ().

Begründungsmängel im Abgabenverfahren können grundsätzlich im Rechtsmittelverfahren saniert werden. Die Berufungsbehörde ist dabei aber nur befugt, mangelhafte Bescheidbegründungen des wiederaufnehmenden Finanzamtes zum genannten Wiederaufnahmegrund zu prüfen bzw. zu würdigen und diesbezüglich gegebenenfalls erforderliche Ergänzungen vorzunehmen (, ). Nicht sanierbar ist, wenn der Wiederaufnahmebescheid keine Wiederaufnahmsgründe enthält (Ritz, BAO6, § 93 Tz. 16 und § 307 Tz. 3).

Liegt der vom Finanzamt angenommene Wiederaufnahmegrund nicht vor oder hat das Finanzamt die Wiederaufnahme tatsächlich auf keinen Wiederaufnahmegrund gestützt, muss das Bundesfinanzgericht den vor ihm bekämpften Wiederaufnahmebescheid des Finanzamtes ersatzlos beheben (vgl. zB. oder ; ).

Erwägungen zum gegenständlichen Fall:

Das Finanzamt hat im Wiederaufnahmebescheid die Wiederaufnahme allgemein auf die Berichtigung oder Neuübermittlung von Lohnzetteln oder Mitteilungen über progressionswirksame Transferleistungen gestützt und ergänzend auf die Begründungen im neu erlassenen Einkommensteuerbescheid verwiesen. In der Begründung des Einkommensteuerbescheides 2007 wird jedoch neuerlich nur darauf hingewiesen, dass der BF während des Jahres gleichzeitig von mehreren auszahlenden Stellen Bezüge erhalten hat und die Lohnsteuer von jedem Arbeitgeber getrennt ermittelt wurde. Weiters erfolgten allgemeine Angaben zur Steuerberechnung. Die Begründungen des Einkommensteuerbescheide 2007 enthält nicht einmal einen Hinweis zu den nachträglichen Berichtigungen/Meldungen. Ebenso wenig findet sich in den angefochtenen Bescheiden eine Begründung zur Ermessenentscheidung sowie eine Begründung zu der offensichtlich zur Anwendung gekommenen verlängerten Verjährungsfrist aufgrund hinterzogener Abgaben gemäß § 207 Abs. 2 BAO.

Angemerkt wird, dass zur gegebenen Fallkonstellation bereits mehrere Beschwerden dem Bundesfinanzgericht vorgelegt worden sind. Mit den mittlerweile allesamt in Rechtskraft erwachsenen Entscheidungen (zB: , , , ), in denen wie im gegenständlichen Fall sowohl in den Wiederaufnahmebescheiden als auch in neu erlassenen Einkommensteuerbescheiden nur allgemein auf nachträgliche neu übermittelte/berichtigte Lohnzettel oder Transfermitteilungen verwiesen wurde) hob das Bundesfinanzgericht die Wiederaufnahmebescheide ersatzlos auf.

Die Aufhebungen wurden darauf gestützt, dass das Finanzamt "dem zwingenden Erfordernis der Angabe des konkreten Wiederaufnahmegrundes" in den Begründungen der Wiederaufnahmebescheide nicht nachgekommen ist und eine entsprechende Sanierung im Verfahren vor dem Bundesfinanzgericht nicht möglich ist.

Den ausführlichen Begründungen ist (zusammengefasst) ist folgendes zu entnehmen:

Durch die Wortfolge "Ein Lohnzettel wurde berichtigt oder neu übermittelt" ist für den BF als Bescheidadressaten nicht erkennbar, ob ein berichtigter oder ein neuer Lohnzettel Grund für die Wiederaufnahme war. Außerdem führt die Begründung als weitere Möglichkeit eines Wiederaufnahmegrundes eine berichtigte oder neu übermittelte Mitteilung über progressionswirksame Transferleistungen wie Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe an, weshalb auch damit die "Begründung" die für die Rechtmäßigkeit der Wiederaufnahme notwendige Bestimmtheit des Wiederaufnahmegrundes vermissen lässt.

Verwiesen wird auf einen Aufsatz von Ritz" Rechtsschutz bei Begründungsmängeln - Welche Mängel sind nicht sanierbar?" in SWK 12/2019, 602, in dem dieser zur einer wie in den Bescheiden angeführten Begründung zur Wiederaufnahme von Einkommensteuerbescheiden folgendes ausführte:

"Wann welche Umstände im betreffenden Abgabenverfahren dem Finanzamt erst nachträglich bekannt wurden, verschweigt die Begründung. Sie ist überdies irreführend, wenn dort von "war […] wiederaufzunehmen" die Rede ist. Die Verfügung von Wiederaufnahmen liegt nämlich im Ermessen; die Ermessensübung ist zu begründen.

Der Bescheidadressat erfährt somit nicht,

• ob ein neuer oder ein berichtigter Lohnzettel Grund für die Wiederaufnahme ist,
• welcher Arbeitgeber gemeint ist,
• ob Transferleistungen (und wenn ja, welche) oder deren Änderung nachträglich bekannt wurden,
• wann die maßgebenden Umstände dem Finanzamt bekannt wurden, oder
• die für die Ermessensübung bedeutsamen Umstände und Überlegungen.

3. Rechtsschutz gegen solche "Begründungen"

Dass eine solche Standardbegründung (Multiple Choice) keine Begründung iSd. § 93 Abs.3 lit. a BAO ist, steht außer Zweifel."

Im Punkt 4.1. "Wiederaufnahme des Verfahrens (§ 303 BAO)" führt Ritz weiter aus:

"In der Begründung der Verfügung der Wiederaufnahme eines Verfahrens sind die Wiederaufnahmegründe anzuführen. Die fehlende Angabe der Wiederaufnahmegründe ist im Rechtsmittelverfahren nicht "nachholbar", dies auch nicht in einer Beschwerdevorentscheidung.

Bei einer amtswegigen Wiederaufnahme wird die Identität der "Sache" iSd. § 263 Abs. 1 und § 279 Abs. 1 BAO, über die im angefochtenen Bescheid abgesprochen wurde, durch den Tatsachenkomplex begrenzt, der als neu hervorgekommen von der für die Wiederaufnahme zuständigen Behörde zur Unterstellung unter den von ihr gebrauchten Wiederaufnahmetatbestand herangezogen wurde.

Bei einer Beschwerde gegen eine Wiederaufnahme von Amts wegen ist die "Sache", über die das BFG gemäß § 279 Abs. 1 BAO zu entscheiden hat, nur die Wiederaufnahme aus den vom Finanzamt herangezogenen Gründen, also jene wesentlichen Sachverhaltselemente, die das Finanzamt als Wiederaufnahmegrund beurteilt hat. Liegt der vom Finanzamt angenommene Wiederaufnahmegrund nicht vor oder hat das Finanzamt die Wiederaufnahme auf keinen Wiederaufnahmegrund gestützt, so muss das BFG den angefochtenen Bescheid ersatzlos aufheben."

Das Bundesfinanzgericht hat bereits in einer Vielzahl von Entscheidungen zum Ausdruck gebracht, dass es sich bei einem zum Zeitpunkt des Ergehens des jeweiligen Erstbescheides noch nicht existenten (sondern erst später ausgefertigten) Lohnzettel um kein neu hervorgekommenes Beweismittel im Sinne des § 303 BAO (nova reperta), sondern um ein nachträglich entstandenes Beweismittel (nova producta) handelt, das für sich allein eine Wiederaufnahme nicht rechtfertigt (vgl. , , ; , , u.a.) .

Die Übermittlung der Lohnzettel dient zu Kontrollzwecken und soll bewirken, dass bei einer Veranlagung die lohnsteuerpflichtigen Einkünfte in zutreffender Höhe erfasst werden (Jakom/Lenneis, EStG, 2018, § 84 Rz 1).

Nicht die Übermittlung neuer Lohnzettel als solche, sondern gegebenenfalls erst eine diesen Lohnzetteln zugrundeliegende Tatsache könnte eine Wiederaufnahme der Verfahren rechtfertigen.

Der Wiederaufnahmebescheid enthält im Beschwerdefall aufgrund des alleinigen Verweises auf die berichtigten Lohnzettel (auch in Zusammenschau mit den Sachbescheiden) keine hinreichenden Wiederaufnahmegründe.

Das erkennende Gericht schließt sich im gegenständlichen Fall der Rechtsansicht in den Entscheidungen des Bundesfinanzgerichtes (UFS Innsbruck vom , RV/0315-I/03, , , , , , , , , , , , , , zu denen keine Revisionen an den VwGH bzw. Beschwerden an den VfGH erhoben worden sind) an.

Zusammenfassend bedeutet dies für den vorliegenden Fall:

Das Finanzamt hat die Wiederaufnahme des Einkommensteuerverfahren 2007 jeweils ausschließlich darauf gestützt, dass neue (bzw. berichtigte) Lohnzettel oder Mitteilungen zu Transferleistungen übermittelt worden sind.

Konkrete Tatsachen (Sachverhaltselemente), deren rechtliche Würdigung zu den neuen Lohnzetteln geführt haben, werden in den Begründungen der Bescheide nicht genannt.

Abgesehen davon, dass nicht determiniert ist, ob und welche Lohnzettel oder Transfermitteilungen neu oder berichtigt sind, stellen nach der oben dargelegten Rechtsprechung des Bundesfinanzgerichtes (insbesondere und der darin angeführten weiteren BFG-Erkenntnisse) die neuen, erst im Jahr 2015 ausgestellten Lohnzettel des ***AG1*** ***A*** keinen tauglichen Wiederaufnahmegrund iSd § 303 Abs. 1 lit. b BAO dar. Demnach handelt sich dabei um keine neu hervorgekommene Tatsache, sondern um ein neu entstandenes Beweismittel (nova producta), das im Zeitpunkt der Erlassung der Erstbescheide noch nicht existiert hat, somit nicht neu hervorgekommen sein kann.

Als neue Tatsachen wären im Wiederaufnahmebescheid bereits jene Umstände anzugeben gewesen, die zur Neuausstellung/Berichtigung der Lohnzettel/Mitteilungen geführt haben. Welche neu hervorgekommenen Tatsachen (Umstände) den neuen/berichtigten Lohnzettel und/oder Mitteilungen zugrunde liegen, lässt sich aber dem Wiederaufnahmebescheid - selbst in Zusammenschau mit dem neu erlassenen Sachbescheid, auf den darin verwiesen wird - nicht entnehmen. Für den BF als Bescheidadressaten war aus dem Bescheid nicht erkennbar, welche konkreten Tatsachen zu einer Änderung des Einkommens und der Einkommensteuer im betroffenen Zeitraum geführt haben.

Mit dem alleinigen Verweis auf die neuen Lohnzettel mangelt es dem Wiederaufnahmebescheid im Beschwerdefall (auch in Zusammenschau mit den Einkommensteuerbescheiden) somit an tauglichen Wiederaufnahmegründen.

Da im gegenständlichen Fall mit den Lohnzetteln keine neu hervor gekommenen Beweismittel vorliegen und in den maßgeblichen Bescheiden auch keine neu hervorgekommenen Tatsachen angegeben sind, sind die angefochtenen Wiederaufnahmebescheide mit einem Mangel behaftet, der die ersatzlose Aufhebung zur Folge hat (vgl. zB oder ).

Auf die mangelnde Begründung zur Ermessensübung sowie zur verlängerten Verjährungsfrist war durch die Aufhebung des Bescheides in weiterer Folge nicht mehr einzugehen.

Zu Spruchpunkt II. (Gegenstandsloserklärung)

§ 261 Abs. 2 BAO lautet:

"Wird einer Bescheidbeschwerde gegen einen gemäß § 299 Abs. 1 oder § 300 Abs. 1 aufhebenden Bescheid oder gegen einen die Wiederaufnahme des Verfahrens bewilligenden oder verfügenden Bescheid (§ 307 Abs. 1) entsprochen, so ist eine gegen den den aufgehobenen Bescheid ersetzenden Bescheid (§ 299 Abs. 2 bzw. § 300 Abs. 3) oder eine gegen die Sachentscheidung (§ 307 Abs. 1) gerichtete Bescheidbeschwerde mit Beschwerdevorentscheidung (§ 262) oder mit Beschluss (§ 278) als gegenstandslos zu erklären."

Durch die Aufhebung des die Wiederaufnahme des Verfahrens bewilligenden oder verfügenden Bescheides tritt das Verfahren in die Lage zurück, in der es sich vor seiner Wiederaufnahme befunden hat (§ 307 Abs. 3 BAO).

Nach Aufhebung des Bescheides über die Wiederaufnahme der Verfahren scheidet der neu erlassene Sachbescheid ex lege aus dem Rechtsbestand aus und der alte Sachbescheid lebt wieder auf (Ritz, BAO6, § 307, Tz 8 mit Judikaturverweisen).

Die Gegenstandsloserklärung liegt nicht im Ermessen und hat (durch die Abgabenbehörde) mit Beschwerdevorentscheidung bzw. (durch das Verwaltungsgericht) mit Beschluss zu erfolgen. Solche Gegenstandsloserklärungen sind mit Vorlageantrag (§ 264) bzw. mit Revision beim VwGH oder mit Beschwerde beim VfGH anfechtbar (Ritz, BAO6, § 261, Tz 6).

Durch die Aufhebung des Wiederaufnahmebescheides ist der neu erlassene Einkommensteuerbescheid 2007 aus dem Rechtsbestand ausgeschieden.

Die gegen den Einkommensteuerbescheid 2007 gerichtete Bescheidbeschwerde war daher aufgrund der gesetzlichen Anordnung in § 261 Abs. 2 BAO mit Beschluss als gegenstandslos zu erklären.

Zu Spruchpunkt Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Dass eine Wiederaufnahme des Verfahrens nicht zulässig ist, wenn konkrete Wiederaufnahmegründe nicht genannt sind bzw. vorliegen, entspricht der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. insbesondere ).
Die Verpflichtung zur beschlussmäßigen Gegenstandsloserklärung der gegen die Sachbescheide gerichteten Beschwerden bei Aufhebung der Wiederaufnahmebescheide leitet sich unmittelbar aus dem Gesetz (§ 261 Abs. 2 BAO) ab.

Die Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Revision liegen daher nicht vor.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 303 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 93 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 93 Abs. 3 lit. a BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2022:RV.7105517.2016

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at