Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 10.02.2022, RV/7104817/2018

Keine Nachsicht der Gesellschaftsteuer wegen angeblich geänderter VwGH-Judikatur.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch ***1***, über die Beschwerde vom gegen den Abweisungsbescheid betreffend Antrag auf Nachsicht von Gesellschaftsteuer sowie Antrag auf Rückzahlung von Guthaben des ***FA*** vom , ***2*** zu Recht erkannt:

Entscheidungsgründe

Sachverhalt und Verfahrensgang

I.1. Das Gesellschaftsteuerverfahren

Das Finanzamt ***3*** (***4***) hat im Jahr 2009 durch Einsichtnahme in die Jahresabschlüsse der Bf. Kenntnis von Zuschüssen der ***5*** (***6***) in Höhe von € 17.890.000,00 im Jahr 2005 und in Höhe von € 5.850.000,00 erhalten, welche in der Bilanz der Bf. in die nicht gebundenen Kapitalrücklagen eingestellt wurden.

Weiters geht aus den Jahresabschlüssen hervor, dass in diesen Jahren die ***7*** zu 99% und die ***8*** zu 1% Gesellschafterinnen der Bf. als Treuhänderinnen der ***5*** waren.

Mit an die ***5*** gerichtetem Ergänzungsersuchen vom ersuchte das Finanzamt diese, zur Überprüfung der Gesellschaftsteuerpflicht der Zuschüsse, eine Kopie der Treuhandverträge mit der ***7*** und der ***8*** vorzulegen.

Weiters ersuchte das Finanzamt die Bf. mit Ergänzungsersuchen vom selben Tag die Entwicklung der Kapitalrücklagen ab darzulegen sowie um Vorlage der Überweisungsbelege in Kopie.

Aus den vorgelegten Kopien der Treuhandvereinbarungen vom bzw. geht hervor, dass die Treuhänder jederzeit verpflichtet waren, nach Aufforderung die Geschäftsanteile der Treugeberin ***5*** oder einem von ihr namhaft gemachten Dritten abzutreten.

Weiters waren die Treuhänder ua. verpflichtet,

• über die Geschäftsanteile nicht ohne ausdrückliche Weisung der Treugeberin zu verfügen,

• alle ihnen auf Grund dieser Geschäftsanteile zukommenden Anteile am Reingewinn der Bf. unverzüglich an die Treugeberin auszuzahlen, bzw. nach deren Weisung zu verwenden,

• nur entsprechend den ihnen erteilten Aufträgen der Treugeberin ihr Stimmrecht auszuüben und die Mitgliedschaftsrechte nur nach den von der Treugeberin erteilten Weisungen unter Wahrung deren Interesses auszuüben.

Aus den vorgelegten Kopien der Zahlungsbelege gingen die Zahlung der Zuschüsse der ***5*** in Höhe von insgesamt € 23.740.000,00 hervor.

Zum Ergänzungsansuchen des Finanzamtes vom , ua. betreffend die hier gegenständlichen Zuschüsse der ***5*** an die Bf., erklärte die Bf. ua., dass die ***5*** indirekte Gesellschafterin (Großmuttergesellschaft) der Bf. gewesen sei und dass die Treuhandschaft nicht steuerlich motiviert gewesen sei, sondern rein bilanztechnische Gründe gehabt habe.

Auf Grund dieser Aktenlage setzte das Finanzamt mit Bescheid vom für die oa. Zuschüsse der ***5***, nunmehr ***9***, an die Bf. in Höhe von insgesamt € 23.740.000,00 gemäß 2 Z 4 KVG Gesellschaftsteuer in Höhe von 1 % der Leistungen, somit in Höhe von € 237.400,00 fest.

Lt. Begründung des Bescheides rechnete das Finanzamt die Zuschüsse der Treugeberin in wirtschaftlicher Betrachtung den Treuhändern, also den (unmittelbaren) Gesellschaftern der Bf. zu.

In der dagegen rechtzeitig eingebrachten Berufung wendete sich die Bf. vor allem gegen die wirtschaftliche Betrachtungsweise (§ 21 Abs. 1 BAO) im Bereich der Gesellschaftsteuer.

Nach Ansicht der Bf. dürften die Leistungen der Großmuttergesellschaft ***5*** an die Bf., da es sich bei der Gesellschaftsteuer um eine Rechtsverkehrsteuer handle, nicht den Gesellschaftern als Leistende zugerechnet werden.

Da diese Berufung am beim Unabhängigen Finanzsenat anhängig war, ist die Zuständigkeit zur Entscheidung gemäß § 323 Abs. 38 BAO auf das Bundesfinanzgericht übergegangen und war diese Rechtssache als Beschwerde im Sinne des Art. 130 Abs. 1 B-VG zu erledigen.

Das BFG hat der Bf. in Vorbereitung der beantragten mündlichen Verhandlung die Sach- und Rechtslage mit Vorhalt vom zur Kenntnis- und Stellungnahme übermittelt.

Mit an das Bundesfinanzgericht gerichteter und am eingelangter Zurücknahmeerklärung vom hat die Bf. die Beschwerde zurückgezogen.

Mit Einlangen der Zurücknahmeerklärung beim Bundesfinanzgericht ist diese wirksam geworden und der angefochtene Bescheid in formelle Rechtskraft erwachsen, womit die Beschwerde als gegenstandslos zu erklären war (vgl. ). Das BFG hat daher mit Beschluss vom die Beschwerde gemäß § 256 Abs. 3 BAO als gegenstandslos erklärt.

I.2. Das Nachsichtsverfahren

Aufgrund des Rechtsmittelverfahrens war der Betrag von € 237.400,00 vom bis ausgesetzt und wurde samt Aussetzungszinsen am beglichen.

Gleichzeitig mit der Beschwerde vom wurde ein Nachsichtsansuchen eingebracht und dessen Erledigung, vorerst bis zur Erledigung der Beschwerde gegen den Festsetzungsbescheid durch das BFG, abgewartet.

Nach Einlangen der Ergänzung zum Antrag auf Nachsicht vom wurde das Ansuchen mit Bescheid vom abgewiesen.

Dem Rechtsmittelfristverlängerungsansuchen vom bis wurde stattgegeben. Die am eingebrachte Beschwerde wurde mit Beschwerdevorentscheidung vom abgewiesen (nachweislich übernommen am ).

Dagegen richtet sich der Vorlageantrag vom .

Das Finanzamt hat hiezu in seiner Stellungnahme ausgeführt:

"Die Vorlage der Beschwerde erfolgt unter Bezugnahme auf die Begründungen des Abweisungsbescheides und der Beschwerdevorentscheidung mit dem Antrag auf Abweisung. Weiteres wurde auch im Vorlageantrag nicht vorgebracht.

Die Aussage in der Beschwerdevorentscheidung "Dazu ist festzuhalten, dass eine Behandlung von Treuhandkonstruktionen in dem angesprochenen Erlass und insbesondere von Direktleistungen von Treuhändern nicht angesprochen ist, wenngleich dies die Beschwerdeführerin anders sieht." heißt richtigerweise und war gemeint:

"Dazu ist festzuhalten, dass eine Behandlung von Treuhandkonstruktionen in dem angesprochenen Erlass und insbesondere von Direktleistungen von T r e u g e b e r n nicht angesprochen ist, wenngleich dies die Beschwerdeführerin anders sieht."

Dies ergbit sich klar auch aus den gesamten übrigen Ausführungen, da es um die Zurechnung der Treugeberleistung an den direkten Gesellschafter geht."

Der Antrag um Nachsicht vom stützt sich auf die Verordnung zu § 236 BAO, BGBl II 2005/435 und deren § 3, welcher die sachliche Unbilligkeit bei der Einhebung von Abgaben regelt. Die Bf. bringt vor, diese Voraussetzungen seien hier erfüllt, weil

  • selbst nach Ansicht des BMF Großmutterzuschüsse in aller Regel nicht der Gesellschaftsteuer unterliegen würden; die einschlägige Richtlinie vom sei im Amtsblatt der Finanzverwaltung veröffentlicht (AÖFV 2003/139).

  • es der unzulässigen Besteuerung eines Großmutterzuschusses gleichzuhalten sei, wenn die Leistung aus durchsichtigen Gründen (und ohne sachliche Rechtfertigung), dem unmittelbaren Gesellschafter zugerechnet werde;

Mit Schreiben vom wurde der "Antrag auf Nachsicht vom der mit Bescheid vom festgesetzten Gesellschaftsteuer für die Jahre 2005 und 2006 In Höhe von EUR 237.400,00" umfangreich ergänzt.

Die Bf. wendet auszugsweise ein:

…" Im , GZ 10 5004/1-IV/10/03, AÖF 2003/139 - Richtlinie zur Durchführung des Kapitalverkehrsteuergesetzes (im Folgenden kurz: Richtlinie), Pkt 5.1 wird ausdrücklich bestätigt, dass das BMF von der Rechtsansicht, dass Gesellschafter iSd RL 69/335/EWG und auch iSd § 5 Abs 2 KVG nur die unmittelbar an der Gesellschaft Beteiligten sind, nicht abgeht.

Mittelbar Beteiligte sind nach wie vor nicht Gesellschafter iSd RL 69/335/EWG und auch nicht iSd § 5 Abs 2 KVG.

Wer Gesellschafter ist, bestimmt sich ausschließlich nach dem Gesellschaftsteuerrecht (vgl. Dorazil, Kapitaiverkehrsteuergesetz2, 151), im vorliegenden Fall nach dem GmbH-Recht. Daraus folgt, dass der Gesellschafter des Gesellschafters bereits Nicht-Gesellschafter ist. Zuschüsse der Großmuttergesellschaft an ihre Enkelgesellschaft unterliegen demnach grundsätzlich nicht der Gesellschaftsteuer (vgl. Pkt. 5.1 der Richtlinie).

Für Treuhandverhältnisse bedeutet dies, dass der Treuhänder Gesellschafter iSd § 2 KVG ist (vgl. VwGH v, , 2000/16/0628). Er hat das Gesellschaftsrecht, den Geschäftsanteil, erworben.

In konsequenter Anwendung dieser Rechtsansicht unterliegen damit Großmutterzuschüsse auch dann nicht der Gesellschaftsteuer, wenn die Mutter-(Zwischen-) Gesellschaft die Beteiligung an der Enkelgesellschaft für die Großmuttergesellschaft als (Voll-)Treuhänder (Fiduziar) hält. Denn die Großmuttergesellschaft ist Gesellschafter des Gesellschafters der den Zuschuss empfangenden Gesellschaft und ist damit Nicht-Gesellschafter….

In Pkt 5.4 der Richtlinie wird festgehalten, dass "die wirtschaftliche Betrachtungsweise iSd § 21 Abs 1 BAO (..) im Bereich des Kapitalverkehrsteuergesetzes in den Hintergrund (tritt), weil das Gesetz an bestimmte Rechtsvorgänge anknüpft….

Mit anderen Worten, im Kapitalverkehrsteuerrecht - und damit auch bei der Steuerpflicht von indirekten Gesellschafterzuschüssen - ist im Allgemeinen von einer rechtlichen Anknüpfung auszugehen und die wirtschaftliche Betrachtungsweise nur in Ausnahmefällen anzuwenden.

In der Richtlinie werden explizit die Fälle aufgezählt, bei denen hinsichtlich der Zurechnung einer Einlage die wirtschaftliche Betrachtungsweise anzuwenden ist, und zwar in den Punkten 4, 5.1 und Pkt 5.4.

Die diesem Nachsichtsansuchen zugrundeliegende Fallkonstellation (Leistung eines Großmutterzuschusses, wobei die Mutter-(Zwischen-)Gesellschaft die Beteiligung an der Enkelgesellschaft für die Großmuttergesellschaft als Fiduziar hält) ist dieser Aufzählung der Ausnahmefälle nicht enthalten. Daraus ist zu folgern, dass hier die wirtschaftliche Betrachtungsweise nach Ansicht des BMF nicht anzuwenden ist…."

Am erließ das Finanzamt eine Beschwerdevorentscheidung, welche nach Darstellung der Rechtslage ausführt wie folgt:

"…

Die Zurechnung der Leistung an den Gesellschafter erfolgte hier eben auch nicht aufgrund der Stellung als Großmuttergesellschaft, sondern wegen der bestehenden Treuhandschaft. Dabei erfolgt die Zurechnung auch entsprechend den Ausführungen des angesprochenen Erlasses und der darin dargestellten RSpr. des EUGH und VwGH, sowie auch der nachfolgend auf dieser basierenden RSpr. des VwGH (z.B. in 2005/16/0040).

Wenngleich die Bf. dem eine eigene Auslegung der Erlässe vom , AÖF 2003/139 und vom , AÖF 2006/134 gegenüberstellt, kann nicht gefunden werden, dass bei Erbringung der Leistungen in den Jahren 2005 und 2006 die Auslegung der Erlässe durch die Bf. und Rechtsmeinung der Bf. zu den Erlässen durch die VO BGBl. II 2005/435 idF BGBl. II 449/2013 geschützt wäre und daher eine Nachsicht erteilt werden könnte.

Es liegt weder eine Änderung der Rechtsprechung vor (dazu wird auch auf die Entscheidung des USFL vom , RV/0204-L/09 verwiesen), noch wurde eine Aussage über die Nichtsteuerpflicht der betreffenden Leistungen von der zuständigen Abgabenbehörde der Bf. gegenüber geäußert, noch liegt - wie oben dargestellt - eine entsprechende Veröffentlichung des BMF iSd § 3 Z 2 lit b) der VO vor.

Dazu ist nach Ansicht des Finanzamts auch allein die Nichtänderung von bestehenden Strukturen aufgrund einer Einschätzung durch die Bf. auch kein Setzen bedeutsamer Maßnahmen für die Verwirklichung der Abgabepflicht iS der Bestimmung.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes () kann eine allfällige Unterlassung von Handlungen jedoch keine Grundlage für Treu und Glauben bilden. [...] Eine unter dem Gesichtspunkt des Grundsatzes von Treu und Glauben relevante Enttäuschung im Vertrauen auf eine von der Abgabenbehörde erteilte Rechtsauskunft könnte u.a. nur dann vorliegen, wenn diese Auskunft Grundlage für eine die Steuerfolgen auslösende Disposition des Steuerpflichtigen gewesen ist.

Dieses Erfordernis ist auch der Verordnung des BGBl II 2005/435 idF BGBl II 2013/449, zu entnehmen, da in § 3 Abs. 2 ausgeführt wird, wenn im Vertrauen auf die betreffende Äußerung für die Verwirklichung des die Abgabepflicht auslösenden Sachverhaltes bedeutsame Maßnahmen gesetzt wurden ().

Eine solche Disposition in Bezug auf den die Steuerpflicht auslösenden Sachverhalt in Zusammenhang mit den erfolgten Leistungen 2005 und 2006 ist jedoch nicht erkennbar, lediglich ein Vertrauen auf die eigene Rechtsauslegung. Ein Vertrauen auf eine irrtümliche Auslegung ist aber nicht durch die angesprochene VO geschützt. Sie gehört zu den allgemeinen Risiken der Teilnahme am Geschäftsverkehr der Bf., die nicht im Wege einer Unbilligkeit nach § 236 BAO zu Lasten des Abgabengläubigers fallen können (s.a. RV/7102434/2014 vom ).

Mangels Darlegung des Vorliegens der Voraussetzung der Unbilligkeit der Abgabeneinhebung nach der Lage des Falles iSd § 236 BAO konnte die beantragte Nachsicht für die - inzwischen entrichtete - GesSt somit nicht gewährt werden und war die Beschwerde abzuweisen. Festzuhalten ist, dass die zwischenzeitige Entrichtung der Steuer sich auf die Beurteilung nicht auswirkt."

Dagegen wurde mit Schriftsatz vom Vorlageantrag eingebracht.

Beweiserhebung

Beweis wurde erhoben durch Einsichtnahme in die, auf elektronischem Wege vorgelegten Aktenteile des Finanzamtes.

Rechtslage und Erwägungen

Vorab ist festzustellen, dass das Verfahren betreffend Gesellschaftsteuer mit Beschluss vom beendet worden ist.

Sache in gegenständlichem Verfahren ist ausschließlich das Nachsichtsansuchen.

Gemäß § 236 Abs. 1 BAO können fällige Abgabenschuldigkeiten auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre.

Der mit Bescheid vom festgesetzte Gesellschaftsteuerbetrag für die Jahre 2005 und 2006 in Höhe von EUR 237.400,00 wurde zur Gänze entrichtet, weshalb die Bestimmung des § 236 Abs. 1 BAO gemäß Abs. 2 leg. cit. sinngemäß Anwendung findet.

Die Unbilligkeit der Abgabeneinhebung nach der Lage des Falles ist tatbestandsmäßige Voraussetzung für die im § 236 BAO vorgesehene Ermessensentscheidung. Verneint die Abgabenbehörde die Unbilligkeit der Abgabeneinhebung, so ist für eine Ermessensentscheidung kein Raum, sondern der Antrag aus rechtlichen Gründen abzuweisen. Bejaht die Abgabenbehörde hingegen das Vorliegen einer Unbilligkeit, so hat sie im Bereich des Ermessens nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit zu entscheiden. Die Unbilligkeit der Einhebung kann persönlich oder sachlich bedingt sein.

Eine sachliche Unbilligkeit ist anzunehmen, wenn im Einzelfall bei Anwendung des Gesetzes aus anderen als aus persönlichen Gründen ein - vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes - Ergebnis eintritt, sodass es zu einer anormalen Belastungswirkung und verglichen mit anderen Fällen, zu einem atypischen Vermögenseingriff kommt.

Der im atypischen Vermögenseingriff gelegene offenbare Widerspruch der Rechtsanwendung zu den vom Gesetzgeber beabsichtigten Ergebnissen muss seine Wurzel in einem außergewöhnlichen Geschehensablauf haben, der auf eine, vom Steuerpflichtigen nicht beeinflussbare Weise, eine nach dem gewöhnlichen Lauf nicht zu erwartende Abgabenschuld ausgelöst hat, die zudem auch ihrer Höhe nach unproportional zum auslösenden Sachverhalt ist (, 0265).

In gegenständlichem Fall wird das Vorliegen einer sachlichen Unbilligkeit der Einhebung der Abgaben mit der Begründung geltend gemacht, dass das beschwerdegegenständliche Ansuchen um Nachsicht nicht auf Grundlage der letztgültigen Rechtslage zu beurteilen sei, sondern es sei jene Rechtslage heranzuziehen, auf welche die Bf. im Zeitpunkt der Leistung der indirekten Zuschüsse vertrauen durfte.

Ein wesentliches Element bei der Finanzierung der ***10*** sei die Zuführung von Eigenmitteln von der Gruppen-Obergesellschaft, der ***5***, an die Tochter- und Enkelgesellschaften, die meistens die Rechtsform der Gesellschaft mit beschränkter Haftung aufwiesen. Als probate Form der Eigenmittelzuführung hätten sich dabei aus wirtschaftlichen und (gesellschafts-)rechtlichen Gründen (freiwillige) Gesellschafterzuschüsse erwiesen. Dass die ***5*** zahlreiche Beteiligungen an Konzerngesellschaften über einen fiduziarischen Treuhänder gehalten habe, habe in hohem Ausmaß verwaltungstechnische Gründe. Der Vorstand der ***5*** als Obergesellschaft habe so insbesondere alle routinemäßigen Rechtsakte im Zusammenhang mit der Verwaltung dieser Beteiligungen an die Geschäftsführung des Treuhänders delegieren können, welcher dann im eigenen Namen - ohne gesonderte rechtsgeschäftliche Bevollmächtigung - auftreten konnte. Notwendige Gesellschafterzuschüsse seien ebenfalls im Rahmen dieser Organisationsstruktur durchgeführt worden.

Diese Vorgangsweise habe auch den Vorteil gehabt, dass dadurch die Belastung mit Gesellschaftsteuer habe vermieden werden können. Aus dem KVG-Erlass gehe eindeutig hervor, dass ein Gesellschafterzuschuss nicht der Gesellschaftsteuer unterliege, wenn dieser als indirekter Zuschuss, insbesondere als (mittelbarer) Zuschuss der Großmuttergesellschaft an ihre Enkelgesellschaft, geleistet werde. Bei der im Jahre 2005 erfolgten Gewährung der indirekten Gesellschafterzuschüsse habe die Gesellschaft und die Großmuttergesellschaft, die ***5***, bei der Kostenkalkulation für diese Eigenkapitalzufuhr darauf vertraut, dass entsprechend dieser Rechtsansicht keine Gesellschaftsteuer anfallen werde. Eine mit Gesellschaftsteuer belastete Eigenmitteifinanzierung hätte die ohnedies knappen Margen verschlechtert. Das Ergebnis wäre damit belastet gewesen.

Das Erkenntnis vom , 2005/16/0040, mit dem der VwGH bei Treuhandkonstruktionen (erstmals) eine wirtschaftliche Zurechnung vorgenommen habe - Leistungen, die der Treugeber an ihre Gesellschaft erbringe, seien gesellschaftsteuerpflichtig, weil sie unmittelbar aus dem Vermögen des hinter dem Treuhänder stehenden Geldgebers in das Vermögen der Kapitalgesellschaft fließen - sei für die Disposition hinsichtlich der im Jahre 2005 gewährten Gesellschafterzuschüsse irrelevant gewesen, da dieses erst Anfang 2006 veröffentlicht worden sei.

Mit Erlass vom , GZ BMF-010206/0048-VI/10/2006, AÖF 2006/134 ("Gesellschaftsrechtliche Beurteilung von Zuschüssen der Großmuttergesellschaft an die Enkelgesellschaft) habe das BMF die im KVG-Erlass vertretene Rechtsansicht bestätigt. Es werde ausdrücklich festgehalten, dass Großmutterzuschüsse nicht generell der Gesellschaftsteuer unterliegen würden, sondern nur in Ausnahmefällen ("unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens").

Auf Grundlage der nunmehr bestätigten Rechtsansicht habe ihre Gesellschaft und die Großmuttergesellschaft, die ***5***, bei den im Jahre 2006 gewährten indirekten Gesellschafterzuschüssen bei der Kostenkalkulation wieder darauf vertrauen dürfen, dass hierfür keine Gesellschaftsteuer anfallen werde.

Es sei unbestreitbar, dass die vom VwGH im Erkenntnis vom vertretene Rechtsansicht (siehe oben) von der sich aus den genannten Erlässen ergebenden Rechtsauslegung abweiche. Bei dieser Entscheidung habe es sich um eine Erledigung gehandelt, die an keine bestehende Judikaturlinie angeknüpft habe und in der eine Rechtsansicht vertreten werde, die im Gegensatz zur damaligen österreichischen Kommentarmeinung gestanden sei. Als Sachverhalt sei außerdem ein Publikumsbeteiligungsmodell zugrunde gelegen. Aus diesem Erkenntnis konnte daher nicht gefolgert werden, dass die Rechtsauslegung des BMF, auf die ihre Gesellschaft und die ***5*** vertraut habe, offensichtlich unrichtig sei. Der Vertrauensschutz sei daher (weiterhin) gegeben gewesen. Dass die Rechtsmeinung, auf die vertraut werden dürfe, "absolut" richtig sei, sei nicht erforderlich.

Ihre Gesellschaft und die ***5*** hätten im Vertrauen auf die in AÖF 2003/139 und AÖF 2006/134 veröffentlichte offensichtlich nicht unrichtige Rechtsauslegung des BMF Dispositionen getroffen und die Kostenkalkulation entsprechend ausgerichtet, d.h. es sei von der Gesellschaftsteuerfreiheit dieser Transaktionen ausgegangen worden. Da das Finanzamt - in Abweichung von dieser Rechtsansicht des BMF - mit rk. Bescheid vom für die betreffenden indirekten Gesellschafterzuschüsse eine Gesellschaftssteuer in Höhe von EUR 237.400,00 festgesetzt habe, sei ihrer Gesellschaft hieraus ein erheblicher Nachteil entstanden (vgl. auch ). Ihre Gesellschaft sei Steuerschuldner (§9 Abs 1 KVG) und habe diese Steuer entrichten müssen.

Die Verordnung über die Unbilligkeit der Einhebung iSd § 236 BAO sei demnach uneingeschränkt anzuwenden.

§ 3 der Verordnung des BMF betreffend Unbilligkeit der Einhebung im Sinn des § 236 BAO, BGBl II 435/2005, lautet:

Gemäß § 3 der auf Basis von § 236 BAO ergangenen Verordnung BGBl II 2005/435 liegt eine sachliche Unbilligkeit bei der Einhebung von Abgaben insbesondere vor, soweit die Geltendmachung des Abgabenanspruches

1. von Rechtsauslegungen des Verfassungsgerichtshofesoder des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn im Vertrauen auf die betreffende Rechtsprechung für die Verwirklichung des die Abgabepflicht auslösenden Sachverhaltes bedeutsame Maßnahmen gesetzt wurden;
2. in Widerspruch zu nicht offensichtlich unrichtigen Rechtsauslegungen steht, die
a) dem Abgabepflichtigen gegenüber von der für ihn zuständigen Abgabenbehörde erster Instanz geäußert oder
b) vom Bundesministerium für Finanzen im Amtsblatt der österreichischen Finanzverwaltung veröffentlicht, wenn im Vertrauen auf die betreffende Äußerung bzw. Veröffentlichung für die Verwirklichung des die Abgabepflicht auslösenden Sachverhaltes bedeutsame Maßnahmen gesetzt wurden;
3. zu einer internationalen Doppelbesteuerung führt, deren Beseitigung ungeachtet einer Einigung in einem Verständigungsverfahren die Verjährung oder das Fehlen eines Verfahrenstitels entgegensteht.

Nachsichtsfähig ist grundsätzlich der Vertrauensschaden; das ist die Differenz zwischen der gesetzmäßigen Steuerschuld und derjenigen Belastung, die aus dem steuerlichen Verhalten resultiert wäre, das der Steuerpflichtige gesetzt hätte, wenn ihm die Unrichtigkeit der betreffenden Rechtsauffassung bekannt gewesen wäre.

In Fällen, in denen der VwGH seine Judikatur ändert, wie im gegenständlichen Fall und von seiner bestehenden Rechtsprechung abgeht, gilt die Einhebung der hievon berührten nach Änderung der Judikatur festzusetzenden und der nach der vorangegangenen Rechtsprechung bereits festgesetzten Abgaben nicht als unbillig ().

In gegenständlichem Fall gelangte der Gerichtshof zur Auffassung, dass bei Treuhandverhältnissen der Treuhänder zivilrechtlich das Gesellschaftsrecht erwirbt und somit Gesellschafter ist. Das gilt auch für den Bereich der Gesellschaftsteuer. Insoweit muss durch wirtschaftliche Betrachtungsweise dem Gesetzeszweck Rechnung getragen werden, weil andernfalls die Steuerpflicht solcher Leistungen bei Treuhandverhältnissen nicht zum Tragen käme. Denn der Treuhänder erbringt diese Leistung nicht aus seinem Vermögen und die Treugeber haben keinen Anlass, der Gesellschaft ihre Leistungen über den Treuhänder zuzuführen. Der Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung gebietet hier eine von der zivilrechtlichen Betrachtung abweichende wirtschaftliche Betrachtungsweise.

Im Fall einer geänderten verschärfenden, strengeren, anspruchserhöhend wirkenden Rechtsprechung gilt sodann die Einhebung der Abgabe nicht als unbillig, wie auch im Fall einer neuen anspruchsmindernden Judikatur die Einhebung der nach der früheren Rechtslage festgesetzten Abgaben nicht allein wegen der Änderung der Rechtsprechung als unbillig zu gelten vermag. Dies, weil solche Änderungen Auswirkungen der allgemeinen Rechtslage sind und nicht Unbilligkeiten der Einziehung des Einzelfalles ().

§ 3 Z 1 der Verordnung BGBl II 2005/435 wird in den Fällen von Bedeutung sein, in denen zwischen der Vornahme der abgabenrelevanten Dispositionen durch den Steuerpflichtigen und der Bescheiderlassung bzw. der Entrichtung der Selbstbemessungsabgaben eine Rechtsprechungsänderung eingetreten ist.

Die Bestimmung muss daher in dem Sinn zu verstehen sein, dass abgabenanspruchsbegründende Dispositionen des Abgabepflichtigen, die im Vertrauen auf eine bestimmte Rechtsprechung gesetzt wurden, durch eine Rechtsprechungsänderung im Ergebnis nicht berührt werden dürfen. Erlässt also die zuständige Abgabenbehörde in Anlehnung an eine geänderte Rechtsprechung des VwGH oder VfGH einen Bescheid, der den Erwartungen des auf die Richtigkeit der alten Rechtsprechung vertrauenden Abgabepflichtigen nicht entspricht, so können die nachteiligen Wirkungen dieses Bescheids durch Nachsicht beseitigt werden (vgl. zB UFSK vom , RV/0236-K/07).

Nach § 3 Z 2 der Verordnung liegt eine sachliche Unbilligkeit auch dann vor, wenn die Geltendmachung eines Abgabenanspruches in Widerspruch zu einer nicht offensichtlich unrichtigen Rechtsauslegung steht, die dem Abgabepflichtigen gegenüber von der für ihn zuständigen Abgabenbehörde erster Instanz geäußert wurde.

Was - die Nachsicht sowohl auf Grund von Auskünften als auch auf Grund von generellen Rechtsauslegungen der Finanzverwaltung betreffend - das Erfordernis der nicht offensichltlich unrichtigen Rechtsauslegung anbelangt, so übernimmt die Verordnung die Rechtsprechung des VwGH zum Grundsatz von Treu und Glauben:

Dieser kann nur dort greifen, wo der Abgabepflichtige in Hinblick auf eine nicht offenkundig unrichtige behördliche Rechtsauslegung disponiert hat (taxlex 2006, 329 in UFSK vom , RV/0236-K/07).

Der Grundsatz von Treu und Glauben stellt ein allgemeines Rechtsprinzip dar, welches nicht im Verfassungsrang steht und daher unterhalb des Gesetzmäßigkeitsgrundsatzes Bedeutung haben und zur Wirkung kommen kann (Stoll, Kommentar zur BAO, 2441 in UFSK vom , RV/0236-K/07).

Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung ausführt, dient eine Nachsicht nach § 236 BAO nicht dazu, Unrichtigkeiten der Abgabenfestsetzung zu beseitigen. Der Unbilligkeitstatbestand des § 236 BAO stellt nicht auf die Festsetzung, sondern auf die Einhebung einer Abgabe ab. Auf die Behauptung der Unbilligkeit im Sinn von inhaltlicher Unrichtigkeit eines Abgabenbescheides kann daher ein Nachsichtsansuchen grundsätzlich nicht mit Erfolg gestützt werden (siehe zuletzt ). Dazu darf angemerkt werden, dass die Bf. die Beschwerde in der Sache mit Zurücknahmeerklärung vom zurückgezogen hat und somit ihre rechtliche Argumentation nicht weiterverfolgt hat, diese jetzt aber im Nachsichtsverfahren geltend machen möchte. Wäre die Einhebung von Abgaben stets schon dann unbillig, wenn ihre Vorschreibung nicht im Einklang mit den gesetzlichen Bestimmungen stünde, würde ein Abgabennachsichtsverfahren ein Rechtsmittelverfahren ersetzen bzw. den Effekt der "Nachholung" eines versäumten Rechtsmittels haben, was aber nicht Sinn und Zweck dieses Rechtsinstitutes ist ).

Wie das Finanzamt ausgeführt hat, erfolgte die Zurechnung der Leistung an den Gesellschafter hier eben auch nicht aufgrund der Stellung als Großmuttergesellschaft, sondern wegen der bestehenden Treuhandschaft (vgl. hiezu auch Zl. RV/0841-G/08 und das dazu ergangene Erkenntnis ).

Dabei erfolgt die Zurechnung auch entsprechend den Ausführungen des angesprochenen Erlasses und der darin dargestellten RSpr. des EUGH und VwGH, sowie auch der nachfolgend auf dieser basierenden RSpr. des VwGH (z.B. in 2005/16/0040). Wenngleich die Bf. dem, eine eigene Auslegung der Erlässe vom , AÖF 2003/139 und vom , AÖF 2006/134 gegenüberstellt, kann nicht gefunden werden, dass bei Erbringung der Leistungen in den Jahren 2005 und 2006 die Auslegung der Erlässe durch die Bf. und Rechtsmeinung der Bf. zu den Erlässen durch die VO BGBl. II 2005/435 idF BGBl. II 449/2013 geschützt wäre und daher eine Nachsicht erteilt werden könnte.

Es liegt weder eine Änderung der Rechtsprechung vor (vgl. hiezu auch USFL vom , RV/0204-L/09), noch wurde eine Aussage über die Nichtsteuerpflicht der betreffenden Leistungen von der zuständigen Abgabenbehörde der Bf. gegenüber geäußert, noch liegt - wie oben dargestellt - eine entsprechende Veröffentlichung des BMF iSd § 3 Z 2 lit b) der VO vor.

Dazu ist nach Ansicht des Finanzamtes auch allein die Nichtänderung von bestehenden Strukturen aufgrund einer Einschätzung durch die Bf. kein Setzen "bedeutsamer Maßnahmen" für die Verwirklichung der Abgabepflicht iS der Bestimmung.

Damit fehlt es im vorliegenden Sachverhalt an der getroffenen qualifizierten Maßnahme, welche im Vertrauen auf die höchstgerichtliche Rechtsprechung getroffen worden wäre.

Ein Vertrauen auf eine irrtümliche Auslegung ist nicht durch die angesprochene VO geschützt. Sie gehört zu den allgemeinen Risiken der Teilnahme am Geschäftsverkehr der Bf., die nicht im Wege einer Unbilligkeit nach § 236 BAO zu Lasten des Abgabengläubigers fallen können.

Im Übrigen wird auf die Ausführungen in der Beschwerdevorentscheidung verwiesen.

Die Beschwerde war daher als unbegründet abzuweisen.

IV. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die getroffene Entscheidung entspricht sowohl der Judikatur des VwGH als auch der Rechtsprechung des BFG (bzw. UFS). Weiters kommt dem Erkenntnis keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 236 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
ECLI
ECLI:AT:BFG:2022:RV.7104817.2018

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at