Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 03.02.2022, RV/2100361/2021

Beschränkte oder unbeschränkte Einkommensteuerpflicht eines in der Schweiz tätigen Dienstnehmers in Österreich?

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht (BFG) hat durch die Richterin***Ri*** in der Beschwerdesache des ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch murtax Steuerberatungs GmbH, Bundesstraße 13b, 8850 Murau, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des ***FA*** vom betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) 2017 Steuernummer ***BF1StNr1*** zu Recht erkannt:

I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.

Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Im anhängigen Rechtsmittelverfahren ist zu klären, ob der Beschwerdeführer (Bf) im Jahr 2017 der unbeschränkten Steuerpflicht in Österreich unterlag und, daraus resultierend, seine nichtselbständigen Einkünfte aus der Schweiz im Einkommensteuer(ESt)-Bescheid 2017 zu berücksichtigen sind.

Das Finanzamt Österreich/Dienststelle X (nachfolgend FA) geht von einer unbeschränkten Steuerpflicht aus, weil der nur für einen begrenzten Zeitraum in der Schweiz lebende Bf während seines Auslandsaufenthalts einen inländischen Wohnsitz beibehalten habe und die mehrfach angeforderte Schweizer Ansässigkeitsbescheinigung im Sinne des Doppelbesteuerungsabkommens Österreich/Schweiz (DBA CH) nicht beigebracht worden sei. Die Anmeldung eines Motorrades in Österreich während des Aufenthalts in der Schweiz und die Anmeldung eines PKW nach der Rückkehr nach Österreich beurteilte das FA als Indizien für einen inländischen Mittelpunkt der Lebensinteressen des Bf im Verfahrenszeitraum. Stärkere persönliche Beziehungen zur Schweiz seien nicht vorgelegen.

Der Bf begehrt aufgrund seines rund vierjährigen "gewöhnlichen Aufenthalts" und "steuerlichen Wohnsitzes" in der Schweiz eine Besteuerung als beschränkt Steuerpflichtiger nach § 1 Abs. 3 EStG 1988.

Sein Umzug in die Schweiz sei auf Dauer geplant gewesen. Er habe über einen unbefristeten Arbeitsvertrag und eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung verfügt. Im Zeitraum seines Auslandsaufenthalts habe er sowohl seine engeren persönlichen als auch wirtschaftlichen Beziehungen in der Schweiz gehabt (Freundeskreis/ soziales Umfeld, Hobbies, Einkünfteerzielung). Nach Österreich sei es nur zu Besuchszwecken gekommen. Seinen inländischen "Meldewohnsitz" habe er lediglich aus organisatorischen Gründen aufrechterhalten (Postzustelladresse im Elternhaus). Die zuständigen Schweizer Steuerbehörden hätten seinen steuerlichen Wohnsitz und die unbeschränkte Steuerpflicht in der Schweiz bestätigt. Die Anmeldung des Motorrades sei zum Zweck der Überstellung in die Schweiz erfolgt. Der PKW Audi A 4 Quattro sei nach der aus gesundheitlichen Gründen erforderlich gewordenen Rückkehr nach Österreich wegen Verzögerungen bei der Umtypisierung des aus der Schweiz mitgebrachten PKW angemeldet worden.

Im finanzgerichtlichen Ermittlungsverfahren wurde dem FA die Klärung verschiedener Sachverhaltsaspekte gem. § 269 Abs. 2 BAO aufgetragen. Die dazu vom Bf nachgereichten Unterlagen bzw. Ausführungen übermittelte das FA dem BFG ohne Durchführung der konkret aufgetragenen ergänzenden Ermittlungen zu den inländischen Lebensverhältnissen des Bf. Auch der Aufforderung zur Stellungnahme zum Ermittlungsergebnis kam das FA nicht nach.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

I. Auf Basis des finanzgerichtlichen Ermittlungsergebnisses (Auswertung der Vorlageunterlagen, Unterlagen aus dem Ermittlungsverfahren gem. § 269 (2) BAO sowie von abgabenbehördl. und EKIS-Datenbankrecherchen) legt das BFG der gegenständlichen Entscheidung folgenden als erwiesen erachteten Sachverhalt zugrunde:

Der aus Ö-Ort-1 stammende Bf - geb. 1989, im maßgeblichen Zeitraum ledig, alleinstehend und kinderlos - lebte nach Ablegung der Matura im Jahr 2007 etwa rund 10 Jahre lang (zunächst zu Studienzwecken und anschließend zur Berufsausübung) durchgehend in Graz, wo er an unterschiedlichen (Miet)Wohnadressen jeweils mit Nebenwohnsitz (NW) behördlich gemeldet war. Zugleich behielt er den meldebehördlichen Hauptwohnsitz (HW) an der Adresse seines Elternhauses im obersteirischen Ö-Ort-1 bei (mit einer nicht verfahrensrelevanten Unterbrechung in den Jahren 2010-2012).

Nach dem Studium begann der Bf nichtselbständig für den Schweizer Konzern XY bzw. einen Zulieferbetrieb am Standort in Graz zu arbeiten. Diese Tätigkeit übte er bis zu einer Kündigung durch den Dienstgeber per aus, die anlässlich der Verlegung der Betriebsfertigung in die Schweiz erfolgt war.

Bereits am unterfertigte der Bf einen unbefristeten Arbeitsvertrag mit der Fa XY -Interational, aufgrund dessen er ab Mitte August 2017 in CH-Ort-1/Schweiz als "Spezialist Sensor Optics" tätig war (Vollzeitdienstnehmer im Schichtbetrieb, bei Bedarf 3-Schichtdienst incl. Nachtarbeit und Sonn-/Feiertagsdienst).

Dieses Dienstverhältnis war bis aufrecht.

Es endete durch Kündigung des Bf nach dem Auftreten schwerwiegender gesundheitlicher Beeinträchtigungen "im Zusammenhang mit der Situation am Arbeitsplatz", die zu dessen Arbeitsunfähigkeit führten ("ausgeprägtes Erschöpfungssyndrom" bzw. "Erschöpfungsdepression" mit mehrmonatiger fachärztlicher Behandlung in der Schweiz und in Österreich). Die behandelnden Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie bzw. Neurologie beurteilten eine Rückkehr des Bf nach Österreich als Unterstützung zur nachhaltigen Genesung und Stabilisierung des Gesundheitszustandes (fachärztl. Bestätigungen Dris. A/Kanton-2 v. 23.Sept.2021 und Dris. B/Ö-Ort-2 v. ).

Nach der Rückkehr aus der Schweiz zog der Bf wieder in sein Elterhaus ein (Einfamilienhaus mit einer Wohneinheit - EG mit Küche/Wohnzimmer, OG mit 3 Schlafzimmern) und bewohnt dort seither - planmäßig bis zu seiner Gesundung - gegen einen Unkostenbeitrag ein Gästezimmer. Bis Ende Mai 2021 ging der Bf keiner Berufstätigkeit nach. Seit Juni 2021 arbeitet er wieder im Rahmen eines Dienstverhältnisses in der Nähe seines aktuellen Wohnortes.

Zum Aufenthalt in der Schweiz war der Bf aufgrund einer unmittelbar nach seinem Umzug (Wohnsitzabmeldung in Graz per ) erteilten "Aufenthaltsbewilligung B" vom berechtigt (5jährige Befristung).

Nach kurzfristigem Wohnsitz in einer Dienstwohnung (1.Aug.-), lebte der Bf rund 15 Monate lang in einer 3 Personen-Mietwohngemeinschaft in CH-Ort-1/Kanton -1, bevor er ab 1.Febr.2019 in einer neu errichteten Wohnanlage in CH-Ort-2/ Kanton-2 in eine 2,5 Zimmer Mietwohnung zur Alleinbenutzung übersiedelte (Mietvertrag v. ). Abgesehen von deutlich höheren Mietkosten als in der Wohngemeinschaft, fielen in der neuen Erstbezugswohnung für den Bf auch Kosten für die Wohnungseinrichtung an.

Den angeführten Feststellungen über die Umstände des Schweiz-Aufenthalts des Bf liegt dessen durch Beilagen dokumentiertes Vorbringen im Verfahren zugrunde, das insofern ein schlüssiges und widerspruchsfreies Gesamtbild ergibt und keine tragfähigen Anhaltspunkte für eine geplante Befristung liefert.

Zu den persönlichen Beziehungen bzw. Lebensverhältnissen des Bf geht das BFG aufgrund dessen glaubhafter Darstellung im finanzgerichtlichen Ermittlungsverfahren zudem davon aus, dass sich sein Lebensschwerpunkt bereits in den 10 Jahren nach der Matura weitgehend nach Graz verlagert hatte und der Bezug zum Elternhaus beim Wegzug in die Schweiz den üblichen Verhältnissen erwachsener Kinder zur Heimatfamilie bzw. dem Umfeld der Kindheit und Jugendzeit entsprach (loser, vorwiegend telefonischer Kontakt zu Eltern/Großeltern mit persönlichen Besuchen zu den üblichen Anlässen, vereinzelte Kontakte mit Jugendfreunden am Heimatort). Dies fand nach dem Umzug in die Schweiz weitgehend seine Fortsetzung, wobei sich persönliche Besuche aufgrund der Entfernung glaubhaft auf einzelne Besuchstage an Feiertagen bzw. während der Urlaubszeit beschränkten.

Über eine darüberhinausgehende soziale Verankerung des Bf in seiner Heimat (Vereinsmitgliedschaft, Freizeitgestaltung) ist aufgrund der fehlenden Erhebungen des FA weder aus der Zeit seines Aufenthalts in Graz noch danach etwas bekannt.

Dagegen schilderte der Bf seine soziale Einbettung während seines Aufenthalts in der Schweiz im finanzgerichtlichen Ermittlungsverfahren sehr anschaulich, lebensnah und überzeugend durch beispielhafte Nennung konkreter Personen aus seinem neuen Freundeskreis und Freizeitaktivitäten unter Anschluss von Fotos.

Da das FA dem BFG trotz Aufforderung zur Sachverhaltsermittlung keine abweichenden Erhebungsergebnisse über die Wohnverhältnisses des Bf bei den Eltern, Häufigkeit und Dauer seiner Inlandsaufenthalte sowie Art und Umfang seiner Sozialkontakte am Heimatort bzw. in Graz vor und während des Auslandaufenthalts bekanntgab und ins Gewicht fallende Widersprüche zu den Abgaben des Bf nicht bekannt wurden, sieht das BFG keine Veranlassung, dessen Darstellungen seiner Lebensverhältnisse im In- und Ausland in Zweifel zu ziehen und legt diese im festgestellten Umfang der Entscheidung im anhängigen Verfahren zugrunde.

Die wirtschaftlichen Verhältnisse des Bf waren vor und nach dem Wegzug in die Schweiz durch die Einkünfteerzielung als Dienstnehmer im XY-Konzern (bzw. dessen Zulieferbetrieb) geprägt. Darüberhinausgehende Einkunftsquellen wurden dem BFG weder aus den abgabenbehördlichen Vorlageunterlagen noch aus den durchgeführten Datenbankrecherchen bekannt. Ebenso verfügt der Bf demnach über kein Immobilienvermögen (auch kein Miteigentum am Einfamilienhaus der Eltern).

Die Steuerverwaltungen der Kantone Kanton-1/ Kanton-2 (je Abt. Quellensteuer) bestätigen für einen durchgehenden Zeitraum vom - den "steuerrechtlichen Wohnsitz" des Bf im jeweiligen Kanton und dessen "unbeschränkte Steuerpflicht" in der Schweiz gemäß Art. 3 Bundesgesetz über die Direkte Bundessteuer bzw. § 4 Steuergesetz des Kanton Kanton-2.

Eine Ansässigkeitsbescheinigung im Sinne des Art. 4 DBA CH liegt nicht vor.

II. Das Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen, BGBl 1975/64 idF BGBL III Nr. 22/2007 (DBA CH) lautet auszugsweise:

"Artikel 4:

1. Im Sinne dieses Abkommens bedeutet der Ausdruck "eine in einem Vertragstaat ansässige Person" eine Person, die nach dem in diesem Staat geltenden Recht dort unbeschränkt steuerpflichtig ist.

2. Ist nach Absatz 1 eine natürliche Person in beiden Vertragstaaten ansässig, so gilt folgendes:

a) Die Person gilt als in dem Vertragstaat ansässig, in dem sie über eine ständige Wohnstätte verfügt. Verfügt sie in beiden Vertragstaaten über eine ständige Wohnstätte, so gilt sie als in dem Vertragstaat ansässig, zu dem sie die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen hat (Mittelpunkt der Lebensinteressen).

b) Kann nicht bestimmt werden, in welchem Vertragstaat die Person den Mittelpunkt der Lebensinteressen hat, oder verfügt sie in keinem der Vertragstaaten über eine ständige Wohnstätte, so gilt sie als in dem Vertragstaat ansässig, in dem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat.

(….)

3. gilt eine natürliche Person nur für einen Teil des Jahres als im Sinne dieses Artikels in einem Vertragstaat ansässig, für den Rest des gleichen Jahres aber als in dem anderen Vertragstaat ansässig (Wohnsitzwechsel), endet die Steuerpflicht, soweit sie an die Ansässigkeit anknüpft, in dem ersten Staate mit dem Ende des Kalendermonats, in dem der Wohnsitzwechsel vollzogen ist. Die Steuerpflicht beginnt, soweit sie an die Ansässigkeit anknüpft, im anderen Staat mit dem Beginn des auf den Wohnsitzwechsel folgenden Kalendermonats.

(.…)

Artikel 15:

1. Vorbehaltlich der Artikel 16, 18 und 19 dürfen Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen, die eine in einem Vertragstaat ansässige Person aus unselbständiger Arbeit bezieht, nur in diesem Staat besteuert werden, sei denn, daß die Arbeit in dem anderen Vertragstaat ausgeübt wird. Wird die Arbeit dort ausgeübt, so dürfen die dafür bezogenen Vergütungen in dem anderen Staat besteuert werden.

2. Ungeachtet des Absatzes 1 dürfen Vergütungen, die eine in einem Vertragstaat ansässige Person für eine in dem anderen Vertragstaat ausgeübte unselbständige Arbeit bezieht, nur in dem erstgenannten Staat besteuert werden, wenn

a) der Empfänger sich in dem anderen Staat insgesamt nicht länger als 183 Tage während des betreffenden Steuerjahres aufhält,

b) die Vergütungen von einem Arbeitgeber oder für einen Arbeitgeber gezahlt werden, der nicht in dem anderen Staat ansässig ist, und

c) die Vergütungen nicht von einer Betriebstätte oder einer festen Einrichtung getragen werden, die der Arbeitgeber in dem anderen Staat hat.

(…..)

Artikel 23:

(....)

2. (…) Bezieht eine in Österreich ansässige Person unter Artikel 10, 15 und 19 fallende Einkünfte, die nach diesem Abkommen in der Schweiz und in Österreich besteuert werden dürfen, so rechnet Österreich auf die vom Einkommen dieser Person zu erhebende Steuer den Betrag an, der der in der Schweiz gezahlten Steuer entspricht; der anzurechnende Betrag darf jedoch den Teil der vor der Anrechnung ermittelten Steuer nicht übersteigen, der auf die aus der Schweiz bezogenen Einkünfte entfällt."

Nach der Rechtsprechung des VwGH beschränkt sich die Wirkung von Doppelbesteuerungsabkommen auf die Begrenzung einer sich aus dem innerstaatlichen Steuerrecht ergebenden Steuerpflicht. Dazu ist zunächst nach innerstaatlichem Recht zu prüfen, ob für den Verfahrenszeitraum unbeschränkte Steuerpflicht besteht. Die Frage, ob eine Person in Österreich unbeschränkt steuerpflichtig ist, richtet sich nicht nach Doppelbesteuerungsabkommen, sondern ausschließlich nach den inländischen steuerrechtlichen Vorschriften (vgl. mwN).

Zur Abgrenzung zwischen beschränkter und unbeschränkter Einkommensteuerpflicht normiert § 1 EStG 1988, soweit hier von Interesse:

"(2) Unbeschränkt steuerpflichtig sind jene natürlichen Personen, die im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben. Die unbeschränkte Steuerpflicht erstreckt sich auf alle in- und ausländischen Einkünfte.

(3) Beschränkt steuerpflichtig sind jene natürlichen Personen, die im Inland weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben. Die beschränkte Steuerpflicht erstreckt sich nur auf die im § 98 aufgezählten Einkünfte.

Demnach besteht im Fall der beschränkten Steuerpflicht ein Besteuerungsrecht Österreichs - soweit verfahrensrelevant - betreffend Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit iSd § 25 EStG nur, wenn diese im Inland ausgeübt oder verwertet wird oder wurde (vgl. § 98 Abs. 1 Z 4 EStG 1988).

Die maßgeblichen Begriffsdefinitionen für die Abgrenzung zwischen beschränkter und unbeschränkter Einkommensteuerpflicht enthält § 26 BAO:

"(1) Einen Wohnsitz im Sinn der Abgabenvorschriften hat jemand dort, wo er eine Wohnung innehat unter Umständen, die darauf schließen lassen, daß er die Wohnung beibehalten und benutzen wird.

(2) Den gewöhnlichen Aufenthalt im Sinn der Abgabenvorschriften hat jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, daß er an diesem Ort oder in diesem Land nicht nur vorübergehend verweilt. Wenn Abgabenvorschriften die unbeschränkte Abgabepflicht an den gewöhnlichen Aufenthalt knüpfen, tritt diese jedoch stets dann ein, wenn der Aufenthalt im Inland länger als sechs Monate dauert. In diesem Fall erstreckt sich die Abgabepflicht auch auf die ersten sechs Monate." (…)

Das Vorliegen der unbeschränkten Steuerpflicht aufgrund eines inländischen Wohnsitzes setzt nach der VwGH-Rechtsprechung zu § 26 Abs. 1 BAO voraus, dass eine Person über Räumlichkeiten verfügt, die nach der Verkehrsauffassung ihren Wohnbedürfnissen entsprechen und ohne wesentliche Änderungen jederzeit zum Wohnen benutzbar sind und die sie zudem im Sinne einer "Schlüsselgewalt" jederzeit ohne Zustimmung Dritter für eigene Wohnzwecke nutzen kann und auch tatsächlich über eine längere Zeit regelmäßig dafür nutzt, wobei einer bestimmten Mindestnutzungsdauer für sich keine entscheidende Bedeutung zukommt. Ein Untermietzimmer kann diese Voraussetzungen ebenso erfüllen, wie ein vom Arbeitgeber zur Nutzung während der Woche zur Verfügung gestelltes Zimmer am Dienstort. Erwachsene Kinder, die keine eigene Wohnung haben und bei den Eltern leben, haben dort einen sogenannten abgeleiteten Wohnsitz. Keinen Wohnsitz im Sinne des § 26 Abs. 1 BAO begründet dagegen das bloße Überlassen eines Zimmers zur vorübergehenden Nutzung (z.B. ; ; ; ; ; ; ; ).

Beim Merkmal des Wohnsitzes muss es sich weder um den einzigen Wohnsitz der betreffenden Person, noch um einen melderechtlichen Hauptwohnsitz oder überhaupt um einen polizeilich gemeldeten Wohnsitz handeln. Es müssen aber die Voraussetzungen des § 26 Abs. 1 BAO nach der tatsächlichen Gestaltung kumulativ erfüllt sein. Liegen diese Voraussetzungen vor, schadet es für die Begründung eines Wohnsitzes nicht, wenn sich der Mittelpunkt der Lebensinteressen der Person im Ausland befindet (vgl. ; ; mwV).

Verfügt ein Abgabepflichtiger über keinen inländischen Wohnsitz iSd § 26 Abs. 1 BAO, kommt es für das Vorliegen der unbeschränkten Steuerpflicht darauf an, ob sich sein gewöhnlicher Aufenthalt im maßgeblichen Zeitraum in Österreich befindet. Da der gewöhnliche Aufenthalt grundsätzlich die körperliche Anwesenheit verlangt, kann eine Person gleichzeitig nur einen gewöhnlichen Aufenthalt haben. Zwar unterbrechen bloß vorübergehende Abwesenheiten den gewöhnlichen Aufenthalt nicht, doch begründet ein Aufenthalt von einzelnen (Urlaubs)Tagen nach der VwGH-Judikatur keinen gewöhnlichen Aufenthalt iSd § 26 Abs. 2 BAO (vgl. Ritz, BAO Kommentar6 § 26, Rz 13, u.a. mit Verweis auf ; ; ).

III. Auf Basis der festgestellten Sach- und der dargestellten Rechtslage kommt das BFG im anhängigen Verfahren zum Ergebnis, dass der Bf mit dem Wechsel seines Dienstverhältnisses zur XY -Interational ab August 2017 sowohl seinen einzigen Wohnsitz als auch seinen persönlichen Lebensmittelpunkt dauerhaft in die Schweiz verlegt hat und sich zugleich ab dieser Zeit auch sein gewöhnlicher Aufenthaltsort dort befand.

Das Beibehalten der vor dem Wechsel in die Schweiz genutzten Mietwohnung in Graz wurde im Verfahren weder vom Bf noch von der Abgabenbehörde auch nur behauptet. Mangels sonstiger Anhaltspunkte ist davon aufgrund der Abmeldung des Grazer Nebenwohnsitzes per auch nicht auszugehen.

Dass der Bf beim Umzug in die Schweiz noch über einen Wohnsitz im Elternhaus in Ö-Ort-1 verfügte, der den Anforderungen des § 26 Abs. 1 BAO entsprach, kann vom BFG auf Basis des vorliegenden Ermittlungsergebnisses nicht festgestellt werden. Während des Auslandsaufenthalts beschränkte sich die Nutzung des Elternhauses auf vereinzelte Kurzbesuche, während derer er in einem Gästezimmer untergebracht war. Eine weitergehende Nutzung oder ein Nutzungsrecht des Bf im Elternhaus brachte das Verfahren nicht hervor. Damit wurde die für einen Wohnsitz im Sinne des § 26 Abs.1 BAO erforderliche rechtliche und tatsächliche Verfügungsmacht über eine inländische Wohngelegenheit nicht dargetan.

Ein "abgeleiteter Wohnsitz" des Bf im Elternhaus ist aufgrund dessen eigenen Wohnsitzes - zunächst in Graz und danach in der Schweiz - auszuschließen.

Auf Basis der festgestellten Umstände ist ein inländischer Wohnsitz des Bf im Verfahrenszeitraum nicht anzunehmen ().

Selbst bei Annahme eines Wohnsitzes nach § 26 Abs.1 BAO im Elternhaus bis zum Wechsel des Bf in die Schweiz - wovon das BFG ausdrücklich nicht ausgeht - wäre dieser durch die gelegentliche Nutzung eines Gästezimmers an einzelnen Besuchstagen nach der Übersiedlung ins Ausland nicht aufrechterhalten worden. Umso weniger führte diese Art der Nutzung zur Begründung eines inländischen Wohnsitzes nach dem Wegzug ins Ausland.

Da der Bf ab August 2017 demnach über keinen inländischen Wohnsitz im Sinne des § 26 Abs.1 BAO verfügte, konnte ab diesem Zeitpunkt seine unbeschränkte Steuerpflicht nur aus dem Titel des "gewöhnlichen Aufenthalts" herrühren.

Davon ist jedoch schon aufgrund der Entfernung zwischen dem Elternhaus und dem Dienstort in der Schweiz nicht auszugehen, zumal angesichts der im Dienstvertrag vom Juli 2017 festgelegten Dienstzeitregelungen. Ein "gewöhnlicher Aufenthalt" des Bf in Österreich wurde für den Zeitraum ab August 2017 im Übrigen - zurecht - auch von keiner der Verfahrensparteien vorgebracht.

Da der Bf im Verfahrenszeitraum somit weder die Voraussetzungen des § 26 Abs.1 BAO noch jene des Abs.2 leg.cit. erfüllte, ist Art 4 Abs. 2 DBA CH auf den zu beurteilenden Fall nicht anwendbar. Auf die Feststellung des Mittelpunkts der Lebensinteressen des Bf kommt es unter diesen Umständen für das anhängige Verfahren nicht an.

Doch selbst wenn man - entgegen der Ansicht des BFG - von einem inländischen Wohnsitz des Bf iSd § 26 Abs.1 BAO nach August 2017 ausgeht, bietet das Verfahrensergebnis aus Sicht des Verfahrenszeitraumes keine belastbaren Anhaltspunkte für die Annahme einer bloß vorübergehenden Verlagerung der zentralen Lebensinteressen des Bf in die Schweiz.

Tatsächlich spricht nach Ansicht des BFG der umgehend nach Beendigung des Dienstverhältnisses in Graz erfolgte Abschluss eines (unbefristeten) Folgedienstvertrages in der Schweiz für eine langfristig geplante berufliche Bindung des Bf an seinen bisherigen Dienstgeber. Dazu kommen die persönlichen Lebensumstände des Bf, der - jung und familiär ungebunden - am Beginn seiner Berufslaufbahn stand.

Eine hindernde soziale Einbettung lag nach dem Verfahrensergebnis weder in Graz noch in der obersteierischen Heimat des Bf vor, zumal das Alter seiner Eltern (geb. um 1960) keine Betreuungsbedürftigkeit in absehbarer Zeit erwarten lässt.

Sonstige gewichtige persönliche oder wirtschaftliche Verhältnisse als Zeichen für einen fortgesetzten Mittelpunkt der Lebensinteressen des Bf in Österreich nach dessen Umzug in die Schweiz waren im Verfahren nicht feststellbar.

Die Befristung des Aufenthaltstitels bei der Einreise in die Schweiz im Augst 2017 entsprach der geltenden Schweizer Rechtslage (generell zunächst fünfjährig befristete Aufenthaltsbewilligung). Diese und der damit verbundene Quellensteuerabzug standen der Ausstellung einer Ansässigkeitsbescheinigung nach Art 4 Abs. 2 DBA CH entgegen (vgl. ). Rückschlüsse auf einen fehlenden Mittelpunkt der Lebensinteressen des Bf ab dem Umzug in die Schweiz lassen sich daraus nicht ableiten.

Vor diesem Hintergrund erweist sich das Auftreten einer schwerwiegenden gesundheitlichen Beeinträchtigung beim Bf, die aufgrund ihres Zusammenhangs mit der Berufssituation einer Fortsetzung seines Schweizer Dienstverhältnisses entgegenstand, als typisches Beispiel für eine ungeplante und unvorhergesehene "Unwägbarkeit", welche rückwirkenden Konsequenzen für die steuerliche Beurteilung des Mittelpunkts der Lebensinteressen des Bf im Verfahrenszeitraum entgegensteht.

Die vom FA als Indiz herangezogene behördliche Zulassung eines 40 Jahre alten Motorfahrrades (lt. EKIS: Motorfahrrad KTM Type HOBBY III, 46 kg Eigengewicht, Erstzulassung 8/1979) im Juli 2019 in Österreich, wurde im Verfahren mit einer geplanten, sich jedoch verzögernden Verbringung in die Schweiz zum Zwecke der Nutzung für den täglichen Weg zur Arbeitsstätte erläutert, die schließlich durch das Auftreten der COVID-Pandemie verhindert worden sei.

Auch wenn die Plausibilität dieser Darstellung aufgrund der Art des Beförderungsmittels und des Zeitpunkts der Zulassung wenig überzeugend erscheint und es, mangels Durchführung des entsprechenden BFG-Ermittlungsauftrages, an widerlegenden Sachverhaltsfeststellungen fehlt, vermag das BFG in der Inlandszulassung des Motorfahrrades zwei Jahre nach dem Umzug in die Schweiz weder ein Indiz für einen von Beginn an, noch für einen zum Zeitpunkt der Zulassung befristet geplanten Auslandsaufenthalt des Bf erkennen.

Gleiches gilt für die Zulassung eines PKW Audi A4 Quattro für den Bf in Österreich im Nov 2020. Auch hier ist für das BFG nicht zu erkennen, inwiefern diese nach der unstrittigen Rückkehr des Bf aus dem Ausland erfolgte Zulassung Rückschlüsse auf die verfahrensgegenständliche Frage seiner unbeschränkten Steuerpflicht im Jahr 2017 rechtfertigen könnte.

Im Ergebnis steht aufgrund des Verfahrens somit fest, dass die Bestimmungen des Art 4 DBA CH mangels doppelter Ansässigkeit des Bf im Sinne des Abkommens bei dessen ESt-Veranlagung 2017 nur hinsichtlich Abs. 3 zum Tragen kommen.

Demnach unterlag der Bf bis Ende August 2017 der unbeschränkten Steuerpflicht in Österreich und ab September 2017 der unbeschränkten Steuerpflicht in der Schweiz.

Da die Anwendung eines Progressionsvorbehalts auf Auslandsbezüge das Vorliegen der unbeschränkten Steuerpflicht voraussetzt (), ist auch die Bestimmung des Art. 23 Abs. 2 DBA CH für das gegenständliche Verfahren nicht einschlägig.

Ausgehend von einer Lohnzahlung nach erbrachter Leistung, haben die Bezüge aus dem Schweizer Dienstverhältnis im angefochtenen ESt-Bescheid 2017 zur Gänze außer Ansatz zu bleiben. Der Einkommensbesteuerung im Jahr 2017 unterliegen nur die inländischen Einkünfte des Bf aus dem Zeitraum seiner unbeschränkten Steuerpflicht (1.1.-).

Nach dem Verfahrensergebnis beschränken sich die Einkünfte des Bf im Zeitraum seiner unbeschränkten Steuerpflicht im Jahr 2017 auf jene aus dem Dienstverhältnis bei der XY-Zuliefer- GmbH sowie einen Bezug von steuerfreiem Arbeitslosengeld (§ 3 Abs. 1 Z 5 lit a EStG 1988) im Zeitraum 1.Juli - .

Steuerfreie Einkünfte unterliegen nicht der Besteuerung nach § 2 EStG 1988 und sind daher den "anderen Einkünften" iSd § 41 Abs. 1 Z 1 EStG 1988 nicht zuzuordnen (vgl. Payerl in Jakom, EStG Kommentar13, § 41 Rz 7 mit Verweis auf bzw. ).

Damit lagen beim Bf im Jahr 2017 die Voraussetzungen für eine Pflichtveranlagung nach § 41 Abs. 1 EStG 1988 nicht vor.

Zugleich fehlt es an einem Antrag des Bf nach § 41 Abs. 2 EStG 1988 auf Durchführung einer Arbeitnehmerveranlagung 2017 (vgl. FA-Information v. über die Durchführung einer antragslosen ANV und FA-Vorhalt v. mit Hinweis auf eine Pflichtveranlagung wegen Vorliegens ausländischer Einkünfte).

Der Beschwerde des Bf was somit insgesamt stattzugeben und der ohne Rechtsgrundlage ergangene Einkommensteuerbescheid 2017 vom 18.Febr. 2021 aus dem Rechtsbestand zu entfernen.

Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im anhängigen Verfahren lagen die genannten Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Revision nicht vor. Soweit nicht Sachverhaltsfragen maßgeblich waren, folgt die Entscheidung dem klaren Wortlaut der verwendeten gesetzlichen bzw. abkommensrechtlichen Bestimmungen sowie der angeführten VwGH-Judikatur.

Graz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
Art. 15 DBA CH (E, V), Doppelbesteuerungsabkommen Schweiz (Einkommen- u. Vermögenssteuern), BGBl. Nr. 64/1975
Art. 23 Abs. 2 DBA CH (E, V), Doppelbesteuerungsabkommen Schweiz (Einkommen- u. Vermögenssteuern), BGBl. Nr. 64/1975
Art. 4 Abs. 3 DBA CH (E, V), Doppelbesteuerungsabkommen Schweiz (Einkommen- u. Vermögenssteuern), BGBl. Nr. 64/1975
Art. 4 Abs. 2 DBA CH (E, V), Doppelbesteuerungsabkommen Schweiz (Einkommen- u. Vermögenssteuern), BGBl. Nr. 64/1975
§ 1 Abs. 3 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
§ 41 Abs. 1 Z 1 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
§ 26 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 26 Abs. 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2022:RV.2100361.2021

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at