Ohne Wiederaufnahmeantrag kein Bescheid betreffend Wiederaufnahme
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch die RichterinIBV in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid 2019 des Finanzamtes Österreich vom zu Recht erkannt:
Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.
Der angefochtene Bescheid wird - ersatzlos - aufgehoben.
Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
Verfahrensgang
In der am elektronisch eingereichten Einkommensteuererklärung 2019 machte der Beschwerdeführer (kurz: Bf) den ganzen Familienbonus Plus für die in Deutschland wohnhaften Kinder T und S geltend, da er die vollen Unterhaltszahlungen geleistet habe.
Im Einkommensteuerbescheid 2019 (Arbeitnehmerveranlagung) vom wurde der Familienbonus Plus nicht anerkannt. Begründend wurde dazu ausgeführt, dass der Familienbonus Plus gemäß § 33 Abs 3a EStG 1988 nur für ein Kind zustehe, für das Familienbeihilfe (Ausgleichs-/Differenzzahlung) in Österreich gewährt werde. Bisher sei für das Kind, das im EU-EWR-Raum oder der Schweiz leben würden, kein Antrag auf Familienbeihilfe gestellt worden, sodass eine Überprüfung des Anspruchs auf Familienbeihilfe (Ausgleichs-/Differenzzahlung) in Österreich nicht erfolgen könne. Erst wenn positiv über einen Anspruch auf Familienbeihilfe (Ausgleichs- oder Differenzzahlung) abgesprochen worden sei, könne der Familienbonus Plus für die Kinder im EU-Raum berücksichtigt werden. Die Aufwendungen für außergewöhnliche Belastungen seien nicht berücksichtigt worden, da die Aufwendungen niedriger als er für den Bf gültigen Selbstbehalt in Höhe von 4.821,97 Euro sei.
Am brachte der Bf via FinanzOnline unter dem Betreff: "Einbringung Ansuchen um Differenzzahlung 2018 - 2020" ein am erstelltes Ansuchen um Differenzzahlung 2018 bis 2020 ein und führte aus, ihm sei im Einkommensteuerbescheid 2019 mitgeteilt worden, dass er "einen positiv bewilligten Differenzzahlungsbescheid" benötige, um den Familienbonus Plus beantragen zu können.
Das Finanzamt (kurz: FA) erließ am einen Abweisungsbescheid betreffend den Antrag des Bf auf Familienbeihilfe vom für die Kinder T und S ab Jänner 2018. Laut Begründung würden die Kinder nicht im Haushalt des Bf leben. Obwohl er die überwiegenden Unterhaltskosten leiste, erhalte er keine Familienbeihilfe, weil eine andere Person aufgrund eines gemeinsamen Haushalts mit den Kindern anspruchsberechtigt sei. Somit sei der Antrag auf Ausgleichszahlung durch die Kindesmutter zu stellen und ein Nachweis über die Höhe der deutschen Familienleistung einzureichen.
Am erließ das FA einen "Bescheid 2019" mit folgendem Spruch:
"Ihr Antrag gem. § 303 (1) BAO vom auf Wiederaufnahme des mit Einkommensteuerbescheid 2019 vom abgeschlossenen Verfahrens wird abgewiesen."
Begründend wurde dazu - wie im Einkommensteuerbescheid 2019 - ausgeführt, dass der Familienbonus Plus gemäß § 33 Abs 3a EStG 1988 nur für ein Kind zustehe, für das Familienbeihilfe (Ausgleichs-/Differenzzahlung) in Österreich gewährt werde. Bisher sei für das Kind, das im EU-EWR-Raum oder der Schweiz leben würden, kein Antrag auf Familienbeihilfe gestellt worden, sodass eine Überprüfung des Anspruchs auf Familienbeihilfe (Ausgleichs-/Differenzzahlung) in Österreich nicht erfolgen könne. Erst wenn positiv über einen Anspruch auf Familienbeihilfe (Ausgleichs- oder Differenzzahlung) abgesprochen worden sei, könne der Familienbonus Plus für die Kinder im EU-Raum berücksichtigt werden. Die Nichtberücksichtigung der Aufwendungen für außergewöhnliche Belastungen wurde ebenfalls erwähnt. Im Unterschied zum Einkommensteuerbescheid 2019 vom enthält die Begründung auch den Hinweis, dass die Antragstellung auf Ausgleichs-/Differenzzahlung mit dem Formular Beih38 erfolge. Antragsteller sei der haushaltsführende Elternteil, welcher im gemeinsamen Haushalt mit dem Kind lebe. Zusätzlich wurde festgehalten, dass der Unterhaltsabsetzbetrag zuerkannt worden sei.
Dieser "Bescheid 2019" wurde dem Bf am in die Databox von FinanzOnline zugestellt.
Der Bf brachte am via FinanzOnline eine Beschwerde ein und führte begründend Folgendes aus:
Da der Bf mit der Mutter seiner Kinder im Streit liege und diese den Differenz- bzw Ausgleichsbetrag nicht beantragen werde und dieser seines Wissens nach mit 0,00 Euro festgelegt werden würde, ersuche er um die Anerkennung des Familienbonus Plus. Die Mutter der Kinder sei deutsche Staatsbürgerin, arbeite und wohne mit den Kindern in Bayern, somit habe sie auch keinen Anspruch auf den österreichischen Familienbonus Plus. Laut Arbeiterkammer gebe es bereits mehrere Fälle wie seinen. Unter Hinweis auf das Erkenntnis des werde um Überprüfung der Entscheidung ersucht.
Am erließ das FA eine Beschwerdevorentscheidung gemäß § 262 BAO zum "Einkommensteuerbescheid 2019" mit folgendem Spruch:
"Die Beschwerde vom gegen den Bescheid vom wird als unbegründet abgewiesen".
Begründend wurde zum Antrag auf Zuerkennung des ganzen Familienbonus Plus unter Hinweis auf ein Erkenntnis des abermals festgehalten, dass der Familienbonus Plus gemäß § 33 Abs 3a EStG 1988 nur einem Kind, für das Familienbeihilfe (bzw eine Ausgleichs-/Differenzzahlung) nach dem österreichischen FLAG 1967 gewährt werde, zustehe.
Die Begründung enthält des Weiteren den Hinweis, dass bei Beantragung der Familienbeihilfe (Ausgleich-/Differenzzahlung) und Stattgabe dieses Antrags je nach Bearbeitungsdauer ein Aufhebungsantrag gemäß § 299 BAO oder ein Wiederaufnahmeantrag gemäß § 303 BAO eingebracht werden könne.
Der Bf stellte daraufhin am über FinanzOnline einen Vorlageantrag und erwähnte darin die Beschwerdevorentscheidung gemäß § 262 BAO zum Einkommensteuerbescheid 2019 vom und seine Beschwerde vom .
Mit Bericht vom legte das FA diese Beschwerde dem Bundesfinanzgericht (kurz: BFG) zur Entscheidung vor.
Über telefonischen Hinweis des darauf, dass der im "Bescheid 2019" angesprochene Antrag gemäß § 303 Abs 1 BAO vom auf Wiederaufnahme des Einkommensteuerbescheides 2019 dem BFG nicht vorgelegt wurde, reichte das FA am das Ansuchen des Bf vom betreffend Gewährung der Familienbeihilfe (Differenzzahlung) auf elektronischem Weg nach. Gleichzeitig legte das FA den Abweisungsbescheid vom betreffend den Antrag auf Familienbeihilfe für die Kinder T und S ab 2018 vor. Zudem wurden folgende Ausführungen von der Amtsbeauftragten auf elektronischem Weg übermittelt:
Der vom Bf am eingebrachte Antrag auf Differenzzahlung sei als Anregung einer Wiederaufnahme gewertet worden, da der Bf einen bewilligten Antrag auf Familienbeihilfe benötige, um den ganzen Familienbonus Plus erhalten zu können. Eine Anregung auf Wiederaufnahme werde mittels Bescheid von Amts wegen angemerkt, allerdings könne EDV-technisch ein amtswegiger Bescheid nicht abgewiesen werden, weshalb am ein Antrag auf Wiederaufnahme als eingelangt angemerkt worden sei. Der Abweisungsbescheid vom betreffend die Familienbeihilfe habe am zur Abweisung der Wiederaufnahme (Vorfragentatbestand - Antrag auf Familienbeihilfe) geführt. Der Wiederaufnahmegrund sei für das FA die Vorfrage des Familienbeihilfenbezuges gewesen, um Familienbonus Plus gewähren zu können. Grundsätzlich seien die Inhaltserfordernisse eines Wiederaufnahmeantrages gesetzlich geregelt, jedoch seien in der Allgemeinveranlagung anders als in der betrieblichen Veranlagung die meisten Steuerpflichtigen nicht vertreten, was die Bearbeitung derartiger Anträge ziemlich in die Länge ziehe, weil vorher noch ein Mängelbehebungsauftrag verschickt werden müsste.
Eine Abfrage des BFG in der Familienbeihilfendatenbank ergab, dass im FA am ein Arbeitsauftrag zur Erledigung des vom Bf am unter Verwendung des Formblattes Beih 38 erstellten Antrages auf Gewährung einer Differenzzahlung für die Kinder T und S für den Zeitraum bis erging.
Am erteilte das BFG einen Mängelbehebungsauftrag und forderte den Bf auf, die Bezeichnung des Bescheides, gegen den sich die zum Zeitraum 2019 eingebrachte Beschwerde vom richtet, nachzuholen.
Mit Fax vom teilte der Bf in Erfüllung des Mängelbehebungsauftrages mit, dass sich die Beschwerde gegen den Bescheid vom (Abweisung des Antrages auf Wiederaufnahme gemäß § 303 Abs 1 BAO) richte. Ergänzend hielt der Bf fest, dass der Antrag auf Wiederaufnahme während einer telefonischen Beratung durch einen Mitarbeiter des FA getätigt worden sei, um die Fristen zu wahren. Die Abweisung des Antrages auf Wiederaufnahme sei während einer telefonischen Beratung mit einem Mitarbeiter des FA beschlossen worden, da die Mutter der Kinder keinen Antrag auf Ausgleichs-/Differenzzahlung stellen werde.
Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
1 gesetzliche Grundlagen
Anbringen zur Geltendmachung von Rechten oder zur Erfüllung von Verpflichtungen (insbesondere Erklärungen, Anträge, Beantwortung von Bedenkenvorhalten, Rechtsmittel) sind gemäß § 85 Abs 1 BAO vorbehaltlich der Bestimmungen des Abs 3 schriftlich einzureichen (Eingaben).
Mängel von Eingaben (Formgebrechen, inhaltliche Mängel, Fehlen einer Unterschrift) berechtigen die Abgabenbehörde gemäß § 85 Abs 2 BAO nicht zur Zurückweisung; inhaltliche Mängel liegen nur dann vor, wenn in einer Eingabe gesetzlich geforderte inhaltliche Angaben fehlen. Sie hat dem Einschreiter die Behebung dieser Mängel mit dem Hinweis aufzutragen, dass die Eingabe nach fruchtlosem Ablauf einer gleichzeitig zu bestimmenden angemessenen Frist als zurückgenommen gilt; werden die Mängel rechtzeitig behoben, gilt die Eingabe als ursprünglich richtig eingebracht.
Gemäß § 93 Abs 2 BAO ist jeder Bescheid ausdrücklich als solcher zu bezeichnen, er hat den Spruch zu enthalten und in diesem die Person (Personenvereinigung, Personengemeinschaft) zu nennen, an die er ergeht.
Über Bescheidbeschwerden ist gemäß § 262 Abs 1 BAO nach Durchführung der etwa noch erforderlichen Ermittlungen von der Abgabenbehörde, die den angefochtenen Bescheid erlassen hat, mit als Beschwerdevorentscheidung zu bezeichnendem Bescheid abzusprechen.
Nach § 264 Abs 1 BAO kann gegen eine Beschwerdevorentscheidung innerhalb eines Monats ab Bekanntgaben (§ 97) der Antrag auf Entscheidung über die Bescheidbeschwerde durch das Verwaltungsgericht gestellt werden (Vorlageantrag). Der Vorlageantrag hat die Bezeichnung der Beschwerdevorentscheidung zu enthalten.
Ist die Bescheidbeschwerde mit Beschluss des Verwaltungsgerichtes
a) weder als unzulässig oder nicht rechtzeitig eingebracht zurückzuweisen (§ 260), noch
b) als zurückgenommen (§ 85 Abs 2, § 86a Abs 1) oder als gegenstandslos (§ 256 Abs 3, § 261) zu erklären,
so kann das Verwaltungsgericht gemäß § 278 Abs 1 BAO mit Beschluss die Beschwerde durch Aufhebung des angefochtenen Bescheides und allfälliger Beschwerdevorentscheidung unter Zurückverweisung der Sache an die Abgabenbehörde erledigen, wenn……
Außer in den Fällen des § 278 hat das Verwaltungsgericht gemäß § 279 Abs 1 BAO immer in der Sache selbst mit Erkenntnis zu entscheiden. Es ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung seine Anschauung an die Stelle jener der Abgabenbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern, aufzuheben oder die Bescheidbeschwerde als unbegründet abzuweisen.
Ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren kann gemäß § 303 Abs 1 BAO auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen wiederaufgenommen werden, wenn
a) der Bescheid durch eine gerichtlich strafbare Tat herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist, oder
b) Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind, oder
c) der Bescheid von Vorfragen (§ 116) abhängig war und nachträglich über die Vorfrage von der Verwaltungsbehörde bzw dem Gericht in wesentlichen Punkten anders entschieden worden ist,
und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.
Der Wiederaufnahmeantrag hat gemäß § 303 Abs 2 BAO zu enthalten:
a) die Bezeichnung des Verfahrens, dessen Wiederaufnahme beantragt wird;
b) die Bezeichnung der Umstände (Abs 1), auf die der Antrag gestützt wird.
Die Entscheidung über die Wiederaufnahme steht gemäß § 305 S 1 BAO der Abgabenbehörde zu, die für die Erlassung des nach § 307 Abs 1 aufzuhebenden Bescheides zuständig war oder vor Übergang der Zuständigkeit als Folge einer Bescheidbeschwerde oder einer Säumnisbeschwerde (§ 284 Abs 3) zuständig gewesen wäre.
2 rechtliche Würdigung
Einleitend ist festzuhalten, dass das vom BFG durchgeführte Mängelbehebungsverfahren klargestellt hat, dass sich die Beschwerdeschrift des Bf vom gegen den vom FA am zugestellten "Bescheid 2019" vom richtet (vgl Verfahrensgang).
Zu der am ergangenen Beschwerdevorentscheidung gemäß § 262 BAO (vgl Verfahrensgang) ist auszuführen, dass diese nach § 262 Abs 1 BAO ein Bescheid ist.
Was Gegenstand eines Bescheides ist, bestimmt sich ausschließlich nach dem Inhalt des Spruches des Bescheides. Nur er erlangt rechtliche Geltung (Verbindlichkeit) und legt dadurch die Grenzen der Rechtskraft fest. Die Bescheidbegründung spielt hier nur insoweit eine Rolle, als (auch) sie zu der (nach den für Gesetze maßgebenden Regeln vorzunehmenden) Auslegung (Deutung), nicht aber zur Ergänzung eines in sich unklaren Spruches heranzuziehen ist. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt eine Auslegung des Spruches eines Bescheides nach dessen Begründung nur in jenen Fällen in Betracht, in denen der Spruch für sich allein Zweifel an seinem Inhalt offenlässt. Dagegen kommt eine Umdeutung (oder auch Ausweitung) eines klar gefassten Spruches anhand der Begründung des Bescheides nicht in Betracht. Ist somit der Spruch des Bescheides eindeutig, dann kommt der Begründung eine den Inhalt des Bescheides modifizierende Wirkung nicht zu. (Vgl , ).
Durch die Abweisung einer Beschwerde wird zum Ausdruck gebracht, dass der Spruch des mit Beschwerde bekämpften Bescheides übernommen wird. (vgl ).
Laut Spruch der Beschwerdevorentscheidung vom wird die Beschwerde vom gegen den Bescheid vom abgewiesen. Aus dem im Zusammenhang mit der Bezeichnung als Beschwerdevorentscheidung enthaltenen Hinweis auf das Jahr 2019 ist klar ersichtlich, dass der "Bescheid 2019" vom angesprochen wird, der laut seinem Spruch über einen Wiederaufnahmeantrag vom betreffend die Einkommensteuer 2019 abweisend abspricht. (Vgl Verfahrensgang)
Aufgrund des Vorlageantrags des Bf vom , der auch eine Bezeichnung der Beschwerdevorentscheidung enthält, und der tatsächlichen Vorlage der Beschwerde an das BFG ist dieses zur Entscheidung über die Beschwerde vom zuständig, wobei Sache des Beschwerdeverfahrens die Beantragung einer Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich der Einkommensteuer 2019 ist. (Vgl ).
Das FA hat das Ansuchen des Bf vom um Differenzzahlung als Anregung zur amtswegigen Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich der Einkommensteuer 2019 beurteilt, dieses aber, um einen abweisenden Bescheid erlassen zu können, als Antrag auf Wiederaufnahme herangezogen (vgl Verfahrensgang). Das FA hat somit selbst erkannt, dass ein Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens nicht gestellt wurde. Dieser Beurteilung von Seiten des FA, wonach das gegenständliche Anbringen des Bf vom keinen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens darstellt, ist zuzustimmen.
Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits ausgesprochen hat, sind Parteienerklärungen im Verwaltungsverfahren nach ihrem objektiven Erklärungswert auszulegen. Es kommt also darauf an, wie die Erklärung unter Berücksichtigung der konkreten gesetzlichen Regelung, des Verfahrenszwecks und der der Behörde vorliegenden Aktenlage objektiv verstanden werden muss. Bei einem eindeutigen Inhalt eines Anbringens ist es der Behörde verwehrt, diesem eine abweichende, eigene Deutung zu geben, selbst wenn das Begehren von vorneherein aussichtslos oder unzulässig wäre. Zwar ist im Zweifel dem Anbringen einer Partei, das sie zur Wahrung ihrer Rechte stellt, nicht ein solcher Inhalt beizumessen, der ihr die Rechtsverteidigungsmöglichkeit nimmt. Es besteht aber keine Befugnis oder Pflicht der Behörde, von der Partei tatsächlich nicht erstattete Erklärungen aus der Erwägung als erstattet zu fingieren, dass der Kontext des Parteivorbringens die Erstattung der nicht erstatteten Erklärung nach behördlicher Beurteilung als notwendig, ratsam oder empfehlenswert erscheinen lässt. (Vgl ).
Es kommt auf die Erklärung des Willens und nicht auf den - davon abweichenden - tatsächlichen Willen des Antragstellers an. (Vgl ).
Bei dem Anbringen des Bf vom handelt es sich nach der im Betreff gewählten Formulierung und dem weiteren Inhalt des Anbringens, also nach seinem objektiven Erklärungswert, um ein Ansuchen um Differenzzahlung 2018 bis 2020. Dieses Anbringen beinhaltet somit zweifellos einen Antrag auf Gewährung von Familienbeihilfe in Form einer Differenzzahlung. Ziel dieses Anbringens war "einen positiv bewilligten Differenzzahlungsbescheid" zu erhalten. Das Anbringen enthält keine Erklärung dahingehend, dass (zusätzlich) die Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 Abs 1 BAO betreffend die Einkommensteuer 2019 beantragt wird. Aufgrund des eindeutigen Inhalts des Anbringens darf eine Umdeutung in einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend die Einkommensteuer 2019 nicht erfolgen. Es ist dem FA auch verwehrt, zusätzlich zum eindeutig gestellten Antrag auf Gewährung der Familienbeihilfe ein tatsächlich nicht erstattetes Anbringen als erstattet zu fingieren. Im Ergebnis wurde vom Bf am kein Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend die Einkommensteuer 2019 erstattet, der dem "Bescheid 2019" vom zugrunde gelegt werden hätte können. (Vgl Verfahrensgang).
Da am vom Bf kein Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 Abs 1 BAO gestellt wurde, ist das Finanzamt zur Erlassung des "Bescheid (es) 2019" vom nicht zuständig gewesen. Dementsprechend ist infolge der Unzuständigkeit des Finanzamtes der "Bescheid 2019" vom ersatzlos aufzuheben. (Vgl , , ).
Auch eine vom FA angesprochene Anregung auf amtswegige Wiederaufnahme des Verfahrens kann aus dem Anbringen vom nicht erkannt werden und würde zudem anders als ein Antrag des Steuerpflichtigen keine Entscheidungspflicht bzw Entscheidungsrecht (kein Recht zur Abweisung der Wiederaufnahme des Verfahrens) der Abgabenbehörde auslösen. Auch insoweit wäre eine Unzuständigkeit des FA gegeben gewesen. (Vgl )
Der Vollständigkeit halber wird noch angemerkt, dass die Beurteilung des Anbringens des Bf vom (auch) als Wiederaufnahmeantrag nach § 303 Abs 1 BAO zu keinem anderen Ergebnis führen würde.
§ 303 Abs 1 BAO enthält Inhaltserfordernisse für einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens, welche mit gegenständlichem Anbringen nicht erfüllt wurden. So sind die Umstände bzw die in § 303 Abs 1 BAO aufgezählten Wiederaufnahmegründe zu bezeichnen, auf die sich der Antrag stützt, was tatsächlich nicht geschehen ist.
Die Abgabenbehörde kann die Entscheidung, ob sie das Verfahren wiederaufnimmt, nur im Rahmen der vom Antragsteller gemäß § 303 Abs 1 BAO anzuführenden Umstände (Wiederaufnahmegründe) treffen und von sich aus keine anderen (weiteren) Wiederaufnahmegründe heranziehen. Die in einem Antrag vom Steuerpflichtigen angeführten Gründe begrenzen sohin die Sache, über die die Abgabenbehörde und in der Folge das BFG zu entscheiden hat. (Vgl ).
Mangels Durchführung des Mängelbehebungsverfahrens sind jedenfalls Wiederaufnahmegründe, auf die ein Antrag gestützt worden sei, im Dunkeln geblieben. Dementsprechend enthält auch der "Bescheid 2019" vom keine Wiederaufnahmegründe.
Ohne Durchführung eines Mängelbehebungsverfahrens hätte das Anbringen jedenfalls nicht als Wiederaufnahmeantrag behandeln und inhaltlich erledigen dürfen. (Vgl ).
Des Weiteren ist festzuhalten, dass zwar Begründungsmängel im Abgabenverfahren im Rechtsmittelverfahren saniert werden können; dies gilt aber nur grundsätzlich: Nicht sanierbar ist beispielsweise, wenn der Wiederaufnahmebescheid keine Wiederaufnahmegründe nennt. Die Wiederaufnahmegründe sind in der Begründung anzuführen. Dies ist nicht zuletzt deshalb notwendig, weil sich letztlich das BFG nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auf keine neuen Wiederaufnahmegründe stützten darf. Das BFG hat lediglich zu beurteilen, ob die von der Abgabenbehörde angeführten Gründe eine beantragte oder amtswegige Wiederaufnahme rechtfertigen oder nicht. (vgl Ritz, BAO6, § 93 Rz 16, , ).
Erfolgt somit die Abweisung eines Antrages auf Wiederaufnahme des Verfahrens ohne Anführung von Wiederaufnahmegründen, fehlt es dem angefochtenem Wiederaufnahmebescheid an der erforderlichen Begründung. Dieser Mangel ist im Rechtsmittelverfahren nicht sanierbar und führt zur ersatzlosen Aufhebung des angefochtenen Wiederaufnahmebescheides (Vgl ).
Es ist somit spruchgemäß zu entscheiden.
3 Revision
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. (Art 133 Abs 4 B-VG)
Dass ohne Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens nicht über eine Wiederaufnahme abweisend abzusprechen ist, ergibt sich aus § 303 BAO. Die Aufhebung des gegenständlichen Bescheides ist die gesetzliche Folge. Im Übrigen finden die gegenständlich zu lösenden Rechtsfragen in der zitierten Rechtsprechung Deckung.
Salzburg, am
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 303 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 93 Abs. 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 279 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 303 Abs. 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 85 Abs. 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2022:RV.6100435.2021 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at